Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 09.11.1998, Az.: 2 B 2370/98

Abwägung des öffentlichen und privaten Interesses; Einwendungen gegen bauaufsichtliche Verfügung; Entbehrlichkeit einer vorherigen Anhörung; Standsicherheit einer baulichen Anlage; Haftung des früheren Eigentümers; Einordnung als Zustandsstörer oder Verhaltensstörer; Verhältnismäßigkeit angeordneter Maßnahmen

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
09.11.1998
Aktenzeichen
2 B 2370/98
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1998, 17625
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:1998:1109.2B2370.98.0A

Verfahrensgegenstand

Anfechtung einer bauaufsichtlichen Anordnung

Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

Prozessführer

Herr ...

Prozessgegner

Landkreis Northeim,
vertreten durch den Oberkreisdirektor, Medenheimer Str. 6-8, 37154 Northeim, (...)

Redaktioneller Leitsatz

Im Gegensatz zur denkmalschutzrechtlichen Sanierungspflicht kommt es für die Instandhaltungspflicht nicht darauf an, ob die Instandhaltung wirtschaftlich zumutbar war. Es ist auch nicht entscheidend, wie baufällig das Gebäude/ Vorhaben zum Zeitpunkt des Eigentumserwerbes bereits war.
Der Erwerber eines Gebäudes hat nach dem Erwerb dafür zu sorgen, daß es nicht so baufällig wird, dass von ihm Gefahren ausgehen, bzw. hat er vorhandene Gefahren zu beseitigen.

Die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen
hat am 9. November 1998
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 20.000 DM festgesetzt.

Tatbestand

1

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen eine bauaufsichtliche Verfügung des Antragsgegners, wonach er bei einem ihm früher gehörenden baufälligen Schloß den offenen Deckenbereich eines Turm abdecken sowie zwei einsturzgefährdete Mauern einreißen soll.

2

Der Antragsteller war von 1990 bis zum 26.8.1998 Eigentümer des Grundstücks Parkstraße ... und ... (Flurstück ... der Flur ... der Gemarkung Oldershausen), auf dem das Schloss Oldershausen steht, welches zumindest früher unter Denkmalschutz stand. Das Gebäude ist stark verfallen. Bei einer Ortsbesichtigung am 23.7.1998 stellten Mitarbeiter des Antragsgegners fest, daß die Turmhaube und deren Tragkonstruktion nicht mehr standsicher und stark einsturzgefährdet waren; die Stützen in der Rückwand des Rosenpavillons im Schloßgarten hatten keinen Gründungskontakt mehr, so daß die Wand, die sich neben einer Straße befindet, ebenfalls nicht mehr standsicher war; dasselbe galt für einen Teil der Grundstückseinfriedungsmauer im westlichen Kurvenbereich, die bereits zur Straße geneigt war.

3

Aufgrund dieser Feststellungen erging am 28.7.1998 eine Verfügung des Antragsgegners, in der dieser dem Antragsteller aufgab, bis zum 16.8.1998, spätestens aber innerhalb von 2 Wochen nach Bestandskraft des Bescheides, 1. die Turmhaube einschließlich der Dachkonstruktion abzubrechen, sachgerecht zu entsorgen und den offenen Deckenbereich gegen Regen abzudecken, 2. die Rückwand des Rosenpavillons abzubrechen und sachgerecht zu entsorgen, 3. die Grundstückseinfriedung im westlichen Kurvenbereich abzubrechen, sachgerecht zu entsorgen und die Lücke zu schließen. Anstelle des Abbruches der Mauern blieb dem Antragsteller nachgelassen, deren Standsicherheit wiederherzustellen, indem er den Gründungskontakt mit den Stützen der Außenwand des Rosenpavillons wiederherstellt oder die Grundstücksmauer teilweise neu errichtet. Der Antragsgegner ordnete den Sofortvollzug an. Für den Fall der Nichtbeachtung drohte er Zwangsgelder und die Ersatzvornahme (Kosten ca. 20.000 DM) an. Zur Begründung führte er die genannten Baumängel an, die die Standsicherheit beeinträchtigten. Der Antragsteller sei als Eigentümer für den Zustand seines Grundstückes verantwortlich. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertige sich wegen der Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter, hinter der die finanziellen Interessen des Antragstellers zurückbleiben müßten. Es sei nicht möglich, das ganze Grundstück insbesondere gegen spielende Kinder völlig abzusperren, weil Zugangsmöglichkeiten über die Kapelle und den Bauhof blieben.

4

Am 14.8.1998 legte der Antragsteller gegen diese Verfügung Widerspruch ein, den der Antragsgegner mit Bescheid vom 22.9.1998 als unzulässig zurückwies. Das bei dem erkennende Gericht anhängig gewesene Verfahren (2 B 2351/98) auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Anordnung vom 28.7.1998 ist erledigt. Am 25.8.1998 erfuhr der Antragsgegner im Rahmen einer Ortsbesichtigung, daß der Verwalter des Schlosses im Einvernehmen mit dem Antragsteller die Turmhaube abgebrochen hatte, ohne jedoch - bisher - den Turm abzudecken. Am 26.8.1998 wurde der zuvor erklärte Verzicht des Antragstellers auf das Eigentum an dem oben bezeichneten Grundstück in das Grundbuch eingetragen.

5

Am 3.9.1998 erließ der Antragsgegner eine mit "Zweitbescheid" überschriebene Verfügung, in der er den Antragsteller aufforderte, bis zum 27.9.1998, spätestens aber innerhalb von zwei Wochen nach Unanfechtbarkeit, den offenen Deckenbereich des Turmes gegen Regen abzudecken. Die Anordnungen zu Ziffer 2. und 3. des Bescheides vom 28.7.1998 wiederholte er. Er ordnete den Sofortvollzug an und drohte erneut mit einer Ersatzvornahme. Die Begründung entspricht im wesentlichen der zum Bescheid vom 28.7.1998. Die Heranziehung des Antragstellers begründete er damit, daß dieser während der letzten Jahre seiner Erhaltungspflicht nicht nachgekommen sei und durch diese Unterlassung eine Gefahr verursacht habe.

6

Am 15.9.1998 legte der Antragsteller Widerspruch gegen diese Verfügung ein. Er ist der Ansicht, eine Erhaltungspflicht des Schlosses habe nicht bestanden, weil eine Sanierung wirtschaftlich unzumutbar sei. Er sei deshalb nicht Verhaltensverantwortlicher. Die Maßnahmen des Antragsgegners seien zudem unverhältnismäßig; allein die Errichtung der Baustelle koste etwa 30.000 DM. Die Frist sei zu kurz. Die Gefahr könne auch dadurch abgewendet werden, daß die Zuwege, auch die von der Kapelle und dem Bauhof, abgesperrt würden.

7

Am selben Tag hat der Antragsteller um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht und beruft sich im wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen.

8

Er beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 15.9.1998 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 3.9.1998 wiederherzustellen.

9

Der Antragsgegner beantragt.

den Antrag abzulehnen.

10

Er stützt sich hauptsächlich auf die Begründung seines Bescheides. Vom Antragsteller werde nichts rechtlich Unmögliches verlangt, zumal die Genehmigung nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 NDSchG konkludent in seiner Verfügung enthalten sei. Die angenommenen Kosten der Ersatzvornahme seien gemessen am Verkehrswert des Grundstücks gering.

11

Wegen der werteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Gründe

12

II.

Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.

13

Der Antragsgegner hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung seiner Auswahlentscheidung in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise begründet.

14

Die bei der Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung der Maßnahme gegen das private Interesse des Antragstellers, von dem Vollzug einstweilen verschont zu werden, geht zu Lasten des Antragstellers aus. Denn die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotene summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, die von besonderer Bedeutung ist, ergibt, daß dieser mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird. Das Gericht hat keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes.

15

Die Verfügung ist formell rechtmäßig. Eine vorherige Anhörung des Antragstellers gem. § 89 Abs. 3 NBauO war wegen der Eilbedürftigkeit der Sache entbehrlich, Außerdem konnte der Antragsteller in seinem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO vom 27.8.1998 im Verfahren 2 B 2351/98, der dem Antragsgegner am 31.8.1998 zugestellt worden ist, dazu Stellung nehmen, daß er nicht mehr Eigentümer des Grundstückes ist. Die Verfügung ist auch hinsichtlich der Ziffer 2 trotz der Formulierung "alternativ" bestimmt genug i.S.d. § 37 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NdsVwVfG. Denn das Ziel des Antragsgegners wird im Zusammenhang mit Ziffer 3 des Bescheides deutlich, wo das Verhältnis von Abbruch und Wiederherstellung der Standsicherheit klarer formuliert ist: Es soll vorrangig die Rückwand abgebrochen werden. Die Wiederherstellung der Standsicherheit ist nur als eine Art nachrangige Ersetzungsbefugnis des Antragstellers gedacht.

16

Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht begegnet der Bescheid keinen Bedenken. Der Antragsgegner hat den Antragsteller zu Recht gem. §§ 89 Abs. 1, 62 NBauO i.V.m. § 6 Abs. 1 NGefAG herangezogen.

17

Schloß Oldershausen ist eine bauliche Anlage, deren Zustand teilweise gegen § 18 S. 1 NBauO verstößt, wonach u.a. jede bauliche Anlage in ihren einzelnen Teilen standsicher sein muß. Die Rückwand des Rosenpavillons und der im Bescheid genannte Teil der Einfriedungsmauer genügen diesen Anforderungen nicht mehr und drohen auf die angrenzenden Wege zu fallen. Die Standsicherheit des Turmes droht dadurch weiter gefährdet zu werden, daß es hineinregnet und Witterungseinflüsse die - ohnehin baufälligen - Mauern noch weiter und schneller zerstören. Der Antragsteller ist auch der richtige Adressat der Verfügung. Zwar hat er am 26.8.1998 sein Eigentum an dem Grundstück, auf dem Schloß Oldershausen steht, aufgegeben und ist damit nicht länger Zustandsstörer gem. § 61 S. 1 NBauO. Da eine dem § 7 Abs. 3 NGefAG vergleichbare Vorschrift in der NBauO fehlt, kann er auch nicht als früherer Eigentümer haftbar gemacht werden.

18

Der Antragsteller ist aber Verhaltensstörer gem. § 62 NBauO i.V.m. § 6 Abs. 1 NGefAG. Während seiner Eigentümerzeit war er gem. § 1 Abs. 1, 5 S. 2 i.V.m. § 61 S. 1 NBauO verpflichtet, das Schloß so instandzuhalten, daß Leben und Gesundheit nicht bedroht werden. Im Gegensatz zur denkmalschutzrechtlichen Sanierungspflicht kommt es für die genannte Pflicht nicht darauf an, ob die Instandhaltung wirtschaftlich zumutbar war. Es ist auch nicht entscheidend, wie baufällig das Schloß zum Zeitpunkt des Eigentumserwerbes bereits war. Der Antragsteller hätte also nach dem Erwerb des Gebäudes dafür sorgen müssen, daß es nicht so baufällig wird, daß von ihm Gefahren ausgehen, bzw. vorhandene Gefahren beseitigen müssen (vgl. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 6. Aufl. 1996, § 57 Rn. 4). Dieser Pflicht ist er nicht nachgekommen; daraus resultiert seine Verhaltenshaftung.

19

Der Wortlaut des § 62 NBauO scheint allerdings einer Haftung des (früheren) Eigentümers als Verhaltensstörer entgegenzustehen. Dort ist nämlich nur von anderen als in § 61 genannten Personen die Rede, also nicht auch vom Eigentümer. Den Eigentümer nur als Zustandsstörer haften zu lassen und nicht auch als Verhaltensstörer, widerspricht aber dem Gesetzeszweck (i. E. ebenso, aber ohne Begründung, Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, § 61 Rn. 6 a. E.). Da § 62 NBauO als Auffangvorschrift gedacht ist (Groschupf, in: Blumenbach/Groschupf, NBauO, 1977, § 62 Rn. 1), geht das Gesetz davon aus, daß eine entsprechende Regelung für den Eigentümer entbehrlich ist, weil er bereits als solcher nach § 61 NBauO haftet. Der Fall, daß der Eigentümer sog. "Doppelstörer" ist (vgl. dazu OVG Münster, NVwZ-RR 1988, 20, wobei aber zu beachten ist, daß die NRW-BauO auf das allgemeine Polizeirecht und damit auch auf die Vorschrift über die Handlungsstörer verweist), ist nicht bedacht worden. Ließe man mit der Eigentumsaufgabe auch eine Verhaltenshaftung entfallen, führte dies zu einer Privilegierung und Ungleichbehandlung des Eigentümers im Bauordnungsrecht im Vergleich zu anderen Verhaltensstörern. Wenn beispielsweise ein Mieter eines Gebäudes dieses so zerstört, daß nach Beendigung des Mietvertrages eine einsturzgefährdete Ruine zurückbleibt, ist er ohne weiteres nach § 62 NBauO i.V.m. § 6 Abs. 1 NGefAG weiterhin verantwortlich. Daß dies anders sein soll, nur weil der Eigentümer - der einer Sache deutlich näher steht als der nur schuldrechtlich Berechtigte - handelt, ist nicht nachvollziehbar und vom Gesetzgeber wohl auch nicht gewollt.

20

Die angeordneten Maßnahmen sind auch verhältnismäßig. Der Antragsteller ist rechtlich in der Lage, sie an dem herrenlosen Grundstück durchzuführen. Das Aneignungsrecht des Landes Niedersachsen gem. § 928 Abs. 2 BGB steht dem nicht entgegen. Eine Absperrung des gesamten Grundstückes wäre nicht gleich gut geeignet, um die Gefahr für Dritte durch herunterfallende Gebäudeteile zu beseitigen. Denn jedenfalls der Rosenpavillon und die Einfriedungsmauer befinden sich neben öffentlichen Wegen, die zu sperren der Antragsteller nicht befugt ist. Eine Grundstückseinfriedung - die von dem Antragsteller nicht ernsthaft angeboten wird, da er sich nicht für verantwortlich hält - kann zudem nie so gut sein, dass nicht Kinder sie überwinden, um in einem langsam verfallenden Schloss zu spielen und sich damit höchsten Gefahren auszusetzen. Die Verfügung ist auch nicht wegen der Höhe der - von dem Antragsteller aufzubringenden - Kosten der Ersatzvornahme unverhältnismäßig. Der Verkehrswert des Grundstücks, dessen Eigentumsverlust der Antragsteller sich selbst zuzuschreiben hat, dürfte erheblich darüber liegen, auch wenn es teurer wird, als der Antragsgegner geschätzt hat. Die Frist ist ausreichend bemessen, zumal der Antragsteller bereits seit dem Bescheid des Antragsgegners vom 28.7.1998 mit den Maßnahmen rechnen mußte.

21

Die Androhung der Ersatzvornahme begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Sie beruht auf § 89 Abs. 4 S. 1 NBauO i.V.m. §§ 64 Abs. 1, 66, 70 NGefAG. Sollten die veranschlagten Kosten zu gering bemessen sein, würde dies Rechte des Antragstellers nicht beeinträchtigen.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 20.000 DM festgesetzt.

Die Festsetzung des Streitwertes stützt sich auf die §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG. Die Höhe bestimmt sich nach der Bedeutung der Sache für den Antragsteller. Nach seinem Vortrag kostet allein die Einrichtung der Baustelle 30.000 DM. Dazu kommen Kosten für die Durchführung der Maßnahmen, die die Kammer auf 10.000 DM schätzt. Die sich daraus ergebende Summe ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.

Prilop
Rühling
Pardey