Arbeitsgericht Oldenburg
Urt. v. 04.03.2015, Az.: 2 Ca 544/14

Mitteilung nach § 9 Abs. 1 MuSchG; Wahrung durch Kündigungsschutzklage

Bibliographie

Gericht
ArbG Oldenburg
Datum
04.03.2015
Aktenzeichen
2 Ca 544/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 44854
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine nach § 9 Abs. 1 MuSchG genügende Mitteilung kann auch in der Kündigungsschutzklage selbst liegen, wenn die Arbeitnehmerin dort ausdrücklich auf ihre Schwangerschaft Bezug nimmt und einen Verstoß gegen § 9 Abs. 1 MuSchG rügt. Hierdurch wird die Vermutung einer kündigungsrelevanten Schwangerschaft hinreichend zum Ausdruck gebracht.

Tenor:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 29.10.2014 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu ¼ und die Beklagte zu ¾ zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 4.328,40 € festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die rechtliche Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Die am 00.00.1984 geborene Klägerin ist seit dem 05.05.2014 bei der Beklagten als Bürokraft im Rahmen einer 30-Stundenwoche beschäftigt. Ihre durchschnittliche monatliche Bruttovergütung beläuft sich auf 1.442,80 € brutto.

Mit Schreiben vom 29.10.2014 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zur Klägerin ordentlich zum 30.11.2014. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 18.11.2014 bei Gericht eingegangenen Kündigungsschutzklage. Ausweislich einer fachärztlichen Bescheinigung vom 17.11.2014 besteht bei der Klägerin eine Schwangerschaft. Die Kündigungsschutzklage wurde der Beklagten am 24.11.2014 zugestellt.

Die Klägerin hält die streitgegenständliche Kündigung wegen eines Verstoßes gegen § 9  Abs. 1 MuSchG für unwirksam. Zum Zeitpunkt des Kündigungszuganges habe eine Schwangerschaft bei ihr bestanden. Erst am 17.11.2014 sei sie durch den behandelnden Arzt erstmals über die Schwangerschaft in Kenntnis gesetzt worden. Zuvor habe sie keine typischen Symptome einer Schwangerschaft feststellen können. Einen Tag später habe sie die Beklagte – unstreitig – in Form einer Email und eines Telefaxes über die bestehende Schwangerschaft informiert.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 29.10.2014 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, die streitgegenständliche Kündigung habe das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.11.2014 beendet. Eine Kenntnis der Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung habe nicht bestanden. Der fachärztlichen Bescheinigung vom 17.11.2014 lasse sich nicht entnehmen, dass die Klägerin bereits zum Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung schwanger gewesen sei. Der Zeitpunkt der Feststellung der Schwangerschaft gehe aus dem Schreiben ebenso wenig hervor, wie ein konkreter Entbindungstermin. Soweit die Klägerin ihre Angaben im Verlauf des Prozesses nachgebessert habe, sei die „unverzügliche“ Nachholfrist bereits abgelaufen.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze einschließlich der Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Kündigung der Beklagten vom 29.10.2014 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst, da sie gem. § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG unzulässig war mit der Folge, dass sie sich gemäß § 134 BGB als nichtig erweist.

Gem. § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG ist die Kündigung einer Frau (Arbeitnehmerin, § 1 Ziffer 1 MuSchG) während einer Schwangerschaft unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war oder innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Wenn allerdings die Frau eine Fristüberschreitung nicht zu vertreten hat, so ist das bei unverzüglicher Nachholung der Mitteilung unschädlich. Ausnahmen von diesem Kündigungsverbot ergeben sich dann, wenn eine Zulässigerklärung der Kündigung gem. § 9 Abs. 3 MuSchG durch die zuständige staatliche Stelle vor Ausspruch der Kündigung vorliegt. Fehlt eine solche Zulässigerklärung, führt das Kündigungsverbot zur Nichtigkeit gem. § 134 BGB, da dann die Kündigung als einseitiges Rechtsgeschäft gegen ein gesetzliches Verbot verstößt (vgl. nur BAG v. 31.03.1993 - 2 AZR 595/92, AP Nr. 20 zu § 9 MuSchG 1968).

Im Streitfall stand die Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigung gem. § 1 Ziffer 1 MuSchG in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Bei der Klägerin bestand auch eine Schwangerschaft, wie sich der ärztlichen Bescheinigung vom 01.12.2014 entnehmen lässt und von der Beklagten im Ergebnis auch nicht mehr in Zweifel gezogen wird.

Allerdings war der Beklagten die Schwangerschaft weder im Zeitpunkt der Kündigung bekannt, noch wurde sie ihr innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt, da die Beklagte erst durch Vorlage der ärztlichen Bescheinigung am 18.11.2014 von der Schwangerschaft erfuhr.

Die Überschreitung dieser Frist ist indessen unschädlich, da die Klägerin sie nicht zu vertreten hat. Sie trifft nämlich kein Verschulden (§ 276 Abs. 1, S. 1 BGB), da sie weder vorsätzlich oder fahrlässig handelte, als sie die Zwei-Wochen-Frist überschritten hat. Bei der Prüfung dieses Verschuldens ist zu berücksichtigen, dass der anzuwendende Maßstab seit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs. 1 MuSchG aF (Entscheidungen vom 13.11.1979 - 1 BvL 19/78 1 BvL 24/77, 1BvL 38/78, AP Nr. 7 zu § 9 MuSchG 1968 und vom 22.10.1980 - 1 BvR 262/80, AP Nr. 8 zu § 9 MuSchG 1968) anerkanntermaßen durch die besondere Schutzrichtung des Kündigungsschutzes der werdenden Mutter zu bestimmen ist. Danach kommt eine schuldhafte Pflichtversäumung überhaupt nur in Betracht im Sinne einer grundlegenden Verschuldensvoraussetzung, wenn die schwangere Arbeitnehmerin die Mitteilung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist unterlässt, obschon sie die Schwangerschaft kennt (BAG v. 13.01.1982 - 7 AZR 764/79, AP Nr. 12 zu § 9 MuSchG 1968) oder eine zwingende und unabweisbare Schwangerschaftsvermutung vorliegt (vgl. BAG v. 06.10.1983 - 2 AZR 368/82, AP Nr. 12 zu § 9 MuSchG 1968).

Gemessen an diesen Grundsätzen bestand bei der Klägerin vor dem 17.11.2014 keine Kenntnis über die Schwangerschaft. Der fachärztlichen Bescheinigung vom 17.11.2014 lässt sich entnehmen, dass sich die Klägerin am 29.10.2014 in der zweiten Schwangerschaftswoche befand. Bei einer Schwangerschaft in einem derart frühen Stadium muss davon ausgegangen werden, dass die Klägerin vor den Feststellungen des behandelnden Arztes am 17.11.2014 weder positive Kenntnis von der Schwangerschaft hatte noch zwingende Gründe für eine Vermutung vorgelegen haben. Anhaltspunkte hierfür lassen sich weder aus dem unstreitigen Parteivorbringen entnehmen, noch hat die Beklagte in diese Richtung vorgetragen. Die Klägerin hat vielmehr nachvollziehbar vorgetragen, dass sich bei ihr vor dem 17.11.2014 keine typischen Schwangerschaftssymptome eingestellt hätten.

Die Mitteilung der Schwangerschaft durch Vorlage der fachärztlichen Bescheinigung vom 17.11.2014 stellt für sich genommen keine ausreichende Mitteilung i. S. d. § 9 Abs. 1 MuSchG dar. Aus der Mitteilung lässt sich nicht entnehmen, dass die Schwangerschaft bereits bei Zugang der Kündigung bestand. Weder wird der voraussichtliche Entbindungstermin genannt noch eine Feststellung dahingehend getroffen, dass sich die Schwangerschaft bereits zum Zugangszeitpunkt der Kündigung bei der Klägerin eingestellt hatte.

Eine § 9 Abs. 1 MuSchG genügende Mitteilung ist aber vorliegend in der am 24.11.2014 zugestellten Kündigungsschutzklage i. V. m. der als Anlage beigefügten Bescheinigung vom 17.11.2014 zu sehen. In der Klageschrift nimmt die Klägerin ausdrücklich auf ihre Schwangerschaft Bezug und rügt einen Verstoß gegen § 9 Abs. 1 MuSchG. Durch den Verweis auf  § 9 Abs. 1 MuSchG, der eine Schwangerschaft bei Zugang der Kündigung voraussetzt, äußert die Klägerin zumindest die Vermutung einer kündigungsrelevanten Schwangerschaft und bringt auch für einen objektiven Empfänger zum Ausdruck, dass sie sich auf den besonderen Kündigungsschutz und die damit einhergehende Rechtsfolge beruft. Eines konkreten Nachweises über die bestehende Schwangerschaft bedurfte es nach § 9 Abs. 1 MuSchG dagegen nicht (vgl. BAG v. 06.06.1974 - 2 AZR 278/73, AP Nr. 3 zu § 9 MuSchG 1968). Im Frühstadium einer Schwangerschaft ist es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausreichend, wenn die Mitteilung lediglich die Vermutung einer kündigungsrelevanten Schwangerschaft zum Inhalt hat. Die Rechtssicherheit für den Arbeitgeber tritt zurück, da Schwierigkeiten bei der Feststellung der Schwangerschaft eine Einschränkung der Anzeigeobliegenheit erfordern (vgl. BAG v. 15.11.1990 - 2 AZR 270/90, AP Nr. 17 zu § 9 MuSchG 1968).

Die Klägerin hat die Mitteilung gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG auch unverzüglich nachgeholt, so dass ihr der besondere Kündigungsschutz erhalten geblieben ist. Zwischen der Kenntniserlangung von der Schwangerschaft am 17.11.2014 und dem Zugang der nachgeholten Mitteilung durch Zustellung der Klageschrift am 24.11.2014 liegen 7 Kalendertage.

Für die Bestimmung des Rechtsbegriffs orientiert sich die Kammer an der Legaldefinition in  § 121 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach unverzüglich „ohne schuldhaftes Zögern“ bedeutet. Ab wann von einem „schuldhaften Zögern“ auszugehen ist, wird nicht einheitlich beurteilt. Es besteht allerdings Konsens, dass die innerhalb von einer Woche nachgeholte Erklärung noch als ausreichend zu erachten ist (vgl. BAG v. 26.09.2002 - 2 AZR 392/01, AP Nr. 31 zu § 9 MuSchG 1968). Im Streitfall wird diese Frist gewahrt, sodass die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG vorliegen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i. V. m. 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Danach waren die Kosten der unterlegenen Beklagten aufzuerlegen, mit Ausnahme der durch die Klagerücknahme entstandenen Kosten, die von der Klägerin zu tragen sind.

III.

Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Dabei wurden für den Kündigungsschutzantrag drei Bruttomonatsgehälter der Klägerin zugrunde gelegt.