Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 11.12.2008, Az.: Ss 455/08 (I 228)
Zulässigkeit der Wertung des Fehlens eines wahrhaftigen Bedauerns als strafschärfend i. R. e. auf einer Reflexhandlung beruhenden schweren Körperverletzung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 11.12.2008
- Aktenzeichen
- Ss 455/08 (I 228)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 27870
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2008:1211.SS455.08I228.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Aurich - 08.08.2008 - AZ: 14 Ns 520/08
Rechtsgrundlage
- § 349 Abs. 4 StPO
Fundstellen
- NJW 2009, X Heft 8 (amtl. Leitsatz)
- NJW 2009, 1222 (Volltext mit amtl. LS)
- NStZ 2009, 155-156 (Volltext mit amtl. LS)
- ZAP EN-Nr. 513/2009
Verfahrensgegenstand
Schwere Körperverletzung
Amtlicher Leitsatz
Führt der Angeklagte die von ihm begangene schwere Körperverletzung auf eine unwillkürliche Reflexhandlung zurück, so kann das Fehlen eines wahrhaftigen Bedauerns nicht strafschärfend berücksichtigt werden, weil hierdurch möglicherweise das Verteidigungsvorbringen des Angeklagten beeinträchtigt worden wäre.
In der Strafsache
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 11. Dezember 2008
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
nach § 349 Abs. 4 StPO
einstimmig beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 8. August 2008 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Aurich zurückverwiesen. Diese hat auch über die Kosten der Revision zu entscheiden.
Gründe
Das Amtsgericht - Schöffengericht - Aurich hat den Angeklagten mit Urteil vom 2. April 2008 wegen schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die dagegen gerichteten - auf die Rechtsfolgenentscheidung beschränkten - Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Aurich mit Urteil vom 8. August 2008 verworfen. Hiergegen richtet sich die zulässige Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
Der Rechtsfolgenausspruch, über den das Landgericht nach wirksamer Beschränkung der Berufungen nur noch zu entscheiden hatte, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. In den Urteilsgründen ist bei der Nennung der Umstände, die strafschärfend berücksichtigt worden sind, ausgeführt:
"Auch vermochte die Kammer kein wahrhaftiges Bedauern der Tat und ihrer Folgen auf Seiten des Angeklagten festzustellen, da sein "Lippenbekenntnis" in der Hauptverhandlung von keinerlei opferbezogenem Tatnachverhalten gestützt wird."
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Nachtatverhalten des Angeklagten in Zusammenhang mit der Verteidigung des Angeklagten gestanden und dieser gedient hat, weshalb es nicht strafschärfend berücksichtigt werden durfte, vgl. BGH NStZ 1996, 80. Denn es kann auch mit dem teilweise Abstreiten der Tat durch den Angeklagten zusammenhängen, das darin liegt, dass er nur reflexartig auf einen gegen seine Freundin gerichteten Glaswurf des Tatopfers mit dem Werfen eines Glases seinerseits reagiert haben will. Dies ließe die Tat in einem ganz anderen und wesentlich milderen Licht erscheinen und hätte auch die für den Angeklagten gegebene Veranlassung zu einem "wahrhaftigen Bedauern" und einem "opferbezogenen Nachtatverhalten" erheblich vermindert. Das vom Landgericht vermisste Nachtatverhalten hätte daher möglicherweise die Verteidigung des Angeklagten beeinträchtigt.
Da bereits wegen dieses Rechtsfehlers das Urteil aufzuheben ist, erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Revisionsvorbringen. Der Senat merkt jedoch an, dass es nicht zu beanstanden ist, dass das Gericht den festgestellten Blutalkoholgehalt nicht als ausreichend angesehen hat, um einen minderschweren Fall der Körperverletzung zu bejahen.
Hinsichtlich der von der Revision auch aufgeworfenen Frage, ob eine alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten strafmildernd zu berücksichtigen ist, wird in der neuen Verhandlung auch zu prüfen sein, inwieweit bei Begehung der dem Strafbefehl vom 26. April 2004 zugrunde liegenden vorsätzlichen Körperverletzung eine Alkoholisierung des Angeklagten vorgelegen hat, aufgrund deren der Angeklagte hätte wissen müssen, dass er unter Alkoholeinfluss zu aggressiven Handlungen neigt.