Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 29.05.1990, Az.: 4 U 14/90

Statthaftigkeit der Vollziehung eines Arrestbefehls oder einer einstweiligen Verfügung; Erforderlichkeit einer zweiten Zustellung durch Parteizustellung; Zustellung eines Beschlusses im Wege der Parteizustellung und Zustellung von Amts wegen; Für und Wider einer erforderlichen Parteizustellung; Nutzung von Gemeinschaftsflächen und Auswirkung auf Sondernutzungsrechte

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
29.05.1990
Aktenzeichen
4 U 14/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 20621
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1990:0529.4U14.90.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 06.12.1989 - AZ: 5 O 424/89

Fundstelle

  • NJW-RR 1990, 1088 (Volltext mit red. LS)

In dem einstweiligem Verfügungsverfahren
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 8. Mai 1990
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Verfügungsbeklagten gegen das am 6. Dezember 1989 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Stade wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird für beide Instanzen - insoweit unter Abänderung des Beschlusses des Landgerichts vom 27. Dezember 1989 - auf 5.000 DM festgesetzt.

Tatbestand:

1

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

2

Die Berufung ist nicht begründet, das Landgericht hat die einstweilige Verfügung mit in der Sache zutreffenden Erwägungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, erlassen. Der Anspruch der Beklagten rechtfertigt sich gemäß den §§ 862, 1004 BGB.

3

Was die Berufung dagegen vorbringt, überzeugt im Ergebnis nicht.

4

1.

Der Senat ist nicht der Ansicht, daß die einstweilige Verfügung ohne Sachprüfung aus lediglich formalen Erwägungen bereits deshalb aufgehoben werden muß, weil sie nicht innerhalb eines Monats nach Erlaß im Parteibetrieb zugestellt worden ist.

5

a)

Nach § 929 Abs. 2 i.V.m. § 936 ZPO ist die Vollziehung eines Arrestbefehls oder einer einstweiligen Verfügung unstatthaft, wenn seit dem Tage, an dem der Befehl verkündet oder der Partei, auf deren Gesuch er erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist.

6

b)

In Rechtsprechung und Literatur (Zöller/Vollkommer, 15. Aufl. 1987, RdN 4 ff; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, 48. Aufl. 1990, RdN 2 B b cc, jeweils zu § 929 ZPO mit ausführlichen Rechtsprechungsnachweisen) besteht zunächst Übereinstimmung darüber, daß nach dem Sinn dieser Vorschrift die alsbalige Durchsetzung der Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes sichergestellt werden und gleichzeitig der Gläubiger gewarnt und ihm eine Bevorratung mit Vollstreckungstiteln verwehrt werden sollen. Der Schuldner muß demgegenüber zuverlässige Kenntnis über die gegen ihn ergangenen Maßnahmen erhalten, außerdem soll ihm ein Ausgleich dafür gegeben werden, daß der Gläubiger in einem vereinfachten Verfahren einen Vollstreckungstitel unter erleichterten Umständen erlangen kann. Darüber hinaus soll der Vollzug der einstweiligen Verfügung unter wesentlich veränderten Verhältnissen verhütet werden (BVerfG NJW 1988, 3141) und schließlich hat diese Vorschrift den Sinn, dem Schuldner die Ernsthaftigkeit der Absichten des Gläubigers zu verdeutlichen.

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c)

In der Rechtsprechung gibt es indessen eine nahezu unübersehbare Zahl von Entscheidungen - auch aus den letzten Jahren, die sich mit der Frage befassen, welche konkreten Maßnahmen unter Berücksichtigung der zuvor dargestellten allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze vom Gläubiger ergriffen werden müssen, um den Anforderungen des § 929 Abs. 2 ZPO gerecht zu werden. Während beispielsweise verschiedene Zivilsenate der Oberlandesgerichte Frankfurt, Celle und München (OLGZ 1982, 346 ff und NJW RR 1987, 764; OLG München, NJW RR 1989, 180) die Zustellung im Parteibetrieb für unerläßlich halten, haben andere Gerichte (OLG Celle, NJW 1986, 2441 [OLG Celle 27.11.1985 - 3 U 264/85], NJW RR 1987 64 und OLG Oldenburg, FamRZ 1989, 879) eine zusätzliche Zustellung im Parteibetrieb nicht für erforderlich gehalten, sofern das Urteil bereits von Amts wegen zugestellt worden ist (differenzierend OLG Karlsruhe, NJW RR 1988, 1470).

8

Soweit ersichtlich, hat sich der Bundesgerichtshof zu der hier vorliegenden Streitfrage noch nicht abschließend geäußert. Er hat zwar in einer Entscheidung (VersR 1985, 359) ausgesprochen, daß eine im Beschlußwege erlassene einstweilige Verfügung im Parteibetrieb zuzustellen sei. Dem ist zuzustimmen, weil das Gebot bei einer Entscheidung, die ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, erst mit der Zustellung wirksam wird, besagt aber nichts für die hier in erster Linie zu entscheidende Frage, ob eine zweifache Zustellung erforderlich ist.

9

d)

Der Senat schließt sich im Ergebnis der Mindermeinung an und hält eine Parteizustellung nach erfolgter Amtszustellung des Urteils grundsätzlich nicht für erforderlich.

10

Zutreffend ist allerdings, daß die hier angesprochene Streitfrage durch die Zivilprozeßreform des Jahres 1976 ausgelöst worden ist, die die Parteizustellung von Urteilen durch die Amtszustellung ersetzte. Vor 1976 konnte man nicht ernsthaft verschiedener Ansicht darüber sein, daß es der Parteizustellung auf jeden Fall bedurfte, weil der Schuldner andernfalls vom Inhalt der einstweiligen Verfügung unter Umständen keine Kenntnis erlangt hätte. Es hätte deshalb in der Tat nahe gelegen, daß der Gesetzgeber im Jahre 1976, als er die Amtszustellung der Urteile anordnete, zu § 929 ZPO klargestellt hätte, ob es darüber hinaus einer Parteizustellung bedurfte.

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Weniger überzeugend ist demgegenüber das Argument, die Parteizustellung sei zum Schutz des Schuldners erforderlich, der nach Ablauf der Monatsfrist bei einer nicht erfolgten Parteizustellung in seinem Verhalten nicht mehr gebunden sei, während bei einer Amtszustellung die Dauer der Bindung ungewiß werde, weil jedenfalls im Regelfall das ausgefertigte Urteil dem Schuldner sofort gegen Zustellungsurkunde oder seinem Anwalt gegen Empfangsbekenntnis zugestellt wird, so daß insoweit eine allenfalls leicht zu beseitigende Ungewißheit entstehen kann. Nach Überzeugung des Senats läßt sich auch nicht sagen, dem Schuldner müsse durch die Parteizustellung die Ernsthaftigkeit besonders vor Augen geführt werden, wenn die Parteien zuvor in einer mündlichen Verhandlung um die Berechtigung zum Erlaß der einstweiligen Verfügung gestritten haben. In diesem Zusammenhang hat bereits das OLG Karlsruhe (NJW RR 1988, 1470) zutreffend darauf hingewiesen, daß die Durchsetzungsabsicht des Gläubigers zwar in jedem Falle dokumentiert werden müsse, jedoch nicht zwangsläufig durch eine zusätzliche Parteizustellung, sondern daß ausreichend auch andere Maßnahmen seien, durch die der Gläubiger seinen Willen unmißverständlich zum Ausdruck bringe, die einstweilige Verfügung durchzusetzen.

12

Bezogen auf den hier allein zu entscheidenden Fall einer Unterlassungsverfügung ergibt sich eine spezielle Problematik deshalb, weil abgesehen von der Zustellung die Zwangsvollstreckung erst bei einer Zuwiderhandlung des Schuldners gegen das Verbot beginnen kann, nämlich durch den Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes nach Maßgabe von § 890 ZPO. Obwohl es aus anwaltlicher Vorsicht dringend geboten sein wird, im Hinblick auf die Differenzen in der Rechtsprechung neben der Amtszustellung eine Parteizustellung durchzuführen, hält der Senat jedenfalls im Ergebnis bei Unterlassungsverfügungen eine zweite Zustellung nicht für erforderlich, weil sie auf eine bloße Förmelei hinauslaufen würde Und dem Schuldner die Ernsthaftigkeit des Begehrens des Gläubigers durch die streitige Verhandlung ausreichend deutlich geworden ist. Dies gilt jedenfalls zumindest dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, der Rechtsstreit zwischen den Parteien in die Berufungsinstanz gebracht wird, weil der Schuldner dann an der Ernsthaftigkeit des Durchsetzungsbegehrens des Gläubigers ohnehin keinen Zweifel hat.

13

2.

In der Sache selbst hat das Landgericht aus zutreffenden Erwägungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, einen Verfügungsanspruch bejaht.

14

Der Verfügungsbeklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die beanstandete Nutzung betreffe gemeinschaftliche Flächen und er habe niemals die der Sondernutzung der Frau S. unterliegende Fläche zum Abstellen von Fahrzeugen oder zum Aufstellen von Blumenkübeln benutzt. Wenn eine bestimmte Fläche einer Partei zur Sondernutzung zugewiesen ist, dann dürfen auch die Gemeinschaftsflächen nur in dem Umfang genutzt werden, die eine Beeinträchtigung der Sondernutzung ausschließt. Entgegen der Auffassung des Verfügungsbeklagten strahlt das Sondernutzungsrecht auch auf die Nutzung der Gemeinschaftsflächen aus, jedenfalls insoweit, als die bestimmungsgemäße Nutzung der Gemeinschaftsflächen überschritten wird. Es kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, daß es unzulässig ist, einen Blumenkübel zwar auf der Gemeinschaftsfläche, gleichwohl aber so abzustellen, daß damit dem anderen Eigentümer bzw. demjenigen, dem die Nutzung vom Miteigentümer übertragen worden ist, die Ausübung seines Sondernutzungsrechtes genommen oder jedenfalls wesentlich eingeschränkt oder erschwert wird. Die gemeinschaftlichen Flächen müssen selbstverständlich als Zufahrtsflächen zu den Sondernutzungsflächen zur Verfügung stehen, andernfalls wäre die Sondernutzung effektiv verhindert.

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Richtig ist zwar, daß die bestimmungsgemäße Benutzung der Gemeinschaftsflächen indirekt auch zu einer Einschränkung des Sondernutzungsrechtes führen kann. Wenn einer der Eigentümer vor der Garage hält, um das Tor zu öffnen oder auszuladen, so kann und wird dies unter Umständen zu einer Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten derjenigen Flächen führen, die einem anderen Miteigentümer zur alleinigen Nutzung zugewiesen sind. In diesem Zusammenhang weist der Verfügungsbeklagte zwar zu Recht darauf hin, daß sich Art und Umfang der gemeinschaftlichen Nutzung im Zweifel nach dem Bestimmungszweck der in Rede stehenden Flächen richtet. Dieser Gedanke hat jedoch nur zur Folge, daß auf den gemeinschaftlichen Flächen zwar gehalten und geparkt werden darf, um die Garagen zu erreichen oder zuvor Be- und Entladevorgänge durchzuführen, die sich in der Garage nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen bewerkstelligen lassen, die bestimmungsgemäße Nutzung der Gemeinschaftsfläche liegt aber nicht in einem längeren Abstellen der Fahrzeuge oder in der Benutzung als "Garten", jedenfalls dann nicht, wenn dadurch dem anderen Miteigentümer die Inanspruchnahme seiner Sondernutzungsrechte (teilweise) unmöglich wird.

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Einen Rechtsgrundsatz des Inhalts, daß jemand sein Sondernutzungsrecht nicht "optimal" in Anspruch nehmen dürfe, etwa in dem Sinne, daß er trotz drei vorhandener Stellplätze nur zwei benutzen dürfe, gibt es nicht.

17

3.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 708 Nr. 10 und 713 ZPO sowie den §§ 3 ZPO und 25 Abs. 1 Satz 3 GKG, soweit es sich um die Streitwertfestsetzung handelt. Da nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien durch das bisherige Verhalten des Verfügungsbeklagten nur die Zufahrt zu einem der drei Stellplätze beeinträchtigt worden ist - und das auch nur zeitweise, erschien dem Senat ein Streitwert Von 5.000 DM angemessen. In der Regel wird im einstweiligen Rechtsschutz nur 1/4 bis 1/3 des Wertes der Hauptsache anzusetzen sein (vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, 48. Aufl. 1990, Anhang zu § 3, S. 37). Im vorliegenden Fall erschien ein geringerer Abschlag auf die Hälfte angemessen, weil im einstweiligen Rechtsschutz die Probleme im wesentlichen geklärt sein dürften.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird für beide Instanzen - insoweit unter Abänderung des Beschlusses des Landgerichts vom 27. Dezember 1989 - auf 5.000 DM festgesetzt.