Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 23.08.2011, Az.: 13 UF 16/11
Ablehnung einer Verwirkung bei Verzicht auf Vollstreckungsversuche wegen zuvor erfolglos verlaufenden Versuchen und negativen Zahlungsverhaltens
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 23.08.2011
- Aktenzeichen
- 13 UF 16/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 35094
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2011:0823.13UF16.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Lingen - 03.11.2010 - AZ: 21 F 2170/10 UK
Rechtsgrundlage
- § 242 BGB
Fundstellen
- FamRZ 2012, 148
- FuR 2012, 269-270
In der Familiensache
R... L..., L...,
Antragsgegner und Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt B..., L...,
Geschäftszeichen: ...
gegen
M... B..., ., H...,
Antragstellerin und Beschwerdegegnerin,
Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt B..., . B...
Geschäftszeichen: ...
hat der 13. Zivilsenat - 4. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Lingen vom 3. November 2010 aufgehoben.
Der Antrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge werden der Antragstellerin auferlegt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin hat sich durch notarielles Schuldanerkenntnis vom 18.09.1997 (UR-Nr. 605/97 des Notars Dr. F...), Bl. 6 ff Bd. I, verpflichtet, an ihren am 21.01.1991 geborenen Sohn, den Antragsgegner, der seit der Scheidung seiner Eltern beim Vater lebte, monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von jeweils 805,-- DM abzüglich des hälftigen Kindergeldes zu zahlen. Sie hat sich in dieser Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen und dem Kindesvater, ihrem geschiedenen Ehemann, eine vollstreckbare Ausfertigung des Anerkenntnisses zukommen lassen.
Der nunmehr volljährige Antragsgegner hat - seinerzeit noch vertreten durch seinen Vater - am 02.11.2009 und zuletzt am 27.01.2010 Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse wegen der Unterhaltsrückstände für die Zeit vom 01.02.1999 bis zum 21.01.2009 (Eintritt der Volljährigkeit) nebst Kosten erwirkt.
Aufgrund des Urteils des Senats vom 14.06.2010 - 13 UF 25/10 - ist die Antragstellerin -in Abänderung der genannten notariellen Urkunde - ab dem 01.02.2009 zu keinerlei Unterhaltszahlungen mehr verpflichtet.
Mit ihrer Antragsschrift hat die Antragstellerin beantragt,
die Zwangsvollstreckung aus dem vollstreckbaren Schuldanerkenntnis für unzulässig zu erklären, soweit titulierte Unterhaltsansprüche bis einschließlich Januar 2009 (danach ist kein Unterhalt mehr geschuldet) betroffen sind. Sie hat in der Vergangenheit Unterhaltszahlungen in wechselnder - und im Einzelnen streitiger - Höhe erbracht.
Ihren Anspruch stützt sie auf das Rechtsinstitut der Verwirkung. Der Antragsgegner habe Unterhalt erstmals - wieder - mit Schreiben vom 12.02.2009 (Bl. 22 Bd. I f) geltend gemacht und sich in der Vergangenheit mit den Teilzahlungen, die zumeist den Mindestunterhalt beinhaltet hätten, zufriedengegeben.
Der Antragsgegner verweist darauf, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer immensen privaten - und Firmenschulden - seit langer Zeit zahlungsunfähig sei und verweist ferner auf seine bisherigen Vollstreckungsversuche.
Am 30.11.1999 hat die Antragstellerin die eidesstattliche Versicherung abgegeben.
Hierüber wurde der Vater des Antragsgegners mit Schreiben der damaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 14.04.2000 unterrichtet.
30.05.00:
Rechtsanwalt S... teilte dem AG Nauen mit, dass die Antragsgegnerin am 30.11.1999 die eidesstattliche Versicherung abgegeben habe und bat um Übersendung einer Abschrift (Blatt 222 Bd. II).
19.02.01:
Der damalige Verfahrensbevollmächtigte des Kindesvaters, Rechtsanwalt H..., forderte die Kindesmutter zur Zahlung von Unterhalt auf, nachdem die Antragsgegnerin ihre Zahlungen im Juli 1999 eingestellt hat.
Am 11.05.2001 wurde die Antragstellerin erneut zur Zahlung rückständigen Unterhalts aufgefordert.
Ebenfalls am 11.05.2001 wurde Strafanzeige wegen Verletzung der Unterhaltspflicht erstattet.
Am 14.09.2001 erteilten die seinerzeitigen Verfahrensbevollmächtigten, Rechtsanwälte D... und Kollegen, einen Zwangsvollstreckungsauftrag zur Beitreibung des rückständigen Unterhalts.
Die Zwangsvollstreckung verlief erfolglos, was dem Vater des Antragsgegners unter dem 15.01.2002 mitgeteilt wurde.
Am 24.01.2002 erhob die Staatsanwaltschaft gegen die Antragstellerin Anklage wegen Verletzung der Unterhaltspflicht.
In der Folgezeit bemühte sich der Vater des Antragsgegners bei seiner Rechtsschutzversicherung um Kostenfreistellung im Hinblick auf weitere Vollstreckungsversuche; diese lehnte das Ersuchen unter dem 13.03.2002 ab. Rechtsschutz bestehe nur, soweit für ein Zwangsvollstreckungsverfahren nicht mehr als 3 Anträge innerhalb von 5 Jahren seit Rechtskraft gestellt würden.
Am 21.05.2002 wurde das Strafverfahren gem. § 153 a StPO eingestellt, der Antragstellerin wurde aufgegeben, monatlichen Unterhalt in Höhe von 228,-- EUR, beginnend im Juni 2002 für die Dauer von 1 Jahr zu zahlen; dies entsprach dem Mindestunterhalt. Die Antragstellerin hat diese 228,-- EUR bis einschließlich Juli 2003 gezahlt und ab August 2003 bis Januar 2009 monatlich 284,-- EUR.
Am 25.03.2003 erbat der Vater des Antragsgegners gegenüber der Staatsanwaltschaft eine "Wiederaufnahme des Verfahrens".
Im Juli 2003 versuchten die Verfahrensbevollmächtigten des Vaters des Antragsgegners in den Kraftwagen der Antragstellerin zu vollstrecken.
Am 21.07.2003 erwirkten sie ein vorläufiges Zahlungsverbot.
Am 26.08.2003 wurde die Antragstellerin erneut zur Zahlung des rückständigen Unterhalts aufgefordert.
Am 27.10.2003 gab sie erneut die eidesstattliche Versicherung ab.
Am 30.11.2004 wurde ihr das Terminsprotokoll übersandt.
Am 20.01.2005 erhielt der Vater des Antragsgegners das Protokoll vom 27.10.2003 sowie das Vermögensverzeichnis übersandt.
In der Folgezeit wurde die Antragstellerin erst wieder am 12.02.2009 zur Zahlung rückständigen Unterhalts aufgefordert; alsdann erwirkte - zuletzt der Antragsgegner selbst - den in Rede stehenden Pfändungs- und Überweisungsbeschluss.
Das Amtsgericht hat die Zwangsvollstreckung aus den genannten Urteilen in dem angefochtenen, hiermit in Bezug genommenen Beschluss insoweit für unzulässig erklärt, als titulierte Unterhaltsansprüche bis einschließlich November 2008 betroffen sind; im Übrigen seien die Unterhaltsansprüche verwirkt, weil seit dem letzten Vollstreckungsversuch am 20.01.2005 bis November 2008, also seit fast vier Jahren, keine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolgt sind.
Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde, mit der er eine gänzliche Zurückweisung des Antrags der Antragstellerin erstrebt. Er vertritt die Ansicht, Verwirkung sei nicht eingetreten; die Antragstellerin habe es ihm durch ihre Privatinsolvenz unmöglich gemacht, tatsächlich zu vollstrecken; ihr selber habe es oblegen, den Titel abzuändern. Angesichts der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und des Insolvenzverfahrens wären weitere Vollstreckungsversuche vergeblich gewesen, zumal auch seine Rechtsschutzversicherung eine Eintrittsfähigkeit abgelehnt hat. Zudem sei die Antragstellerin in der hier in Rede stehenden Zeit keiner Beschäftigung nachgegangen, bei der sie mehr als 400,-- Euro Einkommen erzielt hätte.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin abzuweisen.
Diese beantragt,
die Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass sie der Auflage im gegen sie gerichteten Strafverfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht, den Mindestunterhalt für ein Jahr zu zahlen, nachgekommen sei. Sie habe auch fortlaufend den Mindestunterhalt gezahlt. Eine weitergehende Unterhaltsverpflichtung sei nicht ersichtlich; insoweit verweist sie auf das angesprochene Urteil des Senats (13 UF 25/10). Mit der Zahlung des Mindestunterhalts habe sich der Antragsgegner - stillschweigend - einverstanden erklärt. Zudem sei kein Privatinsolvenzverfahren eingeleitet worden; vielmehr betreffe das Insolvenzverfahren das Vermögen der von ihr betriebenen Firma.
II.
Die - zulässige - Beschwerde des Antragsgegners hat in vollem Umfang Erfolg.
Die der Zwangsvollstreckung zugrunde liegenden Forderungen bestehen bis einschließlich Januar 2009; die Zwangsvollstreckung ist auch nicht unzulässig. Der Anspruch des Antragsgegners auf rückständigen Unterhalt aus dem notariellen Schuldanerkenntnis ist weder verjährt noch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben, § 242 BGB, wegen Nichtgeltendmachung verwirkt.
Einem ausschließlich auf Verwirkung gerichteten Sachvortrag - hier der Antragstellerin - lässt sich in der Regel nicht zugleich eine Verjährungseinrede entnehmen (vgl. BGH NJW-RR 2009, 1040, 1042 f [BGH 21.04.2009 - XI ZR 148/08] sowie NJW 1996, 1894, 1895 [BGH 03.04.1996 - XII ZR 86/95]). Im Übrigen wäre vorliegend die Verjährung nach den Vorschriften der §§ 204 BGB a.F., 207 BGB n.F., die auch auf Ansprüche, die auf (einseitige) Rechtsgeschäfte beruhen, anwendbar ist, gehemmt gewesen.
Zwar steht der Umstand, dass die Verjährung der Unterhaltsansprüche eines minderjährigen Kindes bis zu dessen Volljährigkeit gehemmt ist (§§ 204 BGB a.F., 207 BGB n.F.), nach übereinstimmender Auffassung der Annahme einer Verwirkung während der Dauer der Minderjährigkeit nicht entgegen, wenn aus besonderen Gründen die Voraussetzungen des Zeit- wie auch des Umstandsmoments erfüllt sind (vgl. OLG Dresden, FamRZ 2010, 1093; OLG Brandenburg, FamRZ 2007, 55 ff.; OLG Frankfurt FamRB 2007, 293), OLG Naumburg FamRZ 2010, 1090). Diese liegen jedoch nicht vor.
Grundsätzlich ist für die Annahme einer Verwirkung Voraussetzung (vgl. BGH FamRZ 2004, 531, 532), dass der Gläubiger den Unterhaltsanspruch längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage (gewesen) wäre, sogenanntes Zeitmoment,
und dass der Schuldner sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Gläubigers darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass jener Unterhaltsansprüche auch künftig - rückwirkend - nicht mehr geltend machen würde, sogenanntes Umstandsmoment.
Das sogenannte Zeitmoment, an das im Rahmen der Verwirkung keine strengen Anforderungen zu stellen sind, ist für die Zeit bis zum 12.02.2008 erfüllt (vgl. BGH FamRZ 2002, 1699 sowie 2004 a.a.O.: 1 Jahr).
Dabei kann dahin stehen, ob - wie die überwiegende Ansicht meint - (vgl. OLG Dresden a.a.O., OLG Hamm, NJWRR 2007, 726 f.; BGH FamRZ 2004, 531 f.; OLG Naumburg, FamRZ 2010, 1090) bei titulierten Ansprüchen geringere Anforderungen als bei nicht titulierten zu stellen sind (vgl. Büttner/Niepmann/Schwamb, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 11. Aufl., Randnr. 275). Entscheidend ist darauf abzustellen, ob die verpflichtete Antragstellerin trotz der Tatsache, dass sie sich in dem Schuldanerkenntnis der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat, darauf vertrauen durfte, ihre Verpflichtung nicht mehr erfüllen zu müssen. Auch wenn das Gesetz grundsätzlich von einer freiwilligen, sofortigen Erfüllung ausgeht und dem Gläubiger die Zwangsvollstreckungsmöglichkeit gibt, kann aus einer nicht erfolgten Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres ein Vertrauensschutz hergeleitet werden, weil der rechtsuntreue Schuldner andernfalls besser stünde als derjenige, der titulierte Forderungen freiwillig erfüllt, auch wenn es sich vorliegend um ein - freiwilliges - Schuldanerkenntnis handelt. Auch wenn Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen können (vgl. BGH FamRZ 2004 a.a.O. sowie OLG StuttgartFamRZ 2006, 1757), wäre es der Antragstellerin andererseits möglich gewesen, eine Abänderung herbeizuführen, wie sie dies nach Einleitung der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in dem Verfahren 21 F 2134/09 AG Lingen = 13 UF 25/10 - schließlich auch getan hat.
Auch wenn dem Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes (vgl. §§ 1585 b Abs. 3, 1613 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. §§ 1360 a Abs. 3, 1361 Abs. 4 Satz 4 BB) eine gewisse Bedeutung zukommt und der Unterhaltsschuldner seine Lebensführung den ihm zur Verfügung stehenden Einkünften anzupassen pflegt, sind die Anforderungen an das Umstandsmoment nicht zu überspannen (vgl. OLG Thüringen, Beschluss vom 1.4.2009 - 2 WF 85/09, zitiert nach [...]). Der Antragsgegner hat die Antragstellerin wiederholt unter nachvollziehbarer Darstellung des gezahlten und nicht gezahlten Unterhalts auf die Rückstände hingewiesen und Zahlungen eingefordert. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen blieben erfolglos. Erst die Strafanzeige wegen Verletzung der Unterhaltspflicht führte zu Zahlungen der Antragstellerin in Höhe des Mindestunterhalts. Der Antragsgegner hat auch in der Folgezeit wiederholt klar und unmissverständlich deutlich gemacht, dass er mit der Zahlung nur des Mindestunterhalts nicht einverstanden ist. Deshalb konnte bei der Antragstellerin nicht der Eindruck entstehen, der Antragsgegner werde auf Forderungen verzichten (vgl. OLG Naumburg a.a.O.). Für weitere Vollstreckungsversuche hatte er seine Rechtsschutzversicherung in Anspruch nehmen wollen. Diese hat jedoch eine Kostenzusage nicht erteilt. Dass der Antragsteller daraufhin im Hinblick auf das negative Zahlungsverhalten der Antragstellerin weitere Vollstreckungsversuche nicht mehr unternommen hat, ist weder vorwerfbar noch gar als illoyales Verhalten anzusehen. Vollstreckungsversuche wären angesichts der Vermögenssituation der Antragsgegnerin erfolglos geblieben (vgl. OLG Saarbrücken MDR 2011, 168, 169). Es wäre dem Antragsgegner nicht zuzumuten gewesen - ohne Kostenzusage seiner Rechtsschutzversicherung auf eigene Kosten - ohnedies nicht erfolgversprechende - Vollstreckungsmaßnahmen einzuleiten (vgl. auch Wendl/Staudigl/Gerhardt, § 6 Rn. 139).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.