Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 24.07.2002, Az.: 5 A 131/01
Bestandsverzeichnis; Feststellungsklage; Privatweg; Widmung; öffentlicher Weg; öffentliches Wegerecht
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 24.07.2002
- Aktenzeichen
- 5 A 131/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43474
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 6 StrG ND
- § 62 Abs 2 StrG ND
- § 63 Abs 5 StrG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein Weg, der bei Anlage des Bestandsverzeichnisses nicht eingetragen worden und später nicht förmlich gewidmet worden ist, ist kein öffentlicher Weg.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ein ursprünglich als Wegegrundstück genutztes Flurstück dem öffentlichen Verkehr gewidmet ist.
Die Klägerin ist Eigentümerin des bebauten Flurstücks C. und des östlich angrenzenden Wegeflurstückes D. der Flur E. der Gemarkung F.. Weiter ist sie Eigentümerin des unbebauten Flurstücks G. der Flur H. der Gemarkung F.. Zwischen den Flurstücken C. und G. befindet sich das ca. 7 m breite und 120 m lange Flurstück I. der Flur E.. Dieses Flurstück stand ursprünglich im Eigentum der Beklagten und wurde als Weg genutzt. Zugunsten des Flurstücks G. bestand ein dinglich gesichertes Wegerecht über das Flurstück J.. Dieses wurde 1999 mit Zustimmung der Klägerin im Grundbuch des Flurstücks J. gelöscht.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 26. Juni 2000 verkaufte die Beklagte das Flurstück I. an den Beigeladenen. Die Beklagte hatte zunächst festgestellt, dass das Flurstück keine Erschließungsfunktion besitze. Das Flurstück ist nicht als öffentlicher Weg in das Straßenbestandsverzeichnis der Beklagten eingetragen.
In der Zeit danach bemühte sich die Klägerin um die Klärung der Frage, ob und ggf. welches Wegerecht sie über das Flurstück I. zum Erreichen des Flurstücks G. in Anspruch nehmen könne. Zwischen den Beteiligten konnte darüber keine Einigung erzielt werden.
Mit der am 25. April 2001 erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass es sich bei dem Flurstück I. der Flur E. der Gemarkung F. um einen öffentlichen Weg handele. Sie macht geltend, das streitbefangene Grundstück habe, so lange sie sich zurück erinnern könne, eine Erschließungsfunktion gehabt. Diese Erschließungsfunktion bestehe weiter, da sie nur über diesen Weg ihr Flurstück G. erreichen könne. Weil die Beklagte die öffentlich-rechtliche Eigenschaft des Weges bestreite, sei die von ihr erhobene Feststellungsklage zulässig. Sie sei auch begründet, weil der Weg immer ein öffentlich genutzter Weg gewesen sei und nach den Übergangsvorschriften zum Niedersächsischen Straßengesetz alle Straßen und Wege, die nach bisherigem Recht die Eigenschaft einer öffentlichen Straße bzw. eines öffentlichen Weges besaßen, weiter als öffentliche Straßen bzw. Wege im Sinne des Straßengesetzes gelten. Da auch keine Einziehung nach dem Straßengesetz erfolgt sei, handele es sich bei dem Flurstück nach wie vor um einen öffentlichen Weg.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass das Flurstück I. der Flur E. der Gemarkung F. ein öffentlicher Weg ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert, die Parzelle I. habe weder eine Verbindung zu anderen öffentlichen Wegen gehabt noch eine Erschließungsfunktion für die anliegenden Grundstücke. Das Flurstück G. sei aufgrund eines dinglich gesicherten Wegerechts erreichbar gewesen. Weil auch andere Rechte Dritter durch den Verkauf des Flurstücks I. nicht berührt worden seien, hätten keine Bedenken gegen die Veräußerung des Flurstücks an den Beigeladenen bestanden. Der Weg sei nie als öffentlich-rechtliche Wegefläche gewidmet worden.
Der Beigeladene macht geltend, die Klägerin könne nach wie vor das Flurstück G. über das Flurstück J. erreichen. Dort habe sie ein gesichertes Wegerecht. Er wolle das von ihm erworbene Grundstück als Garten nutzen. Weil das von ihm erworbene Grundstück an keiner Stelle von öffentlichen Verkehrsflächen erreichbar sei, bestehe auch kein öffentliches Interesse daran, das Grundstück zum öffentlichen Weg zu erklären.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klage ist als Feststellungsklage gem. § 43 Abs. 1 VwGO zulässig. Die Beteiligten streiten über die Frage, ob das Flurstück I. als öffentliche Wegefläche und damit als öffentlicher Zugang zum Flurstück G. von der Klägerin genutzt werden kann. Weil die Klägerin auf ihr Wegerecht über das Flurstück J. verzichtet und das Wegerecht in dem Grundbuch gelöscht worden ist, hat sie ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, ob das bislang als Wegefläche genutzte Flurstück I. eine rechtswirksam dem öffentlichen Verkehr gewidmete Wegefläche ist und sie diesen Weg zum Erreichen ihres Flurstücks G. nutzen kann. Von dem festzustellenden Rechtsverhältnis werden eigene Rechte der Klägerin unmittelbar betroffen. Die Klägerin hat auch das erforderliche berechtigte Interesse an der alsbaldigen Feststellung dieser Rechtsfrage, weil der Beigeladene entgegen der Auffassung der Klägerin der Meinung ist, dass die streitige Fläche ihm als Gartenfläche ohne jede öffentlich-rechtliche Wegelast zur Verfügung steht.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Das Flurstück I. der Flur E. der Gemarkung F. ist kein "öffentlicher Weg". Das Flurstück ist weder rechtswirksam als öffentliche Verkehrfläche von der Beklagten gewidmet worden noch führt die von der Klägerin geltend gemachte langjährige Nutzung des Flurstücks als Weg dazu, dass es sich um eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Wegefläche handelt.
Die Klägerin kann aus dem Umstand, dass das Flurstück I. ohne Beanstandung durch die vormalige Eigentümerin tatsächlich über lange Zeit als Wegefläche genutzt worden ist, nichts für sich herleiten. Insbesondere ist daraus nicht zu schließen, dass es sich um einen dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Weg handelt. Zwar gelten gem. § 62 Abs. 2 Nds. Straßengesetz in der Fassung vom 14. Dezember 1962 (Nds. GVBl S. 251) Straßen, die nach bisherigem Recht die Eigenschaft einer öffentlichen Straße besitzen, weiterhin als öffentliche Straße im Sinne dieses Gesetzes. Dies galt aber ausdrücklich nur "vorbehaltlich der Überprüfung bei Anlage des Bestandsverzeichnisses" gem. § 63 NStrG. § 62 Abs. 2 NStrG ist daher lediglich eine Übergangsbestimmung für den Rechtscharakter einer Straße bis zu der vom Gesetzgeber angeordneten Anlage der Straßenbestandsverzeichnisse gewesen. Gem. § 63 Abs. 5 Satz 2 NStrG gelten Gemeindestraßen, die in dem von jeder Gemeinde bis Ende 1983 zu erstellenden Bestandsverzeichnis nicht rechtswirksam als solche ausgewiesen worden sind, als aufgehoben und eingezogen, so dass evtl. vorher bestehende Rechte erloschen sind. Das führt dazu, dass Wege, selbst wenn sie ursprünglich als öffentliche Wege anzusehen waren, gem. § 63 Abs. 5 Satz 2 NStrG als öffentliche Gemeindestraßen oder sonstige öffentliche Wege als aufgehoben und eingezogen gelten, wenn sie im Bestandsverzeichnis nicht aufgenommen worden sind und dort auch nachträglich nicht mehr verzeichnet worden sind.
Deshalb können im Gemeindegebiet der Beklagten nach dem 31.12.1983 nur noch die vorher vorhandenen Straßen und Wege den Charakter einer öffentlichen Straße haben, wenn sie im Bestandsverzeichnis eingetragen oder förmlich gewidmet worden sind. Dabei ist es unerheblich, ob die Straße vor der unterlassenen Aufnahme in das Straßenbestandsverzeichnis als Gemeindestraße oder sonstige öffentliche Straße anzusehen oder ob es sich auch schon vorher nur um einen Weg gehandelt hat, der ausschließlich nach Privatrecht nutzbar war (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 08.03.1993, 12 L 291/90, OVGE 43, 402; VG Lüneburg, Urteil vom 08.09.1999, 5 A 20/98; Endrich , Niedersächsisches Straßengesetz, 4. Auflage, § 63 Rdn. 4).
Weil das Flurstück I. im Bestandsverzeichnis der Beklagten über die vorhandenen öffentlichen Straßen nicht aufgenommen worden ist und damit der durch die Anlage der Bestandsverzeichnisse herbeigeführte Zweck, im Interesse der Rechtsbereinigung und Rechtsklarheit eindeutige Rechtverhältnisse über den Bestand der öffentlichen Straßen im Gemeindegebiet zu erzielen, erreicht worden ist, ist das Flurstück I. nicht - ein "Privatweg" der Beklagten gewesen, der nunmehr in der privatrechtlichen Verfügungsgewalt des Beigeladenen steht. Ob und in wie weit die Klägerin ein Notwegerecht gem. § 917 BGB über das Flurstück I. zum Erreichen ihres Flurstücks G. beanspruchen kann, ist eine zivilrechtliche Frage, die in diesem Verfahren nicht zu klären ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung gem. § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO liegen nicht vor.