Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 24.07.2008, Az.: 1 A 610/07

Anfechtungsklage gegen die Errichtung einer Lichtzeichenanlage; Anspruch eines Anliegers auf verkehrsregelndes Einschreiten einer Verkehrsbehörde; Berücksichtigung der Interessen betroffener Anlieger im Hinblick auf den Schutz vor Lärm und Abgasbelastung i.R.e. Entscheidung über die Einrichtung einer Lichtzeichenanlage; Umfang der von Anliegern einer Wohnstraße hinzunehmenden Lärmbelästigung

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
24.07.2008
Aktenzeichen
1 A 610/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 19306
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2008:0724.1A610.07.0A

Fundstellen

  • NJW 2009, 693-695 (Volltext mit red. LS)
  • NZV 2009, 472
  • RÜ 2009, 328-331

Verfahrensgegenstand

Verkehrsbehördliche Anordnung zur Errichtung einer Lichtsignalanlage

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Stade - 1. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 24. Juli 2008
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Schmidt,
den Richter am Verwaltungsgericht Steffen,
den Richter Plog sowie
die ehrenamtlichen Richter F. und G.
für Recht erkannt:

Tenor:

Die verkehrsbehördliche Anordnung des Beklagten vom 20. Dezember 2005 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Wegen der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu festzusetzenden Kosten abzuwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage, vorrangig die Beseitigung einer auf Anordnung des Beklagten gerichteten Lichtsignalanlage, hilfsweise deren weitgehende Abschaltung und weiterhin hilfsweise Schallschutzmaßnahmen anzuordnen.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Wohnbaugrundstückes in der Harburger Straße in Rotenburg. Dieses Grundstück liegt direkt in nördlicher Richtung neben dem Parkplatz des H. -Marktes an der Harburger Straße/B 71 in Rotenburg. Die Zufahrt zu dem Parkplatz des H. -Marktes erfolgt von der Harburger Straße aus über die Straße "Auf dem Rusch", die auf der anderen, südlichen Seite des Parkplatzes des H. -Marktes liegt. In den 90er Jahren hat die Beigeladene zu 2. die Zufahrt anlässlich der Erweiterung des H. -Marktes ausgebaut. Insbesondere wurde die Stelle, an der man in die Straße "Auf dem Rusch" einbiegt, zu einem Verkehrsknotenpunkt ausgebaut. Es wurde ein Linksabbiegestreifen in der Harburger Straße angelegt. Der Ausbau der Straßenfläche erfolgte beidseitig um je 1,75 m.

3

Im Februar 2004 fand am Verkehrsknotenpunkt ein Ortstermin statt, an dem der Beklagte und die Beigeladenen teilgenommen haben. Dabei wurde festgestellt, dass die neue Zufahrt zum H. -Markt zur B 71, wie insbesondere der Beigeladene zu 1. mit Schreiben vom 15. Juni 2004 feststellt, keine wesentliche Entlastung der erheblich angespannten Verkehrssituation gebracht hat. Optimal wäre nach Auffassung des Beigeladenen zu 1. eine Vollsignalisierung. In einem im Auftrag des H. -Marktes erstellten Verkehrs-Gutachten des Ingenieurbüros Merkel vom Mai 2004 wurde festgestellt, dass der Knotenpunkt B 71(Harburger Straße)/"Auf dem Rusch" nicht mehr leistungsfähig ist. Durch den Bau und die Erweiterung des Verbrauchermarktes habe es erheblich mehr Verkehr gegeben, der nicht ordnungsgemäß abgewickelt werden könne. Insbesondere verursache der Linksabbiegestrom auf die B 71 erhebliche Probleme. Im Ergebnis wurde in dem Gutachten festgestellt, dass eine Signalisierung des Knotenpunktes notwendig sei. Im November 2005 legte das Ingenieurbüro Merkel eine allgemeine Beschreibung der Bauleistung für den Knotenpunkt mit einer Lichtzeichenanlage vor. Dabei wurde insbesondere ausgeführt, dass der Knoten gemeinsam mit dem Nachbarknoten (Fuhrenstraße, der 150 m entfernt liegt) als Doppelknoten verkehrsabhängig gesteuert werde, wobei von einem Dauergrün in der Hauptrichtung (B 71) und Anforderung aller untergeordneten Verkehre als Standardfall ausgegangen werde.

4

Am 8. November 2005 übersandte der Beigeladene zu 1. dem Beklagten und der Beigeladenen zu 2. die Genehmigungsplanung für den Neubau der Verkehrssignalanlage. Der Beklagte erteilte mit Bescheid vom 20. Dezember 2005 gemäß § 45 StVO im Einvernehmen mit dem Beigeladenen zu 1. und der Polizeiinspektion die verkehrsbehördliche Anordnung für die Errichtung der Lichtsignalanlage auf der B 71 im Einmündungsbereich "Auf dem Rusch". Diese Anordnung erfolge auf Veranlassung der H. -Warenhaus Rotenburg GmbH & Co KG, die im Zuge der Erweiterung des H. -Marktes ihren Kundenverkehr sichern möchte. Die Notwendigkeit ergebe sich aus der vorgelegten verkehrstechnischen Untersuchung und sei in der mangelhaften Leistungsfähigkeit des Knotenpunktes begründet. Ein signalgeregelter Knoten werde den Anforderungen an die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer auch künftig gerecht. Die Lichtsignalanlage sei werktags von 6.00 bis 21.00 Uhr einzuschalten. Letztlich wurde geregelt, dass abweichend vom Straßenverkehrsgesetz die H. -Warenhaus Rotenburg GmbH & Co.KG als Veranlasser die gesamten Baukosten und die Unterhaltungskosten der Lichtsignalanlage zahle.

5

Am 15. Mai 2006 wurde die Anlage abgenommen und anschließend in Betrieb genommen.

6

Mit Schreiben vom 15. Juni 2006 wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Interesse des Vaters der Klägerin, des Eigentümes des Hauses Werkstraße 1, das unmittelbar nördlich an das Grundstück der Klägerin angrenzt, an den Beklagten und die Beigeladenen zu 1. und 2., weil die Inbetriebnahme der Ampelanlage zu einer erheblichen Erhöhung des Verkehrslärms und der Belastung mit Feinstäuben und Abgasen geführt habe. Die Geltendmachung von Folgenbeseitigungsansprüchen sei daher zu prüfen. Aus diesem Grund wurde gebeten, Messungen mit und ohne Betrieb der Anlage vorzunehmen. Mit verschiedenen Schreiben wandten sich auch andere Anwohner persönlich an die Beigeladene zu 2. mit dem Hinweis auf die Erhöhung der Belästigungen durch den Rückstau in Stoßzeiten. Ein Abbiegen aus der Werkstraße auf die Harburger Straße sei zu Stoßzeiten kaum noch möglich. Ein erhöhtes Fahrzeugaufkommen in die Nebenstraßen erhöhe das Risiko für spielende Kinder. Der in unmittelbarer Nähe befindliche Bahnübergang sei so schlecht gestaltet, dass auch von dort aus eine weitere Lärmbeeinträchtigung ausgehe. Die Klägerin wandte sich persönlich mit Schreiben vom 22. Mai 2006 an die Beigeladene zu 2. mit dem Antrag, die Ampelanlage zu entfernen, hilfsweise den Betrieb auf die Kernzeiten von 7.30 bis 9.00 Uhr, von 11.00 bis 13.00 Uhr sowie von 16.00 bis 18.00 Uhr von Montag bis Freitag zu begrenzen. Bei Rotphasen komme es auf der Harburger Straße zu Rückstaus, die bis zur nächsten Ampel am Berliner Ring führten. Die Lärmbelästigung sei nicht mehr hinnehmbar. Die verkehrsberuhigten Parallelstraßen zur Straße "Auf dem Rusch", nämlich die Werkstraße und die Nagelschmiedstraße würden als Ausweichstraßen benutzt.

7

Mit Schreiben vom 24. Juli 2006 wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Interesse des Vaters der Klägerin an den Beklagten, weil er die Anordnung vom 20. Dezember 2005 für rechtswidrig halte, weil die Anlieger nicht beteiligt worden seien und die ergangene Anordnung augenscheinlich ermessensfehlerhaft sei, weil die Anliegerinteressen bei deren Erlass nicht berücksichtigt worden seien. Feststellungen über Lärmauswirkungen und über die verkehrsrechtlichen Konsequenzen seien nicht getroffen worden. Nochmals wurde um Feststellung der Vorbelastung und der Erhöhung durch die Schaffung der Ampelanlage gebeten. Der Beklagte teilte dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin daraufhin am 11. September 2006 mit, dass die dringende Notwendigkeit der Ampelanlage in einem Verkehrsgutachten nachgewiesen worden sei und von den beteiligten Fachbehörden bestätigt wurde. Der Beigeladene zu 1. habe zudem festgestellt, dass für die Schaffung einer Ampelanlage eine schalltechnische Untersuchung und eine Abschätzung der Luftschadstoffe nicht erforderlich seien.

8

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin wies daraufhin im Interesse von deren Vater nochmals darauf hin, dass auch bei verkehrsregelnden Anordnungen erkennbare Lärmschutzinteressen betroffener Straßenanlieger in die Ermessensentscheidung einzustellen seien.

9

Am 6. November 2006 kam es sodann zu einer weiteren Besprechung der Beigeladenen mit dem Beklagten, wobei im Ergebnis festgehalten wurde, dass die Beigeladene zu 2. ein Lärmschutzgutachten für den Knotenpunkt "Harburger Straße/Auf dem Rusch" in Auftrag geben werde. Die Ingenieurgemeinschaft I. und Partner aus Hannover legten sodann im Mai 2007 eine schalltechnische Untersuchung am Knotenpunkt Harburger Straße (B 71)/"Auf dem Rusch" vor. Im Ergebnis ergab sich daraus, dass bereits vor dem Bau der Lichtsignalanlage an den zur Harburger Straße ausgerichteten Gebäudeseiten im Knotenpunktbereich eine starke Lärmbelastung vorhanden war. Tagsüber werden hier Beurteilungspegel bis 75 dB(A) und nachts bis zu 67 dB(A) festgestellt. Gegenüber dem Grenzwert für Mischgebiete ergaben sich Überschreitungen von 5 bis 11 dB(A). Die Auswirkungen der Lichtsignalanlagen seien bis zu einem Umkreis von 100 m bemerkbar. Im unmittelbaren Knotenpunktbereich bis 40 m beträgt die Zunahme 3 dB(A), im Radius bis 100 m ergeben sich Erhöhungen um 1 dB(A). Ansprüche auf Entschädigung und passive Lärmschutzmaßnahmen würden sich jedoch wegen des Aufstellens der Lichtsignale nicht ergeben, weil im Sinne der Lärmschutzrichtlinie der Bau der Lichtsignalanlage keinen erheblichen baulichen Eingriff darstelle.

10

Am 10. Mai 2007 hat die Klägerin Klage erhoben. Die verkehrsbehördliche Verfügung des Beklagten vom 20. Dezember 2005 habe sich als rechtswidrig erwiesen, weil über die Errichtung der Lichtsignalanlage, das Aufstellen der Verkehrszeichen und das Anbringen der Fahrbahnmarkierungen ohne Berücksichtigung der Anliegerinteressen entschieden worden sei. Seit Inbetriebnahme der Ampelanlage habe sich ergeben, dass in der Folge bei Rotphasen in Richtung stadteinwärts auf der Harburger Straße eine vermehrte Rückstaubildung bis über die Höhe des Wohngrundstücks der Klägerin hinaus festzustellen sei. Damit sei eine erhöhte Lärm- und Abgasbelastung des Wohngrundstückes festzustellen. Dabei sei insbesondere die Südost- und die Südwestseite des Hauses betroffen. In dem schalltechnischen Gutachten werde bestätigt, dass die Erweiterung der Harburger Straße um einen Linksabbiegerstreifen in die Straße "Auf dem Rusch" als ein erheblicher baulicher Eingriff zu werten sei. Im Übrigen sei für das Grundstück Harburger Straße, das dem klägerischen Grundstück nach der Lage zur Straße annähernd vergleichbar wäre, ein Beurteilungspegel von 74 dB(A) tags und 67 dB(A) nachts ermittelt worden, während die enteignungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle bei Wohngebieten allgemein bei Werten von 70 bis 75 dB(A) tags und bei 60 bis 65 dB(A) nachts gesehen würde. Daher müsse davon ausgegangen werden, dass auch auf dem Grundstück der Klägerin die für Mischgebiete zulässigen Immissionsgrenzwerte von 64 dB(A) tags und 54 dB(A) nachts bereits vor der baulichen Änderung und Signalisierung des Knotenpunktes erheblich überschritten wurden. Die Lärmschutzinteressen der Klägerin seien bei Erlass der verkehrsbehördlichen Anordnung des Beklagten gar nicht berücksichtigt worden. Sie seien auch nicht ermittelt worden. Da eine anlagenbedingte Verkehrslärmerhöhung nahe der enteignungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle auch für das Grundstück der Klägerin anzunehmen sei, war eine qualifizierte Ermittlung im Interesse der Klägerin nicht entbehrlich. Die Ampelanlage diene erkennbar ausschließlich der besseren Anbindung und Leichtigkeit des Einmündungsverkehrs zur Straße "Auf dem Rusch" im Interesse des dort vorhandenen Verbrauchermarktes. Vorrangig seien hier nicht Gefahrensituationen im allgemeinen Verkehrsinteresse beseitigt worden. Eine insgesamt erforderliche Abwägung der gegenseitigen Interessen habe nicht stattgefunden.

11

Die Klägerin beantragt,

die verkehrsbehördliche Anordnung des Beklagten vom 20. Dezember 2005 an die Beigeladene zu 1. zur Errichtung einer Lichtsignalanlage an der B 71 (Harburger Straße) im Einmündungsbereich "Auf dem Rusch", in Rotenburg sowie für die Aufstellung von Verkehrszeichen unter Anbringung von Fahrbahnmarkierungen aufzuheben.

12

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Der Knotenpunkt Harburger Straße/"Auf dem Rusch" sei auf der Grundlage des Bebauungsplanes Nr. 38 im Jahre 1993 gebaut worden. Nach der 16. Bundesimmissionsschutzverordnung - BImSchVO - vom 12. Juni 1990 in Verbindung mit der Verkehrslärmschutzrichtlinie 1997 stelle der Bau einer Lichtsignalanlage keinen wesentlichen baulichen Eingriff und somit auch keine wesentliche Änderung dar. Eine schalltechnische Untersuchung sei damit nicht erforderlich gewesen. Zwischenzeitlich sei diese jedoch durch die Beigeladene zu 2. durchgeführt worden. Diese komme zu dem Ergebnis, dass die Auswirkungen zwar bis zu einem Umkreis von 100 m bemerkbar seien, dass allerdings ein Anspruch auf Entschädigung bzw. passive Schallschutzmaßnahmen nicht bestehe.

14

Der Beigeladene zu 1. verweist auf die Lärmschutzuntersuchung und meint, dass ein Anspruch der Klägerin nicht bestehe. Das Haus der Klägerin sei in die Berechnung einbezogen worden. Es habe sich bei der Berechnung keine wesentliche Änderung der Werte ergeben (Anlage 1 zum Gutachten). Hinsichtlich der Luftschadstoffe habe eine Berechnung nicht stattgefunden, weil dies bei der vorhandenen Straße nicht erforderlich sei; luftstofftechnische Veränderungen gebe es nicht. Hinsichtlich der Notwendigkeit der Lichtsignalanlage sei in der verkehrsbehördlichen Anordnung des Beklagten die Notwendigkeit mit der mangelhaften Leistungsfähigkeit des Knotenpunktes begründet worden. Der signalgerechte Knoten werde den Anforderungen an die Verkehrssicherheit und Leistungsfähigkeit gerecht.

15

Die Beigeladene zu 2. schließt sich den Ausführungen der Beigeladenen zu 1. und des Beklagten im Wesentlichen an.

16

Im Laufe des Januar 2008 ist die Signalanlage vom 25. Januar bis zum 28. Januar aufgrund eines technischen Defektes ausgefallen. Die Klägerin teilte dem Gericht daraufhin mit, dass sie erstmals seit langer Zeit morgens nicht durch den Verkehrslärm in Höhe ihres Grundstückes vor der Ampelanlage geweckt worden sei. Der Beigeladene zu 1. teilte daraufhin mit, dass die Anlage am 29. Januar 2008 repariert und wieder in Betrieb genommen worden sei. Gleichzeitig sei die Software der Verkehrssignalanlage geändert worden, so dass die Anlage an Sonn- und Feiertagen nicht mehr in Betrieb genommen werde. Diese Änderung der Schaltzeiten sei auch an anderen Verkehrsignalanlagen in der Stadt durchgeführt worden.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18

Die Klage ist zulässig.

19

Der Klägerin steht insbesondere die für die Anfechtungsklage notwendige Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) zu. Die Klägerin kann als Anliegerin der Harburger Straße für ihr Begehren, die ihrer Meinung nach auch durch die Anordnung des Beklagten herbeigeführte, von ihr für unzumutbar gehaltene Lärm- und Abgasbeeinträchtigung ihres Grundstückes rückgängig zu machen, ein geschütztes Recht geltend machen. Zwar ist § 45 Abs. 1 StVO, der die Verkehrsbehörde ermächtigt, aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs verkehrsbeschränkende Maßnahmen anzuordnen, grundsätzlich auf den Schutz der Allgemeinheit und nicht auf die Wahrung der Interessen einzelner Anlieger gerichtet (vgl. BVerwGE 74, 234 [BVerwG 04.06.1986 - 7 C 76/84] = NKW 1986, 2655, 2656; BVerwGE 92, 32 = NJW 1993, 1729, 1730) [BVerwG 27.01.1993 - 11 C 35/92], in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist aber anerkannt, dass der Einzelne einen - allerdings auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde begrenzten - Anspruch auf verkehrsregelndes Einschreiten in bestimmten Fällen, nämlich dann haben kann, wenn die Verletzung seiner geschützten Individualinteressen in Betracht kommt. Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 45 Abs. 1 StVO, insbesondere soweit Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 dieser Vorschrift den Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen herausstellt, umfasst nicht nur die Grundrechte wie körperliche Unversehrtheit (Ar. 2 Abs. 2 GG) und Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG). Dazu gehört auch im Vorfeld der Grundrechte der Schutz vor Einwirkungen des Straßenverkehrs, die das nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß übersteigen (BVerwGE 74, 234 [BVerwG 04.06.1986 - 7 C 76/84] a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Mai 1997, 5 S 1842/95, zitiert nach [...]). Diese für die auf Anordnung verkehrsbehördlicher Maßnahmen gerichteten Verpflichtungsklagen entwickelten Grundsätze sind auch für die Anfechtung verkehrsbehördlicher Maßnahmen anwendbar, soweit die Belange der Anlieger durch entsprechende Maßnahmen beeinträchtigt sein können (vgl. OVG Münster, Urteil vom 12. Januar 1996, 25 A 2475/93, NJW 1996, 3024 ff.). Die Klägerin hat hinreichend substantiiert Tatsachen vorgetragen, die es jedenfalls als möglich erscheinen lassen, dass sie durch die angefochtene Anordnung in den genannten Rechtspositionen beeinträchtigt ist. Hierfür genügt im vorliegenden Fall bereits der Hinweis auf die unmittelbare Nähe des Wohnhauses der Klägerin zu der Bundesstraße und zu der Einmündung der Straße "Auf dem Rusch" sowie der unmittelbaren Nähe zu dem Parkplatz des Verbrauchermarktes, in dessen Interesse die Verkehrsneuregelung getroffen wurde.

20

Die Klage ist auch begründet.

21

Die verkehrsregelnde Anordnung des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die als Rechtsgrundlage für die angefochtene Anordnung der Einrichtung einer Lichtzeichenanlage einschlägige Vorschrift des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO setzt tatbestandlich voraus, dass eine konkrete straßenverkehrsrechtliche Gefahr vorliegt und dass ein Einschreiten zur Abwehr dieser Gefahr geeignet und erforderlich ist (vgl. hierzu BVerwG vom 25. April 1980 - 7 C 19.78 -, Buchholz 442.151, § 45 StVO Nr. 8, S. 23, 24; Beschluss vom 23. März 1990 - 3 B 25/90 -, [...]; Urteil vom 27. Januar 1993 - 11 C 35.92 -, BVerwGE 92, 32, 36) [BVerwG 27.01.1993 - 11 C 35/92]. Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben, so liegt es im Ermessen des Beklagten, ob und welche Maßnahmen er zu ihrer Bekämpfung ergreift. Die Ermessensentscheidung des Beklagten kann das Gericht nur eingeschränkt darauf hin überprüfen, ob er die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten und ob er von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO).

22

Der Beklagte ist zunächst in seiner verkehrsbehördlichen Anordnung vom 20. Dezember 2005 zu Recht von dem Vorliegen einer Gefahr ausgegangen. Zwar beruht die Annahme der Notwendigkeit zur Errichtung der Lichtsignalanlage einschließlich des Ausbaus des Knotenpunktes im Wesentlichen auf den Wünschen der H. -Warenhaus Rotenburg GmbH & Co.KG, die unter Vorlage einer selbst in Auftrag gegebenen verkehrstechnischen Untersuchung die mangelhafte Leistungsfähigkeit des Knotenpunktes mit der bestehenden sowie der prognostischen Verkehrsbelastung und mit baulichen und verkehrstechnischen Mängeln des bestehenden Knotenpunktes begründet hat. Die Auffassung, die Beseitigung dieser unzureichend geregelten Verkehrslage sei am besten durch die Schaffung einer Lichtsignalanlage möglich, wurde von dem Beigeladenen zu 1. sowie der Beigeladenen zu 2. geteilt. Dieses leuchtet auch ein, obwohl die Beigeladene zu 2. in ihrem an das Gutachterbüro J. gerichteten Schreiben vom 11. November 2005 die Auffassung vertreten hat, eine Lichtsignalanlage sei aus verkehrlicher Sicht nicht erforderlich. Dieser offenkundig aus Kostenübernahmegründen vertretenen Auffassung ist nicht zu folgen. Insbesondere die Tatsache, dass Linksabbieger aus der Straße "Auf dem Rusch" kaum in die B 71 einbiegen können, leuchtet ohne weiteres ein. Auch dass bei der vorliegenden Situation ohne eine Regelung eine Gefährdung von Radfahrern und Fußgängern gegeben ist, ist nachvollziehbar.

23

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass der verkehrsbehördlichen Anordnung lagen demnach vor, der Beklagte hat jedoch das ihm eingeräumte pflichtgemäße Ermessen gar nicht oder jedenfalls fehlerhaft ausgeübt, weil er die Belange der Anlieger, einschließlich derjenigen der Klägerin, nicht in die vorzunehmende Abwägung eingestellt hat.

24

Bei der Entscheidung über eine verkehrsregelnde Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO hat die zuständige Straßenverkehrsbehörde sowohl die Belange des Straßenverkehrs und der Verkehrsteilnehmer zu würdigen als auch die Interessen etwa betroffener Anlieger in Rechnung zu stellen, von übermäßigem Lärm und einer unzumutbaren Zunahme der Abgasbelastung verschont zu bleiben, die durch die Errichtung der Lichtzeichenanlage eintreten können. Das Lärmschutz- und Abgasschutzinteresse des betroffenen Anliegers darf sie in Wahrung allgemeiner Verkehrsrücksichten und sonstiger entgegenstehender Belange um so eher zurückstellen, je geringer der Grad der Lärmbeeinträchtigung ist, der von der angeordneten Verkehrsregelung ausgeht. Umgekehrt müssen bei erheblichen Lärmbeeinträchtigungen die für die Anordnung sprechenden öffentlichen Interessen schon von einigem Gewicht sein, wenn die Behörde ihnen gegenüber dem Lärmschutzinteresse und Abgasschutzinteresse des betroffenen Anliegers den Vorzug geben will. Jedenfalls darf die zuständige Behörde auch bei erheblichen Lärmbeeinträchtigungen an der verkehrsregelnden Maßnahme festhalten, wenn ihr dies mit Rücksicht auf die damit verbundenen Vorteile gerechtfertigt erscheint. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung ist nicht nur auf die gebietsbezogene Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der Anlieger sowie auf das Vorhandensein bzw. Fehlen einer bereits gegebenen Lärmvorbelastung abzustellen. Maßgeblich sind auch andere Besonderheiten des Einzelfalles, so etwa der Umstand, dass Beeinträchtigungen nicht unerheblicher Art bereits durch den baurechtlich erlaubten relativ großen Parkplatz des begünstigten Verbrauchermarktes entstehen, und dass hier voraussehbar die Parallelstraßen zu der Straße "Auf dem Rusch" in erheblich höherem Umfang als Schleichwege in Anspruch genommen werden und damit weitere Lärmbelästigungen ausgelöst werden, die von den Anliegern einer Wohnstraße üblicherweise nicht hingenommen werden müssen (vgl. BVerfGE, 59, 221, 230; BVerwGE 74, 234, 239 f. [BVerwG 04.06.1986 - 7 C 76/84]; Hess. VGH, Urteil vom 7. März 1989, NJW 1989, 2767 f.; OVG Münster, Urteil vom 12. Januar 1996, a.a.O.). Diese von der Rechtsprechung für die Ermessensentscheidung der Straßenverkehrsbehörde zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO entwickelten Maßstäbe gelten auch für die Ermessensausübung der Straßenverkehrsbehörde im Rahmen ihrer Entscheidung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO, weil der sachliche Konflikt in gleicher Weise besteht, wenn sich ein Straßenanlieger aus Lärmschutzgründen gegen eine verkehrsregelnde Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO wendet.

25

Die verkehrsbehördliche Anordnung des Beklagten vom 20. Dezember 2005 berücksichtigt keinerlei andere Belange als ausschließlich die des großen Verbrauchermarktes, der auch neben den Kosten der Begutachtung abweichend von den im Straßenverkehrsgesetz getroffenen Regelungen die Kosten für die Erstellung und die betriebliche Unterhaltung der Lichtsignalanlage einschließlich notwendiger Änderungen, Ergänzungen und Erneuerungen trägt. Die den Verbrauchermarkt tragende Firma wird auch als alleinige Veranlasserin genannt und die Anlage wurde entsprechend ihrer Empfehlungen errichtet und betrieben. Eine Beteiligung der Anlieger in dem Verfahren hat es nicht gegeben und deren Belange haben auch keinen Niederschlag in der Entscheidung gefunden. Eine Abwägung der sich gegenüberstehenden Belange konnte daher schon mangels Ermittlung der zu berücksichtigenden Tatsachen nicht stattfinden.

26

Eine Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 114 Satz 2 VwGO kommt hier ebenfalls nicht in Betracht. Zwar hat die Beigeladene zu 2. im Einvernehmen mit der Beklagten zwischenzeitlich eine schalltechnische Untersuchung an dem betroffenen Knotenpunkt durch das Ingenieurbüro I. und Partner, Hannover, vornehmen lassen, wobei auch das Grundstück der Klägerin berücksichtigt wurde. Weder der Beklagte noch der Beigeladene zu 1. hat jedoch gestützt auf diese Untersuchung eine Abwägung der sich widerstreitenden Belange nachgeholt. Vielmehr stützen sich beide allein darauf, dass in der gutachterlichen Stellungnahme zum Ausdruck gebracht wird, rechtliche Ansprüche auf Entschädigungen oder passive Schallschutzmaßnahmen kämen nicht in Betracht, so dass eine weitere Auseinandersetzung nicht erforderlich sei. Dies ist bereits vom Ansatz her fehlerhaft, weil es hier nicht um Entschädigungen oder passive Schallschutzmaßnahmen geht, sondern um die Abwägung der sich hier entgegenstehenden Belange mit dem Ziel festzustellen, welche optimale Verkehrsregelung getroffen werden kann, die alle sich widerstreitenden Interessen berücksichtigt. Soweit der Beklagte und der Beigeladene zu 1. sich auf die verwaltungsinternen verbindlichen, gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3e StVG erlassenen vorläufigen Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm (Lärmschutz-Richtlinien - StV - vom 6. November 1981,VkBl. 1981, 428) berufen, nach denen der Bau einer Lichtsignalanlage keinen erheblichen baulichen Eingriff und somit keine wesentliche Änderung darstelle, kann dem nicht gefolgt werden. Die Lärmschutz-Richtlinien - StV - sehen in ihrem ersten Abschnitt (Allgemeines) vor, dass vor der Anordnung straßenverkehrsrechtlicher Maßnahmen die Vorteile und Nachteile der einzelnen Maßnahmen gegeneinander abzuwägen sind. Dabei sind in die Abwägung insbesondere der Grad der Beeinträchtigungen, die Leichtigkeit der Realisierung von Maßnahmen, die Schutzwürdigkeit des betroffenen Gebietes und eventuelle Einflüsse auf die Verkehrssicherheit, auf den Energieverbrauch der Fahrzeuge, auf Erschwernisse bei der Versorgung der Bevölkerung und die Einschränkung der Freizügigkeit des Verkehrs einzubeziehen. Auch die Funktionen der Straßen sind zu berücksichtigen. Auch unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist festzustellen, dass der Beklagte sein Ermessen schon deshalb fehlerhaft ausgeübt hat, weil er das Lärmschutzinteresse der Klägerin und der anderen Anlieger nicht mit dem ihm zukommenden Gewicht in die Abwägung der widerstreitenden Belange nicht einmal nach Einholung des schalltechnischen Gutachten in die Abwägung der widerstreitenden Belange eingestellt hat. Auch die Ermittlungen hinsichtlich der Unfallträchtigkeit des Knotenpunktes hat der Beklagte erst durch Einholung von Stellungnahmen der Polizei vorgenommen, nachdem die Entscheidung bereits getroffen war und hat auch diese nicht in seine Erwägungen eingestellt.

27

Auch der Umstand, dass die Errichtung der Lichtzeichenanlage den Beurteilungspegel nach der in dem Gutachten enthaltenen Karte (Blatt 14) beim Haus der Klägerin lediglich um 1 dB(A) erhöhen würde, entbindet den Beklagten nicht von der Verpflichtung, durch den Straßenbaulastträger eine Lärmberechnung vornehmen zu lassen, die in die Abwägung einzubeziehen ist. Hier muss insbesondere berücksichtigt werden, dass die Vorbelastung jedenfalls seit dem Ausbau der Straße Mitte der 90ger Jahre insgesamt eine Größenordnung erlangt hat, die die Berücksichtigung der Lärmmehrbelastung bei der Ermessensentscheidung nicht als von vornherein vernachlässigbar ansehen lassen kann. Bei der Frage der Beurteilung der Zumutbarkeit war im vorliegenden Fall weiter zu berücksichtigen, dass das Haus der Klägerin nicht nur vom Straßenlärm, sondern auch von dem die Anlage veranlassendem H. -Parkplatz, der sich unmittelbar vor ihrer Haustür befindet, beeinträchtigt wird.

28

Ob letztlich die Beeinträchtigungen der Anlieger gleichwohl - möglicherweise auch durch andere Ampelschaltung eingeschränkt - hingenommen werden müssen, um die Verkehrssituation im Bereich dieses Knotenpunktes zu lösen, kann die Kammer nicht in eigenem Ermessen entscheiden. Dies muss letztlich der Beurteilung des Beklagten im Einvernehmen mit den Beigeladenen überlassen bleiben. Die bislang getroffene Entscheidung war jedoch auf den Antrag der Klägerin hin aufzuheben.

29

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 162 Abs. 3 VwGO.

30

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

31

Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 in Verbindung mit § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.

32

...

33

Gegen dieses Urteil ist die Berufung nur zulässig, wenn sie von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

34

Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

35

Beschluss

36

Der Streitwert wird auf

37

5.000,00 Euro

38

festgesetzt.

Schmidt
Steffen
Plog