Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 26.09.2023, Az.: 3 A 116/22
ELN; Flüchtlingsschutz; Kolumbien; Flüchtlingsschutz für Opfer der ELN in Kolumbien
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 26.09.2023
- Aktenzeichen
- 3 A 116/22
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 48581
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2023:0926.3A116.22.00
Rechtsgrundlagen
- AsylG § 3
- AsylG § 3 e
[Tatbestand]
Die Kläger sind kolumbianische Staatsangehörige und lebten vor ihrer Ausreise zuletzt in Santander. Am 24.01.2022 reisten die Kläger aus ihrer Heimat aus und am 25.01.2022, über Spanien kommend, in die Bundesrepublik Deutschland ein. Hier stellten sie am 21.02.2022 Asylanträge, zu deren Gründen sie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 28.02.2022 angehört worden sind. Dabei gab der Kläger zu 1.) im Wesentlichen an, seine Familie sei 2002 aus dem Dorf, in dem sie gewohnt hätten, vertrieben worden. Deshalb habe er den Entschluss gefasst, zum Militär zu gehen. Hier habe er von 2003 bis 2008 Dienst geleistet. Er sei an vielen Einsätzen beteiligt gewesen. Seit 2009 habe er als LKW-Fahrer gearbeitet. Der Familie seiner Frau sei es noch viel schlimmer ergangen. Ein Bruder seiner Frau sei entführt und getötet worden. Sie seien mehrfach umgezogen, aber die urbanen Milizen hätten sie stets aufgefunden. Die Leute die sie verfolgt hätten, seien Mitglieder der ELN gewesen. Sie hätten sich an Human Rights Watch und andere NGO's gewandt, auch an die WAO. Diese habe festgestellt, dass es bei ihnen eine komplexe Situation sei. Sie seien dort gefragt worden, ob sie Verwandtschaft außerhalb Kolumbiens hätten und als sie dies verneint hätten, sei ihnen von Deutschland erzählt worden. Dann hätten sie den Entschluss gefasst, nach Deutschland zu fliehen. Hintergrund der Flucht seien ständige Drohungen sowohl durch Flugblätter als auch Anrufe gewesen. Ausgangspunkt sei die Entführung des Bruders seiner Frau, die schon viele Jahre zurückliege. Ende 2020 sei versucht worden, sie zu töten. Sein Schwager habe einen Anruf von der Staatsanwaltschaft bekommen und diese habe Speichelproben von Verwandten haben wollen. Diese hätten mit Proben von Körpern verglichen sollen, die man in Massengräbern gefunden habe. Sie hätten sich zu den Massengräbern begeben sollen, um dort diesen Test zu machen. Er sei mit seiner Frau und seinem Schwager dorthin gefahren. Vor dem Ziel seien bewaffnete Männer aufgetaucht. Als sein Schwager den Wagen angehalten habe, hätten die Männer die Waffen zur Hand genommen. Es seien eindeutig keine offiziellen Beamte, sondern Guerilleros gewesen. Er sei mit seiner Frau geflüchtet, sein Schwager sei angeschossen worden. Nachdem sie in den Schutz des Militärs gekommen seien, sei ihnen mitgeteilt worden, dass sich sein Schwager im Krankenhaus befinde. Er sei jedoch auf dem Weg zum Krankenhaus verstorben. Dieses Attentat habe sich gegen sie persönlich gerichtet, weil sie schon länger im Fokus der Guerilla gestanden hätten. Jedenfalls die Familie seiner Frau habe im Fokus gestanden. Sie hätten dieses Attentat angezeigt, danach aber noch mehr Druck erfahren. Die Anzeigen seien stets von seiner Frau oder der Seite seiner Frau erstattet worden. Er persönlich halte nichts davon, weil er wisse, dass es nichts bringe. Immer wenn seine Frau nervös geworden sei, seien sie in verschiedene Städte in der Nähe von Santander gegangen. Konkreter Anlass für die Ausreise im Januar 2022 sei gewesen, dass die Drohungen sich angehäuft hätten und immer intensiver geworden seien. Dies sei auch die Zeit gewesen, wo es allgemeine soziale Spannungen in Kolumbien gegeben habe und die Situation immer schlimmer geworden sei.
Die Klägerin zu 2.) gab bei ihrer Anhörung an, sie hätte nach der Ermordung ihres jüngeren Bruders 2015 nach Cali zurückkehren müssen, um einen Prozess zu eröffnen und den Körper ihres Bruders zu erhalten, weil er dort hingerichtet worden sei. Das Attentat auf sie, ihren Mann und ihren Bruder auf der Fahrt zur Abgabe einer Speichelprobe bei einem Massengrab sei im August 2020 gewesen. Sie und ihr Mann hätten fliehen können und im nächsten Dorf habe Militär sie in Sicherheit gebracht. Am nächsten Morgen sei ihnen mitgeteilt worden, ihr Bruder sei im Krankenhaus. Sie seien dorthin gefahren, er sei jedoch schon tot gewesen. Die gegen sie gerichteten Bedrohungen seien immer weitergegangen und seien immer mehr geworden. Sie hätte sich an die Staatsanwaltschaft und weitere Organisationen wie ACNUR gewandt. Schutz sei ihnen nicht gewährt worden. Vor ihrem Haus seien öfter Leute mit Kapuzen aufgetaucht, die Zettel unter ihrer Tür durchgeschoben hätten. Sie habe alles der Staatsanwaltschaft angezeigt, passiert sei aber nichts. Zum Beleg der Anzeigen überreicht die Klägerin zahlreiche Kopien. Fast alle Anzeigen datieren auf den 24.11.2021.
Mit Bescheid vom 04.04.2022 lehnte es die Beklagte ab, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gleichzeitig stellt sie fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen. Sie forderte die Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss ihres Asylverfahrens zu verlassen, wobei sie für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Kolumbien androhte. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot befristete sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
Zur Begründung führte gab die Beklagte im Wesentlichen an, die geschilderte Verfolgung durch die ELN sei nicht asylerheblich. Der kolumbianische Staat sei schutzwillig und -fähig. Vollständigen Schutz vor Übergriffen vermöge kein Staat zu gewähren. Das Vorliegen von Abschiebungsverbote lehnte die Beklagte mit umfassender Begründung ab.
Hiergegen haben die Kläger am 15.04.2022 Klage erhoben.
Zu deren Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, der Kläger zu 1.) und seine Familie seien 2002 von der ELN aus ihrem Heimatdorf vertrieben worden. Auch die Familie der Klägerin sei 2002 vertrieben worden. Dabei sei ein jüngerer Bruder der Klägerin zu 2.) entführt worden. Dieser Bruder sei hingerichtet worden. Die Familie sei zunächst nach Bogota und nach der Tötung des jüngeren Bruders der Klägerin zu 2.) nach Cali umgezogen. Dort seien die Drohungen weitergegangen. Von Cali seien sie nach Jamundi gezogen. Auch dort habe es Bedrohungen gegeben. 2019 seien sie nach Santander umgezogen. Bei einem Attentat 2020 sei ein weiterer Bruder der Klägerin zu 2.) getötet worden. Die Kläger seien zu militärischen Zielen erklärt worden. Obwohl die Kläger ihren Aufenthalt ständig gewechselt hätten, seien die Bedrohungen immer mehr geworden. Sie seien verfolgt worden, weil sie dich der ELN widersetzt hätten und mit der Staatsanwaltschaft und der Polizei zusammengearbeitet hätten.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 04.04.2022 zu verpflichten,
sie als Asylberechtigte anzuerkennen,
ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise,
ihnen den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
weiter hilfsweise,
festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz in Bezug auf Kolumbien vorliegen.
Die Beklagte beantragt, dem klägerischen Vorbringen in der Sache entgegentretend,
die Klagen abzuweisen.
Die Kläger sind in mündlicher Verhandlung informatorisch zu ihren Asylgründen angehört worden. Wegen der Einzelheiten ihrer Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Ausländerakten der Stadt A-Stadt Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen wie die aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste ersichtlichen Erkenntnismittel.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist im Wesentlichen begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 28.01.2022 und 02.02.2022 sind rechtswidrig soweit die Kläger einen Anspruch darauf haben, dass die Beklagte ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuerkennt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte haben die Kläger dagegen nicht.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II Seite 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II Seite 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 und § 3b AsylG und der Verfolgungshandlung oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung im Sinne des § 3d AsylG zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn sich die Rückkehr in den Heimatstaat aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen als unzumutbar erweist, weil bei Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände die für eine bevorstehende Verfolgung streitenden Tatsachen ein größeres Gewicht besitzen als die dagegensprechenden Gesichtspunkte. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 - Qualifikationsrichtlinie - (ABl. L 337/9) ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, setzt einen inneren Zusammenhang zwischen der Vorschädigung und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5/09, juris Rn. 21). Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.
Es obliegt bei alledem dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es - unter Angabe genauer Einzelheiten - einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.02.1988 - 9 C 32/87; BVerfG, Beschl. v. 29.11.1990 - 2 BvR 1095/90, jeweils zitiert nach juris). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet dabei die Pflicht der Gerichte zur Aufklärung des Sachverhalts ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Lässt der Kläger es an der Schilderung eines zusammenhängenden und in sich stimmigen, im wesentlichen widerspruchsfreien Sachverhalts mit Angabe genauer Einzelheiten aus seinem persönlichen Lebensbereich fehlen, so bietet das Klagevorbringen seinem tatsächlichen Inhalt nach keinen Anlass, einer daraus hergeleiteten Verfolgungsgefahr näher nachzugehen (BVerwG, Beschl. v. 26.10.1989 - 9 B 405/89, juris Rn. 8). Es ist auch von Verfassungs wegen unbedenklich, wenn ein in wesentlichen Punkten unzutreffendes oder in nicht auflösbarer Weise widersprüchliches Vorbringen ohne weitere Nachfragen des Gerichts unbeachtet bleibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.11.1990 - 2 BvR 1095/90, juris Rn. 14 ff.). Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 - 9 C 109.84, zitiert nach juris).
Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Gemessen an diesen Vorgaben, steht den Klägern ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zur Seite.
Die Kläger sind vorverfolgt aus Kolumbien ausgereist.
Die Kläger konnten ihr Verfolgungsschicksal umfassend, detailreich und sichtlich betroffen zur Überzeugung des Einzelrichters wie folgt darlegen: Beide Kläger sind mit ihren Familien 2002 aus ihren Heimatdörfern vertrieben worden. Zuvor war der jüngere Bruder der Klägerin von Mitgliedern der ELN entführt worden. Dieser ist einige Zeit später offenbar von der ELN getötet worden, ohne dass seine Leiche bis heute auffindbar gewesen ist. Zunächst die Mutter der Klägerin, dann später auch die Klägerin selbst, haben Anzeige wegen der Entführung und der Tötung erstattet und alles getan, damit die Schuldigen bestraft werden. Zu diesem Zweck ist die Klägerin 2005 nach Cali zurückgekehrt, um das Verfahren der Aufklärung in Gang zu setzen und zu begleiten. Die Familie der Klägerin ist seit dieser Zeit immer wieder von der ELN bedroht und aufgefordert worden, die Nachforschungen nach dem Bruder zu unterlassen. Sie erhielten Drohbriefe der ELN ebenso wie sie an ihrem Wohnort überwacht worden sind. Im Jahr 2018 sind dann die Kläger, die seit 2017 zusammen waren, nach Santander gegangen, um diesen Bedrohungen zu entkommen. Dort indes haben sich die Bedrohungen durch die ELN fortgesetzt und hat sich schließlich im August 2020 ein Attentat auf die Kläger und den älteren Bruder der Klägerin stattgefunden. Insbesondere dieses Ereignis vermochten die Kläger in allen Einzelheiten und sichtlich emotional betroffen darzulegen. Bei diesem Attentat sind die Kläger, die in ihren Bemühungen, den Bruder der Klägerin zu finden, nie nachgelassen hatten, offenbar in eine Falle der ELN geraten und konnten, anders als der Bruder der Klägerin, der bei dem Attentat getötet worden ist, mit knapper Not flüchten. Hierin zeigt sich, dass es sich bei den Drohungen der ELN über all die Jahre nicht bloß um leere Worte gehandelt hat, sondern diesen Drohungen auch eine Tat folgte, nachdem die Kläger - ab 2017 gemeinsam - nicht aufgehört hatten, nach dem Bruder der Klägerin zu suchen. Den Klägern kann nicht entgegengehalten werden, dass sie Kolumbien nicht sogleich nach diesem Attentat verlassen, sondern mit der Ausreise noch etwa 1 1/2 Jahre zugewartet haben. Nachvollziehbar und überzeugend konnten sie den Grund hierfür in der mündlichen Verhandlung darlegen. Sie haben insoweit angegeben, eigentlich in Kolumbien hätten bleiben zu wollen. Ständige Beobachtungen durch offenbar Angehörige der ELN und weitere Drohungen hätten ihnen dann aber gezeigt, dass diese Verfolgungssituation nie enden würde und die Sicherheitsbehörden, an die sich die Kläger mehrfach erfolglos gewandt hätten, ihnen nicht helfen würden. Mit finanzieller Unterstützung einer staatlichen Organisation für die Unterstützung der Opfer des bewaffneten Konflikts in Kolumbien konnten die Kläger sodann im Januar 2022 ausreisen. Mit ihrer Suche nach dem Bruder der Klägerin und dem Drängen auf Strafverfolgung der entsprechenden ELN-Mitglieder haben sich die Kläger mächtige Feinde gemacht, die vor ihrer Ermordung nicht zurückgeschreckt haben. Dies deckt sich mit den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln. Im Länderfocus der euaa, Dezember 2022 heißt es in der deutschen Übersetzung nach DeepL zur ELN auf S. 94: "Nach der Demobilisierung der FARC-EP ist die Nationale Befreiungsarmee (ELN, Ejército de Liberación Nacional) die letzte noch aktive Guerillagruppe in Kolumbien. Die ELN ist nach EU-Recht als terroristische Vereinigung eingestuft. Es handelt sich um eine marxistisch-leninistische Guerillagruppe, die ihre Anfänge in den 1960er Jahren hatte, sich aber derzeit eher auf illegale Aktivitäten wie Drogenhandel, Erpressung, Entführung und die Kontrolle der Koka- und Kokainproduktion konzentriert. Sie greift auch die Infrastruktur an, was im Einklang mit ihrer marxistischen Ideologie und ihrem Aufstand steht und den ausländischen Kapitalismus untergräbt. Insight Crime stellt fest, dass die ELN derzeit "die mächtigste kriminelle Gruppe in Kolumbien und Venezuela" ist, nachdem sie nach der Demobilisierung der FARC-EP rasch expandierte. Sie ist die einzige verbliebene Gruppe, die ausdrücklich gegen den kolumbianischen Staat kämpft.
Die ELN verfügt über ein "Zentralkommando" (Comando Central, COCE) und unterhält acht aktive "Kriegsfronten" oder Kampfdivisionen in ganz Kolumbien (mit weiteren lokalen Unterabteilungen), die ein hohes Maß an Autonomie besitzen. Die ELN wird als "sehr dezentralisiert ", "radikal und nicht zentral gesteuert" beschrieben, wobei ein Großteil der Führung einer älteren Generation angehört, die in Kuba lebt und nur begrenzten Einfluss auf lokale Einheiten im ländlichen Kolumbien hat. Die ELN hat zwischen 2 400 und 4 000 Kämpfer und Milizen. Nach dem Friedensabkommen mit der FARC hat die ELN in den letzten Jahren ihre Präsenz und ihre Standorte in den Eufach0000000001n ausgebaut. ELN unternimmt bewaffnete und politische Versuche, andere für die Ideologie der Gruppe zu rekrutieren." In Bezug auf die Gefährdung von Zeugen, und die Situation der Kläger ist der eines Zeugen gleichzustellen heißt es auf S. 211 des Länderfocus der euaa, Dezember 2022, in der deutschen Übersetzung nach DeepL: "Gewalt gegen Justizbedienstete, Zeugen von Straftaten, Opfer von Gewaltverbrechen, die von der Justiz verfolgt werden, und Beamte hat mit den Friedensvereinbarungen nicht abgenommen und hält aufgrund der anhaltenden Präsenz krimineller Organisationen und bewaffneter Gruppen an. In Kolumbien mangelt es an einem wirksamen Zeugenschutz".
Alles in allem ist das Gericht daher der Überzeugung, dass die Kläger wegen ihrer Bemühungen um das Auffinden ihres von der ELN entführten und ermordeten Verwandten in den Fokus der ELN geraten und asylerheblich verfolgt worden sind.
Diese Verfolgung ist eine politische Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 b Abs. 1 Nr. 5 AsylG. Gemäß § 3 b Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist unter politischer Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3 c AsylG genannten potentiellen Verfolger sowie deren Politiken und Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Die Resozialisierung von von Guerilleros Vertriebenen und Aussteigern aus kriminellen Banden ist einerseits nach dem Friedensschluss 2016 Staatsdoktrin und damit fester Bestandteil der kolumbianischen Politik. Zum anderen betrifft diese Politik die wirtschaftliche Existenz und Nachwuchsgewinnung der Guerillaorganisationen und der Paramilitärs, mithin deren gegenläufige eigene Politik. Sozialpolitik und ihre Gegnerschaft lassen sich in der Folge des Friedensabkommens von 2016 in Kolumbien nicht dem rein kriminellen Milieu zuordnen; sie haben politischen Charakter.
Da die Kläger vorverfolgt ausgereist sind, spricht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht wird. Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, setzt einen inneren Zusammenhang zwischen der Vorschädigung und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5/09, juris Rn. 21). Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Da die Vermutung nicht zu widerlegen ist, bzw. von der Beklagten nicht widerlegt worden ist (vgl. zu dieser Beweislastumkehr, Marx, Handbuch zur Qualifkationsrichtlinie, § 26 Rn. 82), ist davon auszugehen, dass die Kläger bei einer Rückkehr in ihre Heimatregion erneut verfolgt würden.
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheitert nicht daran, dass die von den Klägern geschilderte Verfolgung von nicht staatlichen Akteuren ausgeht. Denn das Gericht ist davon überzeugt, dass der kolumbianische Staat zwar grundsätzlich in der Heimatregion der Kläger, Bogota, in der Lage und willens ist, i. S. d. § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten. Im Fall der Kläger hat er sich vor ihrer Ausreise jedoch im Einzelfall als schutzunfähig erwiesen. Gemäß § 3 d Abs. 2 AsylG muss der Schutz vor Verfolgung wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gemäß Satz 2 der Vorschrift gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Einen vollständigen Schutz vor jeglichen kriminellen Übergriffen vermag kein Staat zu bieten. Verlangt wird durch die genannten Vorschriften, dass der Staat die Verfolgungsgefahr durch effektiven Schutz minimiert. Selbst wenn es nicht ausreichen sollte, dass die zuständigen Behörden ihr Bestes tun, wenn der Ausländer darlegen kann, dass das Beste ineffektiv ist und er glaubhaft gemacht hat, dass der Staat zur erforderlichen Schutzgewährung nicht fähig ist (vgl. in diesem Sinne Marx, a. a. O. § 3 d Rn. 33), muss hier von einer solchen Gefahr ausgegangen werden. Eine derartige Darlegung ist den Klägern gelungen. Sie haben übereinstimmend und nachvollziehbar berichtet, dass sie staatlichen Schutz sowohl bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft (Fiscalia), wie auch bei der UNP gesucht, aber nicht gefunden haben. Lediglich kurzfristig hat die Polizei die Kläger aufgesucht, nur um sich eine Bescheinigung von den Klägern ausstellen zu lassen, dass sie vor Ort gewesen sind. Dass die Polizei und die Staatsanwaltschaft in Einzelfällen nicht in der Lage sind, staatlichen Schutz effektiv zu gewähren, ist bekannt (vgl. nur ai an die erkennende Kammer vom 14. April 2022). Aber auch die UNP (Unidad Nacional de Proteccion) kann verlässlichen Schutz nicht gewähren. So wurden z.B. im Jahr 2020 von insgesamt 24.904 bis November gestellten Schutzgesuchen nur 4.303 positiv beschieden (Antwortschreiben vom 25.11.2020 an Rechtsanwalt A., Az.: OF 120-00032032). Zwar bedeutet das Angebot staatlichen Schutzes keine Garantie, nicht getötet oder verletzt zu werden (SFH, a.a.O.). Dies bestätigt die UNP in ihrer ergänzenden Antwort an Rechtsanwalt A. vom 15.12.2020, Az.: OF 120-00034569, wonach zwischen 2017 und 2020 9 Personen, denen die UNP Schutz gewährt hatte, währenddessen getötet wurden. Allerdings ist in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit Opfer eines Mordanschlags zu werden in Anbetracht von ca. 25.000 Schutzzusagen in diesem Zeitraum sehr gering (0,036 %). Den Klägern ist nach ihren überzeugenden Darlegungen Schutz in Cali oder Santander aber gar nicht angeboten worden.
Schließlich steht den Klägern interner Schutz i. S. v. § 3 e Abs. 1 AsylG nicht zur Seite.
Gemäß § 3 e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er
1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2. sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Ein solch interner Schutz steht den Klägern zur Überzeugung des Gerichts nicht in den kolumbianischen Großstädten zur Verfügung, die nicht zu den zwischen der Guerilla und der Regierung umstrittenen Gebieten Kolumbiens gehören. Grundsätzlich bejaht das Gericht einen solchen, zumutbar zu erreichenden internen Schutz. Sämtliche dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel berichten von gezielten Übergriffen von Banden und Guerilleros auf die Zivilbevölkerung lediglich in den nach Rückzug der FARC-Rebellen umkämpften Regionen Kolumbiens. In diesen Gebieten, in denen es nach dem Rückzug der FARC-Rebellen infolge des Friedensabkommens 2016 zu Territorial- und Streitereien um Drogen und Rohstoffe gekommen ist, zeigt der kolumbianische Staat, wie oben dargelegt, kaum effektive Präsenz auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Erkenntnisse darüber, dass der kolumbianische Staat außerhalb der umkämpften Gebiete nicht sein staatliches Gewaltmonopol durchsetzt, hat das Gericht nicht. Keine der aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Lise ersichtlichen Erkenntnismittel berichtet über Derartiges.
Hierzu gehört insbesondere die Hauptstadt Bogota wie auch andere Millionenstädte wie Cali nicht. Es ist für Personen, die von Verfolgung betroffen sind, grundsätzlich möglich, sich innerhalb des Staatsgebiets Kolumbiens einer solchen Bedrohung zu entziehen. Für Personen, die dem der staatlichen Schutzprogramm der UNP (Unidad Nacional de Proteccion) unterfallen, gibt es sogar staatliche Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen, bis hin zu Reisekostenunterstützung (vgl. BFA vom 28.05.2021 Auskunft an das erkennende Gericht, S. 3 f., 7 f.). Deswegen bejaht das Gericht in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes (vgl. nur Urteil vom 17.11.2021 -3 A 94/19-; ebenso VG Lüneburg, Urteil vom 25.08.2021 -1 A 13/20-; VG Oldenburg, Gerichtsbescheid vom 06.10.2021 -13 A 116/21-).
Belegen aber die Erkenntnismittel, dass die nichtstaatlichen Akteure ihre Verfolgungen landesweit ausüben können und muss von einem Verfolgungsinteresse ausgegangen werden, kann von dem Asylbewerber nicht erwartet werden, in anderen Landesteilen Schutz zu suchen (Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 4 Rn. 141). So liegt der Fall hier.
Die Konrad Adenauer Stiftung macht die Frage der internen Sicherheit davon abhängig, wie stark die verfolgte Person exponiert ist und von welchen Akteuren sie verfolgt wird (Auskunft an die erkennende Kammer vom 26.04.2021). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O. S. 6) führt dazu aus, es sei schwierig, Aussagen über die Wirksamkeit von Umsiedlungen einer bedrohten Person in eine andere Region oder Stadt zu machen. Wenn die kriminelle Gruppe eine lokal organisierte Drogenhändlerbande sei, könnte eine solche Umsiedlung den Drohungen ein Ende setzen. Doch wenn diese Drohungen von einer wichtigeren Organisation kämen, die auf nationaler Ebene tätig sei, sei es sehr wahrscheinlich, dass die Person auch in einer größeren Stadt bedroht werde.
Schließlich führt das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 21.02.2022 an die erkennende Kammer aus, dass von Gewaltandrohung Betroffene oft versuchen sich in anderen Landesteilen und/oder Großstädten in Sicherheit zu bringen. Allerdings könne eine erneute Verfolgung nicht ausgeschlossen werden. Bewaffnete Gruppen seien gut vernetzt und könnten - bei besonderem Interesse an der Person - mit entsprechendem Aufwand Personen landesweit ausfindig machen. Dies gelte für alle Gruppen von Verfolgten; sie seien alle gefährdet, wenn sie über Informationen verfügten, die für die Verfolger ein Risiko darstellten. Aus Sicht des Auswärtigen Amtes mache es keinen signifikanten Unterschied, von welcher Gruppe von Verfolger (staatliche Behörden, Kriminelle, Guerilla oder Paramilitärs) ausgehe, da diese gerade in den Konfliktregionen häufig miteinander verwoben seien und staatliche Behörden zudem oft von kriminellen Gruppen infiltriert seien. Der kolumbianische Staat gehe im Rahmen seiner Möglichkeiten gegen diese kriminellen Gruppen vor, sei jedoch nicht in der Lage, seine Bürger*innen umfänglich und erfolgreich gegen diese kriminellen Aktivitäten zu schützen.
Aktuell finden sich diese Erkenntnisse bestätigt durch die Angaben der EUAA (Country Focus Colombia, Dezember 2022). So heißt es in Abschnitt 4.3 (S. 69 der deutschen Version), die Präsenz des bewaffneten Konflikts in städtischen Gebieten sei nicht neu. In den Jahren 2021 und 2022 habe er an Relevanz gewonnen, da die Verbindungen zwischen den bewaffneten Strukturen auf nationaler Ebene und den lokalen Banden/Combos durch Outsourcing-Beziehungen verstärkt worden seien. In Abschnitt 5.3.4 (S. 110 der deutschen Version) heißt es, städtische kriminelle Straßenbanden seien inzwischen für einen wachsenden Anteil der Gewalt in Kolumbien verantwortlich. Diese Gruppen würden auch häufig von größeren Gruppen wie AGC (anderer Begriff für Clan del Golfo oder Aguilas Negras) und ELN unter Vertrag genommen, um ihre "städtischen Schmuggelrouten" zu betreiben. AGC zeichne sich besonders dadurch aus, dass sie Franchise-Gruppen einsetzte, bei denen es sich häufig um kleinere, lokalisierte Banden in ganz Kolumbien handele, die unter dem Banner der größeren Gruppe und mit einem hohen Maß an Autonomie als "ausgelagerte" Banden operierten. In Abschnitt 5.8 (S. 132 der deutschen Version) heißt es weiter, dass kriminelle Gruppen definitiv in der Lage seien, Zielpersonen aufzuspüren (ebenso: UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing Colombia, August 2023 S. 83, deutsche Übersetzung S. 85). Dies geschehe hauptsächlich durch Mundpropaganda und landesweite Netzwerke von "städtischen Kollaborateuren" oder durch die Anwerbung lokaler städtischer Kontakte. Es sei umso wahrscheinlicher, dass eine solche Gruppe jemanden aufspüren könne, je nationaler die Gruppe sei. Eine FARC-Dissidentengruppe, die ELN oder die AGC wären also eher dazu in der Lage als eine lokale kriminelle Gruppe. Auf den folgenden Seiten wird diese Aussage vertieft und dargelegt, dass die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Verfolgung von der verfolgten Person, der Art ihrer Tätigkeit, dem Verfolgungsinteresse des Verfolgers sowie - in weitaus geringstem Maße - von seinen logistischen Fähigkeiten abhängt. Auch aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das erkennende Gericht vom 21.02.2022 ergibt sich, dass paramilitärischen Gruppen aufgrund ihrer Beziehungen und Verflechtungen mit staatlichen Stellen in der Lage sein werden, die Kläger aufzuspüren. Das Gericht geht davon aus, dass das Interesse der ELN an der Verfolgung der Kläger auch bei einem gedachten Umzug fortbestehen wird.
Hier spricht der Gesichtspunkt, dass die Kläger über Erkenntnisse verfügen, die Mitgliedern der ELN sehr gefährlich werden könnten, wenn sie in einem gegen sie angestrengten Strafprozess als Zeuge aussagt, dafür, dass ein intensives Verfolgungsinteresse an den Klägern besteht. Auch ihre stetigen Bemühungen, das Schicksal des jüngeren Bruders der Klägerin aufzuklären und die Schuldigen bei der ELN zu finden steht diametral gegen deren Interessen Es ist aus Sicht der Täter nachvollziehbar, dass sie verhindern müssen, dass die Kläger gegen sie aussagen. Dabei ist es unerheblich, ob ein Strafprozess aktuell anhängig oder abgeschlossen ist. Wie sich insbesondere aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes ergibt, sind die paramilitärischen Gruppen, also auch die ELN, aufgrund ihrer Beziehungen und Verflechtungen mit staatlichen Stellen auch in der Lage, den Kläger aufzuspüren. Derartige Gefährdungen von Zeugen paramilitärischer Gewalttaten belegt auch die Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 04. Mai 2016, S. 2. Die Angaben der Kläger spiegeln sich in der Erkenntnislage wider. Dies spricht erneut für die Glaubwürdigkeit der Kläger. Belegen die Erkenntnismittel, dass die nichtstaatlichen Akteure ihre Verfolgungen landesweit ausüben können, kann von dem Asylbewerber nicht erwartet werden, in anderen Landesteilen Schutz zu suchen (Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 14 Rn. 141).
Einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte haben die Kläger demgegenüber nicht. Sie sind über Spanien nach Deutschland eingereist, was einen Asylanspruch nach § 26 a Abs. 1 AsylG, Art. 16 a Abs. 2 GG ausschließt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Das Unterliegen der Kläger im Hinblick auf die Asylanerkennung wertet das Gericht als geringfügiges Unterliegen. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83 b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.