Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 06.12.2004, Az.: 11 B 4753/04
Depression; Folgeschutzgesuch; Kinderlähmung; Krankengymnastik; orthopädische Hilfe; Schmerzmittel; Syrien; wirtschaftliche Existenz
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 06.12.2004
- Aktenzeichen
- 11 B 4753/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50815
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 53 Abs 6 AuslG
- § 54 AuslG
- § 123 Abs 1 VwGO
- § 51 Abs 1 VwVfG
- § 51 Abs 2 VwVfG
- § 51 Abs 3 VwVfG
- Art 1 Abs 1 GG
- Art 2 Abs 2 S 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zum erfolglosen Folgeschutzgesuch eines syrischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischen Glaubens wegen körperlicher (Schmerzen und motorische Einschränkungen infolge Kinderlähmung, Muskelschwunds und Beckenschiefstandes) und psychischer (agitierte depressiv-ängstliche Anpassungsstörung) Beschwerden.
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der in Abschiebehaft sitzende Antragsteller, ein syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und jezidischen Glaubens, wendet sich im vorläufigen Rechtsschutz gegen das versagte Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG. Nach im Ergebnis erfolglosem Asylverfahren (Urteile des Gerichts vom 3. Mai 2001 - 11 A 1870 u. 1891/99 - auf Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten gegen die Zuerkennung von Verfolgungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG und eigene Klage gegen versagte Anerkennung nach Art. 16a GG) stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) durch bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 15. August 2001 fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Der Aufenthalt des Antragstellers wurde seither geduldet.
Unter dem 5. Mai 2004 beantragte er beim Bundesamt das Wiederaufgreifen seines Verfahrens hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen darauf, er leide unter körperlichen und psychischen Beschwerden (Schmerzen und motorische Einschränkungen infolge von Kinderlähmung, Muskelschwunds der linken Brustkorbseite und des linken Arms sowie eines Beckenschiefstandes wegen Beinverkürzung rechts; agitierte depressiv-ängstliche Anpassungsstörung). Die gebotene Behandlung (tägliche Schmerztabletten, orthopädische Absatzerhöhung, Krankengymnastik sowie Antidepressivum und ggf. Verhaltenstherapie) könne er als yezidischer Kurde bei der eigenen wirtschaftlichen Situation und derjenigen seiner Angehörigen in Syrien nicht angemessen erlangen. Im Falle einer Abschiebung nach Syrien sei er zudem wegen behinderungsbedingter Einschränkungen der Erwerbstätigkeit in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet.
Mit Bescheid vom 24. November 2004 lehnte das Bundesamt eine Abänderung seines Bescheides vom 15. August 2001 bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG ab. Zugleich wies es darauf hin, dass es keiner erneuten Abschiebungsandrohung bedürfe. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, das Vorbringen des Antragstellers erfülle nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG für ein Wiederaufgreifen, weil er die schon seit längerem bestehenden Krankheiten nicht im Asylerstverfahren vorgetragen habe und eine massive Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht attestiert werde. Auch ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen komme nicht in Betracht. Eine Gefahr für Leib und Leben des Antragstellers werde nicht attestiert. Der Beckenschiefstand lasse sich durch eine orthopädische Schuhanpassung ausgleichen, die er auch künftig - ggf. mit Hilfe seiner Angehörigen in Syrien - erlangen könne. Ein dringendes Angewiesensein auf Schmerzmittel werde nicht attestiert. Die den bescheinigten psychischen Beschwerden zugrunde liegenden Angaben des Antragstellers widersprächen zudem seinem Vorbringen im Erstverfahren.
Der Antragsteller hat am 29. November 2004 Klage (11 A 4707/04) erhoben und am 2. Dezember 2004 um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er trägt im Wesentlichen vor, in seiner Person liege ein krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG vor. Seine körperlichen Beschwerden seinen in den letzten Jahren und insbesondere nach einem Arbeitsversuch als Fleischergehilfe (vgl. befristeten Arbeitsvertrag vom 1. April 2003) immer stärker geworden, so dass er derzeit täglich Schmerztabletten nehmen müsse. Die psychischen Probleme hingen mit seiner körperlichen Behinderung und der damit verbundenen sozialen Isolation zusammen. Der Zugang yezidischer Kurden zum syrischen Gesundheitssystem sei schwierig (Stellungnahmen von medico international vom 7. April 2004 sowie von der Vereinigung Kurdischer Ärzte in Deutschland vom 10. Juni und 2. Dezember 2004). Das Bundesamt habe nicht hinreichend aufgeklärt, ob der kleine landwirtschaftliche Betrieb seiner Angehörigen auch heute noch genug einbringe, um auch seinen Lebensunterhalt und seine Behandlungskosten zu decken. Zunächst hat er ferner angegeben, er wisse nicht, ob sein Vater überhaupt noch lebe und sich seine Geschwister noch dort aufhielten. Nunmehr trägt er vor, sein schwerkranker Vater halte sich seit etwa fünf Wochen im Bundesgebiet auf und werde mit finanzieller Unterstützung einer Yezidenorganisation wegen eines Lungenkrebsleidens behandelt. Auch zwei seiner Schwestern lebten hier seit längerer Zeit im Status der Duldung.
Nach verständiger Würdigung seines Begehrens (§§ 88, 122 VwGO) begehrt der Antragsteller, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO aufzugeben, dem Landkreis Oldenburg als zuständiger Ausländerbehörde mitzuteilen, dass seine Abschiebung aufgrund des Bescheides des Bundesamtes vom 24. November 2004 vorläufig nicht vollzogen werden darf. Sein derart verstandener Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn sowohl ein Anordnungsgrund (die Eilbedürftigkeit der begehrten Regelung) als auch ein Anordnungsanspruch (der materiell-rechtliche Anspruch auf die begehrte Regelung) hinreichend glaubhaft gemacht worden sind (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Der erforderliche Anordnungsgrund liegt angesichts der für den 7. Dezember 2004 vorgesehenen Abschiebung des Antragstellers vor. Er hat jedoch den erforderlichen Anordnungsanspruch auf die begehrte Regelung nicht glaubhaft machen können.
Ein Anordnungsanspruch wäre im Hinblick auf die fristgerecht erhobene Klage (11 A 4707/04) nur dann gegeben, wenn der Antragsteller ein Anspruch auf (teilweises) Wiederaufgreifen seines Asylerstverfahrens und Feststellung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 6 AuslG hinreichend glaubhaft gemacht hätte. Für den gerichtlichen Prüfungsmaßstab gilt, dass in entsprechender Anwendung der Vorschriften und Grundsätze für vorläufigen Rechtsschutz bei Asylfolgeanträgen (§ 36 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 71 Abs. 4 AsylVfG) einstweiliger Rechtsschutz nur gewährt werden darf, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Bundesamtes bestehen. Wegen der weitreichenden Folgen für den Betroffenen hat das Gericht aber die Frage des (teilweisen) Wiederaufgreifens des Verfahrens erschöpfend zu klären und insoweit über eine lediglich summarische Prüfung hinauszugehen; das dabei erforderliche Maß an Richtigkeit und Gewissheit darf nicht hinter den Anforderungen zurückbleiben, die von Verfassungs wegen an die Abweisung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet zu stellen sind. Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hat danach nur dann nicht zu erfolgen, wenn nach vollständiger Erforschung des Sachverhalts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen kein Zweifel bestehen kann und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) sich die Versagung des Wiederaufgreifens des Verfahrens zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG geradezu aufdrängt. Hiervon ausgehend bestehen im Ergebnis keine ernstlichen Zweifel an der Versagung des begehrten Wiederaufgreifens, so dass der Antragsteller ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 6 AuslG nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat.
Zwar scheitert sein Wiederaufnahmeantrag entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht bereits an den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG. Beschränkt ein im Asylerstverfahren unanfechtbar abgelehnter Asylbewerber - wie hier - seinen erneuten Antrag beim Bundesamt auf das Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (Folgeschutzgesuch), setzt die Bescheidung dieses Antrags nicht voraus, dass sich die Rechtslage in einer § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG genügenden Weise geändert hat (Nds. OVG, Urteil vom 1. März 2001 - 1 L 593/02 - AuAS 2001, 140 und Beschluss vom 28. August 2002 - 1 LA 167/02 - unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 9 C 41.99 - BVerwGE 111, 77). Vielmehr hat das Bundesamt gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob die bestandskräftige Entscheidung über (das Fehlen der) Abschiebungshindernisse für die Zukunft Bestand haben kann. Dem korrespondiert ein Anspruch des Ausländers auf fehlerfreie Ermessensausübung. Seine Begünstigung hierdurch rechtfertigt sich daraus, dass hier „nur“ die Feststellung von Abschiebungshindernissen in Rede steht, welche die Vollziehbarkeit der Ausreiseaufforderung unangetastet lassen und nach der Rechts- (u.U. anders als nach der Tatsachen-)lage lediglich einen zeitlich begrenzten Aufschub gewähren (Nds. OVG, a.a.O.). Die gegenteilige Entscheidung des Bundesamtes ist hier aber unbeachtlich, weil es auch inhaltliche Aussagen zum Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG getroffen und seine Versagung des Wiederaufgreifens zusätzlich auch auf Ermessenserwägungen gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG gestützt hat. Im Ergebnis lassen sich keine bedeutsamen Rechts- oder Ermessensfehler feststellen. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im gerichtlichen Verfahren ist nicht hinreichend glaubhaft, dass der Antragsteller ein Wiederaufgreifen des Verfahrens und gegebenenfalls die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG verlangen kann.
Ein Wiederaufgreifen (selbst bei präkludiertem Vorbringen) und gegebenenfalls die Feststellung des begehrten Abschiebungshindernisses kommen in Betracht, wenn der Ausländer anderenfalls einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben (bei Krankheiten Einzelner) oder diesbezüglich einer extremen Gefahrensituation (bei weit verbreiteten allgemeinen Krankheiten) im Sinne der Rechtsprechung zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG ausgesetzt wäre und die geltend gemachte Gefahr zuvor behördlich oder gerichtlich noch nicht geprüft worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 1999 - 1 C 6.99 - NVwZ 2000, 204).
Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Danach unterfallen dem Anwendungsbereich von § 53 Abs. 6 AuslG grundsätzlich auch sonstige, d. h. dem Staat nicht zurechenbare individuelle und allgemeine Gefahren. Bei § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kommt es damit nicht darauf an, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird, erst recht also nicht, ob sie dem (Heimat)Staat zuzurechnen ist. Unter den Schutzbereich des § 53 Abs. 6 AuslG fallen beispielsweise auch Gefahren, die sich aus der allgemeinen wirtschaftlichen Lage oder aufgrund von Naturkatastrophen ergeben. Andererseits vermögen sog. allgemeine Gefahren i.S.d. § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG einen Anspruch des einzelnen Ausländers auf Abschiebungsschutz grundsätzlich nicht zu begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 - NVwZ 2002, 101), denn nach § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG werden Gefahren im Zielstaat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt sind, bei Entscheidungen nach § 54 AuslG berücksichtigt. Allgemeine Gefahren i.S.d. § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG können auch dann nicht Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründen, wenn sie den einzelnen Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen, denn insoweit äußert § 53 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. § 54 AuslG Sperrwirkung. Liegt also eine allgemeine Gefahr vor, so wird der Abschiebungsschutz auch für den Einzelnen regelmäßig ausschließlich durch eine - möglichst bundeseinheitliche - generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG gewährt. Trotz bestehender konkreter erheblicher Gefahr ist dann die Anwendbarkeit des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gesperrt, wenn dieselbe Gefahr gleichzeitig einer Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat droht.
Handelt es sich um eine allgemeinen Gefahr und greift damit die Sperrwirkung des § 54 AuslG ein, so gibt es Abschiebungsschutz (unmittelbar) nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nur (ausnahmsweise) dann, wenn dem einzelnen Ausländer kein Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1 bis 4 und Abs. 6 Satz 2 AuslG zusteht, er aber gleichwohl nicht abgeschoben werden darf, weil die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 Satz 1 GG wegen einer extremen allgemeinen Gefahrenlage die Gewährung von Abschiebungsschutz unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach den §§ 53 Abs. 6 Satz 2 und 54 AuslG aus verfassungsrechtlichen Gründen gebieten; insoweit ist § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, dass eine Entscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG dann nicht ausgeschlossen ist. Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in verfassungskonformer Auslegung gibt es aber nur dann, wenn dem Einzelnen konkret und individuell der Tod oder schwerste Verletzungen drohen, d.h. der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde und die oberste Landesbehörde trotz dieser extremen allgemeinen Gefahrenlage, von ihrer Ermächtigung nach § 54 AuslG keinen Gebrauch gemacht hat, einen generellen Abschiebestopp nach § 54 AuslG zu verfügen.
Hier greift diese Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG allerdings nicht ein, weil es sich wegen der individuellen Umstände und Ursachen der geltend gemachten Beschwerden des Antragstellers um die Krankheit eines Einzelnen handelt. Folglich bleibt es beim Maßstab einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben.
Zu beachten ist ferner, dass bei der Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG kein sog. herabgestufter Gefahrenmaßstab anzuwenden ist, vielmehr in allen Fällen Voraussetzung ist, dass die Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1996 - 9 C 20.96 - NVwZ-RR 1997, 740 = InfAuslR 1997, 284 und 445, Urteil vom 29. März 1996 - 9 C 116.95 - DVBl. 1996, 1257). In der Sache bedeutet der Begriff der beachtlichen Wahrscheinlichkeit dabei kein Unterschied zur konkreten Gefahr i.S.d. allgemeinen Polizeirechts, d.h. der notwendige Grad der Wahrscheinlichkeit hat sich wie im allgemeinen Polizeirecht an der Schwere der zu erwartenden Beeinträchtigung auszurichten. Je schwerwiegender die zu erwartende Rechtsgutbeeinträchtigung ist, je geringer muss der Grad der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Gefahr sein. Nicht ausreichend ist allerdings, dass eine entfernte oder bloß theoretische Möglichkeit besteht, es könnten Gefahren nach § 53 AuslG drohen; ebenso reicht die bloße, wenn auch durch Präzedenzfälle bestätigte Möglichkeit nicht.
Das Element der Konkretheit der Gefahr für den Abschiebungsschutz begehrenden Ausländer kennzeichnet dann das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2001 - 1 B 71.01 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 46), wobei es aber nicht erforderlich ist, dass die Gefahr gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat eintritt (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1999 - 9 B 617.98 - InfAuslR 1999,265).
Hinsichtlich der Beurteilung einer Krankheit (Einzelner) ist die Erheblichkeit der Gefahr zu bejahen, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder gar lebensbedrohlich im Heimatland verschlechtern würde. Die Gefahr ist konkret, wenn der Ausländer im Heimatland keine andere Möglichkeit zur Behandlung hat als das (unzureichende) staatliche Gesundheitssystem und dort eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Herkunftsstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar oder nicht ausreichend verfügbar ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 - DVBl. 2003, 463 = EZAR 043 Nr. 56; Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 - InfAuslR 1998, 96; Urteil vom 27. April 1998 - 9 C 13.97 - NVwZ 1998, 973 = InfAuslR 1998, 409). Steht etwa eine notwendige Behandlung und Medikation zwar allgemein zur Verfügung, ist sie dem betroffenen Ausländer aber individuell aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich, liegt zwar ebenfalls eine unter § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG fallende zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben vor (BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 a.a.O.). Allerdings tritt die (oben beschriebene) Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann ein, wenn die Nichterreichbarkeit der medizinischen Versorgung den einzelnen Ausländer betrifft, weil er einer Bevölkerungsgruppe angehört, die den sich aus einer eingeschränkten medizinischen Versorgungslage ergebenden Gefahren ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1998 - 9 C 36.97 - und Beschluss vom 29. April 2002 - 1 B 59.02 - juris).
Schließlich erfordert die Konkretheit der Gefahr, dass der Ausländer alsbald nach der Rückkehr in sein Heimatland in diese Lage gerät, weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seines Leidens angewiesen wäre und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617.98 -, InfAuslR 1999, 265 und Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 - DVBl 1998, 284).
Hiervon ausgehend lässt sich unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände eine derartige erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben des Antragstellers infolge der geltend gemachten physischen und psychischen Beschwerden und deren Behandlungsbedürftigkeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit annehmen.
Den ärztlichen Attesten und Berichten (Arztbericht des Facharztes für Chirurgie Dr. S. vom 17. März 2004; Atteste des Facharztes für Allgemeinmedizin Schneider vom 7. April und 28. Juni 2004; Bescheinigungen der Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. und P. vom 13. Mai und 28. Juli 2004) lässt sich zwar entnehmen, dass er unter körperlichen und psychischen Beschwerden (Schmerzen und motorische Einschränkungen infolge von Kinderlähmung, Muskelschwunds der linken Brustkorbseite und des linken Arms sowie eines Beckenschiefstandes wegen Beinverkürzung rechts; agitierte depressiv-ängstliche Anpassungsstörung) leidet. Lebensbedrohliche Krankheiten oder gravierende Beschwerden werden dem Antragsteller aber - wie sich aus dem Folgenden ergibt - nicht bescheinigt.
Soweit die seit längerem bestehenden körperlichen Leiden überhaupt als behandelbar angesehen werden, werden in erster Linie eine orthopädische Absatzerhöhung rechts (zum Ausgleich der Beinlängendifferenz) und Schmerzmittel (ohne Dosierungsangaben) verordnet sowie Krankengymnastik empfohlen. Außerdem werden Einschränkungen bei der Verrichtung schwerer körperlicher Tätigkeiten bescheinigt. Somit gibt es jedenfalls keine Hinweise auf unmittelbar lebensbedrohliche oder gravierend lebenseinschränkende Beeinträchtigungen. Die unterhalb dieser Schwelle liegenden attestierten Beschwerden infolge der seit längerem bestehenden Behinderungen lassen sich aller Wahrscheinlichkeit auch in Syrien auf landestypischen Niveau angemessen behandeln. Im Rahmen der dort allgemein zugänglichen medizinischen Grundversorgung kann der Antragsteller jedenfalls (weiterhin) orthopädische Absatzerhöhungen, Schmerzmittel und medizinische Untersuchungen erlangen (AA, Lagebericht vom 1. April 2004, S. 21; Deutsche Botschaft Damaskus, Stellungnahme vom 6. Januar 2004 an BAFl. [u.a. Beckenschiefstand]; DOI, Stellungnahme vom 20. Dezember 2002 an VG Freiburg). Orthopädische Absatzerhöhungen sind auch von allgemeinen Schustern zu erlangen. Die dem Antragsteller bislang bloß empfohlene Krankengymnastik ist in Syrien nicht so verbreitet wie in Europa, kann aber jedenfalls gegen gesonderte Bezahlung erlangt werden (DOI, Stellungnahme vom 20. Dezember 2002 an VG Freiburg). Einmal gezeigte Übungsabläufe vermag der Antragsteller in Eigenregie fortzuführen.
Hinsichtlich der psychischen Leiden stellt der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren selbst klar, dass seine depressiv-ängstliche Stimmungslage Folge seiner Gesamtsituation, seiner Behinderungen und seiner Isolation ist. Auch der Einzelrichter hält es für sehr unwahrscheinlich, dass die behaupteten Beschwerden auf traumatische Erlebnisse im Heimatland zurückzuführen seien könnten, weil er nach (früherer) ausführlicher mündlicher Verhandlung das Verfolgungsschicksal des Antragstellers wegen einer Vielzahl von Unstimmigkeiten und Widersprüchen als unglaubhaft angesehen hat (vgl. Urteile vom 3. Mai 2001 - 11 A 1870 u. 1891/99 -). Dem gemäß gibt es auch hier keine Hinweise auf unmittelbar lebensbedrohliche oder gravierend lebenseinschränkende Beeinträchtigungen. Die offenbar bestehende Enttäuschung und Unzufriedenheit über die (seit längerem bestehende) körperliche Behinderungen, seine Isolation und - wohlmöglich - über den Ausgang der Asylverfahren und die anstehende Aufenthaltsbeendigung gebieten nicht die Gewährung eines Abschiebungsschutzes. Die derzeit als ausreichend erachtete Versorgung des Antragstellers mit Antidepressiva ist auch in Syrien möglich (vgl. Deutsche Botschaft Damaskus, Stellungnahme vom 22. Oktober 2003 an VG Göttingen zu psychischen Erkrankungen). Möglicherweise hebt sich seine Stimmung im Heimatland auch schon deshalb, weil er wieder im gewohnten (groß)familiären Verband leben könnte. Eine Verhaltenstherapie, die dort wohl eher in seiner Muttersprache erfolgen könnte als im Bundesgebiet, ist jedenfalls in größeren Orten gegen gesonderte - wenn auch hohe - Zahlung zu erlangen (Hajo/Savelsberg, Stellungnahme vom 22. Februar 2004 an einen Rechtsanwalt in Minden).
Auf die benannten Schwierigkeiten für Kurden und Yeziden beim Zugang zum medizinischen Versorgungssystem und Gefährdungen bei schweren chronischen Krankheiten (vgl. Stellungnahmen von medico international vom 7. April 2004 und von der Vereinigung Kurdischer Ärzte in Deutschland vom 10. Juni 2004 - ausführliches Gutachten lag dem Schriftsatz des Bevollmächtigten nicht an - und 2. Dezember 2004) kann sich jedenfalls der Antragsteller nicht mit Erfolg berufen. Seine Beschwerden und Beeinträchtigungen liegen unterhalb der Schwelle von schweren lebensbedrohlichen Krankheiten mit aufwändiger Behandlung und Medikation. Weil die eingeschränkte Erreichbarkeit der medizinischen Versorgung nicht nur einen einzelnen Ausländer betrifft, sondern offenbar Teile der Bevölkerungsgruppe der Kurden und Yeziden, würde sich im Übrigen der Gefahrenmaßstab wegen der Sperrwirkung nach § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG nach den o.g. Grundsätzen erhöhen. Außerdem ist der Antragsteller syrischer Staatsbürger und konnte vor seiner Ausreise über viele Jahre in Syrien mit seinen seit der Kindheit bestehenden körperlichen Beeinträchtigungen leben. Nach eigenem Vorbringen im Asylerstverfahren ermöglichte ihm sein Vater auch eine ärztliche Behandlung nach Übergriffen muslimischer Araber. Es erscheint daher als überwiegend wahrscheinlich, dass dem Antragsteller - entsprechend den landestypischen Gepflogenheiten - die Unterstützung durch seine (Groß)Familie auch künftig zur Verfügung steht. In diesem Zusammenhang ist seine Behauptung unglaubhaft, er wisse nicht, ob seine Geschwister in Syrien den familiären landwirtschaftlichen Betrieb noch fortführten und ob dieser überhaupt genug abwerfe, um auch seinen Unterhalt und seine Behandlungskosten zu decken. Sie wird durch keinerlei objektive Umstände belegt und auch sonst nicht untermauert. Insoweit geht zu Lasten des Antragstellers, dass er sich bereits in seinem Asylerstverfahren in zahlreiche Ungereimtheiten und Widersprüche verwickelt hat. Zudem vermochte er immerhin noch in der mündlichen Verhandlung vom 3. Mai 2001 zu bestätigen, dass Eltern und Geschwister im Heimatdorf leben, was für einen damals und auch nach wie vor bestehenden Kontakt zu diesen spricht. Auch in diesem Verfahren gibt er nur zögerlich sein Wissen um den Aufenthalt des Vaters und zwei seiner Schwestern im Bundesgebiet preis. Angesichts von weiteren Geschwistern im Heimatland ist auch sehr unwahrscheinlich, dass sich kein (naher oder ggf. auch entfernter) Familienangehöriger finden sollte, um den Betrieb anstelle des Vaters weiter zu führen. Da der Antragsteller auch vor seiner Ausreise in der Lage war, in der familiären Landwirtschaft jedenfalls insoweit mitzuarbeiten als es seine körperlichen Beeinträchtigungen zuließen, spricht alles dafür, dass er auch künftig wieder - entsprechend seinen Fähigkeiten und seinem gegenwärtigen Leistungsvermögen - dort eingesetzt werden kann, um seinen Lebensunterhalt mit zu erwirtschaften. Daraus folgt zugleich, dass er wegen der Rückkehr in den familiären Verband nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist.
Lediglich vorsorglich sei angemerkt, dass nichts dafür spricht, der kranke Vater des Antragstellers könnte während seines Behandlungsaufenthalts gerade auf ihn angewiesen sein, zumal er durch eine yezidische Organisation unterstützt wird und noch weitere seiner Kinder hier leben.