Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 05.02.2003, Az.: 3 U 266/02
Einlagenrückforderungen eines atypischen stillen Gesellschafters bei Prospekthaftung und Beratungsverschulden; Anwendbarkeit der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft auf die atypische stille Gesellschaft; Rückzahlungsanspruch hinsichtlich der Einlagen einer in Vollzug gesetzten stillen Gesellschaft; Abgrenzung der Einlagenrückzahlung von der Auseinandersetzung nach § 235 HGB; Ausnahme von den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft aus Gründen des Verbraucherschutzes und aus der hohen Zahl der Anleger beim zugrunde liegenden Anlagemodell; Einlagenrückforderungen eines atypischen stillen Gesellschafters bei Prospekthaftung und Beratungsverschulden; Voraussetzungen der Zurückweisung der Einlagenrückforderungen durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 05.02.2003
- Aktenzeichen
- 3 U 266/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 24112
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2003:0205.3U266.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 24.10.2002 - AZ: 2 O 448/02
Rechtsgrundlagen
- § 242 BGB
- § 235 HGB
- § 522 Abs. 2 ZPO
- § 130a VwGO
Fundstellen
- AG 2003, 573 (Volltext mit amtl. LS)
- DStR 2003, 749 (amtl. Leitsatz)
- DStZ 2003, 516 (Kurzinformation)
- Konzern 2004, 121-122
- NZG 2003, 526-528 (Volltext mit amtl. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2003, 125-127
- ZIP 2003, 1154-1156 (Volltext mit amtl. LS)
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 24.10.2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.
Gründe
1.
Die Berufung des Klägers ist nicht begründet und hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO).
Der Kläger kann die Rückzahlung seiner Einlagen nicht verlangen. Denn da die stille Gesellschaft in Vollzug gesetzt worden ist, finden auf die vorliegende Sache die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft (zur Anwendbarkeit auf die atypische stille Gesellschaft vgl. BGHZ 8, 157; vgl. auch BGH NJW 1992, 2696, 2698 [BGH 29.06.1992 - II ZR 284/91], BGH NJW 1993, 2107; vgl. auch OLG Hamm NJW-RR 1999, 1415, 1417 [OLG Hamm 02.03.1999 - 27 U 257/98]; Staub/Zutt HGB 4. Aufl. § 230 Rn, . 69) mit der Folge Anwendung, dass der Kläger nur die Auseinandersetzung nach § 235 HGB verlangen könnte.
Die rechtliche Anerkennung der fehlerhaften Gesellschaft findet zwar ihre Grenze, wo gewichtige Interessen der Allgemeinheit oder einzelner schützenswerter Personen entgegenstehen. Fälle dieser Art bilden der Gesetzesverstoß (BGHZ 62, 234, 241 [BGH 25.03.1974 - II ZR 63/72]; 75, 214, 218), [BGH 24.09.1979 - II ZR 95/78]eine besonders grobe Sittenwidrigkeit oder der Umstand, dass sich ein Gesellschafter durch Drohung oder Täuschung einen überaus günstigen Gewinn- und Liquidationsanteil zugestehen lässt und ein deswegen in die Auseinandersetzungsrechnung einzustellender Schadensersatzanspruch keinen genügenden Ausgleich ermöglicht (BGHZ 55, 5, 9 f. [BGH 29.06.1970 - II ZR 158/69] ). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend jedoch nicht gegeben und wird von dem Kläger so auch nicht geltend gemacht.
Soweit der Kläger demgegenüber aus Gründen des Verbraucherschutzes und aus der hohen Zahl der Anleger beim zugrunde liegenden Anlagemodell eine Ausnahme von der Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft herleiten will, wird auf die Entscheidung des BGH vom 2. 7. 2001 - II ZR 304/00 = NJW 2001, 2718 hingewiesen, in der die Geltung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft auch - dort zum HausTWG - im Zusammenhang mit verbraucherschützenden Gesetzen (vgl. auch OLG Dresden ZIP 2002, 1293) und ausdrücklich auch für eine Publikumsgesellschaft bejaht ist.
Da die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft gerade auch einen der Billigkeit entsprechenden Ausgleich der Interessen des einzelnen Anlegers mit den Interessen auch der Gesellschaftsgläubiger und der Mitgesellschafter herstellen sollen (vgl. BGH a. a. O. NJW 2001, 2718, 2720) [BGH 02.07.2001 - II ZR 304/00] kann der Kläger auch aus § 242 BGB nichts für seine Rechtsposition herleiten.
Auch aus der vom Kläger angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 24. 5. 1993 - II ZR 136/92 = NJW 1993, 2107 ergibt sich nichts, das gegen die Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft sprechen könnte. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Urteil ausgesprochen, dass die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft nach ständiger Rechtsprechung für alle Formen der stillen Gesellschaft gelten und einen sofortigen Rückgewährsanspruch, wie er hier vom Kläger geltend gemacht wird, hindern. Wenn es dort weiter heißt, verlangt werden könne "eine sofortige Abwicklung nach sofortiger Kündigung" ist damit "eine sofortige Auseinandersetzung nach § 235 HGB" gemeint, wie in dem Urteil auch noch ausdrücklich klargestellt worden ist. Eine solche Auseinandersetzung nach § 235 HGB und die Auszahlung eines Auseinandersetzungsguthabens verlangt der Kläger hier aber nicht, und zwar auch nicht hilfsweise. Dazu müsste zunächst auch erst ein etwaiges Guthaben ermittelt werden.
2.
Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, die klärungsbedürftig, klärungsfähig und entscheidungserheblich ist und das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH 4. 7. 2002 - V ZR 75/02 = NJW 2002, 2957 [BGH 04.07.2002 - V ZR 75/02]; 1. 10. 2002 - XI ZR 71/02 = NJW 2003, 65, 67) [BGH 01.10.2002 - XI ZR 71/02]. Die Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft im vorliegenden Fall stützt sich auf eine ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, so dass Klärungsbedarf nicht besteht. Dass die Frage in einer Vielzahl anhängiger Rechtsstreite entscheidungserheblich ist oder sein wird, ändert daran nichts. Die Vielzahl gleichgelagerter Rechtsstreitigkeiten allein begründet die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nicht. Eine Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes als Revisionsgericht erscheint angesichts der gefestigten Rechtsprechung nicht notwendig.
3.
Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern nicht eine Entscheidung des Senats als Berufungsgericht (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO).
Unter 1. ist bereits ausgeführt, dass sich der Senat mit der Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft nicht in einen Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 24. 5. 1993 - II ZR 136/92 = NJW 1993, 2107 stellt, sondern in seiner Bewertung darauf aufbaut.
Auf die kontroverse Beurteilung des zugrunde liegenden Beteiligungsmodells kommt es bei der Entscheidung des Rechtsstreits im Rahmen der Anträge nicht an.
Soweit das OLG Schleswig (ZIP 2002, 1725; ZIP 2003, 74) die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft bei Einlagenrückforderungen eines atypischen stillen Gesellschafters bei Prospekthaftung und Beratungsverschulden unter bestimmten Voraussetzungen nicht anwenden will, sieht der Senat darin eine Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die dem Senat keine Veranlassung gibt, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Frage zu stellen und erneut überprüfen zu lassen. Soweit ersichtlich ist die Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft bei Publikumsgesellschaften allgemein wie auch bei atypisch stillen Gesellschaften in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nach wie vor so weitgehend anerkannt, dass eine einheitliche Rechtsprechung nicht gefährdet erscheint (vgl. aus neuester Zeit OLG Stuttgart ZIP 2002, 1885; OLG Dresden ZIP 2002, 1293).
4.
Der Zurückweisung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO steht auch nicht entgegen, dass die angefochtene Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 128 ZPO) ergangen ist. Im Wortlaut des § 522 Abs. 2 ZPO findet sich kein Hinweis darauf, dass die vereinfachte Form der Berufungszurückweisung nur auf solche Urteile Anwendung finden könnte, die aufgrund mündlicher Verhandlung verkündet worden sind. Auch Art. 103 GG gibt grundsätzlich keinen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung; es ist vielmehr Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in welcher Weise das rechtliche Gehör ausgeübt werden soll (BVerfG NJW 1994, 1053 [BVerfG 08.02.1994 - 1 BvR 765/89]). Schließlich gewährleistet auch Art. 6 Abs. 1 EMRK lediglich einen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung. Der Kläger hat diesen Anspruch in erster Instanz nicht genutzt, sondern sich mit Schriftsatz vom 29. 08. 2002 ausdrücklich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt und damit freiwillig auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Dies kann ihm jetzt nicht einen erneuten Anspruch auf eine mündliche Verhandlung in der Berufungsinstanz eröffnen (vgl. BVerwG 22. 01. 1998 - 2 C 4/97 = NVwZ 1999, 404; BSG 21. 6. 1995 - 9 BV 38/94, juris).
Aus der vom Kläger herangezogenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. 03. 2002 - 1 C 15/01 = NVwZ 2002, 993 ergibt sich nichts Gegenteiliges, und zwar schon deshalb nicht, weil dort ausdrücklich hervorgehoben ist, dass in dem dort zu entscheidenden Fall Art. 6 Abs. 1 EMRK keine Anwendung gefunden hat. Im Übrigen wird in der Entscheidung das vereinfachte Berufungsverfahren nach § 130 a VwGO nicht nur unter der Voraussetzung für zulässig erachtet, dass in erster Instanz eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, sondern auch schon dann, wenn dem Berufungskläger eine mündliche Verhandlung eröffnet war, wie dies auch vorliegend der Fall war.
5.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert des Berufungsrechtszuges beträgt 13.459,86 EUR.
Der Streitwert ist gem. § 3 ZPO, §§ 12, 25 GKG festgesetzt und entspricht dem streitigen Zahlungsbetrag.