Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 17.04.1990, Az.: 10 UF 78/90
Einräumung eines Umgangsrechtes außerhalb der väterlichen Wohnung; Einräumung eines Umgangsrechtes entgegen dem Willen der Kinder; Anwendung persischen Rechtes auf die Umgangsregelungen; Fortgeltung von Rechtsforschriften nach der iranischen Kulturrevolution; Entscheidungserheblichkeit des Willens der Kinder bezüglich des Verkehrsrechtes der Mutter
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 17.04.1990
- Aktenzeichen
- 10 UF 78/90
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1990, 19516
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1990:0417.10UF78.90.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - 20.02.1990 - AZ: 603 F 3798/89
Rechtsgrundlagen
- Art. 8 Abs. 3 Niederlassungsabkommen zw. Deutschem Reich und Kaiserreich Persien
- Art. 12 Abs. 3 Iranisches Gesetz zum Schutz der Familie
- Art. 1174 ZGB
Fundstellen
- FamRZ 1990, 1131-1132 (Volltext mit amtl. LS)
- IPRspr 1990, 127
Der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle hat
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht K. sowie
die Richter am Oberlandesgericht R. und B.
am 17. April 1990
beschlossen:
Tenor:
- I.
Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengerichts - Hannover vom 20. Februar 1990 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
- II.
Der Antrag der Kindesmutter auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
- III.
Dem Kindesvater wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt von D. in H. Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt.
- IV.
Beschwerdewert: 3.000,- DM.
Gründe
I.
Die Ehe der Kindeseltern wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Hannover vom 13. Oktober 1989 - 603 F 3280/87 - geschieden und die elterliche Sorge für die vier gemeinsamen Kinder dem Kindesvater übertragen. Ihre gegen die Sorgerechtsregelung eingelegte Beschwerde - 10 UF 256/89 OLG Celle - hat die Kindesmutter zurückgenommen.
Im vorliegenden Verfahren hat die Kindesmutter beantragt, ihr das Recht einzuräumen, die minderjährigen ehelichen Kinder P., P., P. und P. jeweils alle zwei Wochen von Samstag 14.00 Uhr bis Sonntag 18.00 Uhr zu sich zu nehmen. Nach Anhörung aller Beteiligten und Einholung einer Stellungnahme des Jugendamtes der Stadt Hannover hat das Amtsgericht - Familiengericht - Hannover durch Beschluß vom 20. Februar 1990 der Kindesmutter das Recht eingeräumt, die minderjährigen Kinder jeweils am zweiten und vierten Sonntag eines jeden Monats nachmittags in der Wohnung des Kindesvaters zu besuchen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, daß angesichts der Weigerung der Kinder, mit der Kindesmutter außerhalb der Wohnung des Vaters zusammenzutreffen, eine diesem Willen widersprechende Umgangsrechtsregelung nicht vertretbar wäre.
Gegen diesen der Kindesmutter am 22. Februar 1990 zugestellten Beschluß richtet sich ihre Beschwerde, mit der sie ihr ursprüngliches Begehren zum Umgangsrecht weiter verfolgt.
II.
Die gem. § 621 e ZPO zulässige Beschwerde der Kindesmutter hat in der Sache keinen Erfolg.
1.
Das Amtsgericht - Familiengericht - Hannover und der Senat als Beschwerdegericht sind im vorliegenden Verfahren örtlich und international zuständig, denn die Kinder und auch die weiteren Beteiligten haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk dieses Gerichts (Art. 1, 13 des Übereinkommens über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht auf dem Gebiete des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961 (MSA), Bundesgesetzblatt 1971 II 217, 1115; vgl. dazu auch BGHZ 60, 68, 70[BGH 20.12.1972 - IV ZB 20/72]; BGHZ 89, 325). Die Bundesrepublik Deutschland ist Vertragsstaat dieses Übereinkommens, die von der Kindesmutter begehrte Umgangsregelung ist im übrigen eine Schutzmaßnahme im Sinne des MSA (vgl. dazu OLG Stuttgart NJW 1978, 1746 [OLG Stuttgart 18.11.1977 - 15 UF 40/77 EG]; Palandt-Heldrich, BGB, 49. Aufl., Anhang zu Art. 24 EGBGB, Art. 1 MSA, Anm. 3).
2.
Das anwendbare Recht ergibt sich im vorliegenden Fall aus Art. 8 Abs. 3 des Niederlassungsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17. Februar 1929 (Reichsgesetzblatt 1930 II 1002, 1006), das nach dem zweiten Weltkrieg mit Wirkung vom 4. November 1954 wieder in Kraft gesetzt worden ist (Bekanntmachung vom 15. August 1955, Bundesgesetzblatt 1955, II 829) und als Staatsvertrag Vorrang vor nationalen Kollisionsnormen beansprucht. Nach dieser Vorschrift (abgedruckt bei Jayme-Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 4. Aufl. 1988, S. 47) bleiben in Bezug auf das Personen-, Familien- und Erbrecht die Angehörigen jedes der vertragschließenden Staaten im Gebiete des anderen Staates den Vorschriften ihrer heimischen Gesetze unterworfen. Auf die Umgangsrechtsregelung ist somit iranisches Recht anzuwenden.
3.
Nach Art. 1174 ZGB (abgedruckt bei: Bergmann-Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stichwort: Iran, Seite 30) besteht ein Besuchsrecht des nicht sorgeberechtigten Elternteils, wobei bei einem Streit der Eltern darüber das Gericht Zeit und Ort des Besuches und alle weiteren Einzelheiten zu regeln hat.
Außerdem greift im Falle der Ehescheidung Art. 12 Abs. 3 des iranischen Gesetzes zum Schütze der Familie vom 12. Februar 1975 (abgedruckt bei Bergmann-Ferid a.a.O., S. 35 ff) ein, durch das das gleichnamige Gesetz vom 15. Juni 1967 ersetzt worden ist (vgl. dazu Beschluß des BGH vom 20. Dezember 1972 - IV 2 B 20/72, IPRR 1972, S. 253 ff). Auch danach hat das Gericht über die Regelung des Besuchs der Kinder zu entscheiden. Nach Auffassung des Senats gilt auch nach der islamischen Revolution sowohl Art. 1175 ZGB als auch Art. 12 Abs. 3 fort, da beide Regelungen als solche nicht gegen den Grundsatz 4 der iranischen Verfassung von 1979 (abgedruckt bei Bergmann-Ferid a.a.O. Seite 15) verstoßen, denn es ist nicht ersichtlich, daß beide Gesetze nicht im Einklang mit islamischen Grundsätzen stehen. Darüber hinaus sind in einem Gesetz zur Novellierung des ZGB vom 27. Februar 1983 zwar die Vorschriften über die Scheidung auf Antrag der Frau geändert worden, nicht aber der Art. 1174 ZGB (vgl. Elwan, Der nahe und mittlere Osten, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Geschichte, Kultur, Opladen 1988, S. 247).
Maßstab für die Bestimmung des Umgangsrechts ist auch nach iranischem Recht das Wohl des Kindes (vgl. BGH IPRR 1972, a.a.O.). Dabei sind grundsätzlich die Grundsätze des islamischen Kindschaftsrechts zu beachten, die auf eine Gesellschaftsordnung zugeschnitten sind, in der der Wirkungskreis der Frau auf den häuslichen Bereich zugeschnitten ist und einen weitestgehenden Ausschluß von der Teilnahme am öffentlichen Leben beinhaltet. Nach Auffassung des Senats ist allerdings zu beachten, daß vorliegend alle Beteiligten in der Bundesrepublik Deutschland leben und dementsprechend auch die sozialen Verhältnisse zu beachten sind, die sich grundlegend von denen im Orient unterscheiden. Ob deshalb aber beim Umgangsrecht ein partnerschaftliches Verhalten der (früheren) Ehepartner verlangt werden kann, ist zweifelhaft. Darauf kommt es im vorliegenden Fall nach Auffassung des Senats aber nicht entscheidend an. Angesichts der bestehenden Spannungen zwischen den Kindeseltern und dem eindeutig geäußerten Willen der Kinder (sowohl gegenüber dem Gericht als auch gegenüber dem Jugendamt) ist die vom Amtsgericht getroffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Umfangs des Umgangsrechts als auch hinsichtlich des Ortes. Nach Art. 13 der Ausführungsverordnung zum Familienschutzgesetz von 1967, der als Anhaltspunkt weiterhin herangezogen werden kann, beinhaltet das Verkehrsrecht mindestens einen Besuch im Monat. Auch nach Aufffassung des Senats entspricht ein zweimaliger Besuch jeweils Sonntags nachmittags dem Wohle der Kinder. Ein weitergehendes Umgangsrecht würden die Kinder möglicherweise als Zwang empfinden. Es wäre für sie belastend, weil es nicht auf einer einverständlichen Kooperation aller Beteiligten beruhen würde. Nach Auffassung des Senats ist angesichts des Alters der Kinder, zumindest, soweit sie älter als elf Jahre sind, deren Wille entscheidungserheblich, selbst wenn dieser Wille auf einer durch die Wertvorstellungen des Kindesvaters herrührenden Beeinflussung beruhen sollte. Hinsichtlich des zeitlichen Umfanges des Umgangsrechts bietet angesichts der Spannungen zwischen den Beteiligten nur eine allmähliche Annäherung am ehesten die Gewähr dafür, daß in den persönlichen Beziehungen der Beteiligten Ruhe einkehrt.
Auch die Wahl des Ortes für die Ausübung des Umgangsrechts, nämlich die Wohnung des Kindesvaters, ist zumindest im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Grundsätzlich ist entsprechend dem Zweck des Umgangsrechts - legt man die Grundsätze des hiesigen Rechtskreises zugrunde - die Wohnung des Sorgeberechtigten nicht der geeignete Ort für die Ausübung des Umgangsrechts. Denn die Kinder sollen den umgangsberechtigten. Elternteil grundsätzlich in dessen Häuslichkeit selbst erleben können, um so die verwandtschaftlichen Beziehungen möglichst unbefangen pflegen zu können. Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob diese Grundsätze auch bei der Ausgestaltung des Umgangsrechts nach iranischem Recht Anwendung finden, denn angesichts des auch insoweit eindeutig geäußerten und unmißverständlichen Willens der Kinder erscheint zumindest für eine Übergangszeit von zunächst sechs Monten die Ausübung des Umgangsrechts außerhalb der Wohnung des sorgeberechtigten Kindesvaters als nicht dem Wohle der Kinder entsprechend.
3.
Da die Beschwerde der Kindesmutter zurückzuweisen ist, ist auch ihr Antrag auf Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zurückzuweisen. Gem. § 119 Satz 2 ZPO ist dem Kindesvater notwendige Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 131 Abs. 3 KostO, 13 a FGG.
Streitwertbeschluss:
Beschwerdewert: 3.000,- DM.
Die Wertfestsetzung beruht auf § 30 Abs. 2 KostO.