Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 20.01.2016, Az.: 10 A 11114/14
Anfechtung; Aufenthaltserlaubnis; Behördenanfechtung; behördliche Anfechtung; Elternteil minderjähriger Deutscher; Feststellung Nichtbestehen deutscher Staatsangehörigkeit; Nichtbestehen deutscher Vaterschaft; Nichtigerklärung; Vaterschaftsanerkennung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 20.01.2016
- Aktenzeichen
- 10 A 11114/14
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 43187
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 28 Abs 1 Nr 3 AufenthG
- § 1600 Abs 1 Nr 5 BGB
- § 79 Abs 2 BVerfGG
- § 3 Abs 1 Nr 1 RuStAG
- § 30 RuStAG
- § 4 Abs 1 RuStAG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Der Rechtsgedanke des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG verbietet es, ab Nichtigerklärung des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB (sog. Behördenanfechtung) durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013 (1 BvL 6/10) staatsangehörigkeitsrechtliche Folgen aus einer rechtskräftigen familiengerichtlichen Feststellung des Nichtbestehens der deutschen Vaterschaft zu ziehen.
2. Zwar bleibt die rechtskräftige Feststellung der Nichtbestehens der deutschen Vaterschaft nach § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfG trotz Feststellung der Nichtigkeit der ihr zugrundeliegenden Vorschrift des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB unberührt. Allerdings darf ab Ergehen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Nichtigkeit der behördlichen Anfechtung einer Vaterschaftsanerkennung die faktische Vollstreckung dieser Entscheidung durch den automatischen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit entsprechend der Regelung in § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG nicht mehr erfolgen.
3. Gleiches gilt für die bestandskräftige behördliche Feststellung des Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit, die ebenfalls seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB keine Folgen mehr für den Betroffenen entfalten kann.
Tenor:
Die an die Klägerin zu 1.), die Klägerin zu 2.) und den Kläger zu 3.) gerichteten Bescheide der Beklagten vom 07.07.2014 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin zu 1.) eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zu erteilen.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger zu 3.) einen deutschen Reisepass auszustellen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Tatbestand:
Die Kläger begehren die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis der Klägerin zu 1), die Aufhebung der Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis der Klägerin zu 2), sowie die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger zu 3.) einen deutschen Reisepass auszustellen, hilfsweise ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Die - unverheiratete - Klägerin zu 1.), eine im Jahr 1979 geborene nigerianische Staatsangehörige, reiste am 12.01.2004 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihr Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte und auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 26.07.2005 (7 A 107/04) rechtskräftig abgelehnt.
Am 04.08.2004 brachte die Klägerin zu 1.) ihre Tochter , die Klägerin zu 2.), zur Welt, am 10.10.2006 ihren Sohn , den Kläger zu 3.). Ausweislich der Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft vor der Geburt erklärte der österreichische Staatsangehörige H. am 03.08.2004, der Vater der Klägerin zu 2.) zu sein. Mit Schreiben vom 22.12.2004 teilte das Standesamt Essen mit, dass für die Klägerin zu 2.) keine Bescheinigung über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß § 4 Abs. 3 StAG ausgestellt werden könne, da der Kindesvater vom letzten zuständigen Meldeamt registerbereinigt wurde und sein derzeitiger Wohnsitz unbekannt sei. Ausweislich der Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft vor Geburt des Kindes erklärte der deutsche Staatsangehörige Heinrich Albert Alfred Kuhn am 25.09.2006, Vater des Klägers zu 3.) zu sein.
Daraufhin wurde der Klägerin zu 1.) erstmals am 21.02.2007 eine bis zum 20.08.2007 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG erteilt, die fortlaufend, zuletzt am 22.12.2011 bis zum 21.12.2012, verlängert worden ist. Gleichzeitig wurde der Klägerin zu 2.) am 16.08.2007 nach 32 Abs. 3 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 21.03.2008 erteilt und gemäß § 34 Abs. 1 AufenthG am 10.03.2008 bis zum 04.08.2020 verlängert.
Mit Schreiben vom 13.10.2010 teilte der Landkreis Emsland der Beklagten mit, dass der nigerianische Staatsangehörige I. angegeben habe, der biologische Vater der Klägerin zu 2.) zu sein. Nach Einholung eines molekulargenetischen Abstammungsgutachtens stellte das Amtsgericht A-Stadt - auf Antrag des Herrn J. - mit (rechtskräftigem) Beschluss vom 27.12.2011 fest, dass nicht Herr K., sondern Herr J. der Vater der Klägerin zu 2.) ist. Auf die - von der Beklagten beantragte - Anfechtung der Vaterschaftsanerkennung des deutschen Staatsangehörigen Heinrich Albert Alfred Kuhn für den Kläger zu 3.) stellte das Amtsgericht A-Stadt mit rechtskräftigem Beschluss vom 05.03.2012 fest, dass Herr Kuhn nicht der Vater des Klägers zu 3.) ist.
Unter dem 13.09.2013 beantragten die Klägerin zu 1.) und Herr J. bei der Beklagten die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 2.) und des Klägers zu 3.). Mit (bestandskräftigem) Bescheid vom 11.10.2013 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger zu 3.) nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Aufgrund der erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaftserkennung durch die Beklagte gemäß Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vom 05.03.2012 habe der Kläger zu 3.) rückwirkend auf den Zeitpunkt der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit verloren. Da es sich um eine behördliche Vaterschaftsanfechtung gehandelt habe, sei es unerheblich, dass er zum Zeitpunkt der Anfechtung bereits das 5. Lebensjahr vollendet hatte. Ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 3 StAG scheide aus, weil sich weder die Klägerin zu 1.) noch Herr J. zum Zeitpunkt der Geburt bereits acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hätten. Der Kläger zu 3.) besitze derzeit die nigerianische Staatsangehörigkeit.
Nach Anhörung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.07.2014, zugestellt am 08.07.2014, den Antrag der Klägerin zu 1.) vom 09.11.2012 auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis ab und drohte ihr die Abschiebung nach Nigeria an. Da der Kläger zu 3.), von dem sie ihren Aufenthaltstitel nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG abgeleitet habe, keine deutsche Staatsangehörigkeit mehr besitze, habe sie keinen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Sonstige Rechtsgrundlagen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis seien nicht ersichtlich.
Gleichzeitig verkürzte die Beklagte mit Bescheid vom 07.07.2014, zugestellt am 08.07.2014, die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis der Klägerin zu 2.) bis zum Tag der Zustellung dieser Verfügung und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Verfügung an. Da der Antrag der Klägerin zu 1.) auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt worden sei und auch der Vater der Klägerin zu 2.) lediglich im Besitz einer Duldung sei, erfülle sie nicht die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 1 AufenthG. Zudem habe sie auch kein Recht auf Wiederkehr nach § 37 AufenthG. Bei der Ermessensentscheidung über die Verkürzung der Aufenthaltserlaubnis überwiege das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts das private Interesse der Klägerin zu 2.) an ihrem Verbleib im Bundesgebiet, zumal ihr die Aufenthaltserlaubnis nur zur gemeinsamen Lebensführung mit der Klägerin zu 1.) erteilt worden sei und sie keine schutzwürdigen Bindungen im Bundesgebiet besitze. Obwohl der Klägerin zu 1.) die Erwerbstätigkeit gestattet sei, könne sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln sichern, sondern beziehe Leistungen nach dem SGB II und belaste damit den öffentlichen Haushalt. Zudem wäre der weitere Aufenthalt der Klägerin zu 2.) dazu geeignet, ihre Integration in die Verhältnisse der Bundesrepublik zu fördern und die Reintegration in die Verhältnisse des Heimatlandes zu erschweren und damit auch die Durchsetzung dieser Verfügung erheblich zu beeinträchtigen.
Ebenfalls mit Bescheid vom 07.07.2014, zugestellt am 08.07.2014, lehnte die Beklagte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Kläger zu 3.) ab. Da weder die Klägerin zu 1.) noch der mutmaßliche Kindsvater, Herr J., im Besitz eines Aufenthaltstitels seien, lägen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG nicht vor.
Gegen die Bescheide vom 07.07.2014 haben die Kläger am 08.08.2014 Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Dem Eilantrag hat die Kammer mit Beschluss vom 11.02.2015 (10 B 11117/14) im Wesentlichen entsprochen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beklagten hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 09.04.2015 (4 ME 71/15) zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht unter anderem ausgeführt, dass zwar der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen anzusehen sei, weil sich die Klagen weder als offensichtlich begründet noch als offensichtlich unbegründet erwiesen, dass jedoch bei einer reinen Abwägung der widerstreitenden Interessen das Interesse der Kläger an ihrem Verbleib im Bundesgebiet bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens gegenüber dem öffentlichen Interesse an einem sofortigen Verlassen des Bundesgebietes überwiege. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe in den Beschlüssen vom 11.02.2015 (10 B 11117/14) und vom 09.04.2015 (4 ME 71/15) verwiesen.
Zur Begründung von Klage (und Eilantrag) verweisen die Kläger im Wesentlichen darauf, dass das Bundesverfassungsgericht die Vorschriften zur behördlichen Anfechtung der Vaterschaftsanerkennung mit Beschluss vom 17.12.2013 (1 BvL 6/10) für verfassungswidrig erklärt habe, so dass aus der behördlichen Anfechtung der Vaterschaftserkennung für den Kläger zu 3.) keine staatsangehörigkeitsrechtlichen Konsequenzen abgeleitet werden dürften. Daher sei die Beklagte verpflichtet, ihm seinen deutschen Pass herauszugeben bzw. ihm einen neuen Pass auszustellen. Hilfsweise werde ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geltend gemacht, da er Vertrauensschutz genieße und - in der Schule und im Fußballverein - gut integriert sei. Die Verkürzung der Aufenthaltserlaubnis für die Klägerin zu 2.) könne nicht auf § 34 Abs. 1 AufenthG gestützt werden, da in dieser Vorschrift nur die Voraussetzungen für eine Verlängerung geregelt seien, ihr aber bereits eine Aufenthaltserlaubnis bis ins Jahr 2020 erteilt worden sei. Zudem genieße sie Vertrauensschutz, da sie ihr bisheriges Leben ausschließlich in Deutschland verbracht habe und - durch erfolgreichen Schulbesuch - gut integriert sei. Gleiches gelte für die Klägerin zu 1.), die zwischenzeitlich das Zertifikat „Deutsch-Test für Zuwanderer B1“ und das Zertifikat „Deutsch als Fremdsprache in der Wirtschaft“ erworben habe, erfolgreich an einem Integrationskurs sowie an weiteren Qualifizierungsmaßnahmen teilgenommen habe und im Juni 2015 im Förderprogramm des Job-Centers auch die Qualifizierung als Hauswirtschafterin erfolgreich abgeschlossen habe. Zudem könne sie ein Aufenthaltsrecht über die Kläger zu 2.) und 3.) geltend machen.
Die Kläger beantragen,
die Bescheide der Beklagten vom 7. Juli 2014 gegenüber den Klägern zu 1.), 2.) und 3.) aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin zu 1.) eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger zu 3.) einen deutschen Reisepass auszustellen, hilfsweise eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und hält ihre Ermessenserwägungen zur Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis der Klägerin zu 2.) nach § 7 Abs. 2 AufenthG für rechtmäßig. Die Kläger könnten ihre familiäre Lebensgemeinschaft in Nigeria fortführen. Ihnen sei auch nicht in Hinblick auf eine mögliche Verwurzelung in Deutschland infolge fortgeschrittener beruflicher und sozialer Integration ein Aufenthaltstitel zu gewähren. Der Klägerin zu 1.) sei unter Berücksichtigung ihrer Einreise als Erwachsene, des dauerhaften Bezugs von Leistungen nach dem SGB II und den bisher nur geringen Zeiten der Erwerbstätigkeit noch keine vollständige Integration in Deutschland gelungen. In Hinblick auf die Kläger zu 2.) und 3.) sei allein wegen der Aufenthaltsdauer und des Schulbesuchs nicht davon auszugehen, dass sie derartig fest im Bundesgebiet verankert seien, dass eine Integration in Nigeria nicht mehr erwartet werden könne. Dabei sei zu berücksichtigen, dass minderjährige Kinder grundsätzlich aufenthaltsrechtlich das Schicksal der Eltern teilten. Im Übrigen sei ein deutscher Pass des Klägers zu 3.) nicht im Verwaltungsvorgang vorhanden.
Mit Email vom 15.10.2014 teilte das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport den Landkreisen, kreisfreien Städten, großen selbständigen Städten, der Region A-Stadt, der Beklagten, der Stadt Göttingen und der Landesaufnahmebehörde - unter Hinweis auf einen Vermerk des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 08.05.2014 - mit, dass aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur behördlichen Anfechtung von Vaterschaftsanerkennungen vom 17.12.2013 auch in den Fällen erfolgreicher rechtskräftiger behördlicher Vaterschaftsanfechtungen kein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit eingetreten sei; dies gelte selbst dann, wenn das Nichtbestehen der Vaterschaft unwiderruflich festgestellt worden sei.
Die Beklagte hält die Ausführungen des BMI zu den Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für den Fall der Kläger nicht für einschlägig. Sowohl der Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt über das Nichtbestehen der Vaterschaft als auch ihr Bescheid über das Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit seien vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts rechts- bzw. bestandskräftig geworden. Der Rechtsauffassung des BMI, die lediglich informatorisch und nicht im Wege der Anweisung weitergeleitet worden sei, sei nicht zu entnehmen, dass auch in den Fällen, in denen bereits ein Verfahren zur Feststellung des Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 30 StAG bestandskräftig abgeschlossen worden sei, kein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit eingetreten sein solle. Dies liege auch weder nach den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften noch nach den Regelungen zur Bindungswirkung und den Konsequenzen von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nahe. § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG statuiere eine prinzipielle Fortbestandsgarantie und ein Rückabwicklungsverbot für rechtsbeständig gewordene Normvollzugsakte. Die Regelungen zu den Wirkungen der Nichtigerklärung von Gesetzen in § 79 Abs. 2 BVerfG führten nicht dazu, dass die rechtskräftige Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft und des Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit für den Kläger zu 3.) folgenlos blieben; vielmehr habe er seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klagen haben Erfolg.
I. Die Klägerin zu 1.) hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG; der diesem Anspruch entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 07.07.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 1.) in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Dabei ist sie gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und Nr. 3 abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen.
Streitig ist zwischen den Beteiligten allein, ob der Kläger zu 3.) (noch) über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt und die Klägerin zu 1.) als Elternteil des minderjährigen Klägers zu 3.) daraus ein Aufenthaltsrecht nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG herleiten kann.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist von einer deutschen Staatsangehörigkeit des Klägers zu 3.) auszugehen, denn er hat sie nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG durch die Anerkennung der Vaterschaft des Albert Alfred Kuhn mit seiner Geburt erworben. Auf einen Verlust der Staatsangehörigkeit kann sich die Beklagte nicht (mehr) berufen.
Das Gegenteil folgt weder aus der - rechtskräftigen - Entscheidung des Amtsgerichts A-Stadt vom 05.03.2012 über das Nichtbestehen der Vaterschaft aufgrund einer erfolgreichen behördlichen Anfechtung der Vaterschaftsanerkennung für den Kläger zu 3.) durch den deutschen Staatsangehörigen Heinrich Albert Alfred Kuhn im Jahr 2006 nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB, noch aus dem - bestandskräftigen - Feststellungsbescheid der Beklagten vom 11.10.2013 über das Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit des Klägers zu 3) aus § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG.
Zwar führt die familienrechtliche Entscheidung über das Nichtbestehen der Vaterschaft nach erfolgreicher behördlicher Anfechtung der Vaterschaftsanerkennung staatsangehörigkeitsrechtlich dazu, dass die Voraussetzungen für den Staatsangehörigkeitserwerb des Kindes nie vorgelegen haben und sich hieran auch aufenthaltsrechtliche Folgen knüpfen. Das hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 17.12.2013 (1 BvL 6/10, juris) wie folgt dargelegt:
„Hat die Vaterschaftsanfechtungsklage Erfolg, entfallen die durch die Vaterschaftsanerkennung begründete Staatsangehörigkeit des Kindes und das Aufenthaltsrecht der Mutter. Mit der formellen Rechtskraft der Entscheidung über das Nichtbestehen der Vaterschaft fallen rückwirkend auf den Tag der Geburt des Kindes sowohl die bisherige Vaterschaftszuordnung als auch die deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes weg. Der Verlust der Staatsangehörigkeit durch Vaterschaftsanfechtung ist zwar nicht ausdrücklich geregelt. Er wird aber aus der generellen Anknüpfung des Abstammungserwerbs der Staatsangehörigkeit an das familienrechtliche Abstammungsrecht abgeleitet. Abstammungsrechtlich fällt die Vaterschaft bei erfolgreicher Anfechtung nach ständiger Rechtsprechung der Zivilgerichte rückwirkend weg (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2012 - XII ZR 194/09 -, NJW 2012, S. 852; stRspr). Mit dem rückwirkenden Wegfall der Vaterschaft entfällt nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ex tunc auch die nach § 4 Abs. 1 oder Abs. 3 StAG auf Abstammung gründende deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes. Denn bei rückwirkendem Wegfall der Vaterschaft haben bei nachträglicher Betrachtung auch die Voraussetzungen für den auf die Abstammung gestützten Staatsangehörigkeitserwerb des Kindes nie vorgelegen (vgl. nur VG Düsseldorf, Urteil vom 10. September 1985 - 17 K 10.419/85 -, NJW 1986, S. 676; VG Gießen, Urteil vom 8. November 1999 - 10 E 960/99 -, juris, Rn. 14; OVG Hamburg, Beschluss vom 10. Februar 2004 - 3 Bf 238/03 -, NVwZ-RR 2005, S. 212 <213>; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 1. Oktober 2004 - 2 M 441/04 -, juris, Rn. 6; OVG NRW, Beschluss vom 31. Juli 2007 - 18 A 2065/06 -, juris, Rn. 8; Bay. VGH, Beschluss vom 11. September 2007 - 5 CS 07.1921 -, juris, Rn. 3). Mit dem Wegfall der Staatsangehörigkeit des Kindes verliert nicht nur dieses sein mit der Staatsangehörigkeit verbundenes Aufenthaltsrecht, vielmehr entfällt auch das Aufenthaltsrecht seiner Mutter, das die deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes voraussetzt (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Gerade dies ist der Zweck der Behördenanfechtung.“
Doch stellt dieselbe Entscheidung ebenso fest, dass die in § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB getroffene Regelung der behördlichen Vaterschaftsanfechtung eine absolut verbotene Entziehung der Staatsangehörigkeit darstellt, weil der mit der Behördenanfechtung verbundene Wegfall der Staatsangehörigkeit durch die Betroffenen gar nicht, teils nicht in zumutbarer Weise beeinflussbar ist und hat diese Regelung für verfassungswidrig und damit für nichtig erklärt. Zum einen genüge sie nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen sonstigen Verlust der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG), weil sie keine Möglichkeit biete, zu berücksichtigen, ob das Kind staatenlos wird, zum anderen fehle es an einer dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts genügenden Regelung des Staatsangehörigkeitsverlusts sowie einer angemessenen Fristen- und Altersregelung.
Die Folgen des Verbots der Entziehung der Staatsangehörigkeit aufgrund behördlicher Vaterschaftsanfechtung regelt § 79 Abs. 2 BVerfGG.
Nach § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG bleiben - vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen Vorschrift des § 95 Abs. 2 BVerfGG oder einer besonderen gesetzlichen Regelung - die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Dies bedeutet zunächst, dass die amtsgerichtliche Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft des deutschen Staatsangehörigen Heinrich Albert Alfred Kuhn für den Kläger zu 3.) auch nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013 (a.a.O.) gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG rechtskräftig bleibt.
Nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG ist die Vollstreckung aus einer solchen (nicht mehr anfechtbaren) Entscheidung jedoch unzulässig. Die Bestimmung ist im Kontext mit der Regelung in § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG so zu verstehen, dass für die Zukunft die aus einer zwangsweisen Durchsetzung der (unanfechtbaren) verfassungswidrigen Entscheidung - hier des Urteils des Amtsgerichts vom 05.03.2012 bzw. des Feststellungsbescheides vom 11.10.2013 - sich ergebenden Folgen abgewendet werden sollen.
Das Bundesverfassungsgericht geht in Hinblick auf die Regelungen in § 79 Abs. 2 BVerfGG in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich davon aus, dass „Rechtsfrieden und Rechtssicherheit dem Rechtsschutz des Einzelnen vorgehen“ (BVerfG, Urt. v. 01.07.1953 - 1 BvL 23/51 - juris), die Rechtssicherheit also höher zu bewerten ist als die Gerechtigkeit im Einzelfall (BVerfG, Beschl. v. 12.12.1957 - 1 BvR 678/57 - juris) und unanfechtbar gewordene fehlerhafte Akte der öffentlichen Gewalt nicht rückwirkend aufgehoben und die in der Vergangenheit von ihnen ausgegangenen nachteiligen Wirkungen nicht beseitigt werden (BVerfG, Beschl. v. 11.10.1966 - 1 BvR 178/64 u.a. - juris; BVerfG, Beschl. v. 21.05.1974 - 1 BvL 22/71 u.a. - juris).
Dies führt aber nicht zu einer künftigen Beachtung des Urteils des Amtsgerichts vom 05.03.2012 bzw. des Feststellungsbescheides vom 11.10.2013, denn das Bundesverfassungsgericht hat auf der anderen Seite wiederholt den Regelungen in § 79 Abs. 2 Satz 1, 2 und 4 BVerfGG den Rechtsgedanken entnommen, dass für die Zukunft die aus einer zwangsweisen Durchsetzung der (unanfechtbaren) verfassungswidrigen Entscheidung sich ergebenden Folgen abgewendet werden sollen (BVerfG, Beschl. v. 11.10.1966, a.a.O., Beschl. v. 21.05.1974, a.a.O.; vgl. hierzu Beschl. v. 16.01.1980 - 1 BvR 127, 1 BvR 679/78 -, BVerfGE 53, 115, 130, 131):
„Nach § 79 BVerfGG gebührt bei der Beurteilung der Nichtigkeit von Gesetzesnormen - unbeschadet der Sonderregelung des § 79 Abs. 1 BVerfGG - dem Gedanken der Rechtssicherheit wegen der unabsehbaren Folgen für den Rechtsverkehr regelmäßig der Vorrang vor der Berücksichtigung der Einzelfallgerechtigkeit (BVerfGE 32, 387 [BVerfG 14.03.1972 - 2 BvL 35/71] [389 f.]). Das bedeutet jedoch nicht, daß die Nichtigerklärung grundsätzlich nur für die Zukunft wirkt. Vielmehr sollen nach § 79 Abs. 2 BVerfGG nur die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen (Verwaltungsakte und Gerichtsentscheidungen), die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt bleiben. Die Vorschrift greift nicht ein, wenn die Rechtswirkungen der verfassungswidrigen Norm ohne Zwischenschaltung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts eingetreten sind (BVerfGE 37, 217 [262 f.] m.w.N.). Insoweit ist der allgemeine Rechtsgedanke des § 79 Abs. 2 BVerfGG zu beachten, dass die nachteiligen Folgen, die von fehlerhaften Akten der öffentlichen Gewalt in der Vergangenheit ausgegangen sind, nicht beseitigt werden, dass aber für die Zukunft die sich aus der Durchsetzung solcher Akte ergebenden Folgen abgewendet werden sollen (BVerfGE 37, 217 [263] m.w.N.; 48, 327 [340]).“
In einer weiteren Entscheidung aus dem Jahr 2005 (Beschl. v. 06.12.2005 - 1 BvR 1905/02 - BeckRS 2005, 31716) bestätigt das Bundesverfassungsgericht, dass aus den Regelungen in § 79 Abs. 2 Sätze 2, 3 und 4 BVerfGG der allgemeine Rechtsgedanke abgeleitet werden kann, dass einerseits zwar unanfechtbar gewordene Akte der öffentlichen Gewalt, die auf verfassungswidriger Grundlage zustande gekommen sind, nicht rückwirkend aufgehoben und ihre nachteiligen Wirkungen, die in der Vergangenheit von ihnen ausgegangen sind, nicht beseitigt werden, andererseits jedoch zukünftige Folgen, die sich aus einer zwangsweisen Durchsetzung verfassungswidriger Entscheidungen ergeben würden, abgewendet werden sollen, und dass dieser Rechtsgedanke auch auf die Fälle angewendet wird, in denen die zu vollstreckende Entscheidung auf einer für verfassungswidrig erklärten Auslegung und Anwendung einer zivilrechtlichen Generalklausel beruhte.
Das Vollstreckungsverbot bewirkt, dass der Geltungsanspruch einer auf der Nichtigerklärung beruhenden Entscheidung trotz ihrer Unanfechtbarkeit nicht mehr gegen den Willen des Betroffenen durchgesetzt werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.10.2012 - 2 C 59/11- juris).
Übertragen auf die für verfassungswidrig erklärte Regelung in § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB bedeutet dies, dass § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG der Beklagten verbietet, ab Nichtigerklärung des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB noch staatsangehörigkeitsrechtliche Folgen aus der (rechtskräftigen) amtsgerichtlichen Feststellung des Nichtbestehens der deutschen Vaterschaft für den Kläger zu 3.) zu ziehen.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Regelungen des § 79 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVerfGG unmittelbar oder nur entsprechend anzuwenden sind. Einerseits sind die Rechtswirkungen der verfassungswidrigen Norm des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB (Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft) nicht ohne Zwischenschaltung des (Amts-)Gerichts eingetreten. Andererseits ist der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit des Klägers zu 3.) als (automatische) Rechtsfolge eingetreten, wenn ein Gericht auf Anfechtung hin das Nichtbestehen der die deutsche Staatsangehörigkeit vermittelnden Vaterschaft feststellt (BVerfG, Beschl. v. 24.10.2006 - 2 BvR 696/04 - juris). Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht auch in seinem Beschluss vom 17.12.2013 (a.a.O.) Folgendes ausgeführt:
„Jedoch regeln sie (die familienrechtlichen Vorschriften zur Behördenanfechtung) die Auswirkungen auf die Staatsangehörigkeit des Kindes nicht ausdrücklich. Auch im Staatsangehörigkeitsrecht findet sich keine gesetzliche Regelung, die den Verlust der Staatsangehörigkeit infolge der die Vaterschaft beendenden Behördenanfechtung anordnet. In der Aufzählung der Verlustgründe (§ 17 Abs. 1 StAG) ist diese Verlustform nicht enthalten. Der Wegfall ergibt sich vielmehr aus der Anwendung zweier ungeschriebener Rechtsregeln, an die § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB unausgesprochen anknüpft: Zugrunde liegen erstens die Annahme der Rückwirkung der erfolgreichen Vaterschaftsanerkennung auf den Zeitpunkt der Geburt und zweitens die Annahme, dass das Staatsangehörigkeitsrecht in vollem Umfang den familienrechtlichen Abstammungsvorschriften folgt, so dass die staatsangehörigkeitsrechtlichen Erwerbsvoraussetzungen einheitlich mit der Vaterschaft rückwirkend entfallen (s.o., A.III.2.). Der Gesetzgeber hat dies vorausgesetzt, jedoch nicht klar erkennbar geregelt. Zwar hat die staatsangehörigkeitsrechtliche Folge der behördlichen Vaterschaftsanerkennung im Februar 2009 mittelbar Niederschlag im Gesetz gefunden, indem der Gesetzgeber in § 17 Abs. 2 und 3 StAG für den Staatsangehörigkeitsverlust drittbetroffener Kinder eine Altersgrenze festgesetzt und dabei die Behördenanfechtung ausdrücklich von der Geltung dieser Altersgrenze ausgenommen hat. Diese Bestimmung impliziert, dass die Behördenanfechtung zum Verlust der Staatsangehörigkeit führt. Den strengen Anforderungen, die der Gesetzesvorbehalt an die Regelung der Staatsangehörigkeit stellt, genügt diese nur mittelbare Regelung nicht.“
Damit liegt jedenfalls eine den Regelungen des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG vergleichbare Situation vor. Die rechtskräftige Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft bleibt - trotz der Feststellung der Nichtigkeit der ihr zugrundeliegenden Vorschrift des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB - nach § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG unberührt; die faktische Vollstreckung dieser Entscheidung durch den automatischen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit - und der daraus resultierenden weiteren aufenthaltsrechtlichen Folgen - darf seit Ergehen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Nichtigkeit der behördlichen Anfechtung von Vaterschaften nicht mehr erfolgen. Auch wenn es sich insoweit um keine unmittelbare Vollstreckung der Entscheidung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB handelt, sind die staatsangehörigkeitsrechtlichen und aufenthaltsrechtlichen Folgen, die an diese Entscheidung anknüpfen, einer Vollstreckung vergleichbar. Berücksichtigt man, dass nach dem Rechtsgedanken des § 79 Abs. 2 BVerfGG für die Zukunft die aus einer zwangsweisen Durchsetzung der verfassungswidrigen Entscheidung (hier: Feststellung des Nichtbestehens der Vaters des deutschen Staatsangehörigen) sich ergebenden Folgen (die hier staatsangehörigkeitsrechtlicher und aufenthaltsrechtlicher Natur sind) abgewendet werden sollen, folgt daraus, dass weiterhin von einer deutschen Staatsangehörigkeit des Klägers zu 3.) auszugehen ist.
Soweit die Beklagte demgegenüber eine Anwendbarkeit des Rechtsgedankens des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auf die vorliegende Konstellation mit dem Argument ablehnt, dass zwar angesichts des (zwischengeschalteten) familiengerichtlichen Feststellungsurteils einerseits der Anwendungsbereich des § 79 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BVerfGG grundsätzlich eröffnet, andererseits aber kein Fall einer Vollstreckung im Sinne von § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG gegeben sei, teilt die Kammer diese Einschätzung nicht.
Das Vollstreckungsverbot erfasst auch das Urteil des Amtsgerichts vom 05.03.2012. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht den Rechtsgedanken, dass für die Zukunft die sich aus der Durchsetzung der Rechtswirkungen verfassungswidriger Normen ergebenden Folgen abgewendet werden müssten, im Zusammenhang mit Sachverhalten entwickelt, in denen § 79 Abs. 2 BVerfGG nicht unmittelbar anwendbar war, weil die Rechtswirkungen der verfassungswidrigen Norm ohne Zwischenschaltung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts, d.h. ohne eine rechtskräftige oder unanfechtbare Entscheidung im Sinne von § 79 Abs. 2 BVerfGG eingetreten sind.
Daraus kann nach Auffassung der Kammer jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass nur in der Fallkonstellation, dass keine rechtskräftige oder unanfechtbare Entscheidung im Sinne von § 79 Abs. 2 BVerfGG vorliegt, dieser Rechtsgedanke anzuwenden ist. Vielmehr sprechen zum einen die ausdrücklichen und wiederholten Bezugnahmen des Bundesverfassungsgerichts auf „unanfechtbar gewordene fehlerhafte Akte der öffentlichen Gewalt“ in seinen Beschlüssen vom 11.10.1966 (a.a.O.) und vom 06.12.2005 (a.a.O.) für einen weiten Anwendungsbereich dieses Rechtsgedankens. Zum anderen streitet auch der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht den Anwendungsbereich von § 79 Abs. 2 BVerfGG durch die Entwicklung dieses Rechtsgedankens offenbar erweitern wollte und der Vorschrift des § 79 Abs. 2 BVerfGG einen solchen Rechtsgedanken entnehmen konnte, für die Annahme, dass grundsätzlich die Abwendung der sich aus der Durchsetzung der unanfechtbaren verfassungswidrigen Entscheidung für die Zukunftergebenden Folgen möglich sein soll, und zwar unabhängig von der Frage, ob eine (zwischengeschaltete) unanfechtbare Entscheidung eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde vorliegt oder nicht.
Das Vollstreckungsverbot aus § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG erfasst auch an sich rechtmäßige Verfahrenshandlungen und nicht nur die „Rückabwicklung“ der Folgen einer als verfassungswidrig erachteten Regelung - hier des Feststellungsbescheides der Beklagten vom 11.10.2013.
Grundsätzlich ist die Anwendung des Vollstreckungsverbots auf Verfahrenshandlungen nicht ausgeschlossen, die in einem weiteren Akt die Konsequenz der verfassungswidrigen Rechtsanwendung sind. Der Bundesgerichtshof hat einen Anspruch auf Löschung einer Grundschuld bestätigt, die der Sicherung von Ansprüchen aus verfassungswidriger Inanspruchnahme auf Elternunterhalt aus übergangenem Recht diente (Beschl. v. 20.03.2013 - XII ZB 81/11 - FPR 2013, 557, 559) und hierzu festgestellt, dass die nachträglich erkannte Verfassungswidrigkeit einer Rechtsanwendung im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit zwar nicht dazu führen soll, dass vollständig abgeschlossene Rechtsbeziehungen wieder rückabgewickelt werden müssen, dass dagegen für die in den Zukunft gerichteten Wirkungen der gerichtlichen Entscheidung die materielle Gerechtigkeit wieder in den Vordergrund treten muss. Entsprechendes muss für den Feststellungsbescheid der Beklagten vom 11.10.2013 gelten.
Damit verbietet § 79 Abs. 2 BVerfGG - wie bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkungen - nur eine Korrektur des verfassungswidrigen Hoheitsaktes für die Vergangenheit, nicht aber eine Anpassung der in die Zukunft gerichteten Wirkungen an die verfassungsgemäße Rechtslage, so dass (in der oben zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.03.2013) von dem Sozialhilfeträger die Bewilligung der Löschung einer zur - später für verfassungswidrig erklärten - Sicherung der Darlehensforderung bestellten Grundschuld verlangt werden konnte.
Wie bereits oben ausgeführt, war der Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit bis zur Nichtigerklärung der entsprechenden familienrechtlichen Vorschrift eine automatische Rechtsfolge der erfolgreichen behördlichen Anfechtung der Vaterschaftsanerkennung, ohne dass es eines solchen feststellenden Verwaltungsaktes bedurft hätte. Insofern folgerichtig hat der bestandskräftige Bescheid der Beklagten vom 11.10.2013 über das Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit des Klägers zu 3.) - anders als ein Bescheid über die Einbürgerung - keine konstitutive, sondern nur eine deklaratorische Funktion (so auch Marx, in GK-StAG, Stand: April 2010, § 30, Rn. 34).
War der Erlass dieses Verwaltungsaktes für den (automatischen) Eintritt der Rechtsfolge mithin entbehrlich, dürfte auch dem Umstand, dass dieser Verwaltungsakt zwischenzeitlich bestandskräftig geworden ist, nur geringe Bedeutung beizumessen sein. Die Feststellung des Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit ist ein feststellender Verwaltungsakt, der nicht die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit begründet, sondern lediglich mit Verbindlichkeit feststellt. Berücksichtigt man, dass diese Feststellung für die Zukunft Bindungswirkung in allen Angelegenheiten, in denen das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit von Bedeutung ist, hat (vgl. dazu nur Marx in GK-StAR, § 30, Rn. 35), wirkt dieser Verwaltungsakt faktisch wie ein Dauerverwaltungsakt mit einem fortwährenden Regelungsgehalt. In diesem Fall wäre mit der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 25.10.2012, a.a.O.) der Zeitpunkt der Nichtigerklärung der Norm die Zäsur für die darauf beruhende unanfechtbare Entscheidung und diese Entscheidung dürfte trotz ihrer Unanfechtbarkeit nicht mehr gegen den Willen des Betroffenen durchgesetzt werden.
Ginge man hingegen davon aus, dass die Feststellung des Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist, haben die Folgen, die daraus gezogen werden, und die als automatische Rechtsfolge der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft eingetreten sind, eine für den Betroffenen entsprechende Wirkung und dürften wiederum - in Anwendung der oben dargestellten Rechtsgedanken - ab der Nichtigerklärung des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB keine Folgen mehr für den Kläger zu 3.) entfalten.
Für dieses Ergebnis spricht zudem die Erwägung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 16.01.1980, a.a.O.), dass in Einzelfällen mit Blick auf die Besonderheit der Materie dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit vor der Rechtssicherheit der Vorrang gebühren kann. Dies gilt auch für den vorliegenden Fall. Die für verfassungswidrig und nichtig erklärte Regelung der behördlichen Vaterschaftsanfechtung bewirkt in ihrer konkreten Ausgestaltung eine nach Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG absolut verbotene Entziehung der Staatsangehörigkeit, die durch den Betroffenen nicht oder nicht in zumutbarer Weise beeinflussbar ist und weder auf eine potenzielle Staatenlosigkeit des Kindes Rücksicht nimmt noch ausschließt, dass auch ältere Kinder, die die deutsche Staatsangehörigkeit über einen längeren Zeitraum besessen haben, diese noch verlieren können. Auch angesichts dessen ist die Abwendung der sich aus dieser verfassungswidrigen Vorschrift ergebenden Folgen für den Betroffenen für die Zeit ab der Nichtigerklärung verfassungsrechtlich geboten.
Weitere Gründe, die der von der Klägerin zu 1.) beantragten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG entgegenstehen könnten, sind weder ersichtlich noch von den Beteiligten selbst vorgetragen.
II. Auch die Klage der Klägerin zu 2.) auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 07.07.2014 ist zulässig und begründet. Die Verkürzung der Dauer des Aufenthaltstitels der Klägerin zu 2.) mit Bescheid vom 07.07.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 2.) in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Verkürzung der nach § 34 Abs. 1 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis ist § 7 Abs. 2 AufenthG. Danach kann die Aufenthaltserlaubnis nachträglich verkürzt werden, wenn eine für die Erteilung, die Verlängerung oder die Bestimmung der Geltungsdauer wesentliche Voraussetzung entfallen ist.
Wie sich aus den Ausführungen unter I. ergibt, hat die Mutter der Klägerin zu 2.), die Klägerin zu 1.), einen Anspruch auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, da mit der Nichtigerklärung der insoweit maßgeblichen Vorschrift zur behördlichen Anfechtung von Vaterschaftsanerkennungen mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013 (a.a.O.) nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG keine Rechtsfolgen mehr aus der rechtskräftigen Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft des deutschen Staatsangehörigen Heinrich Albert Alfred Kuhn gezogen werden dürfen. Ob die Klägerin zu 2.) darüber hinaus trotz der später rechtkräftig angefochtenen Anerkennung der Vaterschaft durch den österreichischen Staatsangehörigen K. die österreichische Staatsangehörigkeit erworben haben und daraus Ansprüche nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU ableiten könnte, war nicht Gegenstand dieses Verfahrens und wäre von der Beklagten auf Antrag der Klägerin zu 2.) ggfs. gesondert zu prüfen.
III. Schließlich ist auch die Klage des Klägers zu 3.) zulässig und begründet, da er einen Anspruch auf Ausstellung eines deutschen Reisepasses hat (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Erteilung eines Reisepasses ist § 6 Abs. 1 PassG. Deutsche im Sinne von Artikel 116 Abs. 1 GG haben nach § 1 Abs. 1 Pass nicht nur die Pflicht, bei Einreise oder Ausreise aus dem Bundesgebiet einen gültigen Pass mit sich zu führen, sondern nach § 6 Abs. 1 PassG auch das Recht, einen Pass zu beantragen und einen insoweit korrespondierenden Rechtsanspruch auf Ausstellung eines Passes, wenn keine Versagungsgründe im Sinne von § 7 Abs. 1 PassG vorliegen (Hornung/Müller, PassG, § 6, Rn. 5). Wie unter 1. ausgeführt, ist weiterhin von einer deutschen Staatsangehörigkeit des Klägers zu 3.) auszugehen. Da auch keine sonstigen Versagungsgründe im Sinne von § 7 Abs. 1 PassG ersichtlich sind, ist die Beklagte zur Ausstellung eines Reisepasses für den Kläger zu 3.) verpflichtet.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.