Landgericht Hildesheim
Urt. v. 24.01.2005, Az.: 12 Ks 17 Js 4944/94

Behandlungschance; besondere Gefährlichkeit; Freiheitsgrundrecht; Gesetzeswortlaut; Gleichzeitigkeit; Grundrechtsschutz; Heilungschance; nachträgliche Anordnung; psychiatrisches Krankenhaus; psychische Erkrankung; psychische Störung; Regelungslücke; Resozialisierungsförderung; Resozialisierungsgedanke; Sicherungsverwahrung; Unterbringungsanordnung; Vollziehungsanordnung

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
24.01.2005
Aktenzeichen
12 Ks 17 Js 4944/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 51112
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Beruht die besondere Gefährlichkeit eines Verurteilten, gegen den nachträglich die Sicherungsverwahrung angeordnet wird, auf einer psychischen Erkrankung oder Störung, so kann zum Schutz seines Freiheitsgrundrechts die gleichzeitige Anordnung geboten sein, dass die Sicherungsverwahrung durch Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu vollziehen ist, um dem Verurteilten die Chance auf Behandlung und Heilung zu geben, obwohl § 66b StGB nach seinem Wortlaut diese Möglichkeit nicht vorsieht.

Tenor:

Die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wird angeordnet.

Es wird weiter angeordnet, dass die Sicherungsverwahrung durch Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu vollziehen ist.

Die Kosten des Verfahrens hat der Verurteilte zu tragen.

Angewendete Vorschrift: § 66 b Abs. 2 StGB.

Gründe

1

(abgekürzt gemäß §§ 275 a Abs. 2, 267 Abs. 4 StPO)

I.

2

Der jetzt 41 Jahre alte Verurteilte wurde am x in B. im Bezirk Magdeburg in der ehemaligen DDR geboren. Er hat einen 5 Jahre jüngeren Bruder und eine 7 Jahre jüngere Schwester. Seine Eltern haben sich scheiden lassen, als der Verurteilte etwa 6 Jahre alt war. Er wuchs in Halle-Neustadt auf. Es handelte sich dabei um eine Trabantenstadt in Plattenbauweise, die ein Herd vielfältiger Kriminalität war. Schon unter Kindern und Jugendlichen herrschten Aggressionen und Gewalttätigkeiten, unter denen der Verurteilte sehr litt. Auch das Verhältnis zu seiner Mutter war schwierig, da sie als Alleinerziehende und berufstätige Frau überfordert war und ihn deshalb häufig schlug.

3

Der Angeklagte besuchte die polytechnische Oberschule 10 Jahre lang bis zum Jahr 1980 und verließ diese mit einem Abschluss, der der mittleren Reife vergleichbar ist. Während der Schulzeit war er diversen Repressalien ausgesetzt, weil er sich dem autoritären System nicht beugen wollte und sich häufig kritisch äußerte. Demzufolge waren seine schulischen Leistungen auch durchgehend schlecht.

4

Nach Beendigung der Schule absolvierte der Verurteilte eine Ausbildung zum Maurer, die er 1982 abschloss. Während seiner Lehrzeit schloss er sich einem Kirchenkreis an, in dem er erstmals menschliche Nähe und Zuwendung erfuhr. Nach Abschluss der Lehre arbeitete er 2 Monate lang als Maurer, gab diese Tätigkeit dann jedoch auf. In der Folgezeit übte er verschiedene Tätigkeiten aus, u.a. als Postzusteller und Produktionshilfsarbeiter, bis er Ende 1985 zu seiner inzwischen dort hinverzogenen Mutter nach W. bei Neubrandenburg zog. Dort arbeitete er in einer Firma als Betriebsschützer und Rentenbetreuer. Daneben betätigte er sich auch als Musiker und als Hauswirtschaftspfleger. Zur Volksarmee wurde er nicht eingezogen, weil er als Systemkritiker bekannt war. So hatte er bereits mit 15 Jahren einen so genannten „PM 12“ bekommen; dabei handelt es sich um einen Sonderausweis für Personen, die sich politisch verdächtig gemacht hatten.

5

1986 wollte er die DDR verlassen und begab sich deshalb illegal in die damalige Tschechoslowakei. Dort wurde er jedoch am 19.09.1986 festgenommen und befand sich seitdem in Untersuchungshaft. Am 20.11.1986 wurde er wegen versuchter Republikflucht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Diese Strafe verbüßte er in der Justizvollzugsanstalt Zeithain bei Dresden. In dieser Zeit litt der Angeklagte sehr. In der Anstalt wurden Gefangene von Mithäftlingen sexuell genötigt, und es kam zu Gewalttätigkeiten. Teilweise wurden Häftlinge durch das Personal mit dem Versprechen, Vergünstigungen zu erhalten, aufgestachelt, gegen andere Mithäftlinge, die unliebsam aufgefallen waren, tätlich vorzugehen. Auch der Angeklagte wurde einmal zusammengeschlagen, und ein anderes Mal wurde ihm ein Messer an die Kehle gehalten. Nachdem der Verurteilte einen Selbstmordversuch gemacht hatte, wurde er schließlich in eine andere Abteilung verlegt, in der er besser zurecht kam. Am 05.05.1987 wurde der Verurteilte von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft. Er kam zuerst in das zentrale Aufnahmelager in Gießen, später nach Unna und anschließend nach Ratingen. Dort begann er als Arbeiter in einer Eisenverarbeitungsfirma, kündigte jedoch nach kurzer Zeit wieder, weil ihn die Arbeit zu sehr an die JVA Zeithain erinnerte, in der er ebenfalls für ein Stahlwerk hatte arbeiten müssen. Anfang Oktober 1987 begann er bei der Kleidungsfirma „Esprit“ als Lagerarbeiter und blieb dort in einem befristeten Vertrag für ein halbes Jahr. Dann beendete er diese Tätigkeit und war fortan arbeits- und obdachlos, lebte teilweise von Gelegenheitsarbeiten. Bis Mai 1988 hielt er sich in einer Notunterkunft in Ratingen auf. Von August 1988 bis September 1988 wohnte er in einem Wohnheim in Saarbrücken. Anschließend lebte er bis zum 12.11.1988 bei einer Freundin in Ratingen. Um Erfahrungen zu sammeln und fremde Länder kennen zu lernen, ging er für einige Zeit nach Frankreich und nach Spanien. Er kehrte dann für kurze Zeit wieder zurück nach Deutschland, begab sich dann jedoch für einige Monate wieder ins Ausland, und zwar nach Griechenland, in die Türkei und nach Israel. In Deutschland hielt sich der Verurteilte im Jahr 1989 zunächst in einem Wohnheim in Frankfurt am Main und anschließend ohne festen Wohnsitz im Raum Homburg auf.

6

Am 24.04.1989 bedrohte er in dem Männerwohnheim in Frankfurt am Main einen Mitbewohner mit einem Messer. Er wurde deswegen am 18.04.1990 vom Amtsgericht Frankfurt zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen verurteilt und verbüßte vom 05.10. bis 18.10.1992 die entsprechende Ersatzfreiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Moers.

7

Vom 26.07.1989 bis zum 19.10.1989 lebte der Verurteilte im Carl-Wagner-Haus in Friedberg/Hessen, einer Einrichtung für wohnungslose Männer.

8

Am 05.01.1992 erfolgte durch die Bahnpolizei Hagen wegen Beförderungserschleichung vom 03.01.1992 eine Strafanzeige gegen den Verurteilten. Danach bestieg der Verurteilte in Haiger einen Zug und wurde bei der Fahrkartenkontrolle ohne Fahrkarte und ohne Bargeld angetroffen. Er händigte dem Kontrolleur auf Verlangen seinen Bundespersonalausweis aus. Als der Kontrolleur ihm eröffnete, dass er ihn der Bahnpolizei in Siegen übergeben werde, kam der Verurteilte auf ihn zu und schlug ihm den Bundespersonalausweis aus der Hand. Anschließend nahm der Verurteilte den Ausweis an sich und wollte flüchten. Als der Kontrolleur ihn festhielt, trat der Verurteilte diesem gegen die Beine und wehrte sich mit einem Faustschlag. Weitere Bedienstete kamen dem Kontrolleur zur Hilfe und konnten den Verurteilten bis zum Eintreffen der Bahnpolizei festhalten. Gegenüber den Beamten der Bahnpolizei äußerte der Verurteilte schließlich: „Seit ich ohne festen Wohnsitz bin, unterscheide ich Recht und Unrecht nicht mehr!“

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Am 15.06.1992 hielt sich der Verurteilte in einem Männerwohnheim in Berlin-Schöneberg, W. 5 auf. Er kam am Morgen zur Rezeption und erklärte dem Portier, dass er ausziehen wolle. Er legte seine Bettwäsche und Handtücher auf den Tresen. Daraufhin erklärte ihm der Portier, dass er auch das Kopfkissen und die Decke zur Rezeption bringen müsse. Als der Portier anschließend zur Toilette ging, folgte ihm der Verurteilte und schlug schließlich mit einer Schlagkette etwa 10-mal auf den Portier ein. Als ein weiterer Angestellter dem Portier zur Hilfe eilen wollte, schlug der Verurteilte auch auf diesen ein. Anschließend flüchtete er. Zu diesem Zeitpunkt war der Verurteilte mit einem Militäranzug bekleidet und führte Sturmgepäck bei sich.

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Nach Verbüßung der Freiheitsstrafe in der JVA Moers im Oktober 1992 hielt sich der Verurteilte vom 23.10.1992 bis zum 15.12.1992 erneut im Carl-Wagner-Haus in Friedberg/Hessen auf. Dort griff er einen Mitbewohner tätlich an und verletzte diesen auch leicht. Aufgrund dessen musste der Verurteilte die Einrichtung verlassen und erhielt dort Hausverbot. Er ging anschließend nach Kroatien und versuchte dort 1993, sich der kroatischen Armee als Söldner anzuschließen, wurde jedoch mangels Bedarfs nicht aufgenommen. Er kehrte nach Deutschland zurück und hielt sich vom 29.07.1993 bis zum 31.08.1993 nach Erkenntnissen der Polizei Hamburg als Sozialhilfeempfänger in Hamburg im Hotel F., einer so genannten „Schlichtpension“, auf, ohne dass es dort zu Auffälligkeiten kam.

11

Er hielt sich auch einmal freiwillig in einer psychiatrischen Klinik auf, da er nach eigenen Angaben bemerkt hatte, dass er seine Aggressionen schlecht steuern könne. Er verließ die Klinik jedoch bereits nach wenigen Tagen, da er sich weigerte, Medikamente einzunehmen.

II.

12

Durch Urteil vom 19.10.1994 verhängte das Landgericht Hildesheim (20 Ks 17 Js 4944/94) gegen den Verurteilten wegen versuchten Mordes in fünf rechtlich zusammentreffenden Fällen und wegen eines weiteren versuchten Mordes, jeweils in Tateinheit mit Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und unbefugter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen eine Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren. Dem Urteil lagen folgende Feststellungen zugrunde:

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„Seit dem 03.09.1993 hielt sich der Angeklagte in den Diakonischen Heimen Gifhorn-Kästorf auf. Die Diakonischen Heime liegen auf einem weitläufigen Gelände, auf dem sich Büro und Wohnblocks befinden. Der Angeklagte wurde im Zimmer 80 im Obergeschoss des so genannten Bürgerhauses untergebracht. Von Anfang an hatte der Angeklagte dort eine Außenseiterstellung inne. Er trieb Fitnesssport, rauchte nicht, trank nicht, ernährte sich gesund und unterschied sich bereits dadurch erheblich von den meisten Mitbewohnern, die bereits in den Morgenstunden anfingen, Alkohol zu sich zu nehmen. Er hielt Distanz zu den anderen Männern und mied weitgehend Kontakte. Nur zu dem älteren Mitbewohner M., ebenfalls ein Einzelgänger, bestand Kontakt. Er kaufte für ihn ein und versorgte ihn ab und zu.

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Anfänglich bestand auch ein relativ guter Kontakt zu dem Sozialarbeiter und Diplompsychologen Lutz x. Diesen hatte er gleich zu Anfang gefragt, ob er in den Diakonischen Heimen Sport und Fitness treiben dürfe, da er innerlich immer kurz „vor dem Platzen stehe“ und seine Aggressionen auf körperliche Art und Weise abbauen wollte. Der Angeklagte fand sich auch regelmäßig zu Gesprächen bei dem Sozialarbeiter ein, beide spielten gelegentlich Schach miteinander und der Zeuge x versuchte, organisatorische Probleme des Angeklagten zu lösen. Der gute Kontakt wurde jedoch etwa Ende Januar, Anfang Februar 1994 getrübt, als der Angeklagte an Herrn x mit dem Ansinnen herantrat, einen Zuschuss zum Erhalt des Führerscheins zu bekommen. Ihm fehlten etwa 200,00 bis 300,00 DM über sein Selbsterspartes hinaus und er dachte, dieses Geld problemlos als „Kredit“ vom Sozialamt bekommen zu können. Herr x erkundigte sich und erhielt vom Sozialamt die Auskunft, dass der Angeklagte sich vorab um eine Stellenzusage bei einer Firma kümmern müsse, um die Rückzahlung zu sichern. Dieses lehnte der Angeklagte ab. Auch den Hinweis von Herrn x, er könne in den Diakonischen Heimen arbeiten und sich so Geld verdienen, lehnte der Angeklagte als eine Zumutung ab. Für das letztendliche Scheitern der Führerscheinpläne gab der Angeklagte Herrn x die Schuld. Der Kontakt brach danach ab bzw. reduzierte sich auf das absolut Erforderliche. Bei den Bewohnern des Bürgerhauses hatte sich mit der Zeit eine gewisse Furcht vor dem Angeklagten aufgebaut, hervorgerufen durch seine schroffe Art, mit der er seine Verachtung für ihre Lebensführung, insbesondere für ihren Alkoholkonsum zum Ausdruck brachte, ferner durch seinen anderen Lebensstil und auch seine paramilitärische Kleidung. Er wurde gemieden, man flüsterte über ihn hinter seinem Rücken.

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Der Angeklagte gewann den Eindruck, es würden Intrigen gegen ihn gesponnen, deren Initiator er in dem Mitbewohner x zu erkennen glaubte. Er hatte zwar keine konkreten Anhaltspunkte, meinte jedoch, dass man gegen ihn als Außenseiter mit „Mobbing-Tricks“ vorgehen wolle, derer er sich körperlich erwehren müsse, bevor sie in „nackte Gewalt und Terror“ umschlügen.

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So schlug er dem Heimbewohner x etwa Anfang/Mitte Februar 1994 im Toilettenraum mit der Faust in die Niere, weil er sich von ihm „angemacht“ fühlte. Am 20.02.1994 schubste er den Zeugen x vor dem Speisesaal gegen die Wand, weil der ihn angeblich angerempelt hatte und er drohte, er werde ihn schlagen, wenn dies noch einmal vorkomme.

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Am Morgen des 21.02.1994 (Montag) begab sich der Angeklagte zu dem Sozialarbeiter Lutz x. Er erklärte, er wolle vom Bürgerhaus weg in einen der auf dem Gelände befindlichen Bungalows - konzipiert für jeweils 4 Bewohner - ziehen. Herr x erzählte ihm daraufhin, die Bungalows müssten zum einen noch renoviert werden, zum anderen müsse er - der Angeklagte - sich klar sein, dass die Bewohner einer solchen kleineren Wohnungseinheit kooperieren müssten. Der Angeklagte verstand die Erklärung des Sozialarbeiters als Ablehnung und war „sauer“ und aufgebracht.

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In dieser Situation traf er gegen 15:30 Uhr in der Toilette der ersten Etage des Bürgerhauses den Klaus x, der zuvor laut hörbar im alkoholisierten Zustand verkündet hatte, er habe keine Angst vor dem Angeklagten, er habe vielmehr genug Kumpel, die den Angeklagten fertig machen könnten. Der Angeklagte trat dem Zeugen x ohne Ankündigung in den Rücken und schlug ihm mit der Faust an den Kopf, in das Gesicht und den Bauch. Dabei erlitt der Zeuge multiple Prellungen sowie eine Platzwunde über dem linken Auge. Gleichzeitig beschimpfte der Angeklagte den Zeugen als „versoffenes Schwein, miese Ratte“ und drohte ihm, er mache ihn „breit“. Der Zeuge konnte zwar aus dem Toilettenraum flüchten, wurde jedoch vom Angeklagten kurz vor der Treppe nochmals getreten, so dass er die Stufen herunterfiel. Durch den Tumult aufmerksam geworden, kamen die Sozialarbeiter Lutz x, Elfriede x, Ingo x und Ella x aus ihrem im Erdgeschoss befindlichen Büro und fanden den blutenden Zeugen x und den erregten und wütend schimpfenden Angeklagten vor. Dieser „griff“ sich den gerade im Flur der ersten Etage befindlichen Mitbewohner x und forderte ihn auf, den versammelten Sozialarbeitern zu bestätigen, dass x eine Intrige gegen ihn - den Angeklagten - angezettelt habe. Dies wurde jedoch vom Zeugen x weder bestätigt noch in Abrede gestellt.

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Sodann ging der Angeklagte - nach wie vor wütend - zurück in sein Zimmer.

20

Der Zeuge x und sein Kollege x kamen unterdessen im Büro überein, dass der Angeklagte wegen dieses Vorfalls die Einrichtung verlassen müsse. Der Zeuge x bat daraufhin den Angeklagten in sein Büro, um ihm diesen Entschluss mitzuteilen. Dieser fing jedoch - ohne den Zeugen ausreden zu lassen - erneut an zu schimpfen und verließ das Büro. Auf dem oberen Flur traf er auf den Mitbewohner x, der vom Bad zurück in sein Zimmer wollte. Da der Angeklagte das Gefühl hatte, dass der Zeuge „provozierend grinste und pfiff“, trat er ihn - objektiv völlig grundlos - in den Rücken, so dass er hinfiel. Sodann schlug er den am Boden liegenden mehrfach mit der Faust ins Gesicht, so dass dieser Prellungen und Schürfwunden, insbesondere im Gesicht, erlitt. Anschließend ging er in sein Zimmer.

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Der Zeuge x teilte unterdessen im Büro im Erdgeschoss den anwesenden Sozialarbeitern mit, dass er auch von dem Angeklagten angegriffen worden sei. Der Zeuge x setzte daraufhin seinen Abteilungsleiter, den Zeugen x, davon in Kenntnis, dass es eine Kündigung gebe und ggf. weitere Tätlichkeiten zu erwarten seien. Danach ging er zu dem Angeklagten in dessen Zimmer, um nochmals mit ihm zu reden und weitere Gewalttätigkeiten zu verhindern. Der Angeklagte war nach wie vor sehr aufgebracht und beschimpfte den Zeugen, stieß ihn gegen die Brust und wurde zunehmend aggressiver. Herr x kündigte ihm daraufhin an, dass er die Polizei holen müsse, wenn der Angeklagte sich nicht beruhige. Dieser erklärte jedoch nur, dass ihm dies „scheißegal“ sei. Der Zeuge verließ deshalb das Zimmer. Im Hinausgehen sah er noch, wie der Angeklagte sich ein Fahrtenmesser an den Unterarm schnallte. Er traf unten auf den Abteilungsleiter x und beide beschlossen, nunmehr die Polizei zu verständigen.

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Da sich die Polizeibeamten POM x und PM x mit ihrem Streifenwagen in der Nähe der Diakonischen Heime befanden, übernahmen sie den Einsatz. Sie trafen dort kurz vor 16:30 Uhr ein und parkten ihren Streifenwagen hinter der Einfahrt der Diakonischen Heime vor der Suchthilfestation.

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Zwischenzeitlich hatte der Zeuge x von Herrn x erfahren, dass der Angeklagte im Besitz von Waffen war, und er ging deshalb den Polizeibeamten entgegen, um sie hiervon zu unterrichten und vorzuwarnen. POM x orderte daraufhin einen weiteren Streifenwagen. Als die Verstärkung, PM x und PHM x, mit ihrem Streifenwagen eintraf, waren ihre Kollegen x und x sowie der Zeuge x schon langsam auf dem Weg, der vorbei an der Suchthilfestation und der so genannten Aufnahmepension auf das Bürgerhaus zuführt, vorangegangen. Die Beamten x und x folgten ihnen in einem gewissen, ca. 15 bis 20 m betragenden Abstand.

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Der Angeklagte, der sich zwischenzeitlich mit einer Tarnhose bekleidet hatte, sah die Gruppe vom Fenster seines Zimmers aus auf das Bürgerhaus zukommen. In diesem Moment entschloss er sich, seine „letzten Trümpfe auszuspielen“. Er wollte nicht mehr „der Verlierer“ sein, sich nicht wieder auf die Straße schicken lassen. Er hatte „endgültig von allem die Nase voll“. In seinem Besitz befanden sich 6 Handgranaten, eine vom jugoslawischen Typ M75 und fünf vom jugoslawischen Typ M50 P3, die er aus Kroatien mitgebracht hatte. Diese wollte er jetzt - quasi im „Kriegszustand“ befindlich - zum Einsatz bringen. Ihm schossen verschiedene Handlungsmöglichkeiten durch den Kopf. Kurz überlegte er, ob er sich vielleicht über die Rückseite des Bürgerhauses absetzen sollte. Andererseits schien ihm eine mögliche Alternative zu sein, eine Handgranate in den Mund zu nehmen, den Sicherungsstift zu ziehen und sich so selbst umzubringen. Letztendlich entschied er sich jedoch nach dem Motto „im Krieg gibt es auf beiden Seiten Opfer“ dafür, die Handgranaten M50 P3 zu werfen, wobei er die Sprengkraft der Granaten kannte - etwa 35 m Reichweite (Splitterradius) - und er deshalb wusste, dass ggf. Menschen zu Schaden und auch zu Tode kommen konnten. Dies hielt ihn jedoch nicht von seinem Handeln ab.

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Er zog den Sicherungsstift der ersten Handgranate vom Typ M50 P3 und warf sie aus dem geöffneten Fenster in Richtung auf die Aufnahmepension, in deren Höhe sich inzwischen die Zeugen x, x und x auf dem Betonweg befanden, die Zeugen x und x jetzt einige Meter dahinter. Die Handgranate schlug dicht neben dem Betonweg auf und rollte bis zu einer Sitzecke direkt an der Mauer der Aufnahmepension. Die Zeugen erkannten, dass es sich bei dem geworfenen Gegenstand um eine Handgranate handelte und versuchten, aus dem Gefahrenbereich zu laufen. Nach der üblichen Verzögerung von 3 bis 4 Sekunden detonierte die Handgranate. Ein Schrapnellsplitter verletzte dabei den Zeugen x am linken Bein, ein anderer Splitter drang in den Stirnbereich des Zeugen zwischen den Augen ein. Darüber hinaus entstand an der Aufnahmepension erheblicher Sachschaden. Den Splitter in der Stirn konnte der Zeuge x selbst entfernen, der Schrapnellsplitter im linken Bein musste später operativ entfernt werden.

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Der Zeuge x war kurz vor der Detonation auf das Bürgerhaus zugelaufen. Während des Laufens ertönte aus dem Bürgerhaus eine weitere Explosion. Der Angeklagte hatte nämlich den Sicherungsstift einer weiteren Handgranate desselben Typs gezogen und diese im oberen Flur des Bürgerhauses Richtung Treppe geworfen. Dort detonierte sie nach der üblichen Zeitverzögerung, und es entstand ein erheblicher Sachschaden. Der Zeuge x stellte sich hinter einen am Eingang befindlichen Betonpfeiler mit schussbereit gezogener Dienstwaffe, die er nach oben angeschlagen hielt, ohne jedoch auf den am Fenster seines Zimmers stehenden Angeklagten zu zielen. Der Angeklagte stand dort mit einer weiteren Granate vom Typ M50 P3 in der Hand. Er sagte: „Ey Bulle, schmeiß die Pistole weg, sonst schmeiß ich die Granate“. Der Zeuge x antwortete darauf: „Wenn du schmeißt, dann schieße ich“. Daraufhin zog der Angeklagte den Sicherungsstift aus der Granate und warf diese auf das Vordach des Bürgerhauses, von dem diese herabfiel und dicht neben dem Zeugen x aufschlug. Dieser lief sofort weg in Richtung Eingang der Diakonischen Heime. Hinter sich hörte er die Granate explodieren, er wurde jedoch nicht verletzt. Im Streifenwagen forderte er sodann Verstärkung an.

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Zwischenzeitlich entsicherte der Angeklagte eine weitere Granate vom Typ M50 P3 und warf diese erneut in Richtung der Aufnahmepension, wo diese in unmittelbarer Nähe der ersten Explosionsstelle detonierte. Sodann verließ der Angeklagte mit der fünften Handgranate des vorgenannten Typs das Bürgerhaus, ging über den Gehweg in die Aufnahmepension und trat dort die Tür des im Erdgeschoss befindlichen Büros auf. Der im Aufnahmehaus wohnende Zeuge x versuchte noch, den Angeklagten zu beruhigen, was ihm jedoch nicht gelang. Vielmehr zog der Angeklagte auch den Sicherungsstift der fünften Handgranate und warf diese in das Büro, wo sie unter den Heizungskörper rollte und dort wenige Sekunden später detonierte. Es entstand an der Büroeinrichtung erheblicher Sachschaden.

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Im Anschluss an diese Explosion verließ der Angeklagte die Aufnahmepension, blieb auf dem Betonweg davor stehen und hob die Hände über den Kopf als Zeichen seiner Aufgabe.

29

Der Angeklagte wurde sofort danach festgenommen und war aufgrund des am 22.02.1994 erlassenen Haftbefehls des Amtsgerichts Gifhorn (8 Gs 127/94) anschließend in Untersuchungshaft.

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Im Zimmer des Angeklagten wurden später ein selbstgefertigter, mit Glassplittern gespickter Morgenstern, ein mit Glassplittern gespickter „Gipshandschuh“, Schlagstöcke sowie eine weitere Handgranate des Typs M75 gefunden.

31

Bei der Tatbegehung war der Angeklagte aufgrund einer paranoiden Persönlichkeitsstörung, die zum Ausbruch kam, sowohl in seiner Einsichts- als auch in seiner Steuerungsfähigkeit - nicht ausschließbar - erheblich vermindert.“

32

Als Einzelstrafen verhängte das Landgericht Hildesheim für die erste Tat eine Freiheitsstrafe von 8 Jahren und für die zweite Tat eine Freiheitsstrafe von 7 Jahren. Das Urteil ist rechtskräftig seit dem 27.10.1994. Der Verurteilte befand sich durchgehend in Haft und hat die Strafe am 20.02.2004 vollständig verbüßt.

33

Bereits zuvor hatte die Justizvollzugsanstalt Hannover, in der der Verurteilte damals einsaß, mit Schreiben vom 06.01.2004 bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover beantragt, gegen den Verurteilten gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 2 und § 4 Abs. 1 des Nds. Gesetzes über die Unterbringung besonders gefährlicher Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit (NUBG) die Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt anzuordnen und gegen den Verurteilten gemäß § 3 Abs. 6 Satz 1 NUBG die einstweilige Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Hauptantrag anzuordnen. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover ordnete durch Beschluss vom 03.02.2004 (75 StVK 3/04) die einstweilige Unterbringung des Verurteilten in der Justizvollzugsanstalt Hannover nach dem NUBG an. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten verwarf das Oberlandesgericht Celle mit Beschluss vom 20.02.2004 (1 Ws 50/04) mit der Maßgabe, dass die einstweilige Unterbringung des Verurteilten in einer gesicherten Abteilung eines Niedersächsischen Landeskrankenhauses zu erfolgen hatte. Nach mündlicher Anhörung des Verurteilten und der beiden beauftragten Sachverständigen x und x sowie weiterer Zeugen ordnete die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover mit Beschluss vom 20.04.2004 (75 StVK 4/04) gemäß § 1 Abs. 1 NUBG die Unterbringung des Verurteilten in einem Psychiatrischen Krankenhaus an. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten verwarf das Oberlandesgericht Celle mit Beschluss vom 14.05.2004 (1 Ws 146/04).

34

Mit Antragsschrift vom 03.08.2004 beantragte die Staatsanwaltschaft Hildesheim, gemäß § 66 b Abs. 2 StGB die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung nachträglich anzuordnen, und legte die Akten dem Schwurgericht vor. Zugleich beantragte die Staatsanwaltschaft, gegen den Verurteilten gemäß § 275 a Abs. 5 StPO einen vorläufigen Unterbringungsbefehl zu erlassen.

35

Mit Beschluss vom 20.08.2004 hat die Kammer gemäß § 275 a Abs. 5 StPO die vorläufige Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Der seit dem 23.03.2004 im Niedersächsischen Landeskrankenhaus Moringen untergebrachte Verurteilte wurde daraufhin am 01.10.2004 in die Justizvollzugsanstalt Celle I verlegt. Seine gegen den Unterbringungsbefehl der Kammer gerichtete Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht Celle mit Beschluss vom 12.10.2004 (1 Ws 322/04).

III.

36

Folgende Tatsachen hat die Kammer festgestellt:

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1. Während der Untersuchungshaft wurden bei einer Revision in der Zelle des Verurteilten in der Justizvollzugsanstalt Braunschweig am 29.07.1994 unter der Matratze 4 Anstaltsmesser, ein ca. 80 cm langer Holzbesenstiel und ein ca. 50 cm langes Metallrohr gefunden.

38

2. In der Zeit vom 05.09. bis 15.09.1994 war der Verurteilte gemäß § 81 StPO zur Vorbereitung eines psychiatrischen Gutachtens im Niedersächsischen Landeskrankenhaus Königslutter untergebracht. Dort wurde bei einer Kontrolle seines Stationszimmers unter dem Kopfkissen eine Eisensäge gefunden. Weiter wurde festgestellt, dass die Sicherung des Fensters bereits fast vollständig durchtrennt war.

39

3. Zur Durchführung der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Hildesheim wurde der Verurteilte am 21.09.1994 in die Justizvollzugsanstalt Hildesheim verlegt. Dort kam es am 05.10.1994 zu einem weiteren Zwischenfall. Bei der morgendlichen Frühstücksausgabe hatte ein Hausarbeiter dem Verurteilten die vorgeschriebenen 4 Scheiben Brot auf das Tablett gelegt. Der Verurteilte verlangte jedoch mehr, was der Hausarbeiter ablehnte mit dem Hinweis, dass er Zusatzbrot erst ausgeben könne, wenn sämtliche Gefangene die ihnen zustehende Ration erhalten hätten. Daraufhin schlug der Verurteilte ohne Vorwarnung dem Hausarbeiter mit der rechten Faust direkt in das Gesicht. Dabei entstand eine derart starke Blutung, dass ein Rettungswagen verständigt werden musste. Als ein Anstaltsbediensteter dem Hausarbeiter zur Hilfe eilte, kam es zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf die Kleidung des Anstaltsbediensteten beschädigt wurde.

40

4. Am 14.12.1994 gab ein Mitgefangener Anstaltsbediensteten in der Justizvollzugsanstalt Hildesheim den Hinweis, dass der Verurteilte gemeinsam mit einigen rumänischen Gefangenen einen Ausbruch plane. Der Verurteilte wurde daraufhin am 15.12.1994 in die Justizvollzugsanstalt Celle II verlegt.

41

5. Der Verurteilte kam am 02.02.1995 in die Justizvollzugsanstalt Hannover, wo das Einweisungsverfahren durchgeführt wurde. Mit Einweisungsbescheid vom 20.02.1995 wurde er in den geschlossenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Celle I eingewiesen. Dort wurde er am 23.02.1995 aufgenommen. Während der Aufnahmeuntersuchung erklärte er gegenüber der Anstaltspsychologin, „er erlebe optische wie akustische Halluzinationen, letztere in Form von nicht näher zu spezifizierenden Geräuschen und Stimmen, die ihn beim Namen riefen. Darüber hinaus habe er häufig Déjà-vu-Erlebnisse und lebe in einer Phantasiewelt. Er empfinde seine Anbindung an die Realität als gestört und könne viele Sinneseindrücke, die auf ihn einwirken, kaum verarbeiten. Vor Jahren bereits sei er zu der Erkenntnis gelangt, ein „Autist“ zu sein.“

42

In der Folgezeit war der Vollzugsverlauf zunächst positiv. Der Verurteilte nahm an mehreren EDV-Kursen teil und absolvierte den EDV-Grundlagenkurs sowie die EDV-Kurse „Tabellenkalkulation“ und „Textverarbeitung“ jeweils mit guten bzw. sehr guten Noten, so dass ihm schließlich der EDV-Anwenderpass „Wirtschaft und Verwaltung I“ zugesprochen wurde. Außerdem erwarb er am 26.06.1998 den erweiterten Sekundarabschluss I mit der Durchschnittsnote 1,4. Ab November 1997 nahm er zudem an einem sozialen Training teil, das jedoch im März 1998 wegen fehlenden Personals abgebrochen werden musste.

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6. Im September 1998 begann der Verurteilte in der pädagogischen Abteilung der JVA Celle eine Ausbildung zum Metallbauer. Nachdem es bereits im Frühjahr 1999 zu Schwierigkeiten in dieser Ausbildung gekommen war, weil der Verurteilte nicht bereit war, Anweisungen seines Ausbilders, des Schlossermeisters x, hinzunehmen und mit anderen Gefangenen und Bediensteten der Schlosserei zusammenzuarbeiten, nahmen in der Folgezeit auch die praktischen Leistungen des Verurteilten zunehmend ab. Dies gipfelte darin, dass der Verurteilte am 07.07.1999 die Anweisung seines Ausbilders, mangelhafte Teile nachzubessern, mehrfach ablehnte und diesen schließlich in lautem und erregtem Ton anschrie, er möge ihn endlich rausschmeißen, es würden ohnehin nur alle auf ihm herumtrampeln. In der Folgezeit meldete sich der Verurteilte nicht mehr zur Arbeit und erschien auch nicht mehr zum Berufsfachschulunterricht. Auf Befragen erklärte er, dass er sich nichts vorzuwerfen habe und sein „Rausschmiss“ eine „verbrecherische Willkür des Systems Strafvollzug“ darstellen würde. Für ihn sei damit die Angelegenheit Umschulung erledigt.

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7. Am 25.08.1998 kam es zwischen dem Verurteilten und zwei Mitgefangenen während der Freistunde auf dem Mittelhof in der JVA Celle zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Wer die tätliche Auseinandersetzung angefangen hatte, konnte nicht sicher festgestellt werden. Der Verurteilte zeigte sich bei der anschließenden Vernehmung jedoch äußerst uneinsichtig. Ein sachliches Gespräch war mit ihm nicht möglich, und er äußerte den Verdacht, dass es sich bei dem Vorfall um eine „Verschwörung“ der Anstaltsbediensteten und Mitgefangenen gegen ihn handele, weil ihm die Freistunde an den vorherigen Tagen verwehrt worden war und der Aufsichtsbeamte gerade zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung nicht in der Nähe gewesen sei.

45

8. Im Oktober 1998 wurde der Verurteilte durch den psychiatrischen Sachverständigen Dr. W. zur Frage der Gewährung von Vollzugslockerungen, einer bedingten Entlassung und der weiteren Vollzugsplanung untersucht. Der Sachverständige kam in seinem Gutachten vom 16.12.1998 zu dem Ergebnis, dass der Verurteilte, der einen Intelligenzquotienten von um 130 aufweise, an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung mit dissozialer Komponente auf der Grundlage einer Selbstwertproblematik leide, die die Sozial- und Kriminalprognose des Verurteilten vor allem dadurch belaste, dass er aufgrund seiner Empfindlichkeit, seiner hohen Kränkbarkeit und aufgrund seines paranoiden Umwelterlebens bei grundsätzlich skeptischer bis misstrauischer Einstellung allem und jedem gegenüber sich ständig in einer Abwehrhaltung mit mehr oder weniger ausgeprägter aggressiver Anspannung befinde. Dies führe dazu, dass der Verurteilte sich selbst dann, wenn er sich darum bemühe, nicht zuverlässig irgendwo integrieren könne, sondern im Gegenteil sehr schnell Konflikte auftreten würden, die der Verurteilte notfalls auch in höchst aggressiver und demonstrativer Weise versuchen werde zu lösen. Im Rahmen der Exploration und auch im testpsychologischen Gutachten sei bei ihm die Neigung deutlich geworden, zunächst einmal derartigen Konflikten und den damit für ihn verbundenen Ängsten auszuweichen, indem er sich nach Möglichkeit isoliere, was aber nicht durchzuhalten sei, weil er andererseits bestimmte Anforderungen an die Umwelt habe in Form von Leistungen, z.B. zu seiner beruflichen Förderung und Anerkennung. Für Außenstehende sei dabei kaum einschätzbar, wann der Verurteilte in impulsiver und notfalls auch aggressiver Weise versuche, seine Vorstellungen durchzusetzen, und durch entsprechende Fehlhandlungen andere gefährde. Das Risiko, dass es zu derartigen Fehlhandlungen komme, sei derzeit als hoch zu veranschlagen. Der Verurteilte sei als gefährlich für andere einzuschätzen. Der Sachverständige gelangte zu der Einschätzung, dass unbeaufsichtigte Ausgänge oder gar Tagesurlaube, externe Arbeit oder weitgehende Lockerungen nicht zu verantworten seien und auch an eine bedingte Entlassung nicht zu denken sei, da die Gefahr sehr groß sei, dass der Verurteilte innerhalb kürzester Zeit flüchte und dann wieder strafrechtlich bedeutsame Fehlhandlungen begehe. Zusammenfassend stufte der Sachverständige die Gefährlichkeit des Verurteilten für andere als „erheblich oder hoch“ ein.

46

9. Am 16.07.1999 schrie der Verurteilte einen Anstaltsbediensteten an und beschimpfte ihn, nachdem dieser seine Zellentür nicht, wie in der Hausordnung vorgeschrieben, um 12:35 Uhr, sondern erst um 12:40 Uhr aufgeschlossen hatte. Als der Anstaltsbedienstete ihm erklärte, dass er seine Tür beim Aufschluss übersehen habe, und ihn fragte, warum der Verurteilte nicht die Türklappe geworfen habe, ging der Verurteilte überhaupt nicht darauf ein, sondern beschimpfte den Anstaltsbediensteten als „Penner“, „ignorantes Arschloch“ und drohte diesem. Er war total unbeherrscht und hatte sich offenbar nicht mehr unter Kontrolle, so dass er nach der Kostausgabe sofort unter Verschluss gebracht wurde.

47

10. Am 21.10.2000 hatte der Verurteilte 2/3 seiner Strafe verbüßt. Im Vorfeld dieses Termins wurde er von Anstaltsbediensteten mehrfach vergeblich dazu aufgefordert, eine Erklärung darüber abzugeben, ob er in seine vorzeitige Entlassung einwillige oder nicht. Da der Verurteilte keine derartige Erklärung abgab, beschloss die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover am 14.09.2000, dass von einer Entscheidung im Sinne des § 454 Abs. 1 StPO abgesehen werde, da der Verurteilte die für eine Aussetzung des Strafrestes erforderliche Einwilligungserklärung gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB nicht abgegeben habe.

48

11. Ab dem 27.11.2000 wurde der Verurteilte in der JVA Hannover, in die er am 21.10.1999 verlegt worden war, weil in der JVA Celle I Bauarbeiten stattfanden, als Hausarbeiter auf Abruf eingeteilt. Hier kam es jedoch alsbald zu Schwierigkeiten, weil der Verurteilte sich eigenwillig zeigte und Anweisungen nicht befolgte. Nachdem er am 12.01.2001 und erneut am 19.01.2001 ohne Angabe von Gründen nicht zur Arbeit erschienen war, wurde er vom Arbeitseinsatz wieder abgelöst.

49

Von diesem Zeitpunkt an sprach der Verurteilte weder mit Mitgefangenen noch mit Bediensteten. Er unterhielt keinerlei Außenkontakte und benutzte keinerlei Medien. Auch die Freistunde, in der er bis dahin regelmäßig ein körperliches Fitnessprogramm durchgeführt hatte, nutzte er nicht mehr. Sämtliche Versuche der Bediensteten und des psychiatrischen Dienstes, mit dem Verurteilten in einen kommunikativen Kontakt zu treten, scheiterten. Auch die Anstaltspsychiaterin, die über einen Zeitraum von etwa 6 Monaten ab Juni 2003 den Verurteilten jeweils nach Vorankündigung einmal in der Woche in seiner Celle aufsuchte, konnte keinen Zugang zu dem Verurteilten herstellen. Er sprach mit ihr kein Wort, ignorierte sie vollständig und zeigte auf Ansprache kaum merkbare Reaktionen. Dieses Verhalten behielt er auch in der Folgezeit bei.

IV.

50

Ergänzend hat die Kammer zur Persönlichkeit des Verurteilten folgende Feststellungen getroffen:

51

1. Nachdem das bereits erwähnte Verfahren zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgrund des NUBG begonnen hatte, wurde der Verurteilte am 16.03.2004 im Niedersächsischen Landeskrankenhaus Göttingen untergebracht und am 23.03.2004 in das Niedersächsische Landeskrankenhaus Moringen verlegt. Auch dort verweigerte der Verurteilte jede Kontaktaufnahme mit Pflegern oder Therapeuten. In Abwesenheit von Krankenhauspersonal war er allerdings in der Lage, seinen persönlichen Besitz in einen Schrank einzusortieren. Auch den Rollstuhl, mit dem er ins Landeskrankenhaus gebracht werden musste, benötigte er nicht mehr. Abendbrot verweigerte er zunächst, trank aber ausreichend. In der Folgezeit hielt er sich tagsüber im Tagesbereich der Station auf, wobei er häufig im Schneidersitz in der Nähe des Dienstzimmers saß und seine Umgebung genau beobachtete.

52

2. Am 20.04.2004 fand die mündliche Anhörung des Verurteilten vor der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover statt. Am Vortag zerriss der Verurteile im Hobbyraum des Krankenhauses ein Schachbuch Seite für Seite in kleine Fetzen.

53

3. Am 21.04.2004 beobachteten Pfleger, dass der Verurteilte einen Rucksack in seinen Nachtschrank steckte, wobei er versuchte, dieses möglichst unbemerkt zu tun. Die Krankenhausbediensteten zogen den Rucksack ein und stellten fest, dass sich darin ein Regenponcho, 3 T-Shirts und Landkarten von Deutschland, Skandinavien, Frankreich, Italien, Slowenien und Griechenland befanden. Auf die Einziehung des Rucksacks reagierte der Verurteilte verärgert.

54

4. Am 26.04.2004 wurde der Verurteilte im Rahmen seines Betreuungsverfahrens von dem Vormundschaftsrichter des Amtsgerichts Northeim aufgesucht. Der Verurteilte reagierte auf Ansprache des Richters nicht, so dass die Anhörung nach kurzer Zeit beendet wurde.

55

5. Mit Beschluss vom 17.06.2004 bestellte das Amtsgericht Northeim (5 XVII S 567) dem Verurteilten einen vorläufigen Betreuer mit den Aufgabenkreisen Postangelegenheiten und Wahrnehmung der Rechte des Betroffenen in Gerichts- und Behördenangelegenheiten.

56

6. Am 01.07.2004 beobachteten Krankenpfleger während des Hofganges, dass der Verurteilte sich nahe an das Versorgungstor zur A-Klinik setzte. Nach Aufforderung durch einen Krankenpfleger, diesen Bereich zu verlassen, ging der Verurteilte hinter diesem her und spuckte nach ihm. Dieses wiederholte er noch einmal, nachdem er darauf angesprochen worden war.

57

7. Am 06.07.2004 äußerte der Verurteilte, nachdem ihm von einem Krankenpfleger untersagt worden war, sich wortlos etwas aus der Küche zu holen, dass dieser sich „mal nicht einmachen“ solle.

58

8. Am 29.07.2004 äußerte der Verurteilte auf eine kritische Verhaltensrückmeldung eines Krankenpflegers: „Wer hat dich denn um deine Meinung gefragt, Junge? Für das Scheißhaus machen Sie ständig die Tür auf“, wobei er auf einen Mitpatienten zeigte.

59

9. Auch am 30.07.2004 zeigte der Verurteilte ein gereiztes, verbal aggressives und provozierendes Verhalten. Anlass war, dass der Verurteilte einem Krankenpfleger die Tür zum Schlafsaal aus der Hand gerissen hatte. Als er daraufhin von diesem angesprochen wurde, äußerte er: „Hat er Angst, der Kleine, du Arschloch!“ Dies wiederholte er mehrfach.

60

10. Am 31.07.2004 sagte der Verurteilte zu dem Hausreiniger: „Du kleiner Wichser, mach mal richtig sauber hier!“, nachdem dieser ihn aufgefordert hatte, sich morgens während der Reinigungsarbeiten nicht im Speisesaal aufzuhalten.

61

11. In der Folgezeit kam es zu keinen verbal aggressiven Ausbrüchen des Verurteilten mehr. Gleichzeitig verringerte er aber den verbalen Kontakt zum Krankenpflegepersonal wieder deutlich.

62

12. Am 12.09.2004 trat der Verurteilte in den frühen Abendstunden mit voller Wucht gegen die Tür zum Schrankraum der Patienten der Station 02.

63

13. Am 01.10.2004 wurde der Verurteilte auf den bereits erwähnten Beschluss der Kammer hin in die JVA Celle I verlegt.

64

14. Auch dort hat der Verurteilte weder zu Mitgefangenen noch Anstaltsbediensteten verbalen Kontakt, soweit dieser nicht zur Befriedigung seiner körperlichen Bedürfnisse zwingend erforderlich ist.

65

15. Mit Beschluss vom 04.11.2004 bestellte das Amtsgericht Northeim dem Verurteilten Rechtsanwalt P. zum Betreuer mit dem Aufgabenkreis der Gesundheitssorge. Es ermächtigte den Betreuer außerdem, die an den Betroffenen gerichtete Post zu empfangen und zu öffnen.

66

16. In der Hauptverhandlung vor der Schwurgerichtskammer hat der Verurteilte weder zum Gericht noch zu einem sonstigen Prozessbeteiligten einschließlich seines Verteidigers verbalen oder sonstigen Kontakt aufgenommen. Er zeigte keinerlei Reaktion auf Ansprache, sondern blickte fast durchgehend geradeaus in die Ferne, wobei er über mehrere Stunden völlig regungslos auf seinem Stuhl saß. Er bewegte sich auch auf intensives Bitten des Gerichts nicht aus eigenem Antrieb, sondern musste getragen, bzw. mit einem Rollstuhl gefahren werden.

V.

67

1. Die formellen Voraussetzungen für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 b Abs. 2 StGB sind erfüllt. Der Verurteilte wurde wegen zweier Verbrechen gegen das Leben zu Einzelstrafen von 7 Jahren bzw. 8 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen ihn wurde bereits aufgrund des NUBG die Unterbringung angeordnet, so dass gemäß Art. 1 a des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB)§ 66 b StGB auch auf ihn Anwendung findet.

68

2. Auch die materiellen Voraussetzungen für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 b Abs. 2 StGB sind erfüllt. Die unter III. festgestellten Tatsachen weisen auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hin, und eine Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzuges ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

69

Zu dieser Überzeugung ist die Kammer aufgrund der obigen Feststellungen zu I. bis IV. und insbesondere aufgrund der beiden Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen H. und P. gelangt.

70

a) Der Sachverständige H. ist Arzt für Neurologie und Psychiatrie und als Oberarzt am Niedersächsischen Landeskrankenhaus Königslutter tätig. Er hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass dem Verurteilten nach sämtlichen anerkannten Prognosekriterien aufgrund seiner prädeliktischen Persönlichkeit, des Ausgangsdeliktes, seiner postdeliktischen Persönlichkeitsentwicklung und des sozialen Empfangsraums eine sehr ungünstige Legalprognose zu stellen sei. Der Verurteilte leide nach wie vor an einer schweren paranoiden Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Komponenten und schizoiden Anteilen. Er habe bereits vor den Anlasstaten ein ungewöhnliches, zum Teil bizarres Verhalten gezeigt. Er sei obdachlos gewesen, und sein Leben sei durch soziale und berufliche Desintegration gekennzeichnet gewesen. Die Anlasstaten seien mit übermäßiger Gewaltanwendung einhergegangen. Zwar seien Konflikte mit Mitbewohnern vorausgegangen, jedoch hätten sich die Taten gegen ihm unbekannte Polizeibeamte gerichtet, also gegen wahllose Opfer, zu denen er zuvor keine Beziehung gehabt habe. Er habe in dem Gefühl gehandelt, sich im Krieg zu befinden, wo es auf beiden Seiten Opfer gebe. Die Taten seien in der Persönlichkeitsstörung des Verurteilten begründet gewesen. Diese paranoide Persönlichkeitsstörung bestehe nicht nur fort, sondern habe sich noch verstärkt. Das Verhalten des Verurteilten sei zunehmend auffällig und bizarr. Seit einigen Jahren sei er autistisch, und es sei zu keiner Kontaktaufnahme mit Mitgefangenen oder Bediensteten gekommen. Dies sei als Zeichen der schweren Störung zu verstehen. Er lasse bis jetzt keine Einsicht in die eigene Problematik erkennen und sei therapeutisch nicht erreichbar. Einzige Behandlungsmöglichkeit sei eine medikamentöse Behandlung, die derzeit nur gegen seinen Willen erfolgen könne. Die bisherigen Behandler hätten nicht zu ihm durchdringen können, obwohl sein Zustand in den letzten Jahren und auch seine eigenen Bekundungen über optische und akustische Halluzinationen Anlass dazu gegeben hätten. Hinweise dafür, dass er sich mit den Anlasstaten auseinandergesetzt, Verantwortung dafür übernommen und sie bereut habe sowie die Ängste und Gefühle der Opfer nachempfinde, gebe es nicht. Vielmehr projiziere er sein eigenes Fehlverhalten auf die Opfer und mache sie für die Eskalation verantwortlich. Er habe keinerlei Mitleid, zeige keine Empathie. Er zeige eine geringe Frustrationstoleranz und eine gesteigerte Gereiztheit und Gespanntheit. Seine Sozialkompetenz sei gering, seine Arbeitsleistung instabil. Es mangele ihm an Anpassungs- und Kommunikationsfähigkeit sowie der Fähigkeit, seine Situation realistisch wahrzunehmen. In Konfliktsituationen reagiere er immer wieder entweder gereizt aggressiv oder mit totalem Rückzug und Abkapselung. Er habe keine sozialen Kontakte, weder innerhalb noch außerhalb der JVA. Er habe weder eine Unterkunft noch eine Arbeitsstelle in Aussicht. Aufgrund seiner totalen Kontaktverweigerung hätten keine Zukunftsplanungen und Entlassungs-vorbereitungen erarbeitet werden können. Vollzugslockerungen hätten ihm nicht gewährt werden können. Die Therapie einer paranoiden Persönlichkeitsstörung sei schon bei mitarbeitsbereiten Patienten schwierig. Der Verurteilte ermögliche den Therapeuten aber nicht einmal eine Kontaktaufnahme. Die Prognose sei dementsprechend besonders schlecht.

71

Zusammenfassend kam der Sachverständige H. zu dem Ergebnis, dass der Verurteilte aufgrund einer paranoiden Persönlichkeitsstörung, die sich gegenüber dem Zeitpunkt der Anlasstaten noch erheblich verschlimmert habe, für die Allgemeinheit gefährlich sei und dass von ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten, die in ihrem Ausmaß und in ihren Auswirkungen für die Opfer den Anlasstaten vergleichbar seien, zu erwarten seien.

72

b) Der Sachverständige P. ist Facharzt für Psychiatrie und als niedergelassener Gutachter tätig. Er hat im Rahmen seines Gutachtens ausgeführt, dass bei dem Verurteilten eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für weitere, den Anlasstaten ähnliche Gewalthandlungen bestehe. Der Verurteilte leide weiterhin an einer schweren Persönlichkeitsstörung mit ausgeprägt paranoiden und dissozialen Anteilen. Es lägen keine Anhaltspunkte für eine Besserung vor. Vielmehr sei angesichts der Entwicklung differenzialdiagnostisch sogar eine paranoide Psychose zu diskutieren. Es sei von einer erheblichen Zunahme der psychischen Störung auszugehen. Der Verurteilte reagiere in Verkennung sozialer Situationen auf vermeintliche, real nicht vorhandene Kränkungen mit hoher Aggressivität. Letztere sei auch aktuell zu beobachten. Er zeige gegenüber Mitpatienten bzw. -gefangenen und Anstaltsbediensteten eine massiv abwertende und weitgehend feindliche Einstellung, er scheine zu angemessener Verhaltenssteuerung nicht in der Lage. Es sei jederzeit damit zu rechnen, dass er entgegen den tatsächlichen Gegebenheiten Situationen als belastend und kränkend empfinde und darauf mit impulsiv-aggressiven Handlungen reagiere. Er erlebe seine Umwelt als feindlich und werde sich dagegen mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln wehren, ohne in irgendeiner angemessenen Weise die Folgen für andere Personen zu berücksichtigen.

73

Aus seiner Lebensgeschichte vor der Anlasstat werde die negative Prognose durch die früheren Gewalttätigkeiten, die instabilen Beziehungsmuster, die Probleme im Arbeitsbereich, die Persönlichkeitsstörung und die frühe Fehlanpassung gestützt. Die Anlasstat selber zeichne sich durch zufällige Opferwahl, völlig übermäßige Gewaltanwendung und die schwere Persönlichkeitsstörung mit Gefühlsarmut aus. Aus der Zeit nach der Anlasstat stellten der Mangel an Einsicht und Auseinandersetzung mit dem Tatgeschehen, die negative Einstellung zu den Mitmenschen, die ausgeprägte Impulsivität und die Verweigerung jeglicher Behandlung ausgeprägt negative Prognosemerkmale dar. Die Einschätzung der Entlassungssituation sei ebenfalls negativ. Es fehle an jeglichen Zukunftsplänen, sozialen Kontakten und der Fähigkeit, Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

74

Der Verurteilte sei derzeit therapeutisch nicht erreichbar. Einzige Behandlungsmöglichkeit sei eine Zwangsmedikation, um den Verurteilten im weiteren Verlauf auch für therapeutische Maßnahmen erreichbar zu machen. Es sei eine Behandlungsdauer von mehreren Jahren unter angemessenen Sicherheitsmaßnahmen nötig. Kurzfristige Maßnahmen, etwa im Rahmen des Betreuungsrechts, erschienen weder verantwortbar noch Erfolg versprechend.

75

Insgesamt kam der Sachverständige P. zu dem Ergebnis, dass aufgrund der schweren paranoiden Persönlichkeitsstörung von einer hohen Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher Gewalttaten auszugehen sei.

76

Die Kammer hat sich den beiden übereinstimmenden Gutachten, die umfassend, nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei waren, nach kritischer Würdigung angeschlossen.

VI.

77

Aufgrund der vorgenannten Feststellungen war gegen den Verurteilten nach § 66 b Abs. 2 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen.

78

Dabei war für die Kammer im Rahmen ihres Ermessens maßgeblich, dass für den Verurteilten weniger einschneidende Maßnahmen nicht zur Verfügung stehen, um seiner besonderen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit zu begegnen. Sowohl nach den übereinstimmenden Gutachten der beiden psychiatrischen Sachverständigen als auch nach dem Eindruck der Kammer reichen alternative Kontrollmöglichkeiten wie etwa in Form der Führungsaufsicht, ambulanter Therapiemaßnahmen oder im Rahmen des Betreuungsrechts im vorliegenden Fall nicht aus. Das bisherige Verhalten des Verurteilten begründet die sichere Annahme, dass er mit seinem Betreuer nicht kooperieren, sondern sich dessen Kontrolle sofort entziehen würde, sobald sich ihm die Gelegenheit dazu böte. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung entspricht angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, mit der von dem Verurteilten erhebliche Gewalttaten zu erwarten sind, auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

79

Allerdings hat die Kammer vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.02.2004 (2 BvR 834/02, 2 BvR 1588/02; BVerfGE 109, 190 ff.) und des in § 72 StGB festgeschriebenen Rechtsgedankens in entsprechender Anwendung des § 67 a Abs. 2 StGB angeordnet, dass die Sicherungsverwahrung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu vollziehen ist. Zwar sieht § 66 b StGB von seinem Wortlaut her diese Anordnung nicht vor. Insoweit ist jedoch eine planwidrige Regelungslücke gegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner oben genannten Entscheidung ausgeführt, dass im Interesse möglichst weitgehender Schonung des Freiheitsgrundrechts die Möglichkeit gegeben sein muss, einen Verurteilten, gegen den die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, nachträglich in den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt zu überweisen, wenn seine Resozialisierung hierdurch besser gefördert werden kann. Von dieser Erwägung hat sich auch der Gesetzgeber bei Schaffung des § 66 b StGB leiten lassen (vgl. BT-Drucks. 15/2887, S.14). Dabei wurde jedoch die Möglichkeit nicht berücksichtigt, dass bereits im Zeitpunkt der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung durch das erkennende Gericht feststehen kann, dass die Resozialisierung des Verurteilten in einer anderen Maßregel - so wie hier durch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus - besser gefördert werden kann als in der Sicherungsverwahrung. Nach der bestehenden Regelung müsste sich das erkennende Gericht wider besseren Wissens auf die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschränken und die Anordnung der schon jetzt tatsächlich gebotenen Maßregel der Strafvollstreckungskammer in dem nachträglichen Verfahren nach § 67 a Abs. 2 StGB überlassen. Dies wäre sachlich nicht gerechtfertigt, zumal das erkennende Gericht im Rahmen der umfassenden Prüfung in der Hauptverhandlung unter Hinzuziehung zweier Sachverständiger auch die besseren Erkenntnismöglichkeiten hat als die Strafvollstreckungskammer. Es würde aber außerdem den Grundsätzen des § 72 StGB widersprechen. Danach ist von mehreren in Betracht kommenden Maßregeln immer diejenige anzuordnen, die der Erreichung des erstrebten Gesamtzwecks der Maßregeln, nämlich der Abwendung der Gefahr weiterer rechtswidriger Taten durch den Verurteilten, am besten dient und dabei zugleich den Betroffenen am wenigsten beschwert. Die von der Kammer gewählte Vorgehensweise war daher geboten, um dem Freiheitsgrundrecht des Verurteilten gerecht zu werden. Denn nur durch die Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus besteht die Möglichkeit, ihn von seiner paranoiden Persönlichkeitsstörung, die Ursache seiner besonderen Gefährlichkeit ist, zu heilen und ihm eine Rückkehr in die Freiheit zu ermöglichen.

VII.

80

Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 StPO.