Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 07.01.2010, Az.: 7 B 3166/09
einstweiliger Rechtsschutz; EU-Fahrerlaubnis; Fahrerlaubnis; Führerschein; polnischer Führerschein; Sperrfrist; Strafbefehl; ukrainischer Führerschein; Umtausch; vorläufiger Rechtsschutz
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 07.01.2010
- Aktenzeichen
- 7 B 3166/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 48045
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 28 Abs 4 FeV
- Art 11 EGRL 126/2006
Gründe
Der nach § 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO zu beurteilende Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der am 4. Dezember 2009 erhobenen Klage der Antragstellerin (Az.: 7 A 3164/09), mit der sie sich gegen die durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. November 2009 verfügte Feststellung wendet, dass ihre in Polen ausgestellte Fahrerlaubnis im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland keine Wirkung entfaltet, ist unbegründet.
Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat eine Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Nach § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO gilt dies auch für feststellende Verwaltungsakte. Diese entfällt jedoch, wenn die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in einer - wie hier auf Seite 3 des angegriffenen Bescheides - den gesetzlichen Anforderungen gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Art und Weise die sofortige Vollziehung ihrer Verfügung (bzw. hier der getroffenen Feststellung) im öffentlichen Interesse angeordnet hat.
Die getroffene Feststellung der Antragsgegnerin ist, trotz ihres lediglich deklaratorischen Charakter auch der Anordnung der sofortigen Vollziehung zugänglich. Denn sie dokumentiert nach außen den bereits mit ihrer Bekanntgabe - und nicht etwa erst nach Abschluss des / der verwaltungsgerichtlichen Verfahren(s) - bei Nichtbeachtung erfüllten Tatbestand des Fahrens ohne Fahrerlaubnis hinsichtlich der Antragstellerin, die eine in Deutschland erworbene oder ansonsten in Deutschland gültige Fahrerlaubnis nicht (mehr) besitzt; eine Zuwiderhandlung stellt (grundsätzlich) eine Straftat nach § 21 Abs. 1 StVG dar.
Für den Erfolg eines Antrages nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist entscheidend, ob das private Interesse eines Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage höher als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes zu bewerten ist. Bei dieser Interessenabwägung sind mit der im vorläufigen Verfahren gebotenen Zurückhaltung auch die Aussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Bei einer offensichtlich Erfolg versprechenden Klage überwiegt das Suspensivinteresse des Betroffenen jedes denkbare öffentliche Vollzugsinteresse. Der Antrag ist dagegen in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, insbesondere wenn die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist.
Voraussichtlich wird die angegriffene Verfügung der Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren Bestand haben, weil sie zu Recht die streitige Feststellung getroffen hat.
Die Verfügung begegnet in formeller Hinsicht keinen Bedenken, zumal die Antragsgegnerin die Antragstellerin zuvor hinreichend angehört hat.
Auch in materieller Hinsicht ist sie nicht zu beanstanden.
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung (BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 2008, BVerwGE 132, 315 m.w.N.). Zugrunde zu legen ist somit die FeV im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids vom 12. November 2009, bis zu diesem Zeitpunkt zuletzt geändert durch die am 19. Januar 2009 in Kraft getretene Dritte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 7. Januar 2009 (BGBl I S. 29). Der gemeinschaftsrechtliche Maßstab ergibt sich aus der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl L 403 S. 18), sogenannte 3. Führerscheinrichtlinie, nach deren Art. 18 Satz 2 der Art. 11 Abs. 1 und 3 bis 6 mit den Regelungen über den Entzug, die Ersetzung und die Anerkennung von Führerscheinen ebenfalls ab dem 19. Januar 2009 gilt (BayVGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 11 CS 09.2082).
Die Feststellung der fehlenden Berechtigung der Antragstellerin, von ihrer am 21. August 2009 ausgestellten polnischen EU-Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen (Nr. 1 des Bescheidstenors), findet ihre Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, Sätze 2 und 3 FeV. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV gilt die Berechtigung nach Abs. 1 nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben. In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 kann die Behörde nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Bestimmungen sind erfüllt. Die Entziehung der Fahrerlaubnis unter gleichzeitiger Verhängung einer Sperrfrist von zwölf Monaten durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom 15. April 2008 ist eine der in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV aufgeführten Maßnahmen, die die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV im Inland ausschließen.
Der Feststellung der Fahrerlaubnisbehörde, dass die Antragstellerin nicht berechtigt ist, von ihrer polnischen EU-Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, stand der gemeinschaftsrechtliche Anerkennungsgrundsatz nicht entgegen. Gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG werden zwar die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt. Abweichend hiervon bestimmt aber Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnt, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaates entzogen worden ist, wie dies bei der Antragstellerin der Fall ist. Die Anwendbarkeit des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG wird nicht durch deren Art. 13 Abs. 2 ausgeschlossen, wonach eine vor dem 19. Januar 2013 erteilte Fahrerlaubnis aufgrund der Bestimmungen dieser Richtlinie weder entzogen noch in irgendeiner Weise eingeschränkt werden darf. Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG steht im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 2 Buchst. a und b dieser Richtlinie. Nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2006/126/EG haben ab dem 19. Januar 2013 die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine der Klassen AM, A1, A2, A, B, B1 und BE eine Gültigkeitsdauer von zehn Jahren. Die Mitgliedstaaten können diese Führerscheine auch mit einer Gültigkeitsdauer bis zu 15 Jahren ausstellen (Satz 2). Gemäß Art. 7 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie haben ab dem 19. Januar 2013 die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine der Klassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1, D1E eine Gültigkeitsdauer von fünf Jahren. Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie will gewährleisten, dass die vor dem 19. Januar 2013 mit einer längeren Gültigkeitsdauer als 15 bzw. fünf Jahre ausgestellten Führerscheine nicht auf diese Gültigkeitsdauer zeitlich beschränkt oder wegen ihrer Überschreitung entzogen werden. Die Anwendbarkeit von Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie wird deshalb durch Art. 13 Abs. 2 für die Zeit vor dem 19. Januar 2013 nicht ausgeschlossen. Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG ist nicht entsprechend der zu Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein ergangenen Rechtsprechung des EuGH einschränkend auszulegen (BayVGH, aaO).
Im vorliegenden Fall war die Antragsgegnerin danach unter Berücksichtigung des nationalen und des Gemeinschaftsrechts berechtigt, wegen der mit dem Strafbefehl des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom 15. April 2008 verhängten Sperrfrist von zwölf Monaten die Feststellung zu treffen, dass die polnische Fahrerlaubnis der Antragstellerin nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen auf dem Gebiet der Bundesrepublik berechtigt.
Zwar wurde die polnische EU-Fahrerlaubnis der Antragstellerin erst am 23. August 2009 und damit erst nach Ablauf der Sperrfrist von den polnischen Behörden ausgestellt. Zu beachten ist jedoch Folgendes:
Die Antragstellerin hat diese polnische EU-Fahrerlaubnis nicht "originär", d.h. durch Ablegen einer theoretischen und praktischen Prüfung, am 23. August 2009 erlangt, sondern durch den Umtausch einer zuvor, nämlich am 19. November 2008, erworbenen ukrainischen Fahrerlaubnis.
Fraglich ist bereits, ob es sich bei einem EU-Führerschein, der - wie hier - durch den Umtausch eines Führerscheins aus einem nicht EU-Staat (Drittstaat) erworben wurde, um einen "EU-Führerschein" im Sinne des § 28 FeV handelt und ob einem solchem Führerschein unter Berücksichtigung der Regelung des Art. 11 Abs. 6 Satz 3 der Richtlinie 2006/126/EG die Anerkennung versagt werden kann (vgl. hierzu im Einzelnen: Maierhöfer, Die Anwendung der §§ 28 bis 31 FeV auf EU-Führerscheine, die durch Umtausch eines drittstaatlichen Führerscheines erworben wurden, in: DAR 12/2009, Seite 684 ff.).
Maßgeblich ist hier für das Gericht der Grundsatz, dass ein EU-Führerschein, der durch Umtausch eines anderen EU-Führerscheins erworben wurde, in Deutschland nicht in größerem Maße Anerkennung finden soll als derjenige Führerschein, der umgetauscht wurde (OVG Lüneburg, Beschluss vom 8. Mai 2009 - 12 ME 47/09 -; BayVGH, Beschluss vom 6. August 2007 - 11 ZB 07.1200). Das VG Freiburg hat hierzu in seinem Urteil vom 11. Februar 2009 (Az. 1 K 1711/08) wie folgt ausgeführt:
"Der Umtausch als solcher löst (…) keine Anerkennungspflicht aus. Dementsprechend ist auch ein umgetauschter Führerschein, der in einem EU-Mitgliedsstaat ausgestellt worden ist, nur in dem Umfang anzuerkennen, in dem der ursprünglich ausgestellte Führerschein anzuerkennen ist."
Begründet wird dies damit, dass einem solchen Umtausch - anders als bei der Neuerteilung der Fahrerlaubnis (vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 91/439/EWG) - nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG keine erneute Prüfung der Fähigkeiten, Verhaltensweisen und Kenntnisse durch den ausstellenden Mitgliedsstaat vorausgeht. Folglich könne es auch keine Pflicht anderer Mitgliedsstaaten geben, den neuen Führerschein als das Ergebnis einer solchen Prüfung des Ausstellungsstaates anzuerkennen (OVG Lüneburg, aaO; BayVGH, aaO). Dasselbe muss erst recht gelten, wenn nicht nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG ein EU-Führerschein in einen anderen EU-Führerschein umgetauscht wird, sondern "nur" nach Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie 91/439/EWG ein Drittstaatenführerschein (Maierhöfer, aaO).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann der durch Umtausch des ukrainischen Führerscheins erworbene polnische EU-Führerschein in Deutschland nur in dem Maße Anerkennung finden wie derjenige Führerschein, der umgetauscht wurde. Maßgeblich ist demnach, ob und in welchem Maße der ukrainische Führerschein der Antragstellerin in Deutschland anerkannt würde. Der ukrainische Führerschein wurde der Antragstellerin am 19. November 2008, mithin vor Ablauf der strafgerichtlich verhängten Sperrfrist, erteilt, so dass diesem Führerschein die Anerkennung zu versagen gewesen wäre (Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG, § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV).
Daraus folgt unter Berücksichtung der vorstehenden Erwägungen, dass auch der polnische EU-Führerschein der Antragstellerin nicht anerkannt werden darf.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass der ukrainischen Fahrerlaubnis auch unter Geltung der vor dem 19. Januar 2009 (Inkrafttreten der 3. Führerscheinrichtlinie - Richtlinie 2006/126/EG - und der Änderung der FeV) geltenden Rechtslage die Anerkennung versagt bleiben müsste, da auch nach der Rechtsprechung des EuGH und der nationalen Gerichte zum früheren Recht ein Führerschein, der vor Ablauf einer strafrechtlich Sperrfrist erworben wurde, nicht anerkannt werden muss.
Bei dieser Sachlage ist es entgegen der Rechtsauffassung der Antragstellerin unerheblich, ob ihr Verhalten als missbräuchlich zu werten ist.