Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 12.11.2002, Az.: 3 A 3011/01

Aufrechnung; Ausschreibung; Kosten Ersatzvornahme; rechtswegfremde Forderung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
12.11.2002
Aktenzeichen
3 A 3011/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43681
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine rechtswegfremde, nicht zugestandene oder rechtskräftig festgestellte Forderung kann nicht im Wege der Aufrechnung der Erstattungsforderung der Kosten einer Ersatzvornahme entgegen gehalten werden (Rechtsgedanke des § 226 Abs. 3 AO).

Tatbestand:

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Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zur Kostenerstattung für eine Ersatzvornahme. Sie ist in ungeteilter Erbengemeinschaft zusammen mit ihrer Schwester Eigentümerin des Grundstücks H, bestehend aus dem Flurstück A, auf dem sich ein Wohnhaus mit Nebengebäuden befindet, und der mit Büschen und Gras bestandenen nord- und südwestlich angrenzenden Flurstücke B und C. Entlang der Südgrenze des Flurstücks A verlaufen die Abwassertransportleitungen für Schmutz- und Niederschlagswasser von H nach S; sie führen außerdem in 10-15 m Entfernung parallel zur südwestlichen Grenze des Flurstücks A durch das Flurstück B. Zur Beseitigung des Schmutzwassers war die Erbengemeinschaft bis Ende 1989 im Besitz einer befristeten, widerruflichen Erlaubnis, das in einer Hauskläranlage gereinigte Abwasser in einen auf dem Grundstück verlaufenden Vorfluter einzuleiten. Der Erlaubnis war die Bestimmung beigefügt, dass das Abwasser nach der Inbetriebnahme der zentralen Schmutzwasserkanalisation dieser zuzuführen und durch die Kläranlage zu beseitigen sei.

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Nachdem die Schmutzwasserleitung gelegt worden war, forderte die Beklagte die Erbengemeinschaft über die Klägerin mehrfach auf, das Grundstück an die zentrale Abwasseranlage für Schmutzwasser anzuschließen und einen entsprechenden Entwässerungsantrag für einen Hausanschluss zu stellen. Kostenvoranschläge verschiedener Anbieter pro-gnostizierten für verschiedene Anschlussmöglichkeiten, bei denen jeweils etwa 80 bis 125 m Anschlussleitungen zu verlegen wären, Kosten zwischen 30.000,- und 50.000,- DM. Mit Bescheid vom 28.07.1995 forderte die Beklagte die Klägerin auf, das Grundstück H an die öffentliche zentrale Abwasseranlage anzuschließen und einen entsprechenden Entwässerungsantrag bei der Beklagten einzureichen. Weiterhin drohte sie die kostenpflichtige Ersatzvornahme der Erstellung eines Schmutzwasserhausanschlusses an; Widerspruch und Klage (VG Göttingen, Urteil vom 09.06.1999 - 3 A 3308/97 -) hatten keinen Erfolg. Einen gleichlautenden Bescheid erhielt die Schwester der Klägerin; er wurde ebenfalls bestandskräftig.

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Nachdem eine der Klägerin gesetzte Frist bis zum 22.09.1999 für den Anschluss des Grundstücks an die zentrale öffentliche Schmutzwasserbeseitigungsanlage ergebnislos verstrichen war, verpflichtete die Beklagte sie mit Bescheid vom 30.09.1999, die nunmehr im Wege der Ersatzvornahme auf ihre Kosten, die mit 11.085,00 DM veranschlagt wurden, von der Firma K auszuführenden Arbeiten auf dem Grundstück zu dulden. Einen hiergegen gerichteten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes lehnte die Kammer mit Beschluss vom 15.11.1999 – 3 B 3291/99 – ab. Nach Ausführung der Anschlussarbeiten forderte die Beklagte von der Klägerin mit Bescheid vom 02.06.2000 die Kostenerstattung in Höhe von 14.433,09 DM. Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin im Wesentlichen damit, dass sie mit einem beim Amtsgericht B rechtshängigen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte in Höhe von 9.750,00 DM aufrechne. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.2000, ohne Rechtsbehelfsbelehrung zugestellt am 14.12.2000 und mit Rechtsbehelfsbelehrung erneut übersandt mit Datum des 18.12.2000, wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

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Am 19.01.2001 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie weiterhin mit einer Gegenforderung aufrechnen will, die zurzeit beim Landgericht B (7 O 3330/00 [328]) in Höhe von 11.310,00 DM rechtshängig ist. Die Kostenerstattungsforderung sei überhöht, weil die Beklagte einen kürzeren und kostengünstigeren Anschlussweg hätte wählen können.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 02.06.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11./18.12.2000 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

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Sie ist der Auffassung, eine Aufrechnung komme gemäß § 226 Abs. 3 AO nur mit unbestrittenen oder rechtskräftigen Forderungen in Betracht; diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Es sei nicht absehbar, wann das beim LG B anhängige Verfahren rechtskräftig entschieden werde; der geltend gemachte Schadensersatzanspruch könne allenfalls gegen den Landkreis N, nicht aber gegen die Beklagte gerichtet sein. Ein kürzerer, kostengünstigerer Anschlussweg habe nicht bestanden; einen Teil der Kostensteigerung im Vergleich zum Voranschlag habe die Klägerin zu vertreten, da sie die Bauarbeiter zunächst nicht auf das Grundstück gelassen habe bzw. Journalisten die Arbeiten auf dem Grundstück behindert hätten.

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Nach Anhörung der Beteiligten hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens, der Verfahren 3 A 3308/97, 3 B 3291/99, 3 B 3124/00 und 3 B 3113/01 sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

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Rechtsgrundlage der durch die Beklagte geforderten Kostenerstattung für den im Wege der Ersatzvornahme durchgeführten Anschluss der Schmutzwasserbeseitigungseinrichtungen des klägerischen Grundstücks an die zentrale öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage der Beklagten ist § 70 Abs. 1 NVwVG i.V.m. § 66 Abs. 1 Satz 1 NGefAG, wonach eine Verwaltungsbehörde eine Handlung durch einen Beauftragten auf Kosten der betroffenen Person ausführen lassen kann, wenn diese Person ihre Verpflichtung zur Vornahme einer vertretbaren Handlung nicht erfüllt. Die Voraussetzungen nach dieser rechtlichen Grundlage liegen vollständig vor. Beide Eigentümerinnen des Grundstücks wurden durch bestandskräftige Bescheide vom 28.07.1995 verpflichtet, das Grundstück an die zentrale öffentliche Abwasseranlage anzuschließen (vgl. VG Göttingen, Urteil vom 09.06. 1999 - 3 A 3308/97 -); hierbei handelt es sich nicht um höchstpersönliche und damit um vertretbare Handlungen (vgl. Saipa, NGefAG, Stand: 03/02, § 66 Rn 1). Mit diesen Bescheiden ist jeweils auch die Androhung der Ersatzvornahme in Bestandskraft erwachsen. Der Duldungsbescheid vom 30.09.1999 ist ebenfalls nicht zu beanstanden; insofern nimmt das Gericht Bezug auf den rechtskräftigen Beschluss der Kammer vom 15.11.1999 - 3 B 3291/99 -. Einer Festsetzung der Ersatzvornahme bedarf es nach Landesrecht nicht; dies verstößt nicht gegen Bundesrecht (vgl. Nds.OVG, Urteil vom 14.11.1997 - 6 L 6340/95 -, Nds.RPfl 1998, 156).

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Der Umstand, dass die voraussichtlichen Kosten ursprünglich nur mit 11.085,00 DM, d.h. mit einem erheblich geringeren Betrag veranschlagt worden waren, als die Durchführung der Ersatzvornahme tatsächlich verursacht hat, führt nicht zur Rechtswidrigkeit des angegriffenen Heranziehungsbescheides (vgl. Nds.OVG, Urteil vom 14.11.1997 aaO., unter ausdrücklicher Aufgabe der entgegen stehenden früheren Rspr., m.w.N.). Dies gilt um so mehr, als die Kostensteigerung nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten nicht unwesentlich auf dem Verhalten der Klägerin beruhte, indem sie am 27.10. 1999 den Zugang der Bauarbeiter und Maschinen auf das Grundstück um rund 3 Stunden verzögerte. Ohnehin kann das Argument, die Kosten der Ersatzvornahme seien überhöht, im vorliegenden Fall nicht eingreifen, da die Klägerin zwischen der rechtskräftigen Abweisung ihrer Klage gegen die Verpflichtung zum Anschluss des Grundstücks an die zentrale öffentliche Abwasseranlage und dem Beginn der Ersatzvornahme mehr als 3 Monate Zeit hatte, die erforderlichen Bauarbeiten selbst – und eventuell auf einem anderen Anschlussweg kostengünstiger – ausführen zu lassen. Die Beklagte hat ihrer aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgenden Pflicht genügt, den Kostenaufwand bei der Durchsetzung des Anschlusszwangs nicht über das hinausgehen zu lassen, was zur Beseitigung bis dahin bestehenden illegalen Abwasserbeseitigung unumgänglich war. Mit den abgerechneten Maßnahmen wurde namentlich der der Klägerin im Bescheid vom 28.07.1995 vorgegebene Handlungsrahmen nicht überschritten und die Ersatzvornahme sachgemäß und wirtschaftlich ausgeführt. Die Beklagte war nicht verpflichtet, eine "offene" Ausschreibung vorzunehmen. Der Kostenansatz der Firma K in den Rechnungen vom 18.11.1999 und vom 31.12.1999 ist nach den von der Beklagten vorgenommenen Korrekturen nicht zu beanstanden. (vgl. Nds.OVG, Urteil vom 14.11.1997, aaO.).

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Soweit schließlich die Klägerin gegen die Kosten der Ersatzvornahme mit einer Schadenersatzforderung in Höhe von 11.310,00 DM teilweise aufrechnen will, vermag auch dieses der Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen. Zwar ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht aus § 11 Abs. 1 Ziff. 4b NKAG i.V.m. § 226 Abs. 3 AO, dass eine Aufrechnung gegen die Kosten einer Ersatzvornahme nur mit einer unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderung möglich ist, denn bei dieser Kostenforderung handelt es sich nicht um eine öffentliche Abgabe i.S.d. NKAG. Dennoch ist der Rechtsgedanke des § 226 Abs. 3 AO im vorliegenden Fall entsprechend anzuwenden. Denn auch bei finanziellen Forderungen, die durch die Vollstreckung von Verwaltungsakten beim Einsatz eines Zwangsmittels (vgl. § 65 NGefAG) entstehen, will eine Verwaltungsbehörde einen Zahlungsanspruch gegen einen Bürger durchsetzen. Zumindest eine rechtswegfremde Gegenforderung wie im vorliegenden Fall, für deren Feststellung das angerufene Verwaltungsgericht nicht originär zuständig ist, darf dem nur dann entgegen gehalten werden, wenn an ihr dem Grund und der Höhe nach kein Zweifel mehr besteht. Denn nur unter diesen Umständen würde für eine Aufrechnung sprechen, dass die Verwaltungsbehörde nicht einen Geldbetrag – ggf. im Wege der Zwangsvollstreckung – beitreiben dürfte, den sie aus einem anderen Rechtsgrund dem Forderungsschuldner umgehend wieder erstatten müsste. Solange die Schadenersatzforderung, deren sich die Klägerin gegen die Beklagte berühmt, jedoch weder dem Grunde noch der Höhe nach feststeht, würde sie ungerechtfertigt bevorteilt, wenn sie mit einer streitigen Gegenforderung den Erstattungsanspruch der Beklagten (zumindest zum überwiegenden Teil) durch eine Aufrechnungserklärung zum Erlöschen bringen könnte.