Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 07.05.1990, Az.: 10 WF 100/90

Unterhaltsansprüche nach Scheidung einer polnischen Ehe; Ermittlung der gerechtfertigten Bedürfnisse des Berechtigten; Anerkennungsfähigkeit eines im Scheidungsverbund ergangenen polnischen Unterhaltsurteil; Maßgeblichkeit des polnischen Rechts für den Unterhaltsanspruch nach dem Haager Übereinkommen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
07.05.1990
Aktenzeichen
10 WF 100/90
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1990, 19749
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1990:0507.10WF100.90.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 26.03.1990 - AZ: 611 F 3810/89

Fundstellen

  • FamRZ 1990, 1390-1392 (Volltext mit amtl. LS)
  • IPRax 1991, 62 (amtl. Leitsatz)
  • IPRspr 1990, 102
  • NJW 1991, 1428-1430 (Volltext mit red. LS)
  • NJW-RR 1991, 714 (red. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Unterhalts
hier: Prozeßkostenhilfe

Der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle hat
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht K. sowie
die Richter am Oberlandesgericht W. und B.
am 7. Mai 1990
beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengerichts - Hannover vom 26. März 1990 geändert.

Der Antragstellerin zu 2. wird Prozeßkostenhilfe bewilligt, soweit sie begehrt, den Antragsgegner zu verurteilen, zu Händen der Antragstellerin zu 1. ab 1. November 1989 einen monatlichen Kindesunterhalt von 115 DM zu zahlen.

Im übrigen wird die Beschwerde nach einem Beschwerdewert bis zu 600 DM zurückgewiesen.

Beschwerdewert insgesamt bis zu 600 DM.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin zu 1. und der Antragsgegner haben am 8. April 1976 miteinander die Ehe geschlossen, aus der die am 8. Juni 1976 geborene Antragstellerin zu 2. hervorgegangen ist. Durch Verbundurteil des Bezirksgerichts D. vom 15. Februar 1989 wurde die Ehe geschieden, das Sorgerecht für die Antragstellerin zu 2. der Antragstellerin zu 1. übertragen und der Antragsgegner verurteilt, einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 25.000 Zl. zu zahlen. Der Antragsgegner ist im April 1986 in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt und hat mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Er ist als Schlosser tätig und zahlt monatliche Kreditraten von 383 DM an die F. Kreditbank sowie 357 DM an die Stadtsparkasse H. Darüber hinaus zahlt er Kindesunterhalt in Höhe von monatlich 35 DM. Die Antragstellerinnen sind polnische Staatsangehörige und leben in Polen.

2

Die Antragstellerinnen begehren Prozeßkostenhilfe für eine beabsichtigte Klage, die Antragstellerin auf Zahlung von Ehegattenunterhalt in Höhe von monatlich 115 DM ab 1. November 1989, die Antragstellerin zu 2. auf Zahlung eines monatlichen Kindesunterhaltes in Höhe von 115 DM, beginnend ab 1. November 1989 und zwar unter Abänderung der Unterhaltsregelung im Scheidungsurteil des Bezirksgerichts D. vom 15. Februar 1989.

3

Durch Beschluß vom 26. März 1990 hat das Amtsgericht das Prozeßkostenhilfegesuch der Antragstellerinnen zurückgewiesen mit der Begründung, die Voraussetzungen eines Anspruches auf Ehegattenunterhalt seien nicht dargetan, hinsichtlich des Kindesunterhaltes sei eine Änderung der für die Festsetzung maßgebenden Verhältnisse ebenfalls nicht dargetan. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerinnen, der das Amtsgericht durch Beschluß vom 19. April 1990 nicht abgeholfen hat.

4

II.

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde hat nur bezüglich des Kindesunterhalts Erfolg. Im einzelnen gilt folgendes:

5

A.

Ehegattenunterhalt

6

Die Ehe der Antragstellerin zu 1. mit dem Antragsgegner ist durch Urteil des Bezirksgerichts D. vom 15. Februar 1989 aus dem alleinigen Verschulden des Antragsgegners geschieden worden. Einen Ausspruch zum nachehelichen Unterhalt enthält das Urteil nicht. Die Antragstellers war und ist als Arzthelferin tätig.

7

Der Unterhaltsanspruch der Antragstellerin richtet sich gemäß Art. 18 Abs. 1 EGBGB nach polnischem Recht.

8

Gemäß Art. 60 § 1 des polnischen Familien- und Vormundschaftskodex vom 25. Februar 1964 (im folgenden: FVG, abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stichwort: Polen, Seite 43) kann ein geschiedener Ehegatte, der an der Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft nicht für allein schuldig erklärt und der bedürftig ist, von dem anderen geschiedenen Ehegatten Leistung von Unterhaltsmitteln in dem Umfange beanspruchen, der den gerechtfertigten Bedürfnissen des Berechtigten und den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen des Verpflichteten entspricht. Gemäß Art. 60 § 2 FVG kann dann, wenn einer der Ehegatten an der Zerrüttung der Ehegemeinschaft für allein schuldig erklärt wird - wie hier der Antragsgegner - und durch die Scheidung eine wesentliche Verschlechterung der materiellen Situation des schuldlosen Ehegatten eingetreten ist, angeordnet werden, daß der allein schuldige Teil in angemessenem Umfang einen Beitrag zur Befriedigung des gerechtfertigten Lebensbedarfs des schuldlosen Ehegatten zu leisten hat, und zwar selbst dann, wenn dieser nicht bedürftig ist.

9

Das Amtsgericht hat zutreffend in seiner Entscheidung darauf hingewiesen, daß die Antragstellerin zu 1., die als Arzthelferin berufstätig ist, ihre Bedürftigkeit nicht hinreichend dargetan hat, so daß ein Unterhaltsanspruch nach Art. 60 § 1 FVG ausscheidet.

10

Die Antragstellerin hat aber auch einen Unterhaltsanspruch nach Art. 60 § 2 FVG nicht schlüssig vorgetragen. Da vorliegend die Ehe aus dem Verschulden des Antragsgegners geschieden worden ist, ist zwar die erste Voraussetzung für eine erweiterte Unterhaltspflicht erfüllt, die Antragstellerin zu 1. hat jedoch nichts für eine wesentliche Verschlechterung ihrer materiellen Lage vorgetragen. Bei der Beurteilung, ob die Voraussetzung der wesentlichen Verschlechterung der materiellen Lage erfüllt ist, ist die jederzeitige materielle Lage des nichtschuldigen Ehegatten mit der zu vergleichen, die bestehen würde, wenn die Scheidung nicht ausgesprochen wäre und die Ehegatten das Zusammenleben fortgesetzt hätten. Diese Regelung verleiht zwar dem nichtschuldigen Ehegatten keinen Anspruch auf den gleichen Lebensstandard, den der unterhaltspflichtige Ehegatte hat, gewährt ihm jedoch ein Recht auf einen besseren Lebensstandard als die Befriedigung gerechtfertigter Bedürfnisse (vgl. dazu: Richtlinien des Obersten Gerichts Polens vom 16. Dezember 1987, veröffentlicht im polnischen Amtsblatt Nr. 6, Pos, 60 vom 26. Februar 1988, übersetzt von Dr. E. Gralla, Jahrbuch für Ostrecht 1988). Die Antragstellerin hat weder zur wirtschaftlichen Situation vor der Trennung noch zu ihrer jetzigen wirtschaftlichen Situation vorgetragen, so daß die Voraussetzungen einer erweiterten Unterhaltspflicht des Antragsgegners nicht gegeben sind.

11

Im übrigen ist Art. 18 Abs. 7 EGBGB hinsichtlich eines eventuellen Unterhaltsanspruchs aus Art. 60 § 2 FVG zu beachten. Diese Vorschrift, die eine Konkretisierung des ordre-public-Vorbehaltes ist (so: Palandt-Heldrich, BGB, 49. Aufl., Art. 18 EGBGB Anm. 5; Beitzke ZfJ 1986, 480), schränkt einen Unterhaltsanspruch aus Art. 60 § 2 FVG ohnehin ein, so daß es in jedem Falle auch auf die hier von der Antragstellerin nicht dargetane Bedürftigkeit ankommt.

12

Im übrigen ist - wie noch auszuführen sein wird - der Antragsgegner auch nicht leistungsfähig (siehe unten B 2 c ee).

13

B.

Kindesunterhalt

14

1.

Die von der Antragstellerin zu 2. beabsichtigte Abänderungsklage gegen das Urteil des Bezirksgerichts D. vom 15. Februar 1989 ist nicht statthaft, denn das polnische Urteil ist insoweit nicht anerkennungsfähig, wenngleich das polnische Recht grundsätzlich eine Abänderung von Urteilen zuläßt (§ 138 FVG; vgl. dazu auch BGH FamRZ 1983, 806 = NJW 1983, 1976 f [BGH 01.06.1983 - IVb ZR 386/81]).

15

a)

Zwar können polnische Urteile, die allein über die Unterhaltspflicht zwischen Eltern und Kindern entscheiden, in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt werden, denn insoweit ist die Gegenseitigkeit verbürgt (§ 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Nach Art. 1150 § 3 ZVG kann aus ausländischen Urteilen über derartige Unterhaltspflichten auch in Polen vollstreckt werden, wenn der ausländische Staat die Gegenseitigkeit verbürgt. Das ist bei der Bundesrepublik Deutschland gegeben (vgl. dazu: OLG Düsseldorf FamRZ 1989, 97 ff. mit Anm. Henrich S. 99; OLG Düsseldorf FamRZ 1989, 1235; OLG Hamm FamRZ 1989, 1232; Baumbach/Hartmann, ZPO, 48. Aufl., Anhang § 328 ZPO Stichwort: Polen m.w.N.).

16

Dies gilt jedoch nicht für Unterhaltsurteile, die im Scheidungsverbund ergangen sind. Da die Entscheidung zum Kindesunterhalt im Zusammenhang mit einem Eheurteil ergangen ist und darauf beruht, kann ihr im deutschen Rechtskreis grundsätzlich keine Wirksamkeit zugestanden werden, weil bisher kein Bescheid der Landesjustizverwaltung nach Art. 7 § 1 FamRÄndG ergangen ist (BGH FamRZ 1975, 273 = NJW 1975, 1072; OLG Hamm FamRZ 1989, 785), d.h. eine Anerkennung der am 15. Februar 1989 vom Bezirksgericht D. ausgesprochenen Ehescheidung bisher nicht erfolgt ist.

17

2.

Das Abänderungsbegehren der Antragstellerin zu 2. ist jedoch umdeutbar in eine (originäre) Leistungsklage (BGH FamRZ 1983, 892; FamRZ 1986, 662).

18

a)

Insoweit steht die Rechtskraft des Urteils des Bezirksgerichts D. der Geltendmachung von Kindesunterhalt vor einem Gericht der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegen, da (s.o.) das Unterhaltsurteil mangels Anerkennung unbeachtlich ist.

19

b)

Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob bei einer neuen Entscheidung nur eine sachlich übereinstimmende Entscheidung zu treffen wäre (vgl. dazu BGH FamRZ 1987, 370 m.w.N.; OLG Hamm FamRZ 1989, 1332).

20

c)

Der Unterhaltsanspruch der Antragstellerin zu 2. richtet sich nach polnischem Recht. Dies folgt aus den Bestimmungen des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2. Oktober 1973 (BGBl. 1986 II 837), welches am 1. April 1987 in der Bundesrepublik Deutschland in kraft getreten ist (BGBl. 1987, II 225) und als internationales Abkommen Vorrang vor nationalen Kollisionsnormen hat, mithin den wortgleichen Art. 18 Abs. 1 EGBGB verdrängt (Johansen/Henrich, Eherecht, Art. 18 EGBGB Rn. 2; OLG Hamm FamRZ 1989, 1333 f). Daß Polen nicht Vertragsstaat des Übereinkommens ist, steht seiner Anwendung gemäß Art. 3 nicht entgegen.

21

Nach Art. 133 § 1 FVG sind Eltern gegenüber ihren Kindern, die sich nicht selbst unterhalten können, zu Unterhaltsleistungen verpflichtet, es sei denn, daß die Einkünfte aus dem Vermögen der Kinder zur Deckung der Kosten für ihren Unterhalt und ihre Erziehung ausreicht. Der Umfang des Unterhalts hängt nach Art. 135 § 1 FVG von den gerechtfertigten Bedürfnissen des Berechtigten und den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen des Verpflichteten ab.

22

Wie der Bedarf der Antragstellerin zu 2. zu ermitteln ist, ist umstritten.

23

aa)

Teilweise wird eine Ermittlung und Begrenzung des Bedarfs nach den individuellen Verhältnissen der Eltern in Polen (Bytomski, FamRZ 1987, 511 ff.) vorgenommen oder auf das in Polen generell gezahlte 3-fache des sozialen Minimums gestellt (Gralla Unterhaltsrecht in Polen, in: Das Unterhaltsrecht in Osteuropa 1989, S. 109 bis 159) abgestellt.

24

bb)

Teilweise wird der Bedarf anhand der Verbrauchergeldparitäten, die sich aus den Angaben des Statistischen Bundesamtes ergeben, in Zloty ermittelt und nach dem offiziellen Währungskurs in Deutsche Mark umgerechnet (BGH FamRZ 1987, 682; OLG FamRZ 1987, 1302; OLG Braunschweig FamRZ 1988, 427; OLG Hamm FamRZ 1989, 785; OLG Hamburg DaVorm 1989, 334). Danach ergeben sich Beträge etwa in Höhe von 1/3 bis 1/2 des nach der Düsseldorfer Tabelle geschuldeten Unterhalts (vgl. dazu auch Bytomski a.a.O.).

25

cc)

Teilweise wird der Bedarf anhand der sog. Düsseldorfer Tabelle ermittelt, dieser dann jedoch in einer analogen Anwendung der Ländergruppeneinteilung des Bundesfinanzministers zu § 33 a EStG auf 2/3 der Tabellensätze (OLG Düsseldorf FamRZ 1987, 195; FamRZ 1989, 99) oder 1/3 (Bytomski a.a.O.; Henrich in Anm. zu OLG Düsseldorf FamRZ 1989, 99; OLG Hamm FamRZ 1989, 1332; OLG Düsseldorf FamRZ 1989, 1335) reduziert.

26

dd)

Nach Auffassung des Senats ist - ohne daß dies vorliegend abschließend zu entscheiden wäre - der Bedarf auf mindestens 1/3 der in der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Unterhaltsbeträge festzusetzen. Dies bedeutet, daß die Antragstellerin zu 2. mindestens 1/3 von 360 DM, hier also 120 DM verlangen könnte. Geltend gemacht mit der beabsichtigten Klage werden jedoch nur 115 DM.

27

3.

Der Antragsgegner hat nicht dargetan, daß er unter Beachtung des ihm zustehenden Selbstbehaltes von 1.100 DM nicht in der Lage ist, diesen Unterhaltsbeitrag zu zahlen. Aus der vorgelegten Verdienstbescheinigung für Oktober 1989 ergibt sich - ohne Weihnachtsgeld und evtl. Steuererstattung - ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 1.883 DM. Nach Abzug der nachgewiesenen und auch im Verhältnis zur Antragstellerin zu 2. zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten von monatlich 383 und 357 DM verbleibt anrechenbares Einkommen von 1.143 DM. Danach könnte der Antragsgegner an sich nur 43 DM monatlich zahlen. Er hat jedoch - wie bereits dargetan - sein Einkommen nur unzureichend belegt und muß sich deshalb so behandeln lassen, als verfüge er über ein Einkommen von mindestens 1.955 DM, welches ihn in die Lage versetzen würde, auch unter Berücksichtigung der Verbindlichkeiten und des ihm zustehenden Selbstbehaltes von 1.100 DM den Kindesunterhalt mit monatlich 115 DM zu zahlen. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob von dem Antragsgegner zu verlangen ist, ggf. eine Streckung der Rückführung der Verbindlichkeiten zu verlangen.

28

Nach alledem bietet die beabsichtigte Unterhaltsklage der Antragstellerin zu 2. hinreichende Aussicht auf Erfolg, wobei der Antagsgegner zu Unterhaltszahlungen in DM zu verurteilen ist (BGH FamRZ 1987, 682, 684).

29

4.

Soweit die Antragstellerin zu 2. rückwirkend ab 1. November 1989 Unterhalt begehrt, kann dieser unabhängig von einer Mahnung oder Zahlungsaufforderung geltend gemacht werden.

30

C.

Der beantragten Beiordnung von Rechtsbeistand Dr. B. kann nicht entsprochen werden, denn § 121 ZPO läßt nur die Beiordnung eines Rechtsanwalts, nicht jedoch die Beiordnung eines Rechtsbeistandes zu (Baumbach/Hartmann a.a.O. § 121 Anm. 3; Feuerich RPfleger 1989, 203; Kalthoener/Büttner, Prozeßkostenhilfe und Beratungshilfe, Rn. 566; OLG Düsseldorf JurBüro 1983, 715).

Streitwertbeschluss:

Beschwerdewert insgesamt bis zu 600 DM.