Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 28.01.2016, Az.: 10 B 119/16
Daueraufenthalt; Drittstaatsangehöriger; Lebensunterhalt; gesicherter Lebensunterhalt
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 28.01.2016
- Aktenzeichen
- 10 B 119/16
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 43174
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 38a AufenthG
- § 5 Abs 2 S 2 AufenthG
- § 39 Nr 6 AufenthV
- EGV 810/2009
- EGRL 109/2003
- EGRL 86/2003
- Art 21 SDÜREO
- § 11b Abs 3 SGB 2
- § 80 Abs 5 S 1 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Falls ein in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union langfristig Aufenthaltsberechtigter nach § 38a AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erstrebt, ist sein Lebensunterhalt gesichert, wenn er über dem sozialhilferechtlichen Bedarf liegt. Von diesem werden nicht Freibeträge nach § 11b Abs. 1 Nr. 6 i. V. m. Abs. 3 SGB II abgesetzt.
2. In einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union langfristig Aufenthaltsberechtigte unterliegen nach einem Aufenthalt von höchstens 90 Tagen in Deutschland der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.
3. Sind abgesehen von der Einhaltung des Visumverfahrens die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt, besteht Anlass, nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung einer Klage anzuordnen, wenn die Ausländerbehörde zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass diese Voraussetzungen nicht gegeben seien, um ihr die Gelegenheit zu geben, nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von der Durchführung des Visumverfahrens abzusehen.
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. November 2015 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5000,00 EURO festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt Abschiebungsschutz in Hinblick auf sein Begehren, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten.
Der 1976 geborene Antragsteller ist ghanaischer Staatsangehöriger. Er reiste am 4. Januar 2015 mit einer langfristigen italienischen Aufenthaltserlaubnis ein, bat zunächst vergebens um die Zustimmung zu verschiedenen Beschäftigungen und beantragte am 10. April 2015 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Nachdem für weitere Beschäftigungen die Zustimmung versagt und der Antragsteller mit Schreiben vom 6. Juli 2015 zur Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis angehört worden war, erteilte die Bundesagentur für Arbeit unter dem 13. August 2015 die Zustimmung zu einer Beschäftigung des Antragstellers bei C. GmbH u. Co. KG befristet auf ein Jahr im Umfang von 24 Stunden/Woche à 9,40 €/Stunde.
Unter dem 26. Oktober 2015 nahm die Antragsgegnerin eine fiktive Einkommensberechnung vor, wonach der Antragsteller angesichts eines Nettoeinkommens von monatlich 891,25 € seinen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf von 771 € nicht decken könne, da von dem Nettoeinkommen noch ein Betrag von 221,23 € „nach §§ 11, 30 SGB II“ abzusetzen sei.
Mit Bescheid vom 24. November 2015, eingegangen am 2. Dezember 2015, lehnte die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab und drohte ihm die Abschiebung nach Ghana oder Italien an. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis komme nicht in Betracht, da der Antragsteller unter Berücksichtigung des Absetzbetrages nach § 11b SGB II seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten könne.
Am 4. Januar 2016 hat der Antragsteller Klage erhoben (Az. 10 A 118/16), über die noch nicht entschieden ist. Zugleich hat er um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er wendet sich gegen die Berücksichtigung des Absetzbetrages und beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. November 2015 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen -, soweit es die Geschehnisse vor dem 6. Juli 2015 betrifft, offenkundig unvollständigen - Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage (10 A 118/16) gegen die Versagung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38 a AufenthG und die Androhung der Abschiebung anzuordnen, ist zulässig.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft. Bei dem Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Versagung der Aufenthaltsgenehmigung anzuordnen, handelt es sich in der Hauptsache um eine Verpflichtungssituation. Die aufschiebende Wirkung einer Klage kann grundsätzlich nur bei einer Anfechtungsklage angeordnet werden. Eine Ausnahme hiervon gilt im Ausländerrecht dann, wenn ein Verpflichtungsbegehren auf die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung gerichtet ist und einem bei der Ausländerbehörde gestellten Antrag eine Fiktionswirkung gemäß § 81 AufenthG zukommt, wonach der Aufenthalt des Ausländers bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als geduldet oder erlaubt gilt (vgl. VG München, Beschluss vom 20.4.2009 - M 10 S 08.5929). In diesem Fall enthält die ablehnende Entscheidung der Behörde über die Versagung der Begünstigung hinaus eine belastende Regelung, da die mit der Antragstellung eingetretenen Fiktionen entfallen, sodass der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft ist.
Vorliegend bewirkte der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 81 Abs. 3 S. 2 AufenthG, dass die Vollziehung der Abschiebung des Antragstellers vorläufig bis zur Entscheidung der Behörde über den Antrag ausgesetzt war. Gemäß § 81 Abs. 3 S. 2 AufenthG besteht eine Duldungsfiktion, wenn der Ausländer die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Ablauf seines titelfreien Aufenthaltsrechts beantragt, d. h. zu einem Zeitpunkt, zu dem er sich bereits unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (vgl. Kluth in: Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, 9. Edition, AufenthG, § 81, Rn. 26; vgl. auch Hessischer VGH, Beschluss vom 30. 7.2013 - 6 B 1170/13 -, juris, danach entsprechende Anwendung des § 81 Abs. 3 S. 2 AufenthG).
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist begründet.
Die Begründetheit eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO bemisst sich im Wege einer allgemeinen Interessenabwägung. Im Falle einer Anfechtungssituation hat der Antrag dann Erfolg, wenn das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse der Allgemeinheit an dem belastenden Verwaltungsakt überwiegt. Dies bemisst sich im Regelfall nach den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung in der Hauptsache. Auch in den Fällen des § 81 Abs. 3 AufenthG, d. h. im Falle eines Verpflichtungsbegehrens in der Hauptsache, wird über die Begründetheit nach den allgemeinen Maßstäben entschieden, also im Wesentlichen nach den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung in der Hauptsache und den durch einen Sofortvollzug gegebenenfalls verursachten irreparablen Wirkungen (vgl. Samel in: Renner/ Bergmann/ Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage, AufenthG, § 81, Rn 39). Eine Verpflichtungsklage hat gemäß § 113 Abs. 5 VwGO dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Ablehnung des Verwaltungsaktes rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Dies ist entweder der Fall, wenn der Kläger einen Anspruch auf den abgelehnten Verwaltungsakt hat oder er nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO die Verpflichtung der Behörde beanspruchen kann, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
In Hinblick auf den belastenden Charakter der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis und dem damit einhergehenden Ende der Fiktionswirkung ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage auch dann statthaft, wenn sich die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis als rechtswidrig erweist und der geltend gemachte Anspruch auf die Aufenthaltserlaubnis nicht absehbar ausgeschlossen ist und der Rechtssuchende - im Hauptsacheverfahren - eine Verpflichtung nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO begehren kann.
Nach diesem Maßstab überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, denn die Ablehnung seines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen fehlender Sicherung des Lebensunterhalts erweist sich voraussichtlich als rechtswidrig. Der Antragsteller kann entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin seinen Lebensunterhalt durch eigene Beschäftigung sichern (a.), die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis hängt allerdings davon ab, ob die Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AufenthG von dem Erfordernis, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist, absieht, weil die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es ihm auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Der Antragsteller hat insofern einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, bis zu deren Ergehen ist ihm die Duldungsfiktion des § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu belassen (b.).
a. Nach § 38 a Abs. 1 AufenthG wird einem Ausländer, der - wie der Antragsteller in Italien - in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten hat, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn er sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten will. Nach §§ 38 a Abs. 3, 18 Abs. 2 AufenthG bedarf die unselbständige Erwerbstätigkeit, die die Antragsteller anstrebt, der Zustimmung der Beigeladenen. Die Zustimmung ist erteilt. Die Voraussetzungen des § 38 a Abs. 3 i. V. m. § 39 Abs. 2 AufenthG sind auch zur Überzeugung der Antragsgegnerin erfüllt.
Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis steht nicht § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entgegen. Das aus der angestrebten Stelle zu erzielende Tarifgehalt wird zur Sicherung des Lebensunterhaltes des alleinstehenden und kinderlosen Antragstellers aller Voraussicht nach ausreichen. Da es sich um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung handelt, besteht auch ein ausreichender gesetzlicher Krankenversicherungsschutz. Das Einkommen liegt entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin über dem sozialhilferechtlichen Bedarf, da die Antragsgegnerin zu Unrecht bei der Berechnung des fiktiven zur Verfügung stehenden Einkommens den Freibetrag für Erwerbstätigkeit nach § 11 b Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II zu Lasten des Antragstellers abgesetzt hat. Dies ist bei der Prüfung der Frage, ob ein Aufenthaltstitel einem langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen zu erteilen ist, nicht zulässig. Die Kammer hat dies bereits hinsichtlich eines Einbürgerungsanspruchs entschieden (Urteil vom 26. Juni 2014 - 10 A 5640/12 -, juris) und sich dabei an der Rechtsprechung zu Ansprüchen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln orientiert (VG Berlin, Urteil vom 26.06.2012 - 5 K 258.10 V -, BeckRS 2012, 53659; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.10.2011 - OVG 11 B 3.10 -, BeckRS 2011, 56632; Hess VGH, Beschl. v. 14.03.2006 - 9 TG 512/06 -, juris; vgl. auch VGH München, Beschluss vom 08.02.2011 - 10 C 11.44 -, BeckRS 2011, 32827; OVG Lüneburg, Beschluss vom 02.02.2011 - 11 ME 441/10 -, BeckRS 2011, 46690). Die Frage ist auch vom Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 16.11.2010 - 1 C 20.09 -, BeckRS 2011, 46813) im Sinne dieser Rechtsprechung entschieden worden. Im Einzelnen gelten dieselben Erwägungen wie in dem Kammerurteil vom 26. Juni 2014:
„Zwar gehört die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Einbürgerungsbewerbers im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den gesetzlichen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit das den Einbürgerungsbehörden nach § 8 Abs. 1 StAG eingeräumte Ermessen eröffnet ist (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 06.02.2013, a.a.O.). Dabei ist es - anders als bei der Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG - im Rahmen von § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG ohne Belang, ob zwischen einem vom Ausländer zu verantwortenden Verhalten und dessen Unfähigkeit, sich und seine Angehörigen zu ernähren, ein objektiver Zurechnungszusammenhang besteht (BVerwG, Beschl. v. 06.02.2013, a.a.O.).
Allerdings ist aus Sicht der Kammer eine schematische Übertragung aller Regelungen des SGB II auf die Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Ausländers im Staatsangehörigkeitsrecht nicht geboten. Die Vorschriften zu den Absetzbeträgen für Erwerbstätigkeit nach § 11 b Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II finden im Hinblick auf die Frage, ob ein Einbürgerungsbewerber dazu imstande ist, sich und seine Angehörigen zu ernähren, keine Anwendung, da die fiktive Minderung der tatsächlich verfügbaren Eigenmittel um die nach § 11 b Abs. 3 SGB II zugebilligten Freibeträge im Staats-angehörigkeitsrecht nicht gerechtfertigt ist.
Maßgeblich für diese Auslegung ist die Zielrichtung, die der Gesetzgeber mit der Berücksichtigung der Freibeträge nach § 11 b Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II verfolgt. Die Neuregelung der Erwerbstätigenfreibeträge im Kontext des SGB II sollte die Anreize zur Aufnahme einer voll sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung für Bedarfsgemeinschaften mit Arbeitslosengeld II-Bezug erhöhen (BT-Drs. 17/3404, S. 95), wobei die Freibeträge höher liegen als es der regelmäßigen Praxis bei der Anrechnung noch unter Geltung des früheren Bundessozialhilfegesetzes entsprach (Löns/Herold-Tews, SGB II-Kommentar, 2005, § 11, Rn. 13). An anderer Stelle heißt es dazu in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/3404, S. 44) wie folgt:
„Arbeit und Leistung müssen sich lohnen. Wenn man arbeitet, muss man mehr haben als wenn man nicht arbeitet.“
Diese Privilegierung des Arbeitseinkommens nach dem SGB II würde statt der intendierten Besserstellung für den Einbürgerungsbewerber faktisch nachteilige Wirkungen entfalten, obwohl es sich lediglich um fiktive Absetzbeträge handelt, die das Einkommen des Einbürgerungsbewerbers tatsächlich nicht vermindern (so auch zur Berücksichtigung der Absetzbeträge nach § 11 b Abs. 3 SGB II bei der Entscheidung über einen Aufenthaltstitel: Hess VGH, Beschl. v. 14.03.2006 - 9 TG 512/06 -, juris; VG Berlin, Urt. v. 23.09.2005 - 25 A 329.02 - juris).
Soweit eine Anrechnung der nach § 11 b Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II ermittelten Freibeträge pauschal unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Berechnung des zur Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne von § 2 Abs. 3 AufenthG (Urt. v. 26.08.2008 - 1 C 32/07 - juris) vorgenommen wird (so z.B. Marx in: GK-StAR, Stand: Dez. 2013, § 8, Rn. 141), rechtfertigt dies keine andere Bewertung.
Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in der vorzitierten Entscheidung vom 26.08.2008 im Kontext eines aufenthaltsrechtlichen Verfahrens zunächst die Auffassung vertreten, dass bei der Bestimmung des zur Verfügung stehenden Einkommens zur Sicherung des Lebensunterhalts im Aufenthaltsrecht sämtliche in § 11 Abs. 2 SGB II a.F. (jetzt § 11 b SGB II) genannten Beträge abzusetzen sind, weil der Lebensunterhalt dann nicht gesichert ist, wenn ein Anspruch auf aufstockende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II besteht:
„Dies lässt sich zwar nicht schon aus dem Wortlaut der Vorschrift herleiten. Denn die Formulierung, der Ausländer müsse seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten "können", lässt auch eine Interpretation im Sinne der Auffassung der Revision zu. Es ergibt sich aber aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift in Verbindung mit den Gesetzesmaterialien und der systematischen Stellung im Rahmen des Aufenthaltsgesetzes. Der Sinn und Zweck der Regelung besteht, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, darin, neue Belastungen für die öffentlichen Haushalte zu vermeiden. Die Lebensunterhaltssicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 AufenthG wird in der Begründung des Gesetzentwurfs als eine der Erteilungsvoraussetzungen von grundlegendem staatlichen Interesse und als wichtigste Voraussetzung, um die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern, bezeichnet (BTDrucks 15/420 S. 70). Dies spricht dafür, dass im Falle eines voraussichtlichen Anspruchs auf öffentliche Mittel - sofern sie nicht ausdrücklich nach § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer Betracht zu bleiben haben - der Lebensunterhalt nicht als gesichert angesehen werden kann, da dann auch eine Inanspruchnahme dieser Mittel zu erwarten oder jedenfalls nicht auszuschließen ist. Ob die Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden, ist nach dem gesetzgeberischen Regelungsmodell unerheblich. Dies wird u.a. auch durch die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 27 Abs. 3 AufenthG bestätigt, in der zu dem vergleichbaren Erfordernis des Angewiesenseins auf Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs ausgeführt wird, es komme wie im bisherigen Recht "nur auf das Bestehen eines Anspruchs auf Sozialhilfe, d.h. das Vorliegen der Voraussetzungen, nicht auf die tatsächliche Inanspruchnahme an" (BTDrucks 15/420 S. 81).“
Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht diese Rechtsprechung in seinem Urteil vom 16.11.2010 (1 C 20/09, juris) im Zusammenhang mit dem Ehegattennachzug unter Hinweis auf höherrangiges Recht (Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 - AB L 2003/251 vom 3. Oktober 2003, sog. Familienzusammenführungsrichtlinie) korrigiert:
„Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 4. März 2010 in der Rechtssache Chakroun (C-578/08) für den Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie entschieden, dass der Begriff der "Sozialhilfeleistungen des ... Mitgliedstaats" ein autonomer Begriff des Unionsrechts ist, der nicht anhand von Begriffen des nationalen Rechts ausgelegt werden kann (Rn. 45). Nach dem Unionsrecht bezieht sich der Begriff "Sozialhilfe" in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie auf Unterstützungsleistungen, die einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften ausgleichen (Rn. 49). Unter diesen unionsrechtlichen Begriff der Sozialhilfe fällt aber nicht der Freibetrag für Erwerbstätigkeit nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II, der in erster Linie aus arbeitsmarkt- bzw. beschäftigungspolitischen Gründen gewährt wird und eine Anreizfunktion zur Aufnahme bzw. Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit haben soll (vgl. Urteil vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 22), nicht aber einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgleicht. Dieser Freibetrag darf daher bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie nicht zu Lasten des nachzugswilligen Ausländers angerechnet werden.
Die in § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II pauschaliert erfassten Werbungskosten stellen hingegen im Grundsatz Aufwendungen dar, die die tatsächlich verfügbaren Einkünfte eines Erwerbstätigen reduzieren, sodass ihrer Berücksichtigung bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht entgegensteht. Allerdings ist dem Gebot der individualisierten Prüfung jedes einzelnen Antrags auf Familienzusammenführung gemäß Art. 17 der Richtlinie dadurch Rechnung zu tragen, dass der Ausländer einen geringeren Bedarf als die gesetzlich veranschlagten 100 € nachweisen kann.“
Gleichzeitig hat das Bundesverwaltungsgericht in einer weiteren Entscheidung vom selben Tag (1 C 21/09, juris) klargestellt, dass außerhalb des Anwendungsbereiches der Familienzusammenführungsrichtlinie oder sonstiger unionsrechtlicher Vorgaben aufenthaltsrechtlich bei der Berechnung des Hilfebedarfs auch weiterhin die Bestimmungen des SGB II hinsichtlich des Freibetrags für Erwerbstätigkeit nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II (a.F.) und der Werbungskostenpauschale nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II (a.F.) maßgeblich sind. In diesem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Verfahren ging es um die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen an einen Staatsangehörigen aus Sri Lanka, bei der keine unionsrechtlichen Vorgaben zu beachten waren, so dass nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts - wie in der Entscheidung vom 26.08.2008 bereits ausgeführt - die Vermeidung (neuer) Belastungen für die öffentlichen Haushalte bei dauerhaftem Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ein grundlegendes staatliches Interesse darstellte und keine weitergehende Korrektur wie bei Fällen im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie erforderte.
Hinsichtlich des Antragstellers, der über eine italienische Daueraufenthaltserlaubnis verfügt, bestehen - wie bei der Familiennachzugsrichtlinie - unionsrechtliche Vorgaben, die die Antragsgegnerin hindern, die beanstandete Absetzung vorzunehmen. § 38 a AufenthG setzt die Richtlinie 2003/109/EG betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen um (Klaus Dienelt, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage 2013, § 38a AufenthG, Rn. 1). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 4. März 2010 in der Rechtssache Chakroun (C-578/08 -, NVwZ 2010, 697 [EuGH 04.03.2010 - Rs. C-578/08]), darauf abgestellt, dass Art. 4 der Richtlinie 2003/86/EG (Familiennachzugsrichtlinie) ihrem Wortlaut nach („… gestatten die Mitgliedsstaaten … folgenden Familienangehörigen die Einreise und den Aufenthalt“) es den Mitgliedsstatten nicht erlaubt, eine Regelung für die Familienzusammenführung zu treffen, die dazu führt, dass die Familienzusammenführung einem Zusammenführenden nicht gestattet wird, der nachgewiesen hat, dass er über ausreichend feste und regelmäßige Einkünfte verfügt. Die Bestimmung in Art. 7 Abs. 1 lit. c Familiennachzugsrichtlinie, wonach der Mitgliedsstaat verlangen dürfe, dass der Zusammenführende über feste und regelmäßige Einkünfte verfüge, die ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen, sei deshalb so zu verstehen, dass er nur die allgemeinen notwendigen Kosten bestreiten können müsse, nicht aber zusätzlich einkommensunterstützende Maßnahmen. Entsprechend Art. 4 Familiennachzugsrichtlinie gestattet Art. 14 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/109/EG einem langfristig Daueraufenthaltsberechtigten einen längeren als dreimonatigen Aufenthalt zur Ausübung der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedsstaat. Von diesen Drittstaatsangehörigen können die Mitgliedsstaaten - wie auch in Art. 7 Abs. 1 lit. c Familiennachzugsrichtlinie geregelt - verlangen, dass die Person feste und regelmäßige Einkünfte nachweist, die ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen für ihren eigenen Lebensunterhalt und den ihrer Familienangehörigen ausreichen. Die „Sozialhilfe“ erfasst in jedem Fall nur Leistungen, die von öffentlichen Behörden zur Kompensation des Mangels an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften gewährt werden. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 29.11.2012 - 10 C 4/12 u. a. -, NVwZ 2013, 947) für den Anwendungsbereich der Familiennachtzugsrichtlinie entschieden, dasselbe muss nach Auffassung der Kammer für Personen gelten, die von der Richtlinie 2003/109/EG begünstigt sind.
b. Der Antragsteller hat zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, gleichwohl kommt ein solcher Anspruch für ihn in Betracht, wenn die Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AufenthG von dem Erfordernis absieht, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist, weil die übrigen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind.
Dem Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis steht entgegen, dass auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG grundsätzlich an die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit einem erforderlichen Visum nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zum langfristigen Aufenthalt geknüpft ist (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6.1.2011 - 18 B 1662/10 -, juris, Hessischer VGH, Beschluss vom 30.7.2013 - 6 B 1170/13 -, VG Aachen, Urteil vom 23.4.2014 - 8 K 1515/12 -). Der Antragsteller ist ohne Visum eingereist.
Der Antragsteller ist nicht nach dem Recht der Europäischen Union im Sinne von § 4 Abs. 1 AufenthG von dem Erfordernis eines Visums für einen langfristigen Aufenthalt befreit. Nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumspflicht befreit sind (EG-Visa-VO), müssen Staatsangehörige der Drittländer, die wie Ghana in der Liste im Anhang I aufgeführt sind, bei Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten im Besitz eines Visums sein. Sonstige Ausnahmen, insbesondere nach Art. 4 EG-Visa-VO sind nicht erkennbar.
Nach Art. 21 SDÜ in Verbindung mit § 15 AufenthV ist der Antragsteller nicht von der Visumspflicht befreit. Zwar sind danach Drittausländern, d. h. Staatsangehörigen von Nicht-EU-Staaten wie dem Antragsteller, die Inhaber eines gültigen, von einem der Mitgliedstaaten ausgestellten Aufenthaltstitels sind, aufgrund dieses Dokuments und eines gültigen Reiseausweises die Einreise und ein Aufenthalt bis zu neunzig Tagen je Zeitraum von einhundertachtzig Tagen im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten erlaubt, sofern sie die allgemeinen Einreisevoraussetzungen erfüllen und nicht auf der nationalen Ausschreibungsliste des betroffenen Mitgliedsstaates stehen. Der Vorteil entfällt aber nach Ablauf des 90tägigen erlaubten Aufenthalts und die Visumspflicht lebt wieder auf.
Der Antragsteller ist auch nicht gemäß § 39 Nr. 6, 2. Halbsatz Aufenthaltsverordnung (AufenthV), der auf § 41 Abs. 3 AufenthV verweist, von dem Erfordernis eines Visums befreit. Danach kann der Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er einen von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitel besitzt und auf Grund dieses Aufenthaltstitels berechtigt ist, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind. Der Antragsteller ist im Besitz einer italienischen Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG (permesso soggiornante di lungo periodo - CE), aufgrund derer er gemäß Art. 21 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) grundsätzlich zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt ist. Ein Anspruch aus § 39 Nr. 6 AufentV wächst ihm aber nur zu, wenn er während des nach § 21 SDÜ erlaubten Aufenthalts im Inland die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6.1.2011 - 18 B 1662/10 -, juris, Hessischer VGH, Beschluss vom 30.7.2013 - 6 B 1170/13 -, VG Aachen, Urteil vom 23.4.2014 - 8 K 1515/12) und den Antrag während dieses rechtmäßigen Aufenthalts stellt (§ 41 Abs. 3 AufenthV).
Diese Auslegung des § 39 Nr. 6 AufenthV folgt schon aus dem Wortlaut der Norm, der nicht nur darauf abstellt, dass der Ausländer einen von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitel besitzt und aufgrund dieses Aufenthaltstitels berechtigt ist, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, sondern auch fordert, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind. Damit wird an einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis angeknüpft, der sich unmittelbar an den rechtmäßigen Aufenthalt anschließt. In diesen Fällen soll der Ausländer nicht allein aufgrund der formalen Voraussetzung des fehlenden Visumverfahrens wieder ausreisen müssen (vgl. zum Vorstehenden OVG NRW, Beschluss vom 6.1.2011 - 18 B 1662/10 -, juris, Hessischer VGH, Beschluss vom 30.7.2013 - 6 B 1170/13 -, VG Aachen, Urteil vom 23.4.2014 - 8 K 1515/12). § 39 Nr. 6 AufenthV setzt voraus, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind. Dies ist - wie oben ausgeführt - der Fall.
Ungewiss ist im Falle des Antragstellers, ob die Antragsgegnerin angesichts der Tatsache, dass er die übrigen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis (ansonsten) offensichtlich erfüllt, nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf die Einhaltung des Visumsverfahrens nach eigenem Ermessen verzichtet. Eine solche Ermessensentscheidung zugunsten des Antragstellers hat die Antragsgegnerin bislang nicht getroffen, im Klageverfahren stände sie der Spruchreife des Verpflichtungsausspruchs entgegen und wäre Anlass für das Gericht, die Behörde zur Neubescheidung zu verpflichten. Dass sich das Ermessen der Antragsgegnerin so verengt hat, dass nur eine Entscheidung zugunsten des Antragstellers in Betracht kommt, ist nicht ersichtlich. Der Gedanke des § 39 Nr. 6 AufenthV, auf die Beantragung eines Visums vor der Einreise zu verzichten, betrifft nach § 41 Abs. 3 AufenthV nur Anträge, die innerhalb des Aufenthalts von 90 Tagen nach Einreise gestellt werden und alle übrigen Erteilungsvoraussetzungen erfüllen. Das hier zu entscheidende Verfahren soll der Antragsgegnerin Raum zu der Entscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG geben.
3. Die Abschiebungsandrohung kann danach auch keinen Bestand mehr haben.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.