Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 08.08.2011, Az.: 5 U 100/11

Kündigung der privaten Krankenversicherung durch einen beihilfeberechtigten Beamten im Hinblick auf die Mitgliedschaft in einer Unterstützungs-Vereinigung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
08.08.2011
Aktenzeichen
5 U 100/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 24866
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2011:0808.5U100.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Aurich - 3 O 38/11 (015)

Fundstelle

  • VersR 2012, 87-88

Amtlicher Leitsatz

Die Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG wird nur durch die Mitgliedschaft in einer Vereinigung erfüllt, der gegenüber dem Mitglied ein Rechtsanspruch auf Leistungen zusteht und die der Versicherungsaufsicht unterliegt. Dies ist beim Spar- und Unterstützungsverein von Polizeibeamten im Oldenburger Münsterland e.V. nicht der Fall.

In dem Rechtsstreit

M... P..., ...

Kläger und Berufungskläger,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte ...

gegen

C... K..., ...,

Beklagte und Berufungsbeklagte,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte ...

Beteiligte:

S.....

Streitverkündeter,

Prozessbevollmächtigte:

...

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht

... und den Richter am Landgericht ...

am 8. August 2011

beschlossen:

Tenor:

I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch nicht anfechtbaren einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweisbeschluss und Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Berufung unter Kostengesichtspunkten binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses.

II. Der Senat lässt sich bei seiner Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:

1. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

a. Bei der Streithelferin handelt es sich um eine Vereinigung i. S. d. § 1 Abs. 3 Nr. 1 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), die ihren Mitgliedern, ohne dass diese einen Rechtsanspruch haben, Unterstützungen in verschiedenen Lebenslagen gewährt. Unter anderem übernimmt sie gemäß § 9 ihrer Satzung den Anteil der beihilfefähigen Aufwendungen, der nicht von der Beihilfe getragen wird.

Der beihilfeberechtigte Kläger kündigte bei der Beklagten ein dort bestehendes Krankenversicherungsverhältnis. Im Rahmen dieser Kündigung legte er als Nachweis im Sinne von § 205 Abs. 6 VVG eine Bescheinigung der Streithelferin vor, nach der gegenüber dieser vergleichbare Ansprüche i. S. d. § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VVG bestünden. Diesen Nachweis akzeptierte die Beklagte jedoch nicht, da es sich bei der Streithelferin weder um eine Krankenkasse noch um eine Krankenversicherung handele.

Der Kläger hat daher in der ersten Instanz mit einer beim Landgericht Aurich eingereichten Klage Feststellung beantragt, dass der Krankenversicherungsvertrag bei der Beklagten aufgrund seiner Kündigung erloschen sei. Die Klage ist durch das Landgericht Aurich abgewiesen worden.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

b. Die Berufung ist zulässig. Soweit hier der Kläger selbst und auch die Streithelferin Berufung eingelegt haben, handelt es sich um ein einheitliches Rechtsmittel, über das einheitlich zu entscheiden ist (vgl. BGH NJWRR 2006, 644. ZöllerHeßler, 28. Aufl., vor § 511 Rdn. 24). Jedenfalls durch den Kläger ist die Berufung auch fristgerecht eingelegt und begründet worden.

c. Die Berufung ist aber unbegründet.

Das Landgericht Aurich ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger gegenüber der Beklagten einen den Anforderungen des § 205 Abs. 6 VVG genügenden Nachweis nicht erbracht hat.

Dabei ist nicht entscheidend darauf abzustellen, dass es sich bei der Streithelferin nicht um einen Versicherer handelt und sie damit schon nicht dem Wortlaut des § 205 Abs. 6 VVG unterfällt. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es nämlich, die Einhaltung der in § 193 VVG geregelten Versicherungspflicht zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund würde ein Nachweis einer Mitgliedschaft bei einer Vereinigung, die zur Befreiung von dieser Versicherungspflicht führte, grundsätzlich auch ausreichen.

Die Mitgliedschaft bei der Streithelferin erfüllt diese Voraussetzung jedoch nicht.

Einziger gesetzlicher Anknüpfungspunkt dafür wäre § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VVG und dort die Variante "oder vergleichbare Ansprüche.´

Diese Vergleichbarkeit bezieht sich nach dem Wortlaut der Vorschrift auf die freie Heilfürsorge bzw. die Beihilfe. In beiden Fällen richten sich die Ansprüche gegen den Staat, der als zuverlässiger Schuldner den Versicherern nicht nachsteht. In der Kommentarliteratur findet sich als ein Beispiel für hiermit vergleichbare Ansprüche der Anspruch auf truppenärztliche Versorgung (vgl. Voit in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 193 Rdn. 18). Zu denken wäre ferner an Ansprüche gegen Körperschaften des öffentlichen Rechts, wie etwa die Postbeamtenkrankenkasse oder die Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten (vgl. Both, VersR 2011, 302, 306 dort Fn. 25). Mit diesen Institutionen ist die Streithelferin ersichtlich nicht vergleichbar.

Auch bestehen entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VVG gemäß § 2 der Satzung der Streithelferin gegen diese gerade keine Ansprüche im Rechtssinne. Soweit das Bundesministerium für Gesundheit 2008 zunächst die Auffassung vertreten hat, dass in den Fällen der Mitgliedschaft bei Unterstützungskassen "faktische Leistungsansprüche" bestünden (vgl. Anlage 2 zu TOP 5 der Niederschrift über die Besprechung des Arbeitskreises Versicherung und Beiträge der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 12.06.2008), überzeugt dies nicht.

Ansprüche gem. § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VVG können nur durchsetzbare Ansprüche i. S. d. § 194 Abs. 1 BGB sein. Nur bei einer dahingehenden Auslegung ist der gesetzgeberischen Grundentscheidung, wonach für alle Bürger ein qualitativ und quantitativ vergleichbarer Schutz im Krankheitsfalle gewährleistet sein soll, Rechnung getragen (vgl. für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung: SG Landshut, Beschl. v. 10.08.2009 - S 4 KR 124/09 ER - zitiert nach juris). Unabhängig von der faktischen Handhabung der Streithelferin führt die fehlende rechtliche Durchsetzbarkeit zu einer anderen Qualität des vermeintlichen Anspruchs.

Vor diesem Hintergrund hält auch die Bundesregierung zwischenzeitlich nicht mehr an der oben angeführten Auffassung fest (vgl. BTDrs 17/4386).

Der Senat folgt dem Landgericht Aurich im Ergebnis auch darin, dass es deswegen an einer qualitativen Vergleichbarkeit fehlt, weil die Streithelferin nicht der Versicherungsaufsicht unterliegt. Ausgangspunkt für die Aufsichtskonzeption im Versicherungssektor ist auch weiterhin der Schutz der Versicherten (vgl. R. Schmidt/Präve in: Prölss, VAG, 12. Aufl., Vorbem. Rdn. 56). Dieser Aspekt erscheint umso wichtiger, wenn eine Pflichtversicherung betroffen ist. Auch vor diesem Hintergrund ist es konsequent, dass Befreiungstatbestände von der Versicherungspflicht jeweils nur bei einer Absicherung über Ansprüche gegen den Staat bzw. sonstige öffentlichrechtliche Träger vorgesehen sind. Nur in diesen Fällen erscheint eine Aufsicht entbehrlich.

Die weiteren Argumente des Klägers führen auch unter den Gesichtspunkten einer systematischen oder verfassungskonformen Auslegung zu keinem anderen Ergebnis:

Soweit der Berufungsführer aus § 12 Abs. 1b VAG i. V. m. § 193 Abs. 3 VVG offenbar herauslesen möchte, dass der vorliegende Vertrag bei der Beklagten gar nicht der Versicherungspflicht unterfalle, kann ihm nicht gefolgt werden. Auch für Beihilfeberechtigte ist der Versicherer verpflichtet gem. § 193 Abs. 5 Nr. 3 VVG einen Basistarif anzubieten. Zutreffend ist danach zwar, dass auch der Versicherungsnehmer lediglich verpflichtet ist, sich im Rahmen seiner Versicherungspflicht im Umfang dieses Basistarifs zu versichern. Daraus folgt aber nicht, dass er bei einem darüber hinausgehenden Versicherungsschutz diesen insgesamt ersatzlos kündigen darf.

Dass der Gesetzgeber im Rahmen der Reform den § 1 Abs. 3 Nr. 1 VAG unangetastet gelassen hat, führt ebenfalls nicht zwingend zu einer anderen Auslegung. Unterstützungskassen i. S. dieser Vorschrift können unterschiedliche Zwecke haben, etwa Unterstützungen im Alter oder Beihilfen zu Beerdigungskosten. Es ist keinesfalls zwingend, dass solche Vereinigungen - wie im vorliegenden Fall - satzungsmäßig Zwecke verfolgen, die die Versicherungspflicht berühren. Vor diesem Hintergrund bestand für den Gesetzgeber kein Anlass, die Existenz dieser Vorschrift im Rahmen der Reform in Frage zu stellen.

Der Verweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.06.2009 (vgl. BVerfGE 124, 2543) vermag ebenfalls nicht zu einer anderen Beurteilung führen. In dieser Entscheidung setzt sich das Gericht mit der Frage auseinander, inwieweit bei verfassungskonformer Auslegung der im Rahmen der Reform eingeführte Kontrahierungszwang auch für kleinere private Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit i. S. v. 53 VAG gelten kann. Die Entscheidung ist insoweit schon inhaltlich nicht übertragbar. Im Übrigen ist die Streithelferin auch nicht mit einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit vergleichbar. Bei einem solchen handelt es sich gerade um einen Versicherer, der schon dem Wortlaut nach unter die Vorschrift des § 205 Abs. 6 VVG fällt.

Zutreffend dürfte zwar sein, dass durch die Reform mit der Einführung der Versicherungspflicht Grundrechte des Klägers und auch der Streithelferin (Artikel 2, 9 GG) berührt sind. Das Bundesverfassungsgericht führt aber gerade in der angesprochenen Entscheidung aus, dass der Schutz der Bevölkerung vor dem Risiko der Erkrankung in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine Kernaufgabe des Staates sei. Die gesetzgeberische Absicht, einen Krankenversicherungsschutz für alle Einwohner zu schaffen, sei von dem Ziel getragen, ein allgemeines Lebensrisiko abzudecken, welches sich bei jedem und jederzeit realisieren und ihn mit unabsehbaren Kosten belasten könne. Im Hinblick auf die herausragende Bedeutung des Gesetzeszwecks erscheint es dem Senat auch ohne weiteres verhältnismäßig, dass die Ausnahmetatbestände von der Versicherungspflicht eng begrenzt sind.

Auch ein Verstoß gegen Art. 3 GG liegt nicht vor. Insoweit kann dahinstehen, ob die Altmitglieder bei der Streithelferin im Hinblick auf § 193 Abs. 3 Satz 3 VVG tatsächlich nicht der Krankenversicherungspflicht unterliegen. Jedenfalls liegt es in der Natur der Sache, dass mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens eines Gesetzes neu entstehende Sachverhalte im Vergleich zu den davorliegenden unterschiedlich behandelt werden können. Hierfür bedarf es im Lichte des Art. 3 GG grundsätzlich keiner besonderen Rechtfertigung (vgl. Starck in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, 5. Aufl., Art. 3 Abs. 1 Rn. 256).

2. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil.

Eine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich nicht allein daraus, dass die Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden ist (vgl. OLG München GRUR 1979, 546, 548). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtstatsache, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn die durch das Berufungsurteil aufgeworfene Rechtsfrage zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen (vgl. BGH NJWRR 2010, 1047). Zweifelhaft ist die Rechtsfrage danach nicht, wenn sich die Beantwortung einer Rechtsfrage unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (vgl. Prütting in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 543 Rdn. 15). So liegt es nach Auffassung des Senates hier.