Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 19.02.2020, Az.: 1 A 85/14

Amtsermittlungsgrundsatz; Erheblichkeit einer Rechtsverletzung; Klagebefugnis; Substantiierter Vortrag; Zensus 2011

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
19.02.2020
Aktenzeichen
1 A 85/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71489
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen ihre vom Beklagten aufgrund des Zensus 2011 festgestellte Einwohnerzahl.

Die Klägerin ist eine Universitätsstadt mit mehr als 100.000 Einwohnern im Süden Niedersachsens. Nach Maßgabe des Gesetzes über den registergestützten Zensus 2011 – ZensG 2011 – in Verbindung mit dem Niedersächsischen Ausführungsgesetz zum Zensusgesetz 2011 führte der zuständige Beklagte im Jahr 2011 eine registergestützte, durch eine Haushaltsstichprobe und eine Vollerhebung in Gemeinschaftsunterkünften ergänzte Bevölkerungszählung zum Stichtag 09. Mai 2011 durch. Das registergestützte Verfahren weicht von dem Verfahren der sogenannten Primärerhebung ab, das bei der letzten Volkszählung im Jahr 1987 angewandt wurde.

Die Ergebnisse der Volkszählung 1987 wurden bis 2011 fortgeschrieben und waren in Niedersachsen die Grundlage der kommunalen Finanzzuweisungen. Im Vergleich zur Fortschreibung der Werte von 1987 führte im Fall der Klägerin der Zensus 2011 zu einer geringeren Einwohnerzahl. Die Bevölkerungsfortschreibung zum 31. Dezember 2011 ergab für die Klägerin nach der Volkszählung 1987 eine Einwohnerzahl von 121.364 Personen, nach dem Zensus 2011 hingegen von 116.052 Personen.

Ziel des Zensus ist gem. § 1 Abs. 3 Nr. 1 ZensG 2011 u.a. die Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahlen von Bund, Ländern und Gemeinden. Die amtliche Einwohnerzahl einer Gemeinde ist dabei nach § 2 Abs. 2 ZensG 2011 die Gesamtzahl der Personen, die ihren üblichen Aufenthaltsort in der Gemeinde haben. Der übliche Aufenthaltsort einer Person ist der Ort, an dem sie nach melderechtlichen Vorschriften mit nur einer alleinigen Wohnung oder mit ihrer Hauptwohnung gemeldet sein sollte (nicht: ist).

Grundlage der Ermittlung der Einwohnerzahlen sind die Personendatensätze, die von den Meldebehörden den Statistischen Ämtern der Länder – für das Land Niedersachsen also dem Beklagten – nach § 3 ZensG 2011 übermittelt wurden. Die Einwohnerzahl ergibt sich durch Auszählung der gelieferten Angaben aus Verwaltungsregistern, die um Befragungen der Bevölkerung ergänzt und gegebenenfalls statistisch korrigiert wurden. Zentrale Einheit des Zensus ist die (Wohn-)Anschrift. Zur Ermittlung von Anschriften hat das Statistische Bundesamt in Zusammenarbeit mit den Statistischen Ämtern der Länder ein Anschriften- und Gebäuderegister (AGR) aufgebaut. Das AGR enthält alle Anschriften von Gebäuden mit Wohnraum und bewohnten Unterkünften und dient der Steuerung und Koordination aller Erhebungsteile des Zensus 2011. Grundlage für den Aufbau des AGR waren die Daten der Melderegister, der Vermessungsbehörden sowie der Bundesagentur für Arbeit. Diese Daten wurden dem Statistischen Bundesamt übermittelt und dort mit Hilfe von Standardisierungsroutinen auf Anschriftenebene zusammengeführt. In dem daraus entstandenen Gesamtbestand an Anschriften waren zunächst alle Anschriften als „bewohnt“ eingestuft und damit zensus- und stichprobenrelevant, die in mindestens zwei der drei Quellen vorkamen. Anschriften, die nur in einer der drei Quellen zu finden waren, wurden nach § 14 ZensG 2011 durch die Statistischen Ämter der Länder darauf überprüft, ob Wohnraum vorhanden war. Bei einer positiven Überprüfung wurden diese Anschriften im AGR ebenfalls als zensus- und stichprobenrelevant gekennzeichnet.

Der Datenbestand des AGR wurde nach zwei Teilmengen unterschieden, die für die Feststellung der Einwohnerzahl unterschiedlich behandelt wurden: zum einen Anschriften mit Sonderbereichen („Sonderanschriften“), also Gemeinschafts-, Anstalts- und Notunterkünfte, Wohnheime und ähnliche Unterkünfte, zum anderen alle anderen Anschriften („Normalanschriften“). Für Anschriften mit Sonderbereichen wurde eine Vollerhebung durchgeführt. An diese schloss sich eine Mehrfachfalluntersuchung an; bei dieser wurde überprüft, ob die Person noch an anderer Anschrift gemeldet ist, um sodann nach dem objektivierten Einwohnerbegriff des Melderechtsrahmengesetzes die Anschrift als Haupt- oder als Nebenwohnsitz zu qualifizieren. Für Normalanschriften wurde nach der Gemeindegröße (weniger oder mehr als 10.000 Einwohner) das angewandte Erhebungsverfahren unterschieden. Ausgangspunkt war die Erkenntnis aus einem Test mit dem registergestützten Zensus, dass Über- und Untererfassungen in den Angaben aus den Melderegistern sich unterschiedlich auf die Gemeindegrößen verteilen. Größere Gemeinden wiesen anteilig höhere Raten an Übererfassungen und Untererfassungen auf, die zu korrigieren sind. Das Zensusgesetz 2011 geht davon aus, dass in Gemeinden mit mindestens 10.000 Einwohnern sich ein bereinigter Datenbestand am effizientesten darstellen lässt, indem das Ausmaß an Registerfehlern über eine Zufallsstichprobe von Anschriften erfasst und für die Gemeinde hochgerechnet wird. Ein Verfahren war dabei die Mehrfachfalluntersuchung (§ 15 ZensG 2011), ein anderes die Haushaltsstichprobe (§ 7 ZensG 2011). Auf Grundlage der Haushaltsstichprobe wurden die Erhebungsdaten mit den Angaben im Melderegister abgeglichen und auf Unter- oder Übererfassungen für jede Gemeinde hochgerechnet.

Nach dieser Methode ermittelte der Beklagte für die Klägerin zum Stichtag 09. Mai 2011 eine Einwohnerzahl von 115.843 Personen. Gemeldet hatte die Klägerin aus ihrem Melderegisterbestand 117.639 Personen mit alleiniger Wohnung oder Hauptwohnung im Gebiet der Klägerin und 11.345 mit Nebenwohnung.

Im Rahmen der Anhörung über die voraussichtliche Festsetzung der amtlichen Einwohnerzahl bat die Klägerin zu zahlreichen Einzelpunkten um Stellungnahme und Korrektur (BA 001). Mit Schreiben vom 31. Januar 2014 (BA 002) nahm der Beklagte zu den einzelnen Punkten Stellung und lehnte eine Korrektur ab. Daraufhin bat die Klägerin um Akteneinsicht. Der Beklagte verwies darauf, dass das Akteneinsichtsrecht nach § 29 Abs. 2 VwVfG i.V.m. § 16 BStatG durch den Grundsatz der statistischen Geheimhaltung begrenzt sei. Es könnte im Rahmen der erweiterten Verfahrenseinsicht nur Einsicht in anonymisierte Daten und nur in die niedersächsischen Ergebnisse des jeweils einzelnen Erhebungsteils gewährt werden. Aufgrund der bundesweiten Zusammenführung der Datenbestände und der Berechnung der Einwohnerzahl durch das Statistische Bundesamt hätten sich weitere Änderungen ergeben können. Eine vollständige Nachrechenbarkeit der Einwohnerzahl sei anhand der einsehbaren Unterlagen nicht möglich. Der Leiter des Referats 06 – Statistik und Wahlen der Klägerin nahm am 08. April 2014 in den Räumlichkeiten des Beklagten Einsicht in die ihm zur Verfügung gestellten Datensätze.

Der Beklagte stellte mit Bescheid vom 28. April 2014 die Einwohnerzahl von 115.843 Personen fest. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen auf die gesetzlich festgelegte Erhebungsmethode sowie auf zwei dem Bescheid beigefügte Datenblätter, die für die Klägerin die einzelnen Datensätze im Überblick aufschlüsseln. Daraus ergibt sich, dass im Melderegister hinsichtlich der Eintragungen mit alleinigem oder Hauptwohnsitz aufgrund der Mehrfachfalluntersuchung 1.182 Über- und neun Untererfassungen (Saldo: minus 1.173) festgestellt wurden, aufgrund der Erhebungen an Anschriften mit Sonderbereichen 701 Über- und 1.439 Untererfassungen (Saldo: plus 738) und aufgrund der Haushaltebefragung auf Stichprobenbasis 5.001 Über- und 3.640 Untererfassungen (Saldo: minus 1.361).

Die Klägerin hat am 20. Mai 2014 Klage erhoben. Sie macht geltend, der Bescheid verletze sie in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung, weil die festgestellte Einwohnerzahl jedenfalls mittelbar ihre Finanzhoheit betreffe. Allein durch die vorgenommenen Abzüge von der Anzahl der mit Hauptwohnsitz gemeldeten Personen (117.639) um 1.796 Personen entgingen ihr insbesondere Finanzzuweisungen nach dem NFAG und Zuweisungen für Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis in Höhe von 350 EUR pro Einwohner, mithin etwa 625.000 EUR jährlich. In der Sache wende sie sich nicht gegen das Zensusgesetz 2011, sondern dessen Umsetzung durch den Beklagten. Sie bestreite die Richtigkeit der festgestellten amtlichen Einwohnerzahl, für die der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig sei. Es erschließe sich nicht, auf welcher Tatsachengrundlage die vorgenommenen Abzüge und Zuschläge zu den mit Hauptwohnsitz gemeldeten 117.639 Personen vorgenommen worden seien. Es sei auch nicht erkennbar, dass die Zahlen auch tatsächlich zutreffend erfasst und errechnet worden seien. Es sei nicht auszuschließen, dass der Beklagte die erhobenen Daten nicht korrekt in die Berechnungsformeln übertragen habe und die übertragenen Daten anschließend auch nicht rechnerisch richtig im Sinne des Zensusgesetzes 2011 angewandt worden seien. Der Beklagte habe den Bescheid auch nicht hinreichend begründet (§ 39 VwVfG). Die Begründung bestehe überwiegend aus Textbausteinen und beziehe sich nur in zwei Absätzen sowie den beigefügten beiden Datenblättern auf sie.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 28.04.2014 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte weist zunächst darauf hin, dass die Klage unzulässig sei, weil der Klägerin nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil über das Zensusgesetz 2011 die Klagebefugnis fehle. Die Klägerin habe eine Verletzung eines subjektiven Rechts nicht ausdrücklich geltend gemacht. Soweit sie indirekt geltend mache, durch den streitgegenständlichen Bescheid in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG betroffen zu sein, habe das Bundesverfassungsgericht die Betroffenheit von Kommunen verneint. Die verfassungsrechtliche Rechtsstellung der Kommunen werde – so das Bundesverfassungsgericht – durch das Zensusgesetz, das nicht die Rechtsverhältnisse zwischen Bund oder Land und Kommunen regle, nur reflexhaft berührt. Soweit landesrechtliche Regelungen an diese Zahl anknüpften, geschehe dies auf Grundlage autonomer Entscheidungen des Landesgesetzgebers. Die Klage sei im Übrigen auch nicht begründet. Die Einwohnerzahlen der Städte und Gemeinden seien auf Grundlage des Zensus 2011 in einem verfassungsgemäßen Verfahren bestimmt worden. Es könne deshalb allein um das zur Erfüllung der verfassungsrechtlichen Zwecke notwendige Maß an Genauigkeit gehen, so dass sich die Pflicht des Gesetzgebers darauf beschränke, die Regeln für ein Verfahren zu erlassen, das zur Ermittlung einer realitätsgerechten Einwohnerzahl geeignet sei. Der Gesetzgeber habe sich für das von dem Forscherteam Prof. Dr. Münnich (Universität Trier) und PD Dr. Gabler (GESIS Mannheim) entwickelte Stichprobenverfahren entschieden, das nach damaligen und heutigen Erkenntnissen das am besten geeignete Verfahren zur Gewinnung belastbarer, hinreichend genauer Ergebnisse sei. An diese Regeln habe er, der Beklagte, sich bei der Ermittlung der festgelegten Einwohnerzahl gehalten. Eine gewisse Ungenauigkeit liege hierbei in der Natur der Statistik und sei nicht zu vermeiden. Die amtliche Einwohnerzahl sei ein statistischer und kein objektiver Wert; die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine personengenaue Ermittlung ihrer Einwohnerzahl. Er, der Beklagte, müsse demnach auch nicht darlegen, dass die Einwohnerzahl in diesem Sinne richtig sei. Eine solche Darlegung wäre zum einen auch technisch nicht möglich, weil die Hilfsmerkmale und die zur Kennzeichnung statistischer Zusammenhänge verwendeten Ordnungsnummern nach Abschluss der Aufbereitung der letzten Meldung nach § 19 Abs. 1 ZensG 2011 gelöscht worden seien. Seit diesem Zeitpunkt sei keine Zusammenführung der zuvor bereits gesondert aufbewahrten Hilfsmerkmale mit den Erhebungsmerkmalen mehr möglich. Die seitdem für statistische Zwecke vorliegenden Daten könnten nicht mehr zugeordnet werden und gälten als pseudonymisiert. Zum anderen wäre eine Kontrolle von Einzelfällen auf Personen- bzw. Anschriftenebene schon aufgrund der statistischen Geheimhaltung und damit aus Rechtsgründen nicht möglich.

Auf Antrag der Beteiligten wurde das Verfahren mit Beschluss vom 26. Mai 2014 ruhend gestellt und nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des Zensusgesetzes 2011 (2 BvF 1/15; 2 BvF 2/15) vom 19. September 2018 fortgesetzt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift, die Gerichtsakte im Übrigen sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unzulässig.

1.

Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage (vgl. VG Regensburg, Urt. v. 06.08.2015 - RO 5 K 13.2149 -, juris Rn. 219). Klageziel ist es, die Feststellung der Einwohnerzahl auf Grundlage des ZensG 2011 aufzuheben und damit zur Berechnung der statistischen Einwohnerzahl auf Grundlage der Volkszählung 1987 zurückzukehren. Da die Feststellung der Einwohnerzahl nicht wiederholt werden kann, weil Teile der dafür erforderlichen Daten bereits gelöscht worden sind, kann demgegenüber eine Verpflichtungsklage schon aus tatsächlichen Gründen nicht zum Erfolg führen.

2.

Der Klägerin fehlt es an der nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderlichen Klagebefugnis.

Die Klagebefugnis setzt voraus, dass der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung in eigenen Rechten verletzt zu sein, und dass nach seinem Vorbringen die Verletzung dieser Rechte möglich ist; dies ist nur dann auszuschließen, wenn unter Zugrundelegung des Klagevorbringens die vom Kläger behaupteten Rechte offensichtlich nicht bestehen oder ihm nicht zustehen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.05.1980, - 3 C 2.80 -, BVerwGE 60, 154, 157 f.; Urt. v. 26.07.1989 - 4 C 35.88 -, NVwZ 1990, 262; Urt. v. 22.02.1994 - 1 C 24.92 -, BVerwGE 95, 133 f.; Urt. v. 28.02.1997 - 1 C 29.95 -, BVerwGE 104, 115, 118; Urt. v. 10.10.2002 - 6 C 8.01 - BVerwGE 117, 93, 95 f.). Erforderlich, aber auch ausreichend für die Klagebefugnis ist, dass der Kläger hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den angefochtenen Verwaltungsakt in einem subjektiven Recht verletzt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.2004 - 4 CN 1.03 -, juris Rn. 9; Urt. v. 04.11.2015 - 4 CN 9.14 -, juris Rn. 12). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist im Einzelfall zu entscheiden.

Die Klägerin kann sich hier nicht darauf berufen, Adressatin eines belastenden Verwaltungsakts zu sein, der in eine geschützte Rechtsposition eingreift. Die Feststellung der Einwohnerzahl führt allenfalls mittelbar wegen der damit verbundenen Auswirkungen auf die Finanzausstattung der Klägerin zu Nachteilen. Zwar ist es grundsätzlich möglich, dass eine Gemeinde sich auf die Verletzung ihrer Finanzhoheit durch die Feststellung ihrer Einwohnerzahl berufen kann (hierzu 1.1.). Im vorliegenden Einzelfall fehlt es jedoch an der Voraussetzung eines hinreichend substantiierten Tatsachenvortrags für eine solche Rechtsverletzung (hierzu 1.2.2.) sowie an der Erheblichkeit der behaupteten Rechtsverletzung (hierzu 1.2.3.).

1.1.

Subjektive Rechte ergeben sich im vorliegenden Fall nicht aus dem Zensusgesetz 2011. Dieses dient ausschließlich öffentlichen Zwecken und regelt insbesondere nicht die Rechtsverhältnisse zwischen den Kommunen und dem Bund und greift deshalb nicht in das Recht auf kommunale Selbstverwaltung ein (BVerfG, Urt. v. 19.09.2018 - 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 -, BVerfGE 150, 1 = NVwZ 2018, 1703, 1710, Rn. 187). Sie können sich aber jedenfalls dem Grunde nach aus der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie ergeben, die nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verfassungsgerichte der Länder auch die Finanzhoheit umfasst (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.01.2010 - 2 BvR 2185/04 - BVerfGE 125, 141, 159 m.w.N. und unter Berufung auf den Abschlussbericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Dr 12/6000, S. 46 ff.; Bay. VerfGH, Entsch. v. 15.12.1988 - Vf.70 – VI/86 -, NVwZ 1989, 551 [VerfGH Bayern 15.12.1988 - Vf. 70-VI-86]; LVerfG MV, Urt. v. 26.01.2012 - LVerfG 33/10 -, BeckRS 2012, 46261; VerfG LSA, Urt. v. 16.02.2010 - LVG 9/08 -, LKV 2010, 477, 479).

Der Beklagte folgert aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. September 2018 (- 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 -, a.a.O.) zu Unrecht, dass sich Kommunen wegen der Festsetzung der Einwohnerzahl aufgrund des Zensus 2011 nicht auf eine Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts aus Art. 28 GG berufen könnten. In dem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht einen Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen durch das Zensusgesetz 2011 mit der Begründung verneint, die Aufgaben und das Finanzgebaren der Kommunen würden den Ländern zugerechnet. Soweit Rechtsstellung, Finanzkraft und Finanzbedarf der Kommunen daher von ihrer Einwohnerzahl beeinflusst würden, beruhe dies typischerweise auf landesrechtlichen Regelungen des Kommunal- oder Kommunalfinanzverfassungsrechts. Ein dem Bund zurechenbarer Eingriff in ihre Rechtsstellung liege darin nicht. Dass die Verwaltungsgerichte für Klagen von Gemeinden gegen die Feststellung der Einwohnerzahlen aufgrund von Volkszählungen die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO und damit auch die Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Rechten bejaht hätten, zwinge nicht zu der Annahme, die Regelungen des Zensusgesetzes 2011 berührten die Rechtsstellung der Kommunen.

Das vom Beklagten vorgetragene Verständnis der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Zensusgesetz 2011 überdehnt allerdings die Reichweite der Aussage des Bundesverfassungsgerichts und will auch Fälle wie den vorliegenden erfassen, in dem die Feststellung der Einwohnerzahl aufgrund eines Verwaltungsaktes auf Grundlage eines Landesgesetzes erfolgt. Zu dieser Konstellation trifft das Bundesverfassungsgericht keine Aussage.

Damit bleibt es bei den Grundsätzen, die die Rechtsprechung bereits zur letzten Volkszählung von 1987 aufgestellt hat. Danach stellt die Festsetzung der Einwohnerzahl einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie dar, gegen den die betroffene Gemeinde mittels Anfechtungsklage vorgehen kann (vgl. VGH BW, Urt. v. 19.09.1991 - 6 UE 2588/89 bzw. 6 UE 2356/89 -, juris Rn. 29 bzw. 30; Bay. VGH, Urt. v. 21.12.1994 - 4 B 93.244 -, juris Rn. 29). Das gilt jedenfalls dann, wenn landesrechtliche Regelungen an die statistischen Einwohnerzahlen für kommunale Finanzzuweisungen anknüpfen. Das ist in Niedersachen – anders als in einigen anderen Ländern (vgl. die Anknüpfung an die mit Hauptwohnsitz gemeldeten Einwohner in § 29 Abs. 1 Landesfinanzausgleichsgesetz Rheinland-Pfalz v. 30.11.1999, GVBl. RP, S. 415) – der Fall. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Niedersächsisches Gesetz über den Finanzausgleich – NFAG – vom 14.09.2007 (Nds. GVBl., S. 466) erhält eine kreisfreie Stadt oder eine kreisangehörige Gemeinde Schlüsselzuweisungen für Gemeindeaufgaben, wenn die Bedarfsmesszahl die Steuerkraftmesszahl übersteigt. Der Bedarfsansatz ergibt sich nach § 5 Abs. 1 NFAG aus der Vervielfältigung der Einwohnergrößenzahl mit dem Gemeindegrößenansatz. Die Einwohnergrößenzahl ergibt sich wiederum aus der Einwohnerzahl der Gemeinde und einem Einwohnererhöhungswert nach § 5 Abs. 2 Satz 2 NFAG. Dieser mildert die Auswirkungen einer zurückgehenden Bevölkerungszahl, indem in den Fällen, in denen die Einwohnerzahl einer Gemeinde kleiner als ihre durchschnittliche Einwohnerzahl der fünf vorangegangenen Haushaltsjahre ist, der Einwohnerzahl die Differenz zwischen beiden Zahlen hinzugerechnet wird. Die Einwohnerzahl ist nach § 17 Satz NFAG die Einwohnerzahl, die die Landesstatistikbehörde nach § 177 Abs. 1 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NKomVG) zum Stichtag des Vorjahres ermittelt hat. Diese Einwohnerzahl wird hinsichtlich Personen, die den Stationierungsstreitkräften aus EU-Mitgliedstaaten angehören, sowie ihren Angehörigen nach § 177 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 NKomVG um drei Prozent erhöht. Auch § 4 Niedersächsisches Gesetz zur Regelung der Finanzverteilung zwischen Land und Kommunen – NFVG – vom 13.09.2007 (Nds. GVBl., S. 461), nach dem Leistungen des Landes für neu zugewiesene oder übertragene Aufgaben gewährt werden, knüpft an die statistische Einwohnerzahl der Kommune an. Das gilt auch für Landeszuweisungen nach dem Gesetz über finanzielle Leistungen des Landes wegen der Einführung der inklusiven Schule und nach dem Niedersächsischen Behindertengleichstellungsgesetz.

Dafür, jedenfalls für die niedersächsische Rechtslage grundsätzlich von einer möglichen Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts auszugehen, spricht auch, dass im Rahmen eines Streits über die Höhe konkreter Finanzzuweisungen die Gemeinde nicht mit dem Einwand gehört werden kann, die Ergebnisse der Volkszählung seien unrichtig und sie habe in Wahrheit eine höhere Einwohnerzahl (vgl. Bay. VGH, Urt. v. 23.06.1994 - 4 B 92.3531 -, juris Rn. 11). Wenn die Kommunen beim Streit über die Höhe von Zuweisungen keine höhere Einwohnerzahl geltend machen können, müssen sie dies wenigstens nach Durchführung des Zensus anbringen können (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.03.1992 - 7 B 24/92 -, juris Rn. 3). Ansonsten würden die Gemeinden bezüglich der Einwohnerzahlfestsetzung rechtsschutzlos gestellt werden. Dies wäre mit der für Kommunen nicht aus Art. 19 Abs. 4 GG (so VG Regensburg, Urt. v. 06.08.2015 - RO 5 K 13.2149 -, juris Rn. 222 ff.), aber aus Art. 28 GG folgenden Rechtschutzgarantie (VerfGH NW, Urt. v. 09.07.2019 - VerfGH 37/14 -, NVwZ-RR 2020, 1, 2 Rn. 43 m.w.N.; VG Aachen, Beschl. v. 31.03.2015 - 4 L 225/15 -, juris Rn. 20 ff.) nicht zu vereinbaren. Derartige Klageverfahren wegen Festsetzung von Leistungen hat die Klägerin auch anhängig gemacht.

1.2.

Im vorliegenden Einzelfall kann sich die Klägerin unter Zugrundelegung ihres Vortrags indes nicht auf eine mögliche Verletzung ihres nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1, Satz 3 Halbsatz 1 GG und Art. 57 Abs. 1 NVerf verfassungsrechtlich geschützten Selbstverwaltungsrechts berufen. Auf weitere Auswirkungen der Festsetzung der Einwohnerzahl als finanzielle hat sich die Klägerin nicht berufen (vgl. dazu auch die amtliche Begründung zum Zensusgesetz, die von 50 Rechtsvorschriften spricht, bei denen die Einwohnerzahl als Bemessungsgrundlage herangezogen wird, BR-Drucks. 3/09, S. 20).

1.2.1.

Die Kammer lässt offen, ob es einer Kommune schon an einem rechtlichen Anspruch darauf fehlt, dass die Erhebung der Einwohnerzahl fehlerfrei abläuft, weil dies „faktisch nicht möglich sei“ (so VG Regensburg, Urt. v. 06.08.2015, a.a.O., Rn. 285, unter Hinweis auf den „confirmation bias“ bei der Verwendung von Melderegisterauszügen als Grundlage für die Durchführung von Stichproben).

1.2.2.

Es fehlt im vorliegenden Einzelfall schon an der erforderlichen hinreichenden Substantiierung des Klagevortrags. Die Klägerin trägt lediglich vor, der Beklagte habe ausgehend von ihren Meldungen über die mit Hauptwohnsitz in Göttingen gemeldeten Personen die Zu- und Abschläge möglicherweise falsch berechnet. Dass ausgehend von den Daten des Melderegisters nach §§ 7, 8 und 15 ZensG 2011 derartige ergänzende Erhebungen durchgeführt werden müssen, stellt die Klägerin hingegen nicht in Abrede.

Es ist der Klägerin zuzugeben, dass die Beklagte ihr keine Möglichkeit eingeräumt hat, die Ergebnisse insbesondere der Mehrfachfalluntersuchung nachzuvollziehen, die ausweislich des Datenblatts zum Bescheid vom 28.04.2014 zu einem Minus von 1.173 Personen gegenüber der mit alleinigem Wohnsitz bei der Klägerin gemeldeten Einwohnerzahl führte. Die Beklagte hat sich nach Löschung der von ihr vorgehaltenen Daten-sätze (Hilfsmerkmale) dieser Möglichkeit selbst begeben, handelte hierbei aber entsprechend den Vorgaben des Zensusgesetzes 2011. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2, 3 ZensG 2011 sind die Hilfsmerkmale zu löschen, sobald bei den statistischen Ämtern die Überprüfung der Erhebungs- und Hilfsmerkmale auf ihre Schlüssigkeit und Vollständigkeit abgeschlossen ist, spätestens aber vier Jahre nach dem Berichtszeitpunkt. Eine Rekonstruktion der Mehrfachfalluntersuchung ist damit schon aus diesem Grund nicht mehr möglich. Um die Mehrfachfalluntersuchung nachvollziehen zu können, bräuchte die Klägerin im Übrigen nicht nur einen Einblick in die Erhebungsunterlagen ihres Gemeindegebiets, sondern sie bräuchte Einblick in den Gesamtdatenbestand des Zensus, wo die Daten aller Melderegister des Bundesgebiets zusammengefasst wurden (vgl. VG Regensburg, Urt. v. 06.08.2015, a.a.O., Rn. 277).

Allerdings entbindet das die Klägerin nicht von der Pflicht, zumindest Anhaltspunkte dafür zu benennen, dass die gesetzlich vorgesehenen Methoden der statistischen Korrektur des Melderegisterbestandes, namentlich Mehrfachfalluntersuchung, Erhebung an Anschriften mit Sonderbereichen und Haushaltebefragung auf Stichprobenbasis, fehlerhaft angewandt worden sein könnten. Solche Anhaltspunkte hat die Klägerin nicht erbracht. Dabei trifft es nicht zu, dass die Klägerin aufgrund der statistischen Geheimhaltung personenbezogener Daten und der eingeschränkten Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren solche Anhaltspunkte schlechterdings nicht hätte ermitteln können. Der Leiter des Referats 06 – Statistik und Wahlen der Klägerin nahm selbst die Akteneinsicht bei der Beklagten vor und formulierte im Anhörungsverfahren einen ganzen Katalog von Nachfragen zum Verfahren, der von der Beklagten beantwortet wurde und von der Klägerin im gerichtlichen Verfahren nicht aufgegriffen worden ist.

Kein Anhaltspunkt für eine fehlerhafte Durchführung der Erhebung ist der vom Klägerinnenvertreter in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Email des Landesbetriebs für Statistik und Kommunikationstechnologie Niedersachsen (LSKN) an einen Mitarbeiter des Landkreises Göttingen vom 31.05.2013 zu entnehmen. In der Email heißt es wörtlich: „Sehr geehrte Damen und Herren, bei der Zusammenstellung der Landkreis-Übersichten mit den Bevölkerungsständen zum Stichtag 9. Mai 2011 (in den ZPI Dateien enthalten) kam es in einigen Fällen zu Fehlern bei der Summierung der Gemeinden und Samtgemeinden. Konkret ist hier die Einwohnerzahl des Landkreises überhöht. Bitte prüfen Sie daher vor Weitergabe die Summen. Aus diesem Grund werden wir Ihnen schnellstmöglich neue Übersichten mit den korrigierten Summen zur Verfügung stellen.“ Aus der Email ergibt sich lediglich, dass bei der Summenbildung von Einwohnerzahlen ein Fehler unterlaufen ist. Da das LSKN ankündigt, die neuen Summen nachzuliefern, ist anzunehmen, dass der Fehler beim LSKN und nicht bei dem Beklagten geschah. Im Übrigen lässt die Email auch nur den Rückschluss zu, dass in dem Verfahren Fehler erkannt und korrigiert wurden.

Es gibt auch keine sonstigen Anhaltspunkte dafür, dass der Zensus 2011 im Fall der Klägerin fehlerhaft ablief. Solche Anhaltspunkte könnten sich allenfalls daraus ergeben, dass die ermittelte Einwohnerzahl nicht realitätsnah und damit statistisch unschlüssig ist. Denn es gibt schon keinen Anspruch auf Feststellung einer „richtigen“ Einwohnerzahl gibt, weil es schlicht keine Methode gibt, um diese festzustellen (vgl. BVerfG, Urt. v. 19.09.2018, a.a.O., Rn. 167). Dementsprechend setzt die Finanzverfassung lediglich realitätsnahe Einwohnerzahlen voraus (ebd., Rn. 154, 164).

Für Gemeinden von der Größe der Klägerin geht schon das Zensusgesetz 2011 davon aus, dass es eine gewisse Anzahl von Über- und Untererfassungen im Melderegister gibt, die statistisch korrigiert werden müssen. Ein Testlauf der Erhebung ergab, dass solche Fehler in Gemeinden mit mindestens 10.000 Einwohnern häufiger auftreten. Das Zensusgesetz sieht daher für Gemeinden dieser Größe gerade die Mehrfachfalluntersuchung (§ 15 ZensG 2011) und die Haushaltsstichprobe (§ 7 ZensG 2011) vor. Es ist gerade wegen der Prägung der Klägerin als Universitätsstadt auch nicht per se nicht nachvollziehbar, dass gerade in ihrem Fall die aufgrund von einer Mehrfachfalluntersuchung und einer Haushaltebefragung auf Stichprobenbasis ermittelte Einwohnerzahl nach unten von der Zahl der mit alleinigem Wohnsitz oder Hauptwohnsitz gemeldeten Personen abweicht. Es ist vielmehr zu erwarten, dass in einer Universitätsstadt der Zu- und Wegzug von Personen ein häufiges Ereignis ist und sich auf die Richtigkeit des Melderegisters auswirkt.

Der Vortrag einer unrichtigen Umsetzung des Zensusgesetzes 2011 wird auch nicht plausibel durch den im Fall der Klägerin ermittelten relativen Standardfehler von 0,7 % hinsichtlich der Genauigkeit der Ergebnisse der Haushaltebefragung auf Stichprobenbasis (s. Datenblatt zum streitgegenständlichen Bescheid). Damit wird zwar das Qualitätsziel nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZensG 2011 verfehlt, nach dem die Haushaltsstichprobe in Gemeinden mit mindestens 10.000 Einwohnern der Ermittlung der Einwohnerzahl mit einer angestrebten Genauigkeit eines einfachen relativen Standardfehlers von höchstens 0,5 % dienen sollte. Diese statistische Ungenauigkeit ist umso kleiner (und umso genauer ist die Güte der statistischen Schätzung), je größer der Stichprobenumfang und je kleiner die tatsächliche aus der Stichprobe geschätzte unbekannte Streuung der Daten in der Grundgesamtheit ist. Bezogen auf die Klägerin bedeutet der relative Standardfehler, dass die tatsächliche Einwohnerzahl von der im Zensus ermittelten Einwohnerzahl mit 93 % Sicherheit um 1390 Personen (2 x 0,006 [Standardfehler] x 115.843 [im Zensus ermittelte Einwohnerzahl]) nach oben oder unten abweichen kann (Konfidenzintervall). Mit 93 % Sicherheit bewegt sich somit die tatsächliche Einwohnerzahl der Klägerin zwischen 114.453 und 117.233 Einwohner, was einer Intervallbreite von 2780 Personen entspricht. Wäre beim relativen Standardfehler der gesetzliche Wert von 0,5 % eingehalten worden, würde die Intervallbreite bei der Klägerin 2.316 Personen betragen. Von einer gravierenden Abweichung kann man indes erst bei einem relativen Standardfehler von über 1 % sprechen (BVerfG, Urt. v. 19.09.2018, a.a.O., Rn. 297; VerfGH NW, Urt. v. 09.07.2019 - VerfGH 37/14 -, NVwZ-RR 2020, 1, 6 Rn. 76). Die Daten sind damit statistisch schlüssig.

Weil es an jeglichen Anhaltspunkten für die (statistische) Unrichtigkeit der festgestellten Einwohnerzahl der Klägerin fehlt, ist auch das Gericht nicht gehalten, den Sachverhalt weiter zu erforschen. Der Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 86 Abs. 1 VwGO fordert nicht, ohne entsprechende Anhaltspunkte oder klägerische Rügen eine behördliche Maßnahme auf alle denkbaren Fehler zu überprüfen. Vielmehr ist der Amtsermittlungsgrundsatz sachgerecht unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung und der Prozessökonomie zu handhaben und, abhängig von den Umständen des Einzelfalls, eine gleichsam ungefragte Fehlersuche zu vermeiden (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.04.2002 - 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188, 196 f.; Beschl. v. 22.02.2018 - 9 B 26.17 -, juris Rn. 18).

1.2.3.

Überdies wird hier die erforderliche Erheblichkeitsschwelle der geltend gemachten Rechtsverletzung nicht erreicht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt die Annahme einer Klagebefugnis unter dem Gesichtspunkt der Finanzhoheit in Betracht, wenn – wie hier – eine anderweitige hoheitliche Maßnahme notwendig dazu führt, dass dem kommunalen Selbstverwaltungsträger finanzielle Folgelasten entstehen, und diese finanziellen Belastungen einen erheblichen Umfang erreichen können (BVerwG, Urt. v. 06.03.1986, - 5 C 36.82 -, BVerwGE 74, 84, 90, 93 [BVerwG 06.03.1986 - BVerwG 5 C 36.82]; Urt. v. 11.05.1984 - 4 C 83.80 -, NVwZ 1984, 584; Beschl. v. 30.07.2004 - 5 B 68.04 -, juris Rn. 8; vgl. auch Bay. VGH, Urt. v. 21.03.2011 - 4 BV 10.108 -, juris Rn. 81 m.w.N). Diese Rechtsprechung ist nach Auffassung der Kammer auf den vorliegenden Fall übertragbar, in dem sich der Eingriff in die kommunale Finanzhoheit nicht aus einer Regelung gegenüber Dritten, sondern aus einer Regelung (hier: Verwaltungsakt) ergibt, die nur mittelbare fiskalische Auswirkungen hat.

Nach dieser Maßgabe wäre eine rechtsfehlerhafte Festsetzung der Einwohnerzahlen im Fall der Klägerin nicht rechtserheblich. Der Haushalt der Klägerin hat ein Volumen von etwa 500.000.000 EUR (vgl. Haushaltsplan 2019/2020, abrufbar unter https://www.goettingen.de/rathaus/konzepte/wirtschaft/staedtischer-haushalt.html). Die finanziellen Auswirkungen der Abweichung der Einwohnerzahl nach dem Zensus 2011 von der Anzahl der Personen mit Hauptwohnsitz in Göttingen beträgt nach dem eigenen Vortrag der Klägerin 650.000 EUR, mithin etwa 0,1 Prozent des Gesamthaushalts. Auch wenn man von einem Vergleich der Bevölkerungsfortschreibung auf Grundlage der Volkszählung 1987 und des Zensus 2011 ausgeht, ergibt sich nichts Anderes. Die Differenz der Zahlen beträgt 5.312 (121.364 minus 116.052). Bei einer angenommenen Ausgleichszahlung von 350 EUR je Einwohner entsteht bei der Klägerin durch den Zensus 2011 ein rechnerischer jährlicher „Verlust“ von 1.895.200 EUR. Das entspricht 0,4 Prozent des Gesamthaushalts der Klägerin.

Unter dem Gesichtspunkt der Erheblichkeit spricht gegen eine mögliche Verletzung der Finanzhoheit der Klägerin durch die Feststellung der statistischen Einwohnerzahlen im Übrigen auch, dass der Landesgesetzgeber – wie ausgeführt – in § 5 Abs. 2 Satz 2 NFAG den möglichen Rückgang von Einwohnerzahlen berücksichtigt hat und eine (fiktive) Einwohnerzahl hinzurechnet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 709 Nr. 11, 711 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 VwGO liegen nicht vor.