Amtsgericht Hannover
Urt. v. 20.12.1999, Az.: 608 F 1948/99

Grundsatz von Treu und Glauben; Wahrheitspflicht eines Zeugen

Bibliographie

Gericht
AG Hannover
Datum
20.12.1999
Aktenzeichen
608 F 1948/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 29940
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGHANNO:1999:1220.608F1948.99.0A

Fundstelle

  • FamRZ 2001, 245 (amtl. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Anfechtung der Vaterschaft

Das Amtsgericht Hannover - Familiengericht - hat
auf die mündliche Verhandlung vom 29. November 1999
durch
den Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht das Kind des Klägers ist.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben. Der Geschäftswert wird auf 4.000,00 DM festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger hat am 07.01.1995 mit der Mutter des Kindes die Ehe geschlossen.

2

Die Eheleute leben seit Herbst 1997 endgültig getrennt.

3

Die Ehe wurde durch Urteil des Familiengerichts in Hannover vom 02.09.1999 (Az. 619 F 3578/98) geschieden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

4

Die Parteien streiten darüber, ob das am 30.11.1997 geborene Kind von dem Kraft Gesetzes als Vater geltenden Kläger abstammt.

5

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass er nicht der Vater des Kindes ist.

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Die Beklagte stellt keinen Gegenantrag.

7

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

8

Es ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung des Zeugen .. der Kindesmutter und des Klägers als Partei.

9

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.11.1999 verwiesen.

Gründe

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Die Klage ist zulässig, insbesondere form - und fristgerecht eingelegt worden (§§ 1600a, 1600b BGB)).

11

Der Kläger gilt gemäß § 1592 Abs. 1 BGB a.F. als eheliches Kind des Beklagten. § 1592 a.F. ist anzuwenden, da nach Art. 224 § 1 EGBGB sich die Vaterschaft für ein vor dem 1. Juli 1998 geborenes Kind nach den bisherigen Vorschriften richtet. Das verklagte Kind ist am geboren (Bl. 4 d.A.). Die Scheidung der Ehe der Klägerin und des Beklagten wurde mit Urteil vom 2.9.1999 ausgesprochen (619 F 3578 / 98). Damit ist die Beklagte während der bestehenden Ehe des Klägers mit der Kindesmutter geboren und gilt als eheliches Kind des Klägers.

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Auf die Anfechtung der Vaterschaft ist nach der Regelung in Art. 224 § 1 Abs. 2 EGBGB das neue Recht anzuwenden, wobei nach Abs. 3 den Beteiligten auch die Möglichkeit des § 1599 Abs. 2 BGB eröffnet ist. Nach § 1600 c Abs. 1 BGB wird vermutet, dass das Kind von dem Mann abstammt, dessen Vaterschaft durch Ehe oder Anerkennung begründet ist. Diese Vermutung gilt jedoch dann nicht, wenn schwer wiegende Zweifel an der Vaterschaft bestehen (§ 1600 d Abs. 2 Satz 2 BGB).

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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung fest, dass der Beklagte nicht der Vater des Klägers ist.

14

Der Kläger wurde gemäß § 448 ZPO als Partei und die Kindesmutter als Zeugin vernommen. Beide sagten übereinstimmend aus, dass sie sich nach ihrer Heirat am 7.1.1995 bis Herbst 1996 zusammengelebt hätten. Dann hätten sich die früheren Eheleute im Herbst 1996 das erste Mal getrennt. Im Herbst 1997 sei schließlich die endgültige Trennung erfolgt (Bl. 18, 19 d.A.). Der Kläger erklärte weiter, dass er keine genauen Angaben über die Dauer der ersten Trennung machen könne. In dieser Trennungszeit hätte seine geschiedene Frau jedoch den Zeugen kennen gelernt. Später hätten sie sich dann wieder versöhnt bis es zur endgültigen Trennung gekommen sei.

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In seiner Vernehmung konnte der Kläger zuerst keine genauen Angaben machen, ob er mit der Kindesmutter in der gesetzlichen Empfängniszeit verkehrt habe. Er ergänzte seine Aussage jedoch dann nach den Angaben der Kindesmutter dahingehend, dass er sich verrechnet haben müsse und im Hinblick auf das Alter von eine längere Trennung erfolgt sein müsse. Er schloss dann aus, dass es in der ersten Jahreshälfte 1997 zu intimen Kontakten mit der Kindesmutter gekommen sei (Bl. 20 d.A.).

16

Die Kindesmutter erklärte weiter, dass sie den Zeugen nachdem sie eine eigene Wohnung bezogen habe, im Februar kennen gelernt habe. Hieraus habe sich eine auch intime Beziehung entwickelt. Im März habe sie festgestellt, dass sie schwanger sei. Sie gab an, dass sie in der Trennungszeit, die mindestens 8 bis 9 Monate gedauert habe, keine intime Beziehung zum Kläger gehabt habe.

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Diese Aussagen werden durch die Aussage des Zeugen bestätigt (Bl. 20 f d.A.). Er bekundete, dass er die Kindesmutter in einer Diskothek kennen gelernt und seit Februar eine intime Beziehung bestanden habe. Er sei sich ganz sicher, der Vater von zu sein und sei bereits beim Jugendamt gewesen. Eine Anerkennung der Vaterschaft habe man dort noch nicht beurkunden können.

18

Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben der Parteien oder des Zeugen nicht zutreffend sein könnten, haben sich nicht ergeben. Auch wenn der Kläger zu Beginn seiner Vernehmung keine ganz konkreten Angaben dahingehend machen konnte, in welchem Zeitraum kein intimes Verhältnis zur Kindesmutter bestanden habe, konnte er im weiteren Verlauf der Vernehmung dies präzisieren. Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussagen ergeben sich hieraus jedoch nicht. Die glaubhaften Angaben der Kindesmutter, die dann vom Kläger bestätigt wurden, belegen, dass ein intimes Verhältnis in der gesetzlichen Empfängniszeit nicht bestanden hat.

19

Eine darüber hinausgehende Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht erforderlich. Zwar gebietet der in Kindschaftsverfahren geltende Amtsermittlungsgrundsatz (§§ 640, 616 ZPO), sämtliche Beweismittel auszuschöpfen und im Anfechtungsverfahren "in der Regel ein Blutgruppengutachten einzuholen" (BGH FamRZ 1994, 694 m.w.Nw.; Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO, 58. Aufl., § 640 Rz. 11; weiter gehend Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 21. Aufl., § 640 Rz. 37 f.; differenzierend Zöller-Philippi, ZPO, 21. Aufl., § 640 Rz. 33 im Anfechtungsverfahren für den Fall nicht erforderlich, dass der Ehemann ausgewandert, verschollen, in Haft oder unauffindbar ist). Demgegenüber spricht gerade die gemäß Art. 224 § 1 Abs. 3 EGBGB auf "Altfälle" anwendbare Regelung in § 1599 Abs. 2 BGB dafür, ohne weiteres serologisches Abstammungsgutachten die Vaterschaft auszuschließen (ebenso Pieper in: Handbuch des Fachanwalts für Familienrecht, 3. Kapitel Rz. 137; Kunkel in: Richterhandbuch, 2. Aufl., C IV Rz. 176 a.E.; Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 640 Rz. 7). Durch die Anerkennung der Vaterschaft durch einen Dritten sowie der übereinstimmende Zustimmung der Kindesmutter und des Scheinvaters kann danach die Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 BGB rechtswirksam aufgehoben werden

20

Dies gilt zwar nur für Kinder die nach Anhängigkeit eines Scheidungsverfahrens geboren werden. Der Gesetzgeber hat insoweit bewusst nicht auf die Trennung der Ehegatten abgestellt (BR-DS 180/96, S. 63; zust. Gaul FamRZ 1997, 1441, 1447; weiter gehend Schweitzer, Vom Status zur Realbeziehung, 1987, S. 228 ff., 243 ff.). Dabei ging der Regierungsentwurf davon aus, dass in diesen Fällen "die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind vom (Noch-)Ehemann der Mutter abstammt, deutlich verringert ist".

21

Auch wenn die gesetzliche Regelung nicht auf die Trennung abgestellt, kann eine Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen zu einer ausreichenden Überzeugungsbildung fuhren, dass die biologische Vaterschaft des Ehemanns der Kindesmutter ausgeschlossen ist. Hiervon ist bereits das OLG Köln (NJW-RR 1993, 453, 454) [OLG Köln 20.05.1992 - 16 U 118/91] ausgegangen. In einem Anfechtungsverfahren billigte es die Entscheidung des Amtsgerichts, nach der Vernehmung von Zeugen, die keinerlei Anhaltspunkte für außereheliche Abstammung der Kinder ergeben hatte, kein serologisches Gutachten einzuholen. Es verwies in diesem Zusammenhang über die allgemeinen Grundsätze des insoweit analog anwendbaren § 244 StPO (Zöller-Philippi, ZPO, 21. Aufl. § 640 Rz. 37 ff.) auf den Grundsatz von Treu und Glauben und eine Interessenabwägung der Beteiligten.

22

Die Beweisaufnahme durch Vernehmung der Kindesmutter, des Scheinvaters sowie des sich zur Vaterschaft bekennenden Mannes kann eine ausreichende Entscheidungsgrundlage erbringen. In diesem Fall unterliegt der Zeuge der strafrechtlich sanktionierten Wahrheitspflicht (§§ 395, 396 ZPO i.V.m. §§ 153 f. StPO). Auch für die Parteivernehmung gilt die Wahrheitspflicht nach § 451 ZPO i.V.m. § 395 Abs. 1 ZPO, wobei eine strafrechtlich sanktionierte (Tröndle/Fischer, StGB, § 154 Rz. 2) Beeidigung der Aussage der Partei möglich ist (§ 452 Abs. 1 ZPO).

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Darüber hinaus besteht im Falle der übereinstimmenden Aussagen von Kindesmutter, Scheinvater und Putativvater nicht die Gefahr, dass das Kind rechtlich ohne Vater verbleibt. Einerseits ist mit einer Vaterschaftsanerkennung zu rechnen, die vorliegend der Zeuge bekräftigte. Zum anderen besteht über die Möglichkeiten der Restitutionsklage nach § 641 i ZPO weiterer Rechtsschutz zu Gunsten des Kindes.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 93c ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Geschäftswert wird auf 4.000,00 DM festgesetzt.