Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 15.01.2021, Az.: 6 U 312/19
Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug; Anforderungen an die Substantiierung von Sachvortrag zu einer Schädigungshandlung; Unbeachtliche Behauptung ins Blaue hinein
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 15.01.2021
- Aktenzeichen
- 6 U 312/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 49785
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 10.10.2019 - AZ: 1 O 2961/18
Rechtsgrundlage
- § 826 BGB
In dem Rechtsstreit
AA, Ort1,
Klägerin und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
gegen
BB AG, vertreten durch den Vorstand CC u. a., Ort2,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht (...) und die Richter am Oberlandesgericht (...) und (...) auf die mündliche Verhandlung vom 4. Dezember 2020 für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 10.10.2019 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrags, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Gründe
I.
Die Klägerin verfolgt einen auf Rückabwicklung des Kaufvertrags über einen Pkw gerichteten Schadensersatzanspruch wegen (angeblicher) Manipulation des Motors Typ1 durch die Beklagte.
Die Klägerin erwarb den streitgegenständlichen Pkw1 im Jahr 2014 für 23.999,00 EUR bei einem Autohändler als Neuwagen. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten gefertigten Motor des Typs Typ1 ausgestattet, der der Dieselnorm Euro 5 Plus unterfällt.
Die Klägerin hat die Zahlung eines Schadensersatzbetrags in Höhe von 24.988,52 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % für die Zeit vom 12.09.2014 bis 11.12.2018 sowie in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.2018 abzüglich einer auf Grundlage einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km zu berechnenden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Wagens verlangt und die Feststellung des Annahmeverzugs seit dem 12.12.2018 begehrt.
Hierzu hat sie behauptet, der Motor in dem Fahrzeug der Klägerin sei vom Abgasskandal betroffen und enthalte eine unzulässige Abschalteinrichtung.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die darlegungsbelastete Klägerin habe das Vorliegen einer Manipulationssoftware nicht schlüssig dargelegt. Die Beklagte habe substantiiert dargelegt, dass alle mit dem Motor Typ1 ausgestatteten Fahrzeuge beanstandungsfrei vom KBA geprüft worden seien. Die Bezugnahme der Klägerin auf irgendwelche Testberichte reiche für substantiiertes Vorbringen nicht aus. Sofern sie womöglich behaupten wolle, die für andere Fahrzeuge ermittelten Werte gälten auch für den von ihr erworbenen Wagen, handele es sich um eine Behauptung ins Blaue.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihre erstinstanzlich gestellten Anträge weiterverfolgt. Sie behauptet, auch das Fahrzeug der Klägerin enthalte mit dem Typ1 einen Motor, der eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweise, da die Software erkenne, ob das Fahrzeug sich auf dem Prüfstand befinde und die Emissionen unterschiedlich behandelt würden, je nachdem, ob der Wagen auf dem Prüfstand stehe oder im Realbetrieb sei. Das soll sich aus Vorlagen der Beklagten an das KBA ergeben, die in den Text einkopiert sind. Bei dem Fahrzeug seien verschiedene Prüfzykluserkennungsmodi implementiert worden, nämlich eine Lenkwinkelerkennung, eine Temperaturerkennung sowie eine Zeiterfassung; zudem sei das On Board Diagnose-System manipuliert. Weiter meint die Klägerin, das Fahrzeug enthalte eine illegale Abschalteinrichtung in Form eines "Thermofensters".
Hinsichtlich der Zinsen in Höhe von 4 % vom 12.09.2014 bis 11.12.2018 hat die Klägerin die Klage teilweise zurückgenommen (Schriftsatz vom 26.11.2020, S. 2).
Die Klägerin beantragt nunmehr,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 23.999,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.2018 abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der FIN (...) zu zahlen,
2. festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 12.12.2018 mit der Rücknahme des unter Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet,
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.242,84 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.2018 zu zahlen,
hilfsweise,
das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 10.10.2019 mit dem zugrundeliegenden Verfahren aufzuheben und an das Landgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bestreitet, dass in dem Fahrzeug der Klägerin eine unzulässige Prüfstandserkennung zur Anwendung komme. Weder eine Lenkwinkelerkennung noch eine Temperaturerkennung noch eine Erkennung der Prüfdauer sei vorhanden. Es gebe keine prüfstandoptimierte "Umschaltlogik". Auch ein unzulässiges Thermofenster liege nicht vor. Vielmehr sei das vorhandene Thermofenster zulässig und dem KBA angezeigt worden. Die Beklagte verweist auf zahlreiche obergerichtliche Entscheidungen, mit denen klageabweisende Urteile in Typ1-Verfahren bestätigt worden seien. Für den Motor des Typs1 gebe es keinen Rückruf des KBA, vielmehr habe das KBA den Motorentyp geprüft und keine Abschalteinrichtung festgestellt. Auch aus der von der Klägerin in Bezug genommenen Applikationsrichtlinie Typ1 könnten keine Rückschlüsse auf das streitgegenständliche Fahrzeug gezogen werden, weil diese sich nur auf Typ1 EU6-Konzepte beziehe, während es sich hier um ein EU5-Fahrzeug handele.
Der Kilometerstand am 03.12.2020 betrug 167.626 km.
II.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet, denn das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die Bezug genommen wird, abgewiesen.
Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB oder aus einem anderen Rechtsgrund gegen die Beklagte, denn die Tatbestandsvoraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung oder auch eines Betrugs liegen nicht vor. Insbesondere hat die Klägerin eine Schädigungshandlung (Täuschung) in Gestalt des Inverkehrbringens des mit einem manipulierten Motor ausgestatteten Fahrzeugs der Klägerin nicht substantiiert dargelegt. Vielmehr handelt es sich bei der Behauptung der Klägerin, der in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor Typ1 (EU5 Plus) sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen, um eine unbeachtliche Behauptung ins Blaue.
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 28.01.2020 - VIII ZR 57/19 - betont, Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs sei bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vortrage, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich seien, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen; die Angabe näherer Einzelheiten sei nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung seien (BGH, a.a.O., juris Rn. 7). Einer Partei sei es grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitze und auch nicht erlangen könne, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich halte; das gelte insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen könne, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben könne. Eine Behauptung sei erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufgestellt worden sei (BGH, a.a.O., Rn. 8). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sei das Vorbringen des Klägers in dem vom Bundesgerichtshof zu beurteilenden Fall, der den Motor Typ2 eines anderen Herstellers betraf, nicht deswegen unbeachtlich, weil er die Plausibilität seiner Behauptungen nicht dargelegt habe. Von ihm könne nicht verlangt werden, dass er im Einzelnen darlege, weshalb er von dem Vorhandensein einer oder mehrerer Abschalteinrichtungen ausgehe und wie diese konkret funktionierten. Vielmehr sei von ihm nur zu fordern, dass er greifbare Umstände anführe, auf die er den Verdacht gründe, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere Abschalteinrichtungen auf; dies habe er getan, wobei er - wenn auch nur in groben Zügen - die von ihm befürchteten Auswirkungen einer solchen Abschalteinrichtung auf den Stickstoffausstoß beschrieben habe (BGH, a.a.O., Rn. 10). Anders als das Berufungsgericht meine, seien greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erst dann gegeben, wenn das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) auch bezüglich des konkreten Fahrzeugtyps des Klägers einen Rückruf angeordnet habe, denn ein Sachmangel liege im Hinblick auf eine drohende Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV nicht erst vor, wenn der Hersteller durch einen Bescheid des KBA eine Umrüstungsanordnung getroffen habe, sondern auch schon dann, wenn diese Behörde eine solche Maßnahme noch nicht getroffen habe, denn auch dann sei im Ansatz bereits ein Sachverhalt ("Mangelanlage"/Grundmangel) gegeben, der - gegebenenfalls mit weiteren Umständen - dazu führen könne, dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsuntersagung vornehme, weil das Fahrzeug wegen einer Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ entspreche (BGH, a.a.O., Rn. 13).
Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht zu Recht das Vorbringen der Klägerin als unsubstantiierte Behauptung ins Blaue hinein bewertet.
Die Klägerin hat während des Rechtsstreits ihre ständig wechselnden Behauptungen über die angeblich in dem Fahrzeug vorhandene Abschalteinrichtung stets der jeweiligen Prozesslage angepasst und dabei ersichtlich jeweils aktuelle Stichworte aus der öffentlichen Diskussion über den Abgasskandal herangezogen und ohne konkrete Anhaltspunkte behauptet, dies oder jenes gelte auch für das streitgegenständliche Fahrzeug; wenn sich die Behauptungen dann als unhaltbar erwiesen haben, hat sie neue Begründungen nachgeschoben.
So hat die Klägerin zunächst behauptet, ihr Fahrzeug sei mit dem Motor Typ3 ausgestattet (S. 11 der Klageschrift), bei dem es sich um den Motortyp handelt, der im Zentrum des BB-Abgasskandals steht und der bereits Gegenstand mehrerer höchstrichterlicher Entscheidungen war. Nachdem die Beklagte mit der Klageerwiderung darauf hingewiesen hatte, dass in dem Auto keineswegs ein Motor des Typs Typ3, sondern tatsächlich ein Motor des Modells Typ1 (EU5) verbaut sei (S. 2 der Klageerwiderung), hat sie ihre ursprüngliche Behauptung stillschweigend fallen gelassen und behauptet, betroffen von der Betrugssoftware seien nicht nur alle Fahrzeuge mit dem Typ3 Motor, sondern auch alle Fahrzeuge mit dem 3,0 Diesel-Aggregat, die seit 2009 auf den Markt gebracht worden seien (Schriftsatz vom 23.04.2019, S. 5). Die Beklagte hat sodann erneut erklärt, der Motor Typ1 weise - anders als der Typ3 - nicht die von ihr so genannte "Umschaltlogik" (Euphemismus der Beklagten für "unzulässige Abschalteinrichtung") auf, was sich auch aus dem Bericht der Untersuchungskommission BB des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur ergebe. Daraufhin hat die Klägerin ausdrücklich behauptet, auch Fahrzeuge mit dem Typ1-Motor seien vom Abgasskandal betroffen, weil sie mit einer von der Beklagten entwickelten Abschalteinrichtung versehen seien (Schriftsatz vom 03.09.2019, S. 2); zur Begründung hat sie sich auf Dokumente der Beklagten hinsichtlich der NSK-Technologie (S. 7 ff.) sowie auf das Vorgehen der Beklagten bei der Weiterentwicklung des SCR-Katalysators (S. 21 ff.) gestützt. Auch in ihrem Schriftsatz vom 01.10.2019 hat sich die Klägerin auf Medienberichte berufen, denen zufolge von der Beklagten eine bestimmte SCR-Dosierstrategie für eine Manipulation der Abgaswerte eingesetzt worden sei (Schriftsatz vom 01.10.2019, S. 23); außerdem enthalte das Fahrzeug eine Lenkwinkelerkennung, eine Temperaturerkennung sowie eine Zeiterfassung, die jeweils der Prüfstandserkennung dienten. In der Berufungsbegründung bezieht sich die Klägerin erneut auf Dokumente der Beklagten über die Anwendung der NSK- bzw. SCR-Technologie; dabei steht "NSK" für NOx-Speicherkatalysator und "SCR" für selektive katalytische Reduktion. Die Klägerin führt dort u.a. aus, ihr Fahrzeug bediene sich zur Abgasaufbereitung der NSK-Technologie und verfüge nicht über einen SCR-Katalysator (Berufungsbegründung, S. 28). Nachdem die Beklagte ausdrücklich bestritten hat, dass in dem Fahrzeug der Klägerin ein NSK-System verbaut sei (Schriftsatz vom 26.11.2020, S. 2, 6), und darauf hingewiesen hat, dass die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen die Typ1 (EU6)-Fahrzeuge beträfen, während es sich bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug um ein der EU5-Norm unterfallendes Fahrzeug handele (S. 6 f.), hat die Klägerin ihren Vortrag erneut umgestellt und erklärt, ihr Fahrzeug bediene sich zur Abgasaufbereitung der DPF-Technologie (Dieselpartikelfilter) und verfüge somit weder über einen NOx-Speicherkatalysator noch über einen SCR-Katalysator (Schriftsatz vom 26.11.2020, S. 26). Sie hat ihre Behauptung, die Beklagte habe eine unzulässige Abschalteinrichtung installiert, nunmehr auf andere, zuvor bereits erwähnte Gesichtspunkte gestützt: So sei der Motor mit einer Lenkwinkelerkennung und einer Temperaturerkennung ausgestattet, zudem sei das On-Board-Diagnosesystem (OBD) so manipuliert, dass das nicht ordnungsgemäße Funktionieren der Abgassysteme nicht angezeigt werde. Nachdem die Beklagte wiederum ein Schreiben des KBA vorgelegt hat, aus dem sich ergibt, dass der Motor Typ1 zwar eine Fahrkurvenerkennung enthält, diese jedoch keinen Einfluss auf die Emissionen habe (Anlage BE 4), trägt die Klägerin zuletzt vor, die Beklagte widerspreche sich selbst, da sie in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Kassel ausgeführt habe, die Sicherstellung repräsentativer und reproduzierbarer Testergebnisse sei der Zweck der mit der Fahrkurve verbundenen, allein streckengesteuerten Regeneration des NSK. Unstreitig enthält das streitgegenständliche Fahrzeug jedoch keinen NSK (NOx-Speicherkatalysator). Insgesamt lässt der sprunghafte und sich ständig verändernde Sachvortrag der Klägerin nur den Schluss zu, dass sie willkürlich die in der öffentlichen Diskussion über den BB-Abgasskandal erörterten Vorwürfe gegen die Beklagte aufgreift und ohne konkrete Anhaltspunkte behauptet, die jeweiligen Umstände lägen auch bei dem Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs vor.
Greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung - abgesehen von dem unstreitig vorhandenen "Thermofenster", auf das noch einzugehen sein wird - trägt die Klägerin dabei aber nicht vor. Es verhält sich insbesondere auch nicht so, dass das KBA "noch nicht" einen Rückruf o.ä. angeordnet hat. Vielmehr hat das KBA den Motortyp Typ1 auf das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung geprüft und keine Hinweise darauf festgestellt. Das ergibt sich eindeutig aus dem von der Beklagten vorgelegten Schreiben des KBA an das Landgericht Bonn vom 11.11.2020 zu einem Fahrzeug mit Typ1 (...) EU5-Motor, in dem es u.a. heißt:
Dazu kann ich Ihnen mitteilen, dass der Motor des oben genannten streitgegenständlichen Fahrzeugmodells im Rahmen der Marktüberwachungstätigkeiten einer umfassenden Prüfung unterzogen wurde und nach unseren Erkenntnissen keine unzulässige Abschalteinrichtung aufweist. Es wurden daher weder Nebenbestimmungen zu diesem Fahrzeug angeordnet noch besteht ein behördlich angeordneter Rückruf. Eine prüfstandsoptimierte Umschaltlogik kann somit hier nicht bestätigt werden.
Zur Sachverhaltsaufklärung kann ich Ihnen mitteilen, dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) umfangreiche Untersuchungen an Fahrzeugen im Zusammenhang mit den Motoren des Entwicklungsauftrags (EA) Typ1 durchgeführt hat. ... In Bezug auf den im streitgegenständlichen Fahrzeug verwendeten Motor Typ1 (...) EU5 wurden die Untersuchungen zwischenzeitlich mit dem Ergebnis, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden ist, abgeschlossen.
Es sind keine weiteren Prüfungen in Bezug auf den in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verwendeten Motor Typ1 (...) EU5 geplant.
Um genau einen solchen Motor (Typ1 (...) EU5) handelt es sich hier. Es liegt also nicht eine Situation wie in dem vom Bundesgerichtshof in seinem oben zitierten Beschluss vom 28.01.2020 zu beurteilenden Fall vor, dass es an einer Beanstandung des KBA fehlt oder eine Untersuchung noch nicht vorgenommen worden ist, sondern es verhält sich im Gegenteil so, dass das KBA bereits umfangreiche Untersuchungen gerade des streitgegenständlichen Motorentyps vorgenommen und keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt hat.
Im Lichte dessen sind die Behauptungen der Klägerin zu würdigen. Wenn der streitgegenständliche Motorentyp Typ1 (...) EU5 nach den auf Grund umfangreicher Untersuchungen getroffenen Feststellungen des KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung aufweist, ergibt die von der Klägerin in den Raum gestellte angebliche Manipulation des OBD keinen Sinn. Eine solche angebliche Manipulation kann nicht zur Verschleierung einer angeblich installierten unzulässigen Abschalteinrichtung führen, wenn es nach den Feststellungen des KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung gibt. Eine Fahrkurvenerkennung ist in dem Fahrzeug nach den Feststellungen des KBA zwar appliziert, hat jedoch keinen Einfluss auf die Emissionen (vgl. Schreiben des KBA an das Landgericht Bayreuth vom 08.10.2020) und kann daher auch nicht als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft werden.
Was schließlich die angeblich in dem Fahrzeug der Klägerin verbaute Temperaturerkennung und Zeiterfassung angeht, so wird aus dem Zusammenhang des klägerischen Vorbringens deutlich, dass es sich auch hier um ins Blaue hinein aufgestellte Behauptungen handelt. Die Klägerin folgert die Installation dieser angeblich der Prüfstandserkennung dienenden Techniken nämlich aus einem Medienbericht über die Durchsicht von BB-Unterlagen durch einen Mitarbeiter der DD, Dr. EE, der für die diesbezüglichen Behauptungen auch als Zeuge benannt worden ist (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 01.10.2019, S.22 ff.). In dem Medienbericht wird geschildert, in den BB-Dokumenten finde sich eine Beschreibung der SCR-Dosierstrategie im Prüfzyklus und außerhalb des Prüfzyklus. Der Abgasexperte Dr. EE wird mit den Worten zitiert, das Fahrzeug erkenne, ob es auf dem Prüfstand stehe, nur dann werde ausreichend AdBlue eingespritzt. Daraus wird deutlich, dass die Erkenntnisse von Dr. EE sich nicht auf den in dem streitgegenständlichen Auto befindlichen Motortyp beziehen können, da dieser unstreitig keinen SCR-Katalysator enthält, bei dem AdBlue eingespritzt wird. Tatsächlich enthält der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs nämlich unstreitig einen Dieselpartikelfilter, aber weder einen NSK noch einen SCR-Katalysator. Zu beachten ist auch in diesem Zusammenhang, dass die Mitteilung des KBA, die Prüfungen des streitgegenständlichen Motortyps seien jetzt abgeschlossen, es liege keine unzulässige Abschalteinrichtung vor, etwa ein Jahr nach dem Medienbericht erfolgt ist, auf das das Vorbringen der Klägerin gestützt wird.
Auch die Tatsache, dass es sich bei dem Motorentyp Typ1 um das Nachfolgemodell des bekanntlich von der Beklagten manipulierten Typs Typ3 handelt, kann nicht als hinreichend konkreter Anhaltspunkt für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung angesehen werden. Ein "Gesetz der Serie" kann es in diesem Zusammenhang nicht geben. Der bloße Umstand, dass die Beklagte einen von ihr hergestellten Motor manipuliert hat, nämlich das Modell Typ3, kann nicht als "greifbarer Anhaltspunkt" für die Manipulation sämtlicher von ihr hergestellter Motoren gewertet werden (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 18.06.2019 - 3 U 416/19 -, juris Rn. 33 zu einem Fall, der den BB-Motor Typ4 betraf).
Auch das unstreitig vorhandene "Thermofenster" kann zur Begründung eines Schadensersatzanspruchs gemäß § 826 BGB nicht mit Erfolg herangezogen werden. Das hat der Senat im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung bereits mehrfach entschieden. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Thermofenster eine unzulässige Abschaltvorrichtung darstellt oder nicht, weil die Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten und der für die Haftung nach § 826 BGB ebenfalls erforderliche Schädigungsvorsatz der Beklagten nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht festgestellt werden können. Diese rechtliche Bewertung entspricht der allgemeinen Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG München, NJW-RR 2019, S. 1497 ff. [OLG München 29.08.2019 - 8 U 1449/19]; OLG Stuttgart, NZV 2019, S. 579 ff. [OLG Stuttgart 30.07.2019 - 10 U 134/19]; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 - 12 U 246/19 -, BeckRS 2019, 25135 Rn. 31; OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 31.3.2020 - 3 U 57/19 -, BeckRS 2020, 9901 Rn. 17; OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 23.12.2019, 16 U 195/19 -, BeckRS 2019, 42825 Rn. 15; OLG Schleswig, Urteil vom 18.9.2019 - 12 U 123/18 -, BeckRS 2019, 23793 Rn. 46; OLG Oldenburg, Beschluss vom 27.1.2020 - 5 U 395/19 -, BeckRS 2020, 8864 Rn. 41).
Für die Feststellung einer sittenwidrigen Vorgehensweise reicht nämlich ein bloßer - unterstellter - Gesetzesverstoß nicht aus; vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Handelns hinzutreten (vgl. Palandt-Sprau, BGB, 80. Aufl. 2021, § 826 Rn. 4 m.w.N.). Daran fehlt es aber, weil die Beklagte ihr Vorgehen auf eine jedenfalls nicht unvertretbare Rechtsauffassung stützen kann und das KBA als zuständige staatliche Aufsichtsbehörde keinen Verstoß angenommen hat.
Nach der VO 715/2007/EG sind die sogenannten "Thermofenster" zwar im Grundsatz unzulässig, können unter bestimmten Bedingungen aber auch zulässig sein. Die Frage, ob ein Thermofenster im Einzelfall illegal ist, hängt von einer komplexen Prüfung des technischen Sachverhalts und sodann von der Subsumtion unter die EU-Zulassungsverordnung ab. Für diese Prüfung ist das KBA als Fachbehörde im Rahmen der Erteilung der EG-Typengenehmigung zuständig. Unstreitig verfügt das Fahrzeug der Klägerin über die erforderliche EG-Typengenehmigung. Bei dieser handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der Tatbestandswirkung für die Zivilgerichte entfaltet. Solange ein solcher Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist, ist die Zulässigkeit der betreffenden Abschalteinrichtung im Sinne des Artikel 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen (vgl. BGH, Urteil vom 21.09.2006 - IX ZR 89/05 -, juris Rn. 14 m.w.N. aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung).
Zwar kann trotz dieser Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts ein Sachmangel vorliegen, woraus unter Umständen neben vertraglichen auch deliktische Ansprüche resultieren können, wenn feststeht, dass eine objektiv rechtswidrige Genehmigung durch den Fahrzeughersteller aufgrund einer Täuschung erschlichen worden ist, wie dies nach der Rechtsprechung des Senats für die ursprünglich installierte Prüfstandserkennungssoftware des Motors Typ3 des BB-Konzerns anzunehmen ist. Hat der Fahrzeughersteller jedoch die Prüfer weder durch den Einsatz einer Prüfstanderkennungssoftware getäuscht, noch gegenüber der Genehmigungsbehörde eine temperaturabhängige Abschaltvorrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG verschwiegen und erteilt das KBA die EG-Typengenehmigung, beinhaltet dies die Billigung der Abschaltvorrichtung. In einem solchen Fall scheidet eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne von § 826 BGB oder ein sonstiges deliktisches Verhalten des Herstellers von vornherein aus.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil Zulassungsgründe i.S.d. § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Beurteilung, ob klägerisches Vorbringen hinreichend substantiiert ist, ist eine im jeweiligen Einzelfall zu entscheidende Frage, die der Senat hier unter Anwendung der Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung verneint hat.