Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 02.12.2004, Az.: 6 B 4248/04

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
02.12.2004
Aktenzeichen
6 B 4248/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 43454
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2004:1202.6B4248.04.0A

Amtlicher Leitsatz

Die Verurteilung eines Soldaten wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten mit Bewährung rechtfertigt die fristlose Entlassung aus der Bundeswehr gem. § 55 Abs. 5 SG.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen seine fristlose Entlassung aus dem Dienst der Bundeswehr.

2

Er trat am 1. März 2001 seinen Dienst beim 4. Fallschirmjägerbataillon ...... unter Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit an. Seine zunächst auf 6 Monate festgesetzte Dienstzeit wurde stufenweise verlängert, zuletzt mit Verfügung vom 6. November 2002 auf 4 Jahre mit einem planmäßigen Dienstzeitende am 28. Februar 2005. Der Antragsteller wurde zuletzt mit Wirkung zum 1. Mai 2002 zum Hauptgefreiten befördert.

3

Mit Bescheid der Division Spezielle Operationen vom 13. Mai 2004 wurde der Antragsteller fristlos aus der Bundeswehr entlassen. Zur Begründung wurde darauf abgestellt, dass er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt habe. Er habe sich am 5. September 2002 einer sexuellen Nötigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig gemacht. Deshalb sei er mit Urteil des Landgerichts München II vom 11. Februar 2004 zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten mit Bewährung verurteilt worden, nachdem in erster Instanz eine Freiheitsstrafe von einem Jahr zur Bewährung verhängt worden sei. Nach Abwägung der Interessen des Antragstellers am weiteren Verbleib im Dienst und des Interesses des Dienstherrn an der fristlosen Entlassung sei wegen der aus dem Verhalten des Antragstellers resultierenden nachhaltigen Gefahr für die Einsatzbereitschaft und das Ansehen der Streitkräfte auch angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens eine andere Maßnahme als die fristlose Entlassung nicht geeignet.

4

Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller am 15. Juni 2004 Beschwerde ein, zu deren Begründung er u.a. ausführte, dass er sich im Rahmen des Strafverfahrens in einer außerordentlich prekären Beweissituation befunden habe. Die von ihm dargelegte Sachverhaltsschilderung habe der in wesentlichen Teilen widersprüchlichen Aussage der Geschädigten entgegengestanden. Erst als ihm in zweiter Instanz seitens des Gerichts mitgeteilt worden sei, man werde gegen ihn für den Fall, dass er den wesentlichen Tatvorwurf nicht weiter bestreiten sollte, eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten verhängen, habe er sich hierzu bereit erklärt, zumal das Gericht darauf hingewiesen habe, dass er in diesem Fall nicht mit der Entfernung aus der Bundeswehr zu rechnen brauche. Zu berücksichtigen sei auch, dass es sich um einen Vorfall aus seiner Privatsphäre gehandelt habe. Bedeutsam sei weiterhin, dass er und die Geschädigte vor dem hier streitigen Vorfall bereits intime Kontakte zueinander gehabt hätten und es durchaus nachvollziehbar erscheine, dass er deren Verhaltensweise auch wegen seines Alkoholgenusses fehl gedeutet und angenommen habe, sie sei mit der Ausübung des Geschlechtsverkehrs einverstanden. Es sei nicht nachvollziehbar, warum durch die Straftat das Vertrauen der Vorgesetzten in den Beschwerdeführer nachhaltig und unwiederbringlich zerstört sei, zumal er sich bis zu dem hier fraglichen Vorfall keinerlei dienstliche oder außerdienstliche Verfehlungen habe zuschulden kommen lassen. Vor diesem Hintergrund sei auch das Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt worden. Insbesondere der Hinweis darauf, dass bei der Bundeswehr jetzt auch vermehrt Frauen dienten und seine Entlassung deshalb geboten sei, sei nicht nachvollziehbar, weil nichts dafür spreche, dass er sich künftig gegenüber Soldatinnen ungebührlich verhalten werde. Insgesamt sei die fristlose Entlassung unangemessen.

5

Mit Beschwerdebescheid vom 28. September 2004 wies der Befehlshaber des Heeresführungskommandos die Beschwerde zurück und ordnete gleichzeitig die sofortige Vollziehung der Entlassungsverfügung an. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass wegen des Sachverhalts, der der rechtskräftigen Verurteilung des Antragstellers zugrunde liege, davon auszugehen sei, dass sein weiteres Verbleiben im Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Er habe durch sein objektiv schwerwiegendes, von der Rechtsordnung als Verbrechen missbilligtes Verhalten gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Frau eine Verhaltensweise an den Tag gelegt, die den Grundsätzen der Menschenwürde widerspreche und das Vertrauen in seine moralische Integrität und sein dienstliches Ansehen unwiederbringlich zerstört habe. Durch den damit verbundenen Verstoß gegen seine Wohlverhaltenspflicht habe er den Kernbereich der militärischen Ordnung so schwerwiegend verletzt, dass er als Soldat auf Zeit in der Bundeswehr nicht mehr tragbar sei. Im Falle seines Verbleibs in der Bundeswehr könne die Funktionsfähigkeit der Truppe insbesondere dadurch beeinträchtigt werden, dass die jederzeit notwendige vertrauensvolle Zusammenarbeit insbesondere auch mit weiblichen Soldatinnen nicht mehr gewährleistet sei. Es sei nicht auszuschließen, dass er - möglicherweise in der Extremsituation eines lange andauernden, gefährlichen Auslandseinsatzes - wieder in ähnlicher Weise gegenüber Soldatinnen tätig werde oder andere Verhaltensweisen an den Tag lege, die von fehlendem Respekt gegenüber anderen Individuen geprägt seien, und dadurch den Zusammenhalt und die Disziplin der Truppe gefährde. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Soldatinnen mit dem Antragsteller sei nicht gewährleistet. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass die Öffentlichkeit kein Verständnis dafür aufbringe, wenn er als Soldat auf Zeit - gerade in Anbetracht des Umstandes, dass immer mehr Soldatinnen in der Bundeswehr Dienst leisteten - im Dienst verbleiben dürfe. Dass der Antragsteller sich bislang einwandfrei geführt habe, stehe deshalb seiner Entlassung nicht entgegen. Auch andere Gründe, von einer fristlosen Entlassung abzusehen, seien nicht gegeben.

6

Der Antragsteller hat am 25. Oktober 2004 Klage erhoben (Az: 6 A 4247/04) und gleichzeitig um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein bisheriges Vorbringen. Er verweist insbesondere darauf, dass die Beweissituation für ihn schwierig und sein bisheriges dienstliches Verhalten stets beanstandungsfrei gewesen sei. Soweit die Antragsgegnerin ihre Entscheidung auch mit der Wirkung in der Öffentlichkeit und auf potentielle Interessentinnen für den Bundeswehrdienst begründe, sei schon gar nicht davon auszugehen, dass die Öffentlichkeit überhaupt von den hier fraglichen Vorgängen Kenntnis erhalte.

7

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung der am 25. Oktober 2004 erhobenen Klage wiederherzustellen.

8

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

9

Zur Entgegnung bezieht sie sich im Wesentlichen auf die angefochtenen Bescheide. Ergänzend weist sie darauf hin, dass es unerheblich sei, ob die Öffentlichkeit tatsächlich von der Dienstpflichtverletzung des Antragstellers Kenntnis erhalten habe. Entscheidend sei, ob das Fehlverhalten von seiner Art her geeignet sei, die in den angefochtenen Bescheiden beschriebenen negativen Auswirkungen hervorzurufen.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen.

11

II.

Der auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 25. Oktober 2004 gerichtete Antrag des Antragstellers ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber nicht begründet.

12

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers entfällt, da die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung des angefochtenen Bescheides gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO in dem Beschwerdebescheid vom 28. September 2004 angeordnet hat; diese Anordnung genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO hinsichtlich der schriftlichen Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung.

13

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist nicht begründet, da das Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung des belastenden Bescheides, das Interesse der Allgemeinheit an seiner sofortigen Durchsetzung nicht überwiegt. Bei der Interessenabwägung sind bei der im vorläufigen Verfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung auch die Aussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Diese Interessenabwägung geht zu ungunsten des Antragstellers aus, da die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung voraussichtlich keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.

14

Rechtsgrundlage für die Entlassung des Antragstellers ist § 55 Abs. 5 Soldatengesetz - SG - idF der Bekanntmachung vom 14. Februar 2001 (BGBl. I S. 232, 478). Nach dieser Vorschrift kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde.

15

Diese Voraussetzungen liegen hier aus den in dem Beschwerdebescheid der Antragsgegnerin vom 28. September 2004 genannten Gründen, auf die die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 5 VwGO Bezug nimmt, vor.

16

Das Vorbringen des Antragstellers im gerichtlichen Verfahren rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht. Er kann sich insbesondere nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sein bisheriges dienstliches und außerdienstliches Verhalten - abgesehen von dem der Verurteilung durch das Landgericht München II zugrunde liegenden Sachverhalt - keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben habe. Dieses Vorbringen ist insbesondere nicht geeignet, die Verhältnismäßigkeit der hier getroffenen Maßnahme in Frage zu stellen. § 55 Abs. 5 SG setzt eine ".ernstliche" Gefährdung voraus. Insoweit entscheidet das Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit des Eingriffs im Verhältnis zum erstrebten Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dem das Gesetz des weiteren auch noch durch die Begrenzung der Entlassungsmöglichkeit auf die ersten vier Dienstjahre Rechnung trägt. Für zusätzliche Erwägungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist deshalb kein Raum (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1992 - 2 C 17.91 -, BverwGE 91, 62 ff m.w.N.). Sein Hinweis, dass er im Tatzeitpunkt nicht unerheblich alkoholisiert gewesen sei, ist im Rahmen der strafrechtlichen Verurteilung bei der Strafzumessung berücksichtigt worden. Die von ihm angesprochene "schwierige Beweissituation" rechtfertigt eine andere Einschätzung nicht, weil es zu einer rechtskräftigen Verurteilung des Antragstellers gekommen ist.

17

Die Antragsgegnerin weist in ihrem Beschwerdebescheid zutreffend darauf hin, dass eine ernstliche Gefährdung regelmäßig dann vorliegt, wenn die Dienstpflichtverletzung nach Art und Schwere Kernbereiche der militärischen Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr so erheblich schädigen, dass der Soldat zumindest als Soldat auf Zeit für die Bundeswehr nicht mehr tragbar ist (vgl. auch BayVGH München, Urteil vom 25. Juli 2001 - 3 B 96.1876 - V.n.b., zit. juris). Das verdeutlicht, dass es - entgegen der Auffassung des Antragstellers - nicht darauf ankommt, ob die Öffentlichkeit von seiner Weiterbeschäftigung Kenntnis erhalten würde oder nicht.

18

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine fristlose Entlassung des Antragstellers liegen mithin aller Voraussicht nach vor. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin das ihr nach § 55 Abs. 5 SG zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, liegen nicht vor.