Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 15.01.2002, Az.: 4 A 86/00

besondere Notlage; Dividende; drohende Wohnungslosigkeit; Ermessen; Genossenschaftsanteile; Kosten der Unterkunft; Ratenzahlung; Wohnungsbaugenossenschaft

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
15.01.2002
Aktenzeichen
4 A 86/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 41846
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG - 25.07.2002 - AZ: 4 LA 145/02

Tatbestand:

1

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten, aus Sozialhilfemitteln die Erhöhung von Genossenschaftsanteilen zu übernehmen und die jährliche Dividende auf bereits bestehende Genossenschaftsanteile als Tilgung des ihr dafür gewährten Darlehens einzusetzen.

2

Die Klägerin beantragte am 12. Mai 1998 bei der Stadt W. für sich und ihre Tochter laufende Hilfe zum Lebensunterhalt sowie die Übernahme von Genossenschaftsanteilen. Sie beabsichtigte, zum 1. Juni 1998 in die Wohnung B. 63 in W. umzuziehen. Voraussetzung für den Bezug der Wohnung war der Erwerb der Mitgliedschaft bei der Wohnungsbaugenossenschaft S. eG mit Zeichnung von insgesamt fünf Pflichtanteilen zu je 300,-- DM zuzüglich einer einmaligen Bearbeitungsgebühr von 40,-- DM (insg. 1.540,-- DM). Die Klägerin bezog zum damaligen Zeitpunkt Erziehungsgeld in Höhe von 600,-- DM monatlich. Mit Bescheid vom 27. Mai 1998 übernahm der Beklagte darlehensweise die "Mietkaution" in Höhe von 1.540,-- DM unter dem Vorbehalt der Unterzeichnung des Darlehensvertrages. Am 27. Mai 1998 schlossen die Klägerin und der Beklagte den Darlehensvertrag. Darin verpflichtete sich die Klägerin, den Darlehensbetrag in monatlichen Raten zu tilgen, wobei die Tilgungsbeträge gesondert festgesetzt werden sollten. Mit Schreiben vom 23. September 1998 bat der Beklagte die Klägerin mitzuteilen, ob sie mit monatlichen Raten in Höhe von 170,-- DM aus dem Erziehungsgeld einverstanden sei. Dies lehnte die Klägerin mit Schreiben vom 3. Oktober 1998 ab. Die Klägerin bezog auch in der Folgezeit laufende Hilfe zum Lebensunterhalt.

3

Mit Schreiben vom 13. Januar 2000 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Übernahme der sich aus einer Erhöhung der Genossenschaftsanteile ergebenden Kosten von 455,85 DM. Beigefügt war ein Schreiben der Wohnungsbaugenossenschaft S. eG vom 18. November 1999, mit dem die Klägerin aufgefordert wurde, den sich aus der Erhöhung des Geschäftsanteils von bisher 300,-- DM auf 391,17 DM ergebenden Betrag von 455,85 DM nachzuzahlen. Sollte die Klägerin dazu nicht in der Lage sein, könnten Ratenzahlungsvereinbarungen getroffen werden. Die Klägerin beantragte bei dem Beklagten weiterhin, die Dividende für 1999, die Mitte 2000 an den Beklagten ausgezahlt werden würde, auf das ihr gewährte Darlehen anzurechnen.

4

Mit Bescheid vom 2. Februar 2000 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Übernahme des Nachzahlungsbetrages aus der Geschäftsanteilserhöhung ab. Eine Hilfe zur Sicherung der Unterkunft gem. § 15 a BSHG komme nicht in Betracht, da die Nichtzahlung des geforderten Erhöhungsbetrages nicht zwangsläufig die Kündigung der Wohnung nach sich ziehe. Außerdem habe die Wohnungsbaugenossenschaft der Klägerin eine Ratenzahlungsvereinbarung angeboten. Nach telefonischer Auskunft der zuständigen Sachbearbeiterin sei es möglich, den geforderten Betrag in Raten von 20,-- DM monatlich abzutragen. Dies stelle für die Klägerin eine Selbsthilfemöglichkeit dar, die von ihr vorrangig zu nutzen sei. Da er auf eine Rückzahlung des Darlehens bisher verzichtet habe, könnten der Klägerin auch nicht die jährlichen Dividenden gutgeschrieben werden.

5

Mit Schreiben vom 28. Februar 2000 legte die Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 2. Februar 2000 Widerspruch ein. Die Aufstockung der Genossenschaftsanteile aus der laufenden Sozialhilfe zu tragen, sei für sie und ihre Tochter unzumutbar. Die jährlichen Dividenden seien ausschließlich zur Tilgung ihres Darlehens zu verwenden und nicht als Einnahmen des Beklagten. Der Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2000 den Widerspruch der Klägerin zurück.

6

Mit Schreiben vom 27. April 2000 teilte die Wohnungsbaugenossenschaft S. eG der Klägerin mit, dass nach dem Mietvertrag die Zeichnung und Zahlung von fünf Pflichtanteilen Voraussetzung für die Nutzung der Wohnung sei. Erfülle die Klägerin diese Voraussetzung nicht, könne das Mietverhältnis gekündigt werden. Aufgrund der Verrechnung der Wohnungsbauprämie von 100,-- DM seien von der Klägerin noch 355,85 DM zu zahlen.

7

Die Klägerin hat am 8. Mai 2000 Klage erhoben.

8

Zur Begründung trägt sie vor, dass ihr bei Nichtzahlung des Erhöhungsbetrages die Kündigung der Wohnung drohe. Gegebenfalls würde auch versucht werden, die Forderung einzutreiben. Die Dividende habe für das Jahr 1999 64,-- DM betragen. Diese Dividende dürfe sich der Beklagte als Darlehensgeber eben so wenig aneignen wie die Verzinsung einer Mietkaution. Allenfalls könne er auf einer Verrechnung zur Tilgung des Darlehens bestehen. Da die Regelsätze nicht die Kosten für die Beschaffung einer Unterkunft umfassten, seien Aufwendungen dafür auch nicht anteilig aus dem Regelsatz zu bestreiten.

9

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

10

den Beklagten zu verpflichten, die von der Wohnungsbaugenossenschaft S. eG geforderten ergänzenden Genossenschaftsanteile aus Sozialhilfemitteln zu übernehmen sowie die von der Wohnungsbaugenossenschaft S. eG jährlich ausgezahlte Dividende auf bereits bestehende Genossenschaftsanteile zur Tilgung des Darlehens einzusetzen und den Bescheid des Beklagten vom 2. Februar 2000 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 17. April 2000 aufzuheben, soweit er diesen Verpflichtungen entgegen steht.

11

Der Beklagte beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Er tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und macht geltend, dass er versuche darauf hinzuwirken, dass die Darlehensnehmer schon vor Auszug aus der gemieteten Wohnung das Darlehen für die Mietkaution oder die Genossenschaftsanteile zurückzahlten. Werde die Darlehenssumme vor Beendigung des Mietverhältnisses getilgt, stünden Zinserträge oder Dividenden den Mietern zu. Ansonsten halte er auch aus Gleichbehandlungsgründen eine Erstattung oder Verrechnung der Dividenden nicht für gerechtfertigt. Eine Übernahme des Erhöhungsbetrages sei nicht zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt gewesen, weil die Klägerin selbst in der Lage gewesen sei, die Notlage zu beseitigen.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

15

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

16

Der Bescheid des Beklagten vom 2. Februar 2000 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 17. April 2000 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Übernahme der ergänzenden Genossenschaftsanteile noch kann sie verlangen, dass der Beklagte die jährliche Dividende auf bereits bestehende Genossenschaftsanteile zur Tilgung des Darlehens einsetzt.

17

Ein Anspruch der Klägerin auf Übernahme der ergänzenden Genossenschaftsanteile könnte sich nur aus § 15 a BSHG ergeben. Danach kann Hilfe zum Lebensunterhalt in Fällen, in denen nach den vorstehenden Bestimmungen die Gewährung von Hilfe nicht möglich ist, gewährt werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie soll gewährt werden, wenn sie gerechtfertigt und notwendig ist und ohne sie Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Die Entscheidung, ob Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt wird, liegt somit im pflichtgemäßen Ermessen des Sozialhilfeträgers, der seine Entscheidung an den Zielen der Sozialhilfe auszurichten hat. Dass im vorliegenden Fall das Ermessen des Beklagten dahingehend reduziert gewesen ist, dass nur die Entscheidung, die ergänzenden Genossenschaftsanteile zu übernehmen, ermessensfehlerfrei gewesen wäre, lässt sich nicht feststellen.

18

Im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2000 lag bereits keine besondere Notlage im Sinne des § 15 a BSHG vor. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt Wohnungslosigkeit drohte. Die Wohnungsbaugenossenschaft S. eG hatte die Klägerin mit Schreiben vom 18. November 1999 aufgefordert, den sich aus der Erhöhung des Geschäftsanteils von bisher 300,-- DM auf 391,17 DM ergebenden Betrag von 455,85 DM nachzuzahlen. Dass die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachkam, führte allerdings nicht zu einer Kündigung des Mietverhältnisses. Vielmehr hatte die Wohnungsbaugenossenschaft der Klägerin in ihrem Schreiben vom 18. November 1999 von vornherein den Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung angeboten, sofern sie nicht dazu in der Lage sei, den sich aus der Erhöhung der Geschäftsanteile ergebenden Betrag in einer Summe zu leisten. Dies zeigt, dass die Wohnungsbaugenossenschaft gerade nicht beabsichtigte, die Fortsetzung des Mietverhältnisses von der sofortigen Begleichung ihrer Forderung abhängig zu machen. Auch das erst nach Erlass des Widerspruchsbescheides an die Klägerin gerichtete Schreiben der Wohnungsbaugenossenschaft vom 27. April 2000 deutet nicht auf eine unmittelbar bevorstehende Kündigung hin. Darin weist die Wohnungsbaugenossenschaft die Klägerin zwar darauf hin, dass nach dem Mietvertrag die Zeichnung und Zahlung von fünf Pflichtanteilen Voraussetzung für die Nutzung der Wohnung sei und das Mietverhältnis gekündigt werden könne, wenn die Klägerin diese Voraussetzung nicht erfülle. Tatsächlich erfolgte jedoch keine Kündigung.

19

Der Klägerin war es auch zuzumuten, die von der Wohnungsbaugenossenschaft angebotene Ratenzahlungsvereinbarung abzuschließen, so dass sie sich hätte selbst helfen können und eine Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 15 a BSHG nicht gerechtfertigt gewesen ist. Zwar stand der Klägerin im maßgeblichen Entscheidungszeitraum neben der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt nur Erziehungsgeld zur Verfügung, das nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BErzGG als Einkommen unberücksichtigt zu bleiben hatte. Zudem sind Wohnungsbeschaffungskosten nicht aus dem Regelsatz zu begleichen, sondern werden bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen neben der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt vom Sozialhilfeträger übernommen. Allerdings lässt sich die hier streitige erst

20

1 - Jahre nach Einzug in die Wohnung erfolgte Erhöhung der Genossenschaftsanteile auch nur mittelbar den Wohnungsbeschaffungskosten zuordnen, so dass es im vorliegenden Einzelfall gerechtfertigt erscheint, die Klägerin auf ihre Selbsthilfemöglichkeiten zu verweisen. Insbesondere angesichts der geringen Höhe der angebotenen Raten von 20,-- DM im Monat war es der Klägerin danach zuzumuten gewesen, diese Mittel vorübergehend aus der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt aufzubringen und so eine mögliche Kündigung der Wohnung abzuwenden. Dafür spricht im Übrigen auch, dass die Klägerin inzwischen die ihr angebotene Ratenzahlungsvereinbarung abgeschlossen hat.

21

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte die jährliche Dividende auf bereits bestehende Genossenschaftsanteile zur Tilgung des ihr gewährten Darlehens einsetzt. Denn es ist nicht Aufgabe der Sozialhilfe, unmittelbar oder mittelbar zur Vermögensbildung oder -mehrung einschließlich der Tilgung von Schulden beizutragen. Die Anrechnung der Dividende als Tilgungsleistung der Klägerin würde aber zu einer rechtsgrundlosen Vermehrung ihres Vermögens führen. Eben so wenig wie Zinsen auf eine Mietkaution, für die der Sozialhilfeträger ein Darlehen gewährt hat, dem Hilfeempfänger zustehen, sind Dividenden auf mit Hilfe eines Darlehens des Sozialhilfeträgers erworbene Genossenschaftsanteile an den Hilfeempfänger auszuzahlen oder als Tilgungsleistung zu berücksichtigen.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

23

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124 a VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.