Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 12.07.1990, Az.: 2 U 34/90
Verstoß gegen die Vorschriften über die Beleuchtung der Anhänger an einem Kraftfahrzeug; Recht des Wartepflichtigen weiterzufahren, wenn er übersehen kann, daß er den Vorfahrtberechtigten weder gefährdet noch wesentlich behindert ; Bremsspuren auf der Fahrbahn als Beweis für die Aufprallgeschwindigkeit; Berechnung der ursprünglichen Geschwindigkeit eines Unfallbeteiligten anhand der Aufprallgeschwindigkeit; Vorfahrtsverletzung bei wesentlicher Behinderung des Vorfahrtsberechtigten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 12.07.1990
- Aktenzeichen
- 2 U 34/90
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1990, 17199
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1990:0712.2U34.90.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG ... - 24.01.1990 - AZ: 5 O 217/89
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 2 BGB
- § 3 Nr. 1, 2 PflichtVersG
- § 66a Abs. 5 StVZO
- § 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StVO
- § 8 Abs. 2 S. 2 StVO
- § 3 Abs. 3 Nr. 2 c StVO
Fundstellen
- DAR 1992, 218-219 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1992, 841-842 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Schmerzensgeldes
Prozessführer
Herrn ...
Prozessgegner
1. Herr ...,
2. ...,
vertreten durch den Vorstand, ...
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Seitlich wirkende gelbe Rückstrahler an einem Anhänger sind zwar zulässig, vorgeschrieben sind diese jedoch nicht.
- 2.
Derjenige, der die Vorfahrt zu beachten hat, darf nur dann weiterfahren, wenn er übersehen kann, daß er den Vorfahrtberechtigten weder gefährdet noch wesentlich behindert. Das Vorfahrtsrecht geht aber nicht so weit, daß der Wartepflichtige jede Beeinträchtigung des Vorfahrtsberechtigten verhindern muß.
- 3.
Die Beweislast für eine Vorfahrtsverletzung liegt bei dem Kläger.
Der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig hat
durch
den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts ...
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Landgericht ...
auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 1990
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts ... vom 24. Januar 1990 - 5 O 217/89 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsrechtszuges werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist für die Beklagten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird jedoch nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 17.000,- DM abzuwenden, wenn nicht zuvor die Beklagten in derselben Höhe Sicherheit leisten.
Der Wert der Beschwer wird für den Kläger auf 160.800,- DM festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger macht Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 25.10.1985 gegen 06.10 Uhr auf der Bundesstraße 82 zwischen ... und ... an der Einmündung der Kreisstraße 13 ereignete. Der Kläger fuhr mit seinem PKW-... (amtliches Kennzeichen ... von ... in Richtung ...). Der Beklagte zu 1. wollte mit seinem IHC-Traktor (amtliches Kennzeichen ...) mit zwei Anhängern nach ... fahren. An der - aus der Sicht des Klägers rechts gelegenen - Einmündung der K 13 in die B 82 hielt der Beklagte zu 1. sein Gespann an, ließ für ihn von rechts aus ... kommenden Verkehr vorbeifahren und bog dann nach links in Richtung ... auf die B 82 ein. Die Beleuchtung an dem Trecker sowie an beiden Anhängern war eingeschaltet und brannte vollständig. Ebenso war der Blinker an der linken Seite in Tätigkeit. Als der Beklagte zu 1. mit dem Traktor, an dem das Abblendlicht eingeschaltet war, und dem ersten Anhänger bereits auf der rechten Fahrbahnseite der B 82 in Richtung ... war, der zweite Anhänger des Gespannes aber noch auf der linken Fahrbahnhälfte der B 82 (in Richtung ... gesehen) sich befand, prallte der Kläger mit seinem PKW unter den querstehenden zweiten Anhänger.
Von der Einmündung der K 13 kann die B 82 in Richtung ... also in die Richtung, aus der der Kläger sich näherte, 500 m weit eingesehen werden.
Der Kläger erlitt bei dem Unfall lebensgefährliche Verletzungen, insbesondere schwerste Kopfverletzungen. Aufgrund dessen wurde er in verschiedenen Kliniken bis mindestens 11.09.1987 stationär behandelt. Nach dem ärztlichen Bericht der Waldklinik ... vom 26.08.1988 (Ablichtung Bl. 8 f) verbleiben als Dauerfolgen eine cerebrale Ataxie mit Behinderung des Greifvermögens beider Hände sowie eine Beeinträchtigung des Gehvermögens und des Sprechens. Die Minderung der Erwerbstätigkeit betrug nach diesem ärztlichen Bericht bis zum 31.07.1988 100 % und seitdem 80 %.
Der Kläger hat behauptet, die am Unfallort ausgemessenen Bremsspuren (14,5 m rechts und 3,7 m links) stammten von seinem Fahrzeug. Der Beklagte zu 1. habe bei einer Sichtweite von 500 m den PKW des Klägers erkennen können und bemerken können, daß sich der Kläger-PKW mit erheblicher Geschwindigkeit nähere (100 km/h bis 120 km/h). Er - der Kläger - habe mangels seitlicher Beleuchtung den zweiten Anhänger nicht ersehen und daher den Bremsvorgang nicht mehr rechtzeitig einleiten können.
Er hat die Ansicht vertreten, der Beklagte zu 1. habe unter diesen Umständen nicht mehr einbiegen dürfen, weil ihm aufgrund der voll beladenen Anhänger seines Gespannes und der zur B 82 leicht ansteigenden K 13 ein zügiges Einbiegen nicht mehr möglich gewesen sei.
Bei voller Haftung des Klägers sei ein Schmerzensgeld von 250.000,- DM sowie eine Schmerzensgeldrente von 300,- DM angemessen. Allerdings sei ein Mitverschulden von 40 % anzurechnen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger
- 1.
ein angemessenes, anteiliges Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 4 % Zinsen darauf seit dem 03.11.1988 und
- 2.
eine lebenslange Schmerzensgeldrente, deren Höhe ebenfalls in das Ermessen des Gerichts gestellt wird,
zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben behauptet, der Beklagte zu 1. habe beim Anfahren weder den PKW des Klägers noch dessen Beleuchtung sehen können. Der Kläger sei mit einer Geschwindigkeit von mindestens 130 km/h, eher sogar mit 140 bis 150 km/h, gefahren und habe vor dem Unfall nicht gebremst.
Sie haben die Ansicht vertreten, daß dem Beklagten ein verkehrswidriges Verhalten nicht angelastet werden könne. Selbst bei voller Haftung sei ein Schmerzensgeld von allenfalls 70.000,- DM bis 100.000,- DM angemessen.
Das Landgericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluß vom 16.08.1989 (Bl. 45) durch Vernehmung der Zeugen ..., POM ... sowie durch Erläuterung des bereits in dem Strafverfahren gegen den Beklagten zu 1. eingeholten schriftlichen Gutachtens durch den Sachverständigen Dipl.-Ing. ... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 13.12.1989 (Bl. 56 ff) verwiesen. Das Landgericht hat mit Urteil vom 24.01.1990 (Bl. 70 ff) die Klage abgewiesen.
Gegen dieses, dem Kläger am 30.01.1990 zugestellte Urteil hat dieser mit am 19.02.1990 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 15.03.1990 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz vom 13.03.1990 begründet.
Der Kläger ist der Ansicht, das Landgericht sei zu Unrecht nach der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, daß der Beklagte zu 1. beim Anfahren den Kläger noch nicht habe sehen können.
Er behauptet, der Beklagte zu 1. habe den PKW des Klägers bereits sehen können, als er - der Beklagte zu 1. - mit dem Abbiegevorgang begonnen habe. Der hinter dem Gespann des Beklagten zu 1. fahrende Zeuge ... sei zu diesem Zeitpunkt noch etwa 25 m von der Einmündung entfernt gewesen und habe daher nicht die gleichen Sichtverhältnisse wie der Beklagte zu 1. gehabt. Für den Zeugen ... sei der PKW des Klägers durch eine Anhebung verdeckt gewesen. Darüber hinaus seien die mit Rüben beladenen Anhänger des Gespannes des Beklagten zu 1. überladen gewesen.
Er ist der Ansicht, der Beklagte zu 1. habe unter diesen Umständen nicht mehr anfahren dürfen. Wenn der Beklagte zu 1. zu langsam angefahren sei, liege darin ein schuldhafter Verkehrsverstoß.
Er beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger
- 1.
ein angemessens, anteiliges Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 4 % Zinsen darauf seit dem 03.11.1988 und
- 2.
eine lebenslange Schmerzensgeldrente, deren Höhe ebenfalls in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, beginnend ab 14.06.1990,
zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil und vertreten dazu die Ansicht, daß dem Beklagten zu 1. selbst dann eine Vorfahrtsverletzung nicht angelastet werden könne, wenn er den PKW des Klägers beim Anfahren schon hätte sehen können. Denn dann sei der Kläger noch derart weit entfernt gewesen, daß er sich rechtzeitig und gefahrlos auf das Einfahren des Beklagten zu 1. habe einstellen können.
Wegen des Sachverhaltes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Die Akten des Strafverfahrens ... AG ... lagen dem Senat vor und waren informationshalber Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
A
Die Berufung des Klägers ist zulässig, hat aber keinen Erfolg. Ein hier allein denkbarer Anspruch gegen den Beklagten zu 1. aus §§ 823 Abs. 2, 847 Abs. 1 BGB i.V.m. Straßenverkehrsvorschriften, für den die Beklagte zu 2. als Haftpflichtversicherer des Beklagten zu 1. mit diesem gemäß § 3 Nr. 1, 2 PflichtVersG gesamtschuldnerisch haften würde, setzt einen schuldhaften Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1. voraus. Ein Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1. kann indes nicht festgestellt werden.
Dazu im einzelnen:
I.
Ein Verstoß des Beklagten zu 1. gegen die Vorschriften über die Beleuchtung der Anhänger liegt nicht vor. Nach § 66 a Abs. 5 StVZO sind seitlich wirkende gelbe Rückstrahler zwar zulässig, vorgeschrieben sind diese jedoch nicht.
Nach §§ 51 a Abs. 1, 51 b Abs. 3 Nr. 1 StVZO sind selbsttätige Beleuchtungseinrichtungen seitlich nicht vorgeschrieben.
Die den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten haben nach der Verkehrsunfallanzeige (Bl. 3 BA) insoweit keine Verstöße festgestellt.
Der Zeuge ..., der hinter dem Gespann des Beklagten zu 1. fuhr, hat bestätigt, daß der Zug beleuchtet war und daß auch das linke Blinklicht in Tätigkeit war. Der Senat hat - in Übereinstimmung mit dem Landgericht - keinen Anlaß, der Aussage dieses am Unfall unbeteiligten und am Ausgang des Rechtsstreits nicht erkennbar interessierten Zeugen keinen Glauben zu schenken.
II.
Ebensowenig kann festgestellt werden, daß eine Überladung der Anhänger vorgelegen hat.
Der Kläger behauptet diese Überladung im Anschluß an die Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. ... in seinem schriftlichen Gutachten vom 24.03.1986, das er in dem gegen den Beklagten zu 1. gerichteten Strafverfahren erstellt hat (Bl. 58 ff, 61 BA). Darin ist von landwirtschaftlichen Anhängern mit je 15 t zulässigem Gesamtgewicht die Rede.
Diese Behauptung ist jedoch schon im ersten Rechtszug widerlegt. Ausweislich der von den Beklagten in Ablichtung vorgelegten Anhängerscheine (Bl. 42 f) betrug das zulässige Gesamtgewicht für beide Anhänger je 16 t. Die den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten haben den landwirtschaftlichen Zug des Beklagten zu 1. verwiegen lassen und dabei ein tatsächliches Gesamtgewicht von 30,81 t festgestellt (Bl. 8 BA), so daß nicht einmal dann eine Überladung vorliegt, wenn lediglich die Anhänger zusammen 30,81 t (also ohne den Schlepper) gewogen haben sollten.
III.
1.
Schließlich kann eine Vorfahrtsverletzung des Beklagten zu 1. gemäß § 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Abs. 2 S. 2 StVO nicht festgestellt werden. Nach dieser Vorschrift darf derjenige, der die Vorfahrt zu beachten hat, nur dann weiterfahren, wenn er übersehen kann, daß er den Vorfahrtberechtigten weder gefährdet noch wesentlich behindert.
Zunächst steht fest, daß der Beklagte zu 1. mit seinem Gespann aus dem Stand nach links abbiegend angefahren ist und daß er in diese Richtung mindestens 500 m weit sehen konnte.
Weiterhin ist mit dem Sachverständigen Dipl.-Ing. ... davon auszugehen, daß der Kläger mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 km/h bis 50 km/h auf den noch auf der Fahrbahn quer stehenden Anhänger geprallt ist.
Die Auffassung der Beklagten, der Kläger müsse angesichts der schweren Schäden an dem Anhänger mit einer weit höheren Geschwindigkeit aufgefahren sein, ist durch die nachvollziehbaren und in sich widerspruchsfreien Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. ... in seinem im Strafverfahren eingeholten schriftlichen Gutachten vom 24.03.1986 (Bl. 58 ff BA) widerlegt. Zwar hat der Sachverständige ... den PKW des Klägers nicht mehr besichtigen können, weil dieses Fahrzeugs bereits verschrottet war. Aber der Sachverständige hat die von der Polizei gefertigten Fotos (Bl. 10 ff und 33 ff BA) für sein Gutachten zur Verfügung gehabt. Zudem hat der Sachverständige den Anhänger des Beklagten zu 1. in noch nicht repariertem Zustand besichtigt und dabei die von den Beklagten angeführten Schäden ausweislich seines schriftlichen Gutachtens (S. 4; Bl. 61 BA) berücksichtigt.
Zudem hat der Sachverständige Dipl.-Ing. ... der vom Amtsgericht ... ergänzend herangezogen worden ist, in seinem Gutachten vom 07.01.1987 die Anstoßgeschwindigkeit mit rd. 50 km/h (S. 3; Bl. 128 BA) für zutreffend gehalten.
Der Senat geht davon aus, daß die am Unfallort von den Polizeibeamten festgestellten Bremsspuren (rechts 14,5 m, links 3,7 m) unmittelbar vor dem Aufprall von dem Fahrzeug des Klägers gezeichnet worden sind. Zwar ist auf dem Polizeifoto (Bl. 10 unten BA) nur eine sehr dünne Spur rechts, eine solche links überhaupt nicht zu erkennen. Das aber kann seine Ursache in der Fotografie und dem dafür ungünstigen Wetter haben. Immerhin haben die Polizeibeamten sowie der hinzugezogene und auf Unfallaufnahmen spezialisierte Beamte des Verkehrsunfalldienstes ... diese Spuren eindeutig dem des klägerischen Fahrzeugen zugeordnet. Im übrigen sind unterschiedliche Spurzeichnungen zu Beginn einer Vollbremsung nicht untypisch (so der Sachverständige ... in seinem Gutachten vom 17.02.1987, S. 3; Bl. 151 BA). Gegen die Zuordnung der Bremsspuren zu dem hier streitigen Unfall sprechen allerdings die Beobachtungen des Zeugen ... der hinter dem Kläger fahrend Bremslichter nicht gesehen hat, und des Zeugen ..., der hinter dem Gespann des Beklagten zu 1. fahrend eine Verlangsamung des klägerischen Fahrzeugs nicht bemerkt hat. Indes läßt sich die Schilderung des Zeugen ... damit erklären, daß dieser das Abbremsen und den Aufprall des Fahrzeuges auf den Anhänger als ein Geschehen gesehen und die Bremslichter möglicherweise neben der hellen Schlepperbeleuchtung nicht bemerkt hat; zudem kann auch kaum ausgeschlossen werden, daß die Bremsleuchten am Fahrzeug des Klägers nicht in Ordnung waren. Die Angaben des Zeugen ... lassen sich damit erklären, daß das Herannahen des klägerischen Fahrzeuges und dessen Aufprall auf den Anhänger sich für ihn nahezu als ein Vorgang dargestellt haben.
Nach der Lebenserfahrung ist indes davon auszugehen, daß der Kläger zumindest im letzten Augenblick den zweiten Anhänger des Gespannes auf der Straße quer stehend bemerkt und dann noch gebremst hat.
Zudem steht fest, daß der Kläger seine zuvor weitaus höhere Geschwindigkeit (siehe dazu noch nachstehend) soweit herabgesetzt hat, daß er letztlich mit einer Geschwindigkeit von rd. 50 km/h auf den Anhänger geprallt ist. Daß der Kläger seine Geschwindigkeit nur dadurch verringert hat, daß er Gas weggenommen hat, erscheint nach der Aussage des Zeugen ... ausgeschlossen. Dieser Zeuge fuhr hinter dem Kläger und hat seine Geschwindigkeit herabgesetzt, weil er - der Zeuge ... - nach rechts in die K 13 abbiegen wollte, aus der der Beklagte zu 1. kam: Der Kläger sei aber mit gleichbleibender Geschwindigkeit weitergefahren, habe sich also von ihm - dem Zeugen ... - abgesetzt.
Danach ist die letztlich von den Sachverständigen ... und ... mit rd. 50 km/h angenommene Aufprallgeschwindigkeit nur dadurch zu erklären, daß der Kläger sein Fahrzeug abgebremst hat.
Daher geht der. Senat davon aus, daß diese Bremsspuren von dem Wagen des Klägers gezeichnet worden sind. Das bedeutet dann nach den Berechnungen der Sachverständigen ... und ... daß der Kläger zu Beginn der Spurzeichnung mit rd. 70 km/h gefahren ist (Sachverständiger ... 66 bis 73 km/h, Bl. 63 BA; Sachverständiger rd. 70 km/h, Bl. 128 BA).
Die weitere Geschwindigkeit des Klägers, mit der er die Strecke von der Kuppe in 500 m Entfernung von der Einmündung der K 13 bis zum Beginn der Spurzeichnung gefahren ist, hat jedenfalls deutlich über der gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 c StVO am Unfallort zugelassenen Geschwindigkeit von 100 km/h gelegen.
Der Kläger selbst räumt in seiner Klagschrift ein, 100 bis 120 km/h schnell gefahren zu sein.
Der hinter dem Kläger fahrende Zeuge ... hat in der Beweisaufnahme vor dem Landgericht angegeben, er sei vorher "mit Sicherheit mit 100 km/h gefahren" (Sitzungsniederschrift vom 13.12.1989, S. 4; Bl. 59). In dem gegen den Beklagten zu 1. gerichteten Strafverfahren hat dieser Zeuge am Unfalltag seine Geschwindigkeit mit ca. 100 km/h angegeben (Bl. 16 BA). In einer späteren Vernehmung (als ein Bußgeldverfahren gegen ihn wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht mehr möglich war) hat er angegeben, er könne sich nicht mehr genau erinnern, "meine aber, daß wir etwa 130 km/h fuhren, zumal die Strecke zu dieser Zeit nicht stark befahren war, und wir zügig fahren konnten ... Als wir dann über die Bergkuppe kamen ... bemerkte ich eine Reihe von Lichtern. Die Geschwindigkeit wurde aber nicht verringert." (Bl. 110 f BA). Erst von dem Vorwegweiser, der 263 m von der Einmündung der K 13 entfernt ist (s. Bl. 112 BA), an ist dieser Zeuge langsamer geworden.
Danach ist davon auszugehen, daß der Kläger von der von dem Beklagten zu 1. zu sehenden Kuppe mit mindestens 120 bis 130 km/h auf die spätere Unfallstelle zugefahren ist.
Schließlich ist die Anfahrgeschwindigkeit und die Zeit, die der Beklagte zu 1. vom Haltepunkt bis zur Unfallposition gebraucht hat, nicht ganz klar.
Der Sachverständige ... hat für das Gespann des Beklagten zu 1. eine Beschleunigung von 0,3 m/sec² und eine Zeitspanne von elf Sekunden als mindestens erforderlich angesehen (Bl. 64 BA), was nach den Ausführungen des Sachverständigen ... (in seinem Ergänzungsgutachten vom 17.02.1987, S. 3, 4; Bl. 151 f BA) nur als technisch mögliche Beschleunigung angesehen worden ist.
Der Beklagte zu 1. hat den hierfür nötigen Zeitraum bei späteren Versuchen mit 15 bis 16 Sekunden ermittelt (Bl. 146 BA). Bei den von den Sachverständigen angenommenen Werten muß indes berücksichtigt werden, daß es sich hierbei nur um theoretische Berechnungen handelt, die das individuelle Leistungsvermögen des von dem Beklagten zu 1. bei dem Unfall gesteuerten Traktors zur Unfallzeit nicht wiedergeben können. Eine Rekonstruktion des Anfahrens zum jetzigen Zeitpunkt erscheint sinnlos, weil das Leistungsvermögen des seinerzeit von dem Beklagten zu 1. gesteuerten Schleppers durch den Gebrauch seit dem Unfall (am 25.10.1985) sich geändert hat (falls dieser Schlepper überhaupt noch in Betrieb ist). Zudem ist die Einmündung der K 13 dadurch verändert worden, daß die Fahrbahn aufgeschüttet und damit das Gefalle verringert worden ist.
2.
Aufgrund der vorstehenden Werte kann die von dem Kläger behauptete Vorfahrtsverletzung des Beklagten zu 1. nicht festgestellt werden.
Die Beweislast für eine Vorfahrtsverletzung liegt bei dem Kläger. Zwar hat der Beklagte zu 1. zunächst den Anschein gegen sich, weil er an der Einmündung der K 13 dem Kläger Vorfahrt zu gewähren hatte. Durch die überhöhte Geschwindigkeit des Klägers greift der Beweis des ersten Anscheins vorliegend aber nicht ein, so daß der Kläger in vollem Umfang die Vorfahrtsverletzung des Beklagten zu 1. zu beweisen hat (vgl. Jagusch-Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 30. Aufl., § 8 StVO, Rdnr. 69, OLG Stuttgart VersR 1962, 1175; BGH DAR 1986, 142 f [BGH 21.01.1986 - VI ZR 35/85]).
a.
Der Beklagte zu 1. hat die Vorfahrt des Klägers nicht dadurch verletzt, daß er mit seinem schwerfälligen Gespann noch angefahren ist, obwohl der Kläger sich bereits bedrohlich genähert hatte.
Nach den nachvollziehbaren Berechnungen des Sachverständigen ... (Bl. 65 BA) war der Kläger noch 300 m vom Unfallort entfernt, wenn der Kläger mit einer Geschwindigkeit von lediglich 100 km/h gefahren ist und wenn der Beklagte zu 1. mit seinem Gespann eine Beschleunigung von 0,3 m/sec² erreicht hat.
Der Kläger hat nicht bewiesen - dieser Beweis ist ihm jetzt nicht mehr möglich (s. S. 12) -, daß es dem Beklagten zu 1. tatsächlich möglich war, mit dem Gespann eine Beschleunigung von 0,3 m/sec² zu erreichen. Daher ist zugunsten des Beklagten zu 1. davon auszugehen, daß dieser jedenfalls einen etwas längeren Zeitraum als elf Sekunden vom Anfahren bis zum Erreichen der Unfallposition benötigt hat. Das wiederum hat gleichfalls zur Folge, daß der Kläger von der Unfallstelle noch weiter entfernt gewesen sein muß. Ist der Kläger nur 100 km/h gefahren (wovon nach den nachstehenden Ausführungen nicht ausgegangen werden kann) und hat der Beklagte zu 1. 15 Sekunden benötigt, so war der Kläger von der Einmündung der K 13 in die B 82 noch etwa 110 m weiter, also 410 m, entfernt (100 km/h = 27,78 m/sec; in vier Sekunden legt das Fahrzeug dann mehr als 110 m zurück).
Zudem ist davon auszugehen, daß der Kläger von der für den Beklagten zu 1. einsehbaren Kuppe aus auf die Unfallstelle mit deutlich mehr als 100 km/h zugefahren ist. Daß der Kläger nur die auf der B 82 zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h eingehalten hat, trägt er weder vor, noch kann dieses nach der Beweisaufnahme als erwiesen angesehen werden. Vielmehr ist davon auszugehen, daß seine Geschwindigkeit eher bei 130 km/h gelegen hat (vgl. zur Beweislast: OLG München VersR 1973, 947, 948).
Der Sachverständige ... hat in seinem Gutachten vom 07.01.1987 (S. 7; Bl. 132 BA) bei einer Beschleunigung von 0,3 m/sec² und bei einer Geschwindigkeit des Klägers von 130 km/h in seiner Zeit-Weg-Darstellung errechnet, daß der Kläger dann zu dem Zeitpunkt, als der Beklagte zu 1. anzufahren begonnen hat, noch 400 m entfernt war.
Die Richtigkeit dieser Werte wird durch die Bekundung des Zeugen ... bestätigt, der angegeben hat, er habe noch genau das Bild vor Augen, daß die Lichter des Treckers herumschwenkten. Er habe also das Gespann schon wahrgenommen, als es beim Abbiegen war, und nicht erst, als der Trecker schon voll auf der linken Fahrbahnseite gewesen sei. Diese sehr anschauliche Schilderung des an dem Unfall nicht beteiligten und am Ausgang dieses Rechtsstreits nicht interessierten Zeugen erscheint glaubhaft.
Dem steht auch die Aussage des Zeugen ... nicht entgegen, der bekundet hat, der Beklagte sei mindestens teilweise mit dem Trecker auf der B 82 gewesen, als er - der Zeuge ... - die beiden Fahrzeuge in Höhe der Bergkuppe gesehen habe (Sitzungsniederschrift vom 13.12.1989, S. 2; Bl. 57). Denn der Zeuge ... hatte nicht beide am Unfall beteiligten Fahrzeuge in seinem Blickfeld, sondern mußte erst nach links schauen, um das Fahrzeug des Klägers zu erkennen. Daraus kann sich für ihn eine gewisse zeitliche Verzögerung ergeben.
Selbst wenn der Zeuge ... nicht schon den Beginn des Anfahrens des Beklagten zu 1. gesehen hat, war das jedenfalls für den Kläger - und damit der Kläger für den Beklagten zu 1. - erkennbar, weil der Kläger noch mit "gutem Sicherheitsabstand" vor dem Zeugen ... fuhr.
Nach dem Vorgesagten geht der Senat jedenfalls davon aus, daß der Beklagte zu 1. an der Einmündung haltend den PKW des Klägers bereits erkennen konnte, als er - der Beklagte zu 1. - angefahren ist.
Allein daraus ergibt sich aber noch keine Vorfahrtsverletzung. Denn der Kläger hat nicht bewiesen, daß er im Zeitpunkt des Einbiegens des Beklagten zu 1. näher als 400 m von der Einmündung der K 13 in die B 82 entfernt war. Wenn der Beklagte zu 1. er dann trotzdem anfährt, begeht er keine Vorfahrtsverletzung. Denn das Vorfahrtsrecht geht nicht so weit, daß der Wartepflichtige jede Beeinträchtigung des Vorfahrtsberechtigten verhindern muß (vgl. OLG München VersR 1973, 947: 160 bis 190 m Entfernung; OLG Hamm DAR 1974, 108: 200 m Entfernung eines 80 km/h schnellen Kleinkraftrades). Wenn der Vorfahrtsberechtigte sich auf die Fahrweise des Einbiegenden so rechtzeitig und gefahrlos einstellen kann, wie er es gegenüber einem dort in gleicher Weise die Straße seit längerem benutzendem Fahrzeug tun kann, das in seine (des Vorfahrtsberechtigten) Richtung fährt, liegt keine Vorfahrtsverletzung vor (so OLG Hamm DAR 1974, 108; vgl. Jagusch-Hentschel, a.a.O., § 8 StVO Rdnr. 27).
Vorliegend konnte sich der Kläger aus 400 m Entfernung auf das aus der K 13 einbiegende Gespann des Beklagten zu 1. einstellen. Dies war ordnungsgemäß beleuchtet. So hat auch der hinter dem Kläger fahrende und damit noch weiter vom Unfallort entfernte Zeuge ... den Trecker mit zwei Anhängern an der Einmündung der K 13 wahrgenommen und auch sogleich bemerkt, daß es sich um einen Trecker mit zwei Anhängern handele. Diese Angaben erscheinen glaubhaft. Hinter dem Gespann des Beklagten zu 1. fuhr der Zeuge ... der mit seinen Scheinwerfern das Gespann des Beklagten zu 1. noch von hinten angestrahlt hat.
Durch früheres leichtes Gaswegnehmen oder früheres leichtes Abbremsen hätte der Kläger ohne weiteres ein Auffahren auf den zweiten Anhänger des Gespanns verhindern können.
Da nur bei einer wesentlichen Behinderung des Vorfahrtsberechtigten von einer Vorfahrtsverletzung gesprochen werden kann (vgl. § 8 Abs. 2 S. 2 StVO) und da der Kläger durch geringfügiges Verlangsamen den Unfall mit dem ihm auf weite Entfernung erkennbaren Gespann hätte vermeiden können, liegt bereits tatbestandsmäßig eine Vorfahrtsverletzung nicht vor.
Selbst wenn man tatbestandsmäßig einen Verstoß gegen § 8 Abs. 2 S. 2 StVO annehmen wollte, läge jedenfalls kein schuldhafter Verstoß, also keine Mißachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vor (vgl. § 276 Abs. 1 S. 2 BGB). Denn sogar der hinter dem Beklagten zu 1. fahrende Zeuge ... hatte zunächst noch den Eindruck, selbst hinter dem Gespann des Beklagten zu 1. und vor dem herannahenden Kläger noch gefahrlos auf die B 82 einbiegen zu können.
Das gilt auch dann, wenn die Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers auf der völlig geraden und gut einsehbaren B 82 bei nur sehr geringem Verkehr ein typischer und häufiger Verstoß ist, den auch der Beklagte zu 1. hätte erkennen und berücksichtigen müssen (vgl. dazu Jagusch-Hentschel, a.a.O., § 8 StVO, Rdnr. 52, 53). Denn damit, daß der Kläger auf das auf große Entfernung erkennbare Einbiegen des beleuchteten Gespanns überhaupt nicht oder allenfalls im letzten Augenblick reagieren würde, brauchte der Beklagte zu 1. nicht zu rechnen (vgl. OLG Hamm VRS 40, 297).
Wollte man dem Beklagten zu 1. das Anfahren in einer solchen Situation als schuldhafte Vorfahrtsverletzung anlasten, hätte das zur Folge, daß landwirtschaftliche oder andere langsame Fahrzeuge vom Verkehr ausgeschlossen werden müßten. Denn nur an sehr wenigen Kreuzungen und Einmündungen kann die vorfahrtberechtigte Straße auf 300 m und mehr eingesehen werden.
b.
Ebensowenig hat der Kläger bewiesen, daß der Beklagte zu 1. beim Anfahren nicht die volle Beschleunigungsmöglichkeit des Treckers ausgenutzt hat.
Dies ergibt sich bereits aus dem Vorgesagten.
Ungeachtet dessen muß auch hier wiederum berücksichtigt werden, daß dann, wenn der Beklagte zu 1. einen über elf Sekunden liegenden Zeitraum vom Anfahren bis zum Erreichen des Zusammenstoßortes benötig hätte, um auf das Einfahren des Beklagten zu 1. zu reagieren. Um die in diesem Zeitraum zurückgelegte Strecke wäre der Kläger dann noch weiter von der Unfallstelle entfernt gewesen.
Auch hieraus ergibt sich mithin keine Vorfahrtsverletzung.
Die den Parteien nicht nachgelassenen Schriftsätze vom 18.06.1990 und vom 21.06.1990 geben keinen Anlaß zur abweichenden Beurteilung oder zum Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung.
B
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert der Beschwer wird für den Kläger auf 160.800,- DM festgesetzt.
Der Beschwerdewert ergibt sich aus § 546 Abs. 2 S. 1 ZPO.