Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 12.05.2021, Az.: 1 A 130/16
Androhung; Hilfsmittel der körperlichen Gewalt; Menschenmenge; Pfefferspray; Reizgas; Versammlungsrecht; Zwangsmittel, unmittelbarer
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 12.05.2021
- Aktenzeichen
- 1 A 130/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 70686
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 69 Abs 1 SOG ND
- § 69 Abs 3 SOG ND
- § 74 Abs 1 SOG ND
- § 74 Abs 3 SOG ND
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der Einsatz von Reizgas („Pfefferspray“) als Hilfsmittel der Gewalt durch Polizeibeamte bei einer Versammlung rechtswidrig war.
Der Kläger nahm am 21.05.2016 an einer Versammlung des G. H. -I. teil, die gegen eine Versammlung des sog. „J. K. /L.“ gerichtet war, dessen Mitglieder zur rechtsextremen Szene zählten. Die Versammlung des „J. K. /L.“ fand stationär ab 14 Uhr auf dem M. in A-Stadt statt. Die Gegenversammlung fand von 12 Uhr bis 14:30 Uhr statt. Die Stadt A-Stadt hatte mit Bescheid vom 06.04.2016 die Gegenversammlung räumlich auf die Fläche des Fußweges, des Radweges und der Fahrbahn der N. (Fahrtrichtung O.) ostwärts der Pergola beschränkt und die sofortige Vollziehbarkeit der Beschränkung angeordnet. An der Gegenversammlung nahmen etwa 500 Personen teil.
Sowohl der Versammlungsort der Versammlung des „J. K. /L.“ als auch der der Gegenversammlung waren durch mobile, etwa 1 Meter hohe Polizeigitter („Hamburger Gitter“) in Richtung M. begrenzt. Hierdurch entstand zwischen den abgesperrten Versammlungsorten eine Fläche von etwa 20 bis 30 Meter Länge und 60 Meter Breite (im Folgenden: Freifläche).
Kurz nach 13 Uhr wurde ein sog. bengalisches Feuer aus der Mitte der Gegenversammlung auf die Freifläche geworfen und mindestens 20 Teilnehmer der Gegenversammlung übersprangen das Hamburger Gitter am vom Bahnhofsgebäude aus gesehen rechten äußeren Ende. Sodann wurden die Hamburger Gitter auf der Länge von 20 bis 30 Metern vom Denkmal der P. bis zur rechten Begrenzung von Teilnehmern der Gegenversammlung umgeworfen und auseinandergerissen. Weitere Personen überwanden in der Folge die am Boden liegenden Absperrungen. Darunter war auch eine Gruppe, die ein weißes Banner mit schwarzer Aufschrift „Refugees Welcome“ trug. Die Personen bewegten sich im Schutze des Banners in Richtung des Versammlungsortes des „J. K. /L.“.
Nachdem die Versammlungsteilnehmer, die die Absperrung überwunden hatten, nicht durch Polizeibeamte wieder hinter die Absperrungen mit körperlicher Gewalt zurückgedrängt werden konnten, setzten verschiedene Polizeibeamte Reizgas („Pfefferspray“) ein. Es kamen dann weitere Polizeibeamte hinzu, die mit einfacher körperlicher Gewalt die Versammlungsteilnehmer zurückdrängten und das Hamburger Gitter wieder aufbauten. Die Lage beruhigte sich sodann.
Der Kläger war zunächst Teil einer Personengruppe, die die Absperrung überwunden hatte. Er löste sich dann von der Gruppe, lief auf der Fläche in der Nähe der Gitter umher und kehrte nicht hinter die Absperrungen zurück. Er wurde sodann von einem Polizeibeamten angesprochen und zu den umgestürzten Absperrungen gebracht. Zu diesem Zeitpunkt sprühten Polizeibeamte Versammlungsteilnehmer mit Reizgas an. Dies richtete sich vor allem gegen die Personengruppe, die das Banner mit der Aufschrift „Refugees Welcome“ trug.
Der Kläger hat am 25.05.2016 Klage erhoben. Er macht geltend, von den Einwirkungen der nicht gegen ihn gerichteten Reizstoffe, die sich in der Luft verteilten, Schmerzen an den Augen und Atemnot erlitten zu haben. Der Einsatz von Pfefferspray sei rechtswidrig gewesen. Als Maßnahme des unmittelbaren Zwangs müsse er den gesetzlichen Vorgaben genügen. Es fehle schon an einer Androhung des Reizgaseinsatzes. Diese hätte gegenüber der Menschenmenge erfolgen müssen und dies so rechtzeitig, dass sich Unbeteiligte noch hätten entfernen können. Die Polizeibeamten hätten nicht nur in Richtung derjenigen Gegenversammlungsteilnehmer gesprüht, die bereits die Absperrung überwunden hätten, sondern über deren Köpfe hinweg auch eine Gruppe von größtenteils hinter der Absperrung stehenden Personen. Im Übrigen hätten auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz von Pfefferspray nicht vorgelegen. Nach den Ausführungsbestimmungen zum niedersächsischen Polizeirecht dürfe Pfefferspray nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch die Polizei eingesetzt werden. Gegen Menschenmengen dürfe es nur eingesetzt werden, wenn von ihr Gewalttaten ausgingen oder unmittelbar bevorstünden. Es sei unerheblich, ob der Reizstoffeinsatz gegen den Kläger direkt eingesetzt worden sei oder er nur davon betroffen gewesen sei. Weder von ihm noch von der Personengruppe, gegen die sich die Sprühstöße direkt gerichtet hätten, sei Gewalt ausgegangen. Die Personengruppe habe ein Transparent mit der Aufschrift „Refugees Welcome“ hochgehalten. Der Einsatz von Pfefferspray sei im Übrigen generell nicht erforderlich und auch nicht angemessen. Der Wirkstoff Capsaicin löse bei Betroffenen ein intensives Schmerzempfinden, kurzzeitige Erblindung, Atemnot und Krämpfe aus. Für viele Menschen berge der Wirkstoff darüberhinausgehende Gesundheitsrisiken, etwa bei Asthmatikern, Allergikern und Herz-Kreislauf-Erkrankten.
Der Kläger beantragt
festzustellen, dass seine körperliche Misshandlung mit Reizgas bzw. Pfefferspray am 21.05.2016 durch seitens des Beklagten eingesetzte Polizeibeamte rechtswidrig war.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er macht im Wesentlichen geltend, der Kläger habe sich zunächst selbst unberechtigt Zutritt zu dem abgesperrten Bereich verschafft. Er habe dann von Polizeibeamten zurück hinter die Absperrung geführt werden müssen. Soweit er vortrage, er sei von den Auswirkungen des in der Luft befindlichen Reizstoffes beeinträchtigt worden, wäre das nicht passiert, wenn er den abgesperrten Bereich nicht betreten hätte. Das Reizgas sei nicht gegen ihn eingesetzt worden, sondern gegen Versammlungsteilnehmer, die an der Absperrung weiterhin und aggressiv versucht hätten, in den abgesperrten Bereich zu gelangen.
Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung vom 12.05.2021 Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen C., auszugsweise Verlesung von Polizeiberichten sowie Inaugenscheinnahme einer Videoaufnahme. Wegen des Inhalts wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12.05.2021 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist zulässig. Die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO ist die statthafte Klageart. Nach dieser Vorschrift kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Diese Voraussetzungen liegen vor. Das notwendige öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnis ergibt sich hier aus einem öffentlich-rechtlichen Realakt, nämlich dem Einsatz von Reizgas durch die Polizei. Eine vorrangig zu erhebende Gestaltungsklage (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) scheidet hier mangels Vorliegens eines Verwaltungsaktes aus.
Der Kläger ist entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Hiernach ist die Klage nur dann zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch ein Verwaltungshandeln oder dessen Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Erforderlich aber auch hinreichend ist, dass unter Zugrundelegung der Darlegungen des Klägers die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts möglich erscheint (BVerwG, Urt. v. 05.04.2016 - 1 C 3.15 -, BVerwGE 154, 328 Rn. 16). Das ist hier der Fall, da der Kläger zwar nicht Adressat einer Vollstreckungsmaßnahme war, aber geltend macht, durch eine solche Schmerzen an den Augen und Atembeschwerden davongetragen zu haben.
Der Kläger kann sich wegen des damit verbundenen tiefgreifenden, aber vorübergehenden Eingriffs in seine körperliche Unversehrtheit auch auf ein Feststellungsinteresse i.S.d. § 43 Abs. 1 VwGO berufen. Er hat im Rahmen seiner informatorischen Befragung in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und glaubhaft geschildert, an den Absperrungen zur Freifläche ein Brennen in den Augen und Atemnot gespürt zu haben. Er habe seine Augen mit Wasser ausgewaschen und sei dann nach Hause gegangen, um sich zu beruhigen; dort habe er ein Cortisonspray genommen, was er als Asthmatiker zu Hause gehabt habe. Rechtlich unbeachtlich ist, dass sich der Kläger willentlich auf der Freifläche aufhielt und damit rechnen musste, dass die Polizeibeamten auch gegen ihn Vollstreckungsmaßnahmen ergreifen würden.
II.
Die Klage ist unbegründet. Der Einsatz von Reizgas durch die Polizei am 21.05.2016 war, soweit der Kläger davon betroffen war, rechtmäßig.
Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bestimmt sich bei der Feststellungsklage nach dem Klageantrag und der Klagebegründung, in denen der Kläger den Zeitpunkt, zu dem das Bestehen oder Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses festgestellt werden soll, selbst bestimmt (Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 18). Das ist hier der Zeitpunkt des Einsatzes des Reizgases am 21.05.2016. Der Entscheidung zugrunde zu legen ist damit das Niedersächsisches Polizei- und Ordnungsbehördengesetz – NPOG – (bis zur Änderung der Überschrift durch Gesetz vom 20.05.2019, Nds. GVBl. S. 88: Niedersächsisches Sicherheits- und Ordnungsgesetz – Nds. SOG –) in der Fassung des Gesetzes vom 19. Januar 2005 (Nds. GVBl. S. 9), geändert durch Gesetz vom 12.11.2015 (Nds. GVBl. S. 307).
1.
Rechtsgrundlage für den Einsatz von Reizgas waren §§ 64 Abs. 1, 65 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, 69 Abs. 1, 2, 3, 7, 70 Abs. 1, 3, 6, 74 Abs. 1, 3 NPOG. Der streitgegenständliche Einsatz von Reizgas stellte sich als Maßnahme zur Vollstreckung der sofort vollziehbaren räumlichen Beschränkung der Versammlung des G. H. -I. durch Bescheid der Stadt A-Stadt vom 06.04.2016 und damit als Realakt dar. Dabei sind in Ermangelung einer eigenständigen Regelung im Niedersächsischen Versammlungsgesetz die allgemeinen Vollstreckungsregelungen im NPOG, §§ 64 ff. NPOG, anwendbar (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.05.2019 - 6 B 149.18 -, juris Rn. 9).
Als Zwangsmittel wandten die Polizeibeamten unmittelbaren Zwang an, §§ 65 Abs. 1 Nr. 3, 69 NPOG. Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, durch Hilfsmittel oder durch Waffen (§ 69 Abs. 1 NPOG). Dabei machten sie von einfacher körperlicher Gewalt (§ 69 Abs. 2 NPOG) sowie von Reizgas, einem Reizstoff i.S.d. § 69 Abs. 3 NPOG, als nach niedersächsischem Recht „Hilfsmittel der körperlichen Gewalt“ Gebrauch (zur Einordnung als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt bzw. als Waffen in den Landespolizeigesetzen vgl. Deutscher Bundestag, Wissenschaftlicher Dienst, Einsatz von Reizstoffsprühgeräten bei den Polizeibehörden, WD3-3000-408/10, vom 20.10.2010, S. 5).
2.
Die formalen Voraussetzungen für die Anwendung des Reizgases waren erfüllt.
Es lag mit der örtlichen Beschränkung gemäß § 64 Abs. 1 NPOG ein nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO sofort vollziehbarer Verwaltungsakt vor. Dieser war gegenüber allen Teilnehmern der Versammlung wirksam, auch gegenüber denjenigen, die gegen die Beschränkung verstoßen hatten und von den Vollstreckungsmaßnahmen der Polizeibeamten unmittelbar betroffen waren. Auf die Rechtmäßigkeit der örtlichen Beschränkung der vom G. H. -I. angezeigten Gegenversammlung kommt es nicht an (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.12.1998 - 1 BvR 831/89 -, NVwZ 1999, 290, 292; zum Streitstand Ogorek in: Möstl/Kugelmann, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 18. Ed., Stand 01.06.2021, § 50 PolG NW, Rn. 12 ff.); entsprechende Bedenken werden von den Beteiligten auch nicht geltend gemacht.
Der Einsatz des Reizgases wurde qualifiziert, also unter Nennung des Zwangsmittels, angedroht. Unmittelbarer Zwang ist nach §§ 70 Abs. 1, 6, 74 Abs. 1 Satz 1 NPOG vor seiner Anwendung anzudrohen. Jedenfalls dann, wenn die konkrete Zwangsmaßnahme einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellt, bedarf es einer qualifizierten, auf das konkrete Zwangsmittel bezogenen Androhung. Denn das in § 70 Abs. 3 Satz 1 NPOG normierte vollstreckungsrechtliche Bestimmtheitsgebot, welches auch außerhalb des auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichteten Verfahrens die Vorhersehbarkeit polizeilichen Handelns sicherstellen soll, gebietet, dass der von einer Zwangsmaßnahme Betroffene Klarheit über die zu erwartenden Eingriffe in seine körperliche Unversehrtheit erhält (Nds. OVG, Urt. v. 28.10.2016 - 11 LB 209/15 -, juris Rn. 28; Urt. d. Kammer v. 22.05.2019 - 1 A 296/16 -, n.V., S. 11 d. Umdrucks). Diese zu sog. Schmerzgriffen ergangene Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts gilt in gleicher Weise für den Einsatz von Hilfsmitteln im Sinne von § 69 Abs. 3 NPOG, deren Einsatz regelmäßig erhebliche Schmerzen verursacht (Urt. d. Kammer v. 22.05.2019 - 1 A 296/16 -, n.V., S. 13 d. Umdrucks; vgl. auch Nds. OVG, Urt. v. 28.10.2016 - 11 LB 209/15 -, juris Rn. 27; Rachor/Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Rn. 893, zu Tränengas und Schlagstöcken). Reizgas mit der Wirksubstanz Capsaicin („Pfefferspray“) wird seit dem Jahr 2000 auf Empfehlung der Innenministerkonferenz von der Polizei benutzt und ist in der Wirkung dem Tränengas überlegen; es schließt in einsatztaktischer Hinsicht die Lücke zwischen dem Schlagstock und der Schusswaffe (Rachor/Graulich, a.a.O., Rn. 869).
Eine solche qualifizierte Androhung erfolgte hinsichtlich des Einsatzes von Reizgas, das den Kläger als Unbeteiligten nach seinem glaubhaften Vortrag zufällig traf. Dabei musste die Kammer nicht aufklären, ob der Kläger durch die Verwehung des Reizgases aus der Sprühdose des Polizeibeamten Q. oder des Polizeibeamten C. getroffen worden war. Beide hatten nach ihren schriftlichen, insoweit unbestritten gebliebenen Berichten (GA Bl. 71, 80 f.) Reizgas gegen die Personengruppe um das Transparent „Refugees Welcome“ eingesetzt. Die in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommene Videoaufnahme (BA 001, StA A-Stadt 32 AR 26875/16, CD Nr. 65) zeigt in Sekunde 24, dass der mit einer Basecap und einem Rucksack ausgestattete Kläger unmittelbar hinter dieser Personengruppe von einem anderen Polizeibeamten mit der Nummer NI 7243 an das dort umgestürzte Gitter geführt wurde und er dort wieder zum Versammlungsort zurückkehrte. Es setzten zwar ausweislich der Videodokumentation auch an anderen Stellen Polizeibeamte Reizgas ein – insgesamt wurde acht Mal Reizgas während der Versammlung eingesetzt (Verlaufsbericht, BA 002, S. 6) –, eine Verwehung von diesen Stellen in die Richtung des Klägers ist aber wegen der räumlichen Distanz unwahrscheinlich und wurde auch von den Beteiligten nicht behauptet.
Eine qualifizierte Androhung unter Nennung des Einsatzmittels „Pfefferspray“ oder „Reizgas“ erfolgte nach dem in der mündlichen Verhandlung teilweise verlesenen schriftlichen und unbestrittenen Bericht des Polizeibeamten Q. (GA Bl. 80) gegenüber einer Person an dem Transparent. Der als Gruppenführer des III. Zuges der 4. BPH eingesetzte Polizeibeamte war wie der Zeuge C. mit der Personengruppe hinter dem Transparent befasst. Er schreibt in seinem Bericht, dass er befürchtet habe, dass im Schutz des Transparents ein weiteres bengalisches Feuer entzündet werden würde. Er habe die Gruppe zum Zurückweichen aufgefordert, aber ohne Erfolg, und deshalb sein Reizstoffsprühgerät in die Hand genommen und der männlichen Person rechts am Transparent den „Einsatz des Reizstoffsprühgeräts 3“ angedroht und dann gesprüht, aber offenbar nur das Transparent getroffen.
Der Zeuge C. wiederum, der dem Polizeibeamten Q. unmittelbar nach dessen wirkungslosem Reizgaseinsatz zu Hilfe gekommen war (Bericht des PK Q., GA Bl. 80 unten), erwähnte in seinem schriftlichen Bericht eine Androhung eines Reizgaseinsatzes gegenüber Personen an dem Transparent nicht (GA Bl. 71). Auch auf der Videoaufnahme ist nichts zu hören, wobei dies wegen der Distanz, aus der sie aufgenommen ist, auch nicht zu erwarten war. Allerdings bekundete der Zeuge in seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung für die Kammer nachvollziehbar und glaubhaft, dass er den Einsatz von Reizgas zunächst angedroht habe; die Gruppe um das Banner sei dennoch auf ihn zugekommen, so dass er das Banner kurz nach unten gerissen und Reizgas gegen die Personen hinter dem Banner eingesetzt habe. Nach einem zweiten Sprühstoß gegen die Personen, die über das Banner geblickt hätten, sei die Gruppe dann hinter die Gitterlinie zurückgewichen. Der Zeuge blieb auch auf Vorhalt seines schriftlichen Berichts bei seiner Darstellung, dass er den Einsatz des Reizgases zunächst angedroht habe. Die Abweichung zu seinem Bericht erklärte er nachvollziehbar damit, dass die Androhung des Einsatzes in jedem einzelnen Fall geschult und „richtig eingebläut“ werde und er immer androhe. Der Zeuge, der zu anderen Fragen Gedächtnislücken einräumte, blieb zu diesem Punkt fest. Dass er sich an den gesamten Vorgang trotz des zeitlichen Abstands gut erinnern kann, ist damit zu erklären, dass gegen ihn wegen der körperlichen Beeinträchtigungen zum Nachteil der Landtagsabgeordneten Dr. R., die diese durch Verwehungen von Reizgas bei der Versammlung erlitt, wegen Körperverletzung im Amt ermittelt worden ist. Es wäre in Ansehung der Schulungen auch zu erwarten gewesen, dass er sich erinnert hätte, wenn er die Androhung nicht ausgesprochen hätte, weil dies eine Abweichung zum eingeübten Normalfall dargestellt hätte.
Unschädlich ist es, dass die Anwendung von Reizgas nicht auch gegenüber dem Kläger angedroht wurde, denn dieser war nicht Adressat der Androhung, weil ihm gegenüber Reizgas nicht eingesetzt werden sollte.
Weitergehende Anforderungen an die Androhung ergeben sich im hier vorliegenden Einzelfall auch nicht aus § 74 Abs. 3 Satz 1 NPOG. Danach ist gegenüber einer Menschenmenge die Anwendung unmittelbaren Zwangs so rechtzeitig anzudrohen, dass sich Unbeteiligte noch entfernen können. Bei einer Menschenmenge handelt es sich um eine an einem Ort befindliche, der Zahl nach nicht sofort überschaubare Personenvielzahl (Rachor/Graulich, a.a.O., Rn. 925; zu anderen Auslegungsansätzen vgl. Thiel in: Möstl/Kugelmann, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 18. Ed., Stand 01.06.2021, § 61 Rn. 27 f.). Dabei ist es nach Auffassung der Kammer entscheidend, ob die Adressaten des unmittelbaren Zwangs zu der Menschenmenge zählen. Der Wortlaut der Regelung ist zwar auch einer Auslegung im Sinne des klägerischen Vortrags zugänglich, nach dem die Anwendung unmittelbaren Zwangs auch gegenüber einer Menschenmenge angedroht werden muss, die ausschließlich aus Unbeteiligten besteht und den Wirkungen des Zwangsmittels nur zufällig ausgesetzt sein könnte. Der Sinn und Zweck der Regelung spricht aber gegen ein derart weites Normverständnis. Sinn und Zweck der Androhung des unmittelbaren Zwangs ist es, dem Adressaten des Beugemittels die Möglichkeit zu geben, das geforderte Verhalten doch noch zu zeigen (vgl. Thiel, a.a.O., Rn. 9). Diesem Sinn wird die Androhung gegenüber einer Menschenmenge nur dann gerecht, wenn sich unter ihr der Adressat des Zwangsmittels auch befindet (in diesem Sinne auch Thiel, a.a.O., Rn. 28, der den Begriff der Menschenmenge bereits entsprechend auslegt). Andernfalls müsste die Androhung nach § 74 Abs. 1 NPOG zu der weiteren Androhung nach § 74 Abs. 3 Satz 1 NPOG hinzutreten. Das gibt wiederum der Wortlaut der Regelungen nicht her. § 74 Abs. 3 Satz 1 NPOG hat nach seinem Wortlaut gegenüber der Androhung nach § 74 Abs. 1 NPOG nur eine weitergehende Anforderung hinsichtlich des zeitlichen Abstands zwischen Androhung und Anwendung des unmittelbaren Zwangs. Unbeteiligte sollen vor ungewollten Wirkungen des Zwangsmittels geschützt werden; solche sind bei der Zwangsmittelanwendung gegenüber einzelnen Personen, die Teil einer Menschenmenge sind, jedenfalls bei über eine Distanz eingesetzten Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt wie etwa Reizgas oder Wasserwerfern (§ 69 Abs. 3 NPOG) oder Distanzwaffen wie Revolver oder Gewehr (§ 69 Abs. 4 NPOG) regelmäßig wahrscheinlich. Bei einem solchen Einsatz werden Unbeteiligte von dem Zwangsmittel außerdem in gleicher Intensität beeinträchtigt wie die Adressaten. Etwas anderes gilt, wenn sich der Zwangsmitteleinsatz gegen eine Person richtet, die nicht Teil einer Menschenmenge ist; auch hier kann es zwar im Einzelfall dazu kommen, dass ein Unbeteiligter von dem Zwangsmittel betroffen ist, die Wahrscheinlichkeit ist aber geringer und auch die Intensität der Betroffenheit bei Unbeteiligten dürfte je nach Zwangsmittel geringer sein.
Ob der Adressat des Zwangsmittels Teil einer Menschenmenge ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung des konkreten Zwangsmittels und seiner üblichen Streuwirkung. Diese dürfte etwa bei einem Wasserwerfer größer sein als bei Reizgas. Hier bildeten unter Berücksichtigung des Umstands, dass Reizgas zielgerichtet eingesetzt wird und im konkreten Fall auch wurde und bei zielgerichtetem Sprayen eine geringe Streuwirkung hat, die Adressaten des Reizgaseinsatzes um das Transparent „Refugees Welcome“ keine Menschenmenge mit den weiteren Versammlungsteilnehmern hinter dem Hamburger Gitter. Sie befanden sich zum Zeitpunkt des Reizgaseinsatzes abgrenzbar in einem gewissen Abstand von diesen weiteren Versammlungsteilnehmern. Für die Annahme des Klägers, die Polizeibeamten hätten das Reizgas nicht auf die Personen hinter dem Transparent gerichtet, sondern zielgerichtet auf die dahinter hinter dem Gitter stehenden Menschen gesprüht, ergab sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme für die Kammer kein Anhalt. Weder aus der glaubhaften Aussage des Zeugen C. noch aus den schriftlichen Berichten des Zeugen und des Polizeibeamten Q. ergibt sich dies. Es ist auch kein Grund dafür erkennbar, aus dem die Polizeibeamten auf die Versammlungsteilnehmer hinter dem Gitter und nicht auf die vor ihnen (und hinter dem Transparent) stehenden Teilnehmer zielen sollten. Auch die Inaugenscheinnahme der Videoaufnahme zeigte einen solchen gezielten Reizgaseinsatz nicht. Aus dem bei Sekunde 35 sichtbaren Umstand, dass ein Polizeibeamter über das Transparent hinweg einen Sprühstoß setzt, lässt sich noch kein Einsatz gegen die unbeteiligten Versammlungsteilnehmer schließen, weil die Aufnahme aus einiger Distanz gefertigt ist und die Abstände nicht gut erkennen lässt. Auch wäre zu erwarten gewesen, dass die unbeteiligten Versammlungsteilnehmer am Gitter nach dem Reizgaseinsatz körperliche Reaktionen gezeigt hätten, wenn das Reizgas gegen sie eingesetzt worden wäre. Das zeigt die Videoaufnahme aber nicht.
3.
Der Einsatz von Reizgas war materiell rechtmäßig, weil er verhältnismäßig war.
Dass bei dem Einsatz von Reizgas in Einzelfällen wie dem vorliegenden auch Unbeteiligte beeinträchtigt werden können, macht den Einsatz nicht generell unverhältnismäßig, wie der Kläger meint. Das gilt auch unter Berücksichtigung der körperlichen Auswirkungen, die der Kontakt mit dem Wirkstoff Capsaicin hat. Der Vortrag des Klägers, dass Personen mit Atemwegserkrankungen besonders beeinträchtigt werden können, entspricht der Kenntnislage der Kammer. So heißt es in der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 03.02.2011 (LT-Drs.16/3321, S. 2, 3):
„Das Gesundheitsrisiko beim Einsatz von „Pfefferspray“ wurde von dem Polizeitechnischen Institut der Deutschen Hochschule der Polizei auf der Grundlage von Erkenntnissen über die biologische und toxische Wirkung von Capsaicin unter Einhaltung bestimmter Bedingungen als unbedeutend angesehen. Eine kurzzeitige Exposition von geringen Mengen „Pfeffersprays“ führt nicht zu irreversiblen Schäden von Atemwegen, Haut oder Augen. Hinweise auf Kurzzeitinhalationstoxidität konnten nicht festgestellt werden; […] Eine Risikobewertung geht grundsätzlich von gutem Gesundheitszustand einer erwachsenen Person aus, die u.a. nicht unter Drogeneinfluss steht. Bestimmungen zum Einsatz des „Pfeffersprays“ sollen das verbleibende Risiko anlassbezogen minimieren: so soll das „Pfefferspray“ – außer in Fällen der Notwehr und Nothilfe – u.a. nicht gegenüber Kindern eingesetzt werden. Besprühte Personen sollen bis zum deutlichen Nachlassen der Wirkung stets beobachtet werden, um im Fall auftretender Komplikationen erforderlichenfalls ärztliche Hilfe anfordern zu können. Insbesondere bei Allergikern und Asthmatikern sind, soweit es zu einem Kontakt der Reizstoffe mit den Atemwegen kommt, Atembeschwerden nicht ausgeschlossen. In solchen Fällen ist erhöhte Aufmerksamkeit seitens der einschreitenden Beamtinnen oder Beamten gefordert. In Fällen von starken Erregungszuständen durch Drogenintoxikation (insbesondere Ecstasy) ist ein Rettungsdienst/Notarzt erforderlich.“
Demgegenüber sind die Beschwerden von Gesunden nur vorübergehend (ebd):
„Durch einen zielgenauen Sprühstrahl des „Pfeffersprays“ bewirkt es auf der Haut und den Schleimhäuten intensives Brennen, Mehrdurchblutung und stechende Schmerzen. Mit einer durch Technische Richtlinie definierten Wirkstoffkonzentration, die wesentlich unter der von im Handel erhältlichen Sprays zur Abwehr von Tieren liegt, und entsprechenden Anwendungshinweisen ist sichergestellt, dass der Gebrauch des „Pfeffersprays“ als polizeiliches Einsatzmittel ungefährlich ist. Dies bedeutet, dass eine kurzzeitige Exposition von geringen Mengen nicht zu irreversiblen Schäden von Atemwegen, Haut oder Augen führt. Hinweise für krebserzeugende oder -fördernde oder für erbgutverändernde Eigenschaften liegen nicht vor.“
Ähnlich lautet die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 12.07.2016 zu der streitgegenständlichen Versammlung, betreffend die damalige Abgeordnete und heutige Landtagspräsidentin Dr. R. (LT-Drs. 17/6110, S. 3, 4). Anhaltspunkte dafür, dass diese Risikoeinschätzung unzutreffend sein könnte, ergaben sich aus dem klägerischen Vortrag nicht. Auch hat sich seit 2011 die Wirkstoffkonzentration in den Reizstoffsprühgeräten, die die niedersächsische Polizei verwendet, nicht geändert (s. Übersicht in LT-Drs. 17/6110, S. 2 oben). Im Übrigen ist die Wirkung des Reizgases naturgemäß geringer, wenn eine Person nur von einer Verwehung von Reizgas und nicht einem zielgenauen Sprühstrahl getroffen wird, weil die Konzentration des Wirkstoffs Capsaicin in der Atemluft geringer ist. Bei einer Zweck-Mittel-Abwägung setzt sich das private Interesse Unbeteiligter, von dem Reizgas verschont zu bleiben, damit nicht stets gegen das öffentliche Interesse an einer wirksamen Durchsetzung von behördlichen Anordnungen durch, die die Voraussetzungen von § 64 Abs. 1 NPOG erfüllen. Anders liegt der Fall beim Einsatz von Zwangsmitteln, die nicht nur Leib, sondern Leben von Unbeteiligten gefährden; entsprechend hat der Gesetzgeber namentlich den Schusswaffengebrauch dann für unzulässig erklärt, wenn für die Beamtin oder den Beamten erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden (§ 76 Abs. 4 Satz 1 NPOG).
Ausgehend vom konkreten Fall war der Einsatz von Reizgas durch die Polizeibeamten Q. und C. geeignet und erforderlich, um die räumliche Beschränkung der Versammlung gegenüber den Trägern des Transparents „Refugees Welcome“ durchzusetzen. Zunächst kamen andere Zwangsmittel, namentlich die Ersatzvornahme und das Zwangsgeld, nicht in Betracht bzw. versprachen keinen Erfolg (§ 69 Abs. 6 NPOG). Das gegenüber dem Reizgas mildere Mittel des unmittelbaren Zwangs, die körperliche Gewalt (§ 69 Abs. 1 NPOG), war nach den schriftlichen Berichten der Zeugen Q. und C. bereits ohne Erfolg gegen die Personen angewandt worden.
Der Reizgaseinsatz war auch verhältnismäßig im engeren Sinn. Die Personen, die sich hinter dem Transparent „Refugees Welcome“ laufend in der Freifläche auf dem M. bewegten, rückten im Schutz des Transparents nach dem Ergebnis der Inaugenscheinnahme der Videoaufnahme trotz der gegen sie ausgeübten körperlichen Gewalt gegen die Polizeibeamten vor. Nachdem ein – auf den Videoaufnahmen nicht zu sehendes – bengalisches Feuer ausweislich der insoweit unbestritten gebliebenen vorliegenden schriftlichen Berichte der Polizeibeamten C. (GA Bl. 71), Saifi (GA Bl. 77) und Q. (GA Bl. 79) in die Freifläche zwischen den Versammlungsorten geworfen worden war, rissen einige Versammlungsteilnehmer die Hamburger Gitter nieder, während andere sich vermummten. Eine Vielzahl von Versammlungsteilnehmern, darunter die Gruppe mit dem Transparent „Refugees Welcome“, betraten die Freifläche. Nicht alle ließen sich ausweislich der Polizeiberichte sowie der in Augenschein genommenen Videoaufnahme mit einfacher körperlicher Gewalt zurückdrängen, sondern bewegten sich weiterhin in dem Freiraum und übten zum Teil auch körperliche Gewalt gegen Polizeibeamte aus. Nicht nur war einfache körperliche Gewalt kein geeignetes Mittel des unmittelbaren Zwangs gegen diese Versammlungsteilnehmer. Es gab jedenfalls hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass ein weiteres bengalisches Feuer von den Transparentträgern im Schutz des Transparents gezündet werden würde, wie der Polizeibeamte Q. ausweislich seines Berichts annahm. Der Zeuge C. beschrieb aus seiner Erinnerung in der mündlichen Verhandlung auch nachvollziehbar den Eindruck von Gewalt, Unsicherheit und Unübersichtlichkeit des Moments, in dem Polizeibeamte teilweise bereits mit Festnahmen beschäftigt waren, aber noch nicht alle mit Schutzhelmen ausgestattet waren, während sich andere Versammlungsteilnehmer hinter Transparenten versteckten. Eine weitere Eskalation bis hin zur Überwindung der Freifläche wäre bei ungehindertem Fortgang der Geschehnisse nach Einschätzung der Kammer zu erwarten gewesen.
Da, wie oben unter II.2. ausgeführt, sich der Reizgaseinsatz nicht gegen eine Menschenmenge richtete, kommt es nicht darauf an, dass von den unbeteiligten Versammlungsteilnehmern um das Gitter herum zum Zeitpunkt des Einsatzes des Reizgases keine Gewalttaten ausgingen und auch nicht zu erwarten waren (zu diesem Maßstab vgl. Ziff. 69.3 Satz 7 der Ausführungsbestimmungen zum Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz vom 16.07.1998, Nds. MBl. 1998, 1078).
Entgegen der Auffassung des Klägers war der Reizgaseinsatz auch nicht deshalb unangemessen, weil der Einsatz etwa eine Stunde vor Beginn der Versammlung des „J. K. /L.“ erfolgte und zu diesem Zeitpunkt kein unmittelbares Aufeinandertreffen von Teilnehmern der Gegenversammlung mit Mitgliedern des „J.“ zu besorgen war. Das trifft zwar zu. Allerdings mussten die eingesetzten Polizeibeamten davon ausgehen, dass ein ungehindertes Verbleiben von Personen in der von der Stadt A-Stadt festgelegten Freifläche zwischen den beiden stationären Versammlungen weitere Versammlungsteilnehmer in diesen Freiraum ziehen würde und dieser Zustand bis zum Beginn der Versammlung des „J. K. /L.“ fortbestanden hätte. Der Kläger selbst hat in seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung die Sogwirkung der umgefallenen Gitter auch für nicht gewaltbereite Versammlungsteilnehmer geschildert; nach seinen Angaben saß er mit anderen Versammlungsteilnehmern an den Gittern und erhob sich erst, als die ersten Gitter umfielen, um dann ohne weiteren Anlass mit anderen Versammlungsteilnehmern in den Freiraum auf dem M. zu gehen. Erst recht hätte nach der Lebenserfahrung diese Sogwirkung für den Anteil an Versammlungsteilnehmern eingesetzt, der nach Einschätzung des Beklagten als der Kategorie „gelb“, also gewaltgeneigt, zugehörig eingeschätzt wurde. Das betraf einen Kreis von etwa 150 Versammlungsteilnehmern (Verlaufsbericht, BA 002, S. 1). In Ansehung der etwa 500 Versammlungsteilnehmer hätte nach Überzeugung der Kammer eine räumliche Trennung der beiden Versammlungen bei einem ungehinderten Lauf des Geschehens bis zum Beginn der Versammlung des „J. L. /K.“, an der nach Einschätzung der Polizei 15 Personen der Kategorie „gelb“ von insgesamt erwarteten 60 Teilnehmern (BA 002, S. 1) teilnehmen sollten, nicht mehr hergestellt werden können. Bei einem unmittelbaren Zusammentreffen von Versammlungsteilnehmern beider Versammlungen wäre es nach den Erfahrungen in A-Stadt der letzten 15 Jahre aller Wahrscheinlichkeit nach zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Ein Grund für die Zulassung der Berufung liegt nicht vor, §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 VwGO.