Amtsgericht Osnabrück
Urt. v. 24.10.1997, Az.: 47 C 335/97

Anspruch auf Schadensersatz aus positiver Vertragsverletzung (pVV); Beweis des ersten Anscheins bei Verfügungen an Geldautomaten ; Beteiligung des EC-Karteninhabers an durch den Verlust der Karte entstehen Schäden

Bibliographie

Gericht
AG Osnabrück
Datum
24.10.1997
Aktenzeichen
47 C 335/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 24039
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGOSNAB:1997:1024.47C335.97.0A

Fundstellen

  • NJW 1998, 688-689 (Volltext mit red. LS)
  • NJW-CoR 1998, 180
  • WM 1999, 1127-1128 (Volltext mit amtl. LS)
  • WM 1998, 1127-1128
  • ZBB 1998, 128

Verfahrensgegenstand

Schadensersatz

In dem Rechtsstreitverfahren
hat das Amtsgericht Osnabrück
auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 1997
durch
den Richter am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewissen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

1

(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.)

2

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

3

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Schadensersatz aus positiver Vertragsverletzung zu, da der Beweis des ersten Anscheins bei Verfügungen an Geldautomaten dafür spricht, daß die Verfügungen seitens des Kontoinhabers selbst oder aber wegen einer unsachgemäßen Aufbewahrung der Geheimzahl (PIN) durch Dritte erfolgt sind.

4

Die Beklagte hat in ihren neuen Bedingungen für EC-Karten die Pflicht übernommen, bei Verlust von Karten die Schäden zu tragen, die durch eine mißbräuchliche Verwendung der Karte entstehen (Ziffer III 2.4 der Bedingungen). Diese Bedingungen liegen auch dem vorliegenden Vertragsverhältnis zugrunde, so daß die Beklagte zur Belastung des Kontos des Klägers nicht berechtigt gewesen wäre, wenn eine mißbräuchliche Verwendung der Karte gegeben ist.

5

Eine Beteiligung des Karteninhabers an den Schäden ist nur nach den Grundsätzen des Mitverschuldens möglich. Der Karteninhaber trägt die entstandenen Schäden in vollem Umfang, wenn er grob sorgfaltswidrig gehandelt hat, d.h., wenn er u.a. die PIN auf der Karte vermerkt bzw. mit der Karte verwahrt oder die PIN einem Dritten mitgeteilt hat.

6

Das Gericht ist nach der Beweisaufnahme davon überzeugt, daß dem Kläger die Karte in Hannover gestohlen worden ist.

7

Sowohl er als auch seine Tochter, die als Zeugin vernommen wurde, haben angegeben, daß er vor dem Verlassen des Zuges gegen 9.00 Uhr am Hauptbahnhof in Hannover die EC-Karte noch gesehen habe. Beim Eintreffen auf dem Messegelände mit der U-Bahn gegen 9.25 Uhr habe er dann festgestellt, daß ihm die gesamte Brieftasche abhandengekommen sei.

8

Der Kläger ist gleichwohl nicht zu entschädigen, weil ihm eine Sorgfaltspflicht zur Last zu legen ist.

9

Zwar hat nach der Struktur der Haftungsregelung der allgemeinen Kartenbedingungen grundsätzlich die Beklagte diesen Beweis zu führen. Das Gericht ist aber der Ansicht, daß der Beweis des ersten Anscheins dafür spricht, daß eine Abhebung unter Verwendung der PIN nur durch grob unsorgfältiges Verhalten des Karteninhabers möglich ist.

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Davon gingen die Gerichte bisher übereinstimmend aus (vgl. zuletzt AG Hannover WM 1997, 1207 [AG Hannover 09.05.1997 - 567 C 9676/94]; AG Wuppertal WM 1997, 1209 [AG Wuppertal 10.04.1997 - 35 C 351/96] m.w.N.).

11

Begründet wurde das damit, daß die Wahrscheinlichkeit der Entschlüsselung der vierstelligen PIN bei der Vielzahl der Kombinationsmöglichkeiten von 0000 bis 9999 unwahrscheinlich sei. Der Täter habe auch nur drei Versuche, um die PIN zu ermitteln, so daß die Wahrscheinlichkeit eines Treffers bei 1: 3333 liege. Folglich sei davon auszugehen, daß der Karteninhaber dem Dieb durch grob unsorgfältiges Verhalten die PIN zugänglich gemacht habe.

12

Soweit der Kläger darauf verweist, daß das OLG Hamm in einer neueren Entscheidung auf der Grundlage zweier Gutachten zu dem Ergebnis gekommen sei, daß die PIN innerhalb kurzer Zeit entschlüsselbar sei und deshalb der Anscheinsbeweis nicht zu halten sei, vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Das hat es in der mündlichen Verhandlung auch schon ausführlich begründet. Das OLG Hamm meint, daß die Ermittlung der PIN zum einen durch Ausprobieren möglich sei (OLG Hamm WM 1997, 1203 [OLG Hamm 17.03.1997 - 31 U 72/96]). Die Ziffern 0-5 kämen in den Geheimzahlen etwa 32mal so häufig vor wie die Ziffern 6-9. Deshalb sei (wenn man wisse, daß die erste Ziffer nie eine 0 sein könne) die Wahrscheinlichkeit eines Treffers bei 9999 Kombinationsmöglichkeiten und bei 3 Versuchen nicht 1: 3333, sondern bei 1: 700 anzusetzen, wenn die PIN aus den Ziffern 0-5 bestehe. Diese Trefferquote könne auf 1: 150 verbessert werden, wenn der Täter über ein Kartenlesegerät verfüge, das im Handel erhältlich sei. Dann könne der Täter dar Offset (eine Ausgleichszahl, um die Karte auch an Geldautomaten anderer Banken nutzen zu können) ermitteln, welche Rückschlüsse auf die PIN zulasse. Zudem gebe es die Möglichkeit, den Fehlerzähler auf der Karte zu manipulieren und so eins unbegrenzte Anzahl an Versuchen zu erreichen.

13

Gegen die Argumentation des OLG Hamm wird zu Recht vorgebracht, der Täter müsse um die statistische Häufigkeit der Zahlen 0-5 wissen, eine entsprechende technische Ausstattung besitzen und außerdem genügend Zeit und Gelegenheit haben, um unauffällig die Vielzahl der Versuche durchzuführen. Außerdem würden Geldautomaten nicht mehr offline betrieben. Die Manipulation des Fehlerzählers führe deshalb nicht mehr zu beliebig vielen Versuchen.

14

Das überzeugt das Gericht: Zum einen ist auffällig, daß die Sachverständigen, die das OLG Hamm herangezogen hat, ihre Ergebnisse nicht durch praktische Versuche untermauern wollten, obwohl ihnen dafür die technischen Voraussetzungen zur Verfügung gestellt werden sollten.

15

Jedenfalls im vorliegenden Verfahren bestand die Geheimzahl des Klägers nicht nur aus den Ziffern 0-5, sondern auch aus einer 8 (vollständig: 4418). Der Dieb hatte vom Eintreffen des Klägers im Hauptbahnhof Hannover um 9.00 Uhr bis zur Abhebung um 9.39 Uhr ca. 30 bis 35 Minuten Zeit, um die Geheimzahl zu ermitteln.

16

Angesichts der in der Geheimzahl steckenden Ziffer "8" gilt die statistische Häufigkeit von ca. 100 bis 150 Versuchen nicht mehr, die die Sachverständigen des OLG Hamm ermittelt haben.

17

Auch wenn man den Ausführungen der Sachverständigen des OLG Hamm folgt, liegt die Ermittelbarkeit der PIN wegen der Ziffer "8" höher als 1: 150 Versuche, so daß sich bei 30 Sekunden pro Versuch ein längerer Zeitraum als ca. 30 bis höchstens 39 Minuten ergibt, um die Zahl durch Versuche festzustellen.

18

Das Gericht ist deshalb der Überzeugung, daß nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins weiterhin davon auszugehen ist, daß mittels der gestohlenen Karte und der Geheimzahl nur deshalb Geld abgehoben werden konnte, weil der Kläger mit der Geheimzahl unsorgfältig umgegangen ist. Den Gegenbeweis durch Darlegung und Beweis eines untypischen Sachverhaltsablaufes hat dir Kläger sucht geführt.

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Des OLG Hamm weist auf eine weitere Möglichkeit der Ermittlung der PIN hin. Wenn der Täter den Institutschlüssel oder den Poolschlüssel ermittele, könne er die Daten des Magnetstreifens von Karten des entsprechenden Instituts auslesen und dann die PIN mit einem üblichen PC innerhalb weniger Minuten ausrechnen.

20

Zur Ermittlung eines solchen Schlüssels benötige er zunächst 5 EC-Karten des Instituts und ein Kartenlesegerät. Für die Berechnung des Schlüssels sei zudem aber ein Spezialrechner nötig, der mehrere 100.000,00 DM koste.

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Auch nach diesem Verfahren ist die Hürde für die Ermittlung der PIN so hoch anzusetzen, daß es als höchst unwachrscheinlich anzusehen ist, daß jeder EC-Karten-Dieb in der Lage sei, die PIN zu ermitteln. Entweder muß er über eine umfangreiche technische Ausstattung verfügen oder Zugang zu einer kriminellen Organisation haben, die über die entsprechenden Einrichtungen verfügt und aufgrund dessen Institut- oder Poolschlüssel ermitteln kann oder bereits ermittelt hat. Eine derartige Einrichtung ist bisher jedoch unbekannt (vgl. Werner, WM 1997, 1516, 1519).

22

Dieser Umstand und die - schon erwähnte - Tatsache, daß die Sachverständigen eine praktische Erläuterung nicht gegeben haben, lassen für das Gericht den Schluß zu, daß die Ermittlung der PIN wohl doch nicht so einfach sein kann.

23

Nach allem war die Klage abzuweisen.

24

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.