Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 22.12.2008, Az.: 1 Ws 705/08
Versagung der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung wegen fehlender Erprobung in Vollzugslockerungen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 22.12.2008
- Aktenzeichen
- 1 Ws 705/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 49715
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2008:1222.1WS705.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück, 15 StVK 152/08
Rechtsgrundlagen
- § 9 StVollzG
- § 57 StGB
Fundstellen
- BewHi 2009, 312-313
- NStZ-RR 2009, VI Heft 4 (amtl. Leitsatz)
- NStZ-RR 2009, 155
Amtlicher Leitsatz
Bei der Entscheidung über die Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung ist für die zu stellende Prognose auf die faktisch gegebenen Umstände abzustellen, mithin auch dann auf das Fehlen einer Erprobung des Verurteilten in Vollzugslockerungen, wenn diese ihm zu Unrecht verweigert worden sein sollten. Gegen Letzteres kann der Verurteilte - allerdings unabhängig vom Aussetzungsverfahren - eine gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG beantragen.
Beschluss
1 Ws 705/08
In der Strafvollstreckungssache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 22. Dezember 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... beschlossen:
Tenor:
Die Gehörsrüge des Verurteilten vom 10. Dezember 2008 wird auf seine Kosten verworfen.
Die hilfsweise erhobene Gegenvorstellung des Verurteilten gegen den Senatsbeschluss vom 28. November 2008 gibt keine Veranlassung zu einer Änderung dieser Entscheidung.
Gründe
Der Verurteilte erhebt gegen den Senatsbeschluss vom 28. November 2008 eine Gehörsrüge, hilfsweise eine Gegenvorstellung und beantragt, den Senatsbeschluss aufzuheben und die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen, damit diese nach Aufklärung der Gründe für die Versagung von Vollzugslockerungen neu entscheide.
Die Gehörsrüge sowie die hilfsweise erhobene Gegenvorstellung haben keinen Erfolg.
Das Vorbringen des Verurteilten, der Senat habe nicht darauf abstellen dürfen, dass seine bedingte Entlassung nicht verantwortbar sei, bevor keine ausreichende Erprobung in Lockerungen stattgefunden und er gezeigt habe, dass er sich auch außerhalb der festen Strukturen, wie sie in der Haft anzutreffen sind, alkoholabstinent und straffrei verhalte, vielmehr habe vor der Aussetzungsentscheidung aufgeklärt werden müssen, weshalb bisher keine Vollzugslockerungen gewährt worden seien. er, der Verurteilte, hätte dann hierzu Stellung nehmen können, begründet keinen Verstoß des Senats gegen den Anspruch des Verurteilten auf rechtliches Gehör und gibt auch keinen Anlass zur Änderung des Senatsbeschlusses.
Der Umstand, dass dem Verurteilten bislang keine Vollzugslockerungen gewährt worden sind, war ihm bekannt, ebenso die vom Sachverständigen Dr. G... erörterte Bedeutung dieses Umstandes für die Frage einer bedingten Entlassung. Ein Hinweis des Senats war mithin insoweit entbehrlich. Er war auch nicht geboten, soweit es um die Gründe der Nichtgewährung von Vollzugslockerungen geht. Denn diese sind für die vom Senat zu treffende Entscheidung nicht maßgeblich.
Zunächst ist festzustellen, dass sich der Senat bei seiner Entscheidung nicht mit dem Hinweis auf das Fehlen von Vollzugslockerungen begnügt und die Entscheidung nicht allein darauf gestützt hat. Vielmehr hat er sich den Ausführungen des Sachverständigen Dr. G... nicht verschließen können, dass es für die Einschätzung der von dem Verurteilten ausgehenden Gefährlichkeit an Einblicken fehle, ob die in den abgeurteilten Sexualstraftaten des Verurteilten zutage getretene sexuelle Aggressivität auf eine überdauernde Bedürfnisstruktur des Verurteilten zurückgehe oder nicht und ob die therapeutischen Maßnahmen, denen sich der Verurteilte im Vollzug unterzogen habe, deliktprotektive Wirkung entfalteten. Erst im Hinblick auf Letzteres hat der Senat auch berücksichtigt, dass eine Bewährung in Vollzugslockerungen nicht stattgefunden hat.
Zwar wird nicht verkannt, dass Vollzugslockerungen bei Verbüßung längerer Freiheitsstrafen zwar regelmäßige, aber nicht zwingende Entlassungsvoraussetzung sind (BVerfG StV 2003, 677) und dass ablehnende Lockerungsentscheidungen der Vollzugsbehörden nicht ohne Prüfung ihrer inhaltlichen Berechtigung zum Nachteil des Verurteilten verwertet werden dürfen (BVerfG NJW 2000, 502). Das Vollstreckungsgericht muss aber seiner nach § 57 StGB geforderten Prognose die Situation zugrunde legen, die es im maßgeblichen Zeitpunkt vorfindet. Stehen danach Lockerungen noch aus, kann das Vollstreckungsgericht gleichwohl im Wege eigener prognostischer Einschätzung zu der Überzeugung gelangen, dass eine hinreichend große Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit erst dann bejaht werden kann, wenn sich der Verurteilte in Lockerungen bewährt hat, vgl. OLG Frankfurt NStZRR 2001, 311. Thüringer OLG NStZ-RR 2006, 354.
Im Übrigen kann der Senat im vorliegenden Verfahren auf Reststrafenaussetzung nicht nachprüfen, ob dem Verurteilten Vollzugslockerungen zu Unrecht verweigert worden sind, selbst wenn eine längerfristige Bewährung in solchen Lockerungen als Beurteilungsgrundlage für die Frage bedingter Entlassung unabdingbar wäre, OLG Frankfurt NStZ-RR 2001, 311.
Nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NStZ 1998, 373 und NStZ 2000, 109 [BVerfG 24.10.1999 - 2 BvR 1538/99]) darf von den Vollstreckungsgerichten die behördliche Verweigerung von Vollzugslockerungen, deren Bewältigung das Aussetzungsverfahren erst vertretbar erscheinen lassen, nicht länger hingenommen werden, wenn diese ohne zureichenden Grund erfolgt ist. vielmehr müssten die Vollstreckungsgerichte den Vollzugsbehörden im Aussetzungsverfahren deutlich machen, dass Vollzugslockerungen nunmehr geboten seien. Wie dies im Einzelnen zu geschehen habe, lässt sich den Entscheidungen nicht entnehmen.
Eine Aufhebung der behördlichen Entscheidung über die Verweigerung von Lockerungen und die Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt, diese zu gewähren, scheidet aus. Eine derartige Entscheidung ist dem Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG vorbehalten. Eine an die Justizvollzugsanstalt gerichtete Aufforderung, nunmehr unverzüglich gestufte Lockerungen zu gewähren, bindet die Vollzugsbehörde nicht und vermag dem vom Bundesverfassungsgericht zur Begründung seiner Auffassung herangezogenen Richtervorbehalt aus Art. 104 Abs. 2 GG keine ausreichende Wirkkraft zu verleihen, vgl. OLG Frankfurt a. a. O..
Zwar ist die Vollzugsbehörde gehalten, die Entlassung eines Verurteilten so vorzubereiten, dass dessen verfassungsrechtlicher Freiheitsanspruch durch Richterentscheid (Art. 104 Abs. 2 GG) zeitgerecht realisiert werden kann. Sie darf ihm deshalb ohne zureichenden Grund nicht solche Lockerungen verweigern, deren Bewältigung für eine bedingte Entlassung unabdingbar ist. Der Verurteilte hat es indessen in der Hand, sich gegen verweigerte Lockerungen vor und nach dem Aussetzungsverfahren sowie während des Verfahrens auf Reststrafenaussetzung auf dem dafür vorgesehenen Weg (§§ 109 ff. StVollzG) zu wehren. Auf diese Weise kann er eine die Vollzugsbehörde bindende gerichtliche Entscheidung erzwingen. Unterlässt er die Beschreitung dieses Weges, kann sich auch seine bedingte Entlassung verzögern. Solches beruht dann aber im Wesentlichen auf seiner Entscheidung, den Bescheid, mit dem Lockerungen verweigert werden, bestandskräftig werden zu lassen. Hierdurch wird das verfassungsrechtliche Gebot (Art. 104 Abs. 2 GG), dass der Richter über die Fortdauer der Freiheitsentziehung zu entscheiden hat, nicht berührt. Diese Funktion kann vielmehr das Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG zuverlässig erfüllen. Der vom Bundesverfassungsgericht vorgeschlagene Weg der Überprüfung im Aussetzungsverfahren, ob Lockerungen zu Recht verweigert worden sind, ist auch schwerlich mit dem Rechtsbehelfssystem in Einklang zu bringen, wonach der Senat im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG allein zur Überprüfung von Gesetzesverletzungen (§ 116 Abs. 2 StVollzG) berufen ist, im Aussetzungsverfahren jedoch als Beschwerdegericht zweites Tatgericht ist. Im Übrigen betrifft die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafen nach einer Verbüßungsdauer von mehr als 15 Jahren und ist für die hier zu entscheidende Frage deshalb auch nicht einschlägig.
Für eine Änderung des Senatsbeschlusses vom 28. November 2008 besteht nach allem zurzeit kein Anlass.
Dem Verurteilten bleibt es unbenommen, gemäß §§ 109 ff. StVollzG Lockerungen zu beantragen.
Die Kostenentscheidung entspricht § 473 Abs. 1 Satz 1 StGB.