Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.01.2022, Az.: 6 W 199/21

Antrag auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins; Annahme einer Erbschaft; Unwirksamkeit einer Anfechtung wegen Irrtums

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.01.2022
Aktenzeichen
6 W 199/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 24473
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - AZ: 59 VI 4387/20

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, der Beteiligten zu 3 einen gemeinschaftlichen Erbschein gemäß notarieller Urkunde vom 30. September 2020 zu erteilen, der die Beteiligte zu 3 als Miterbin zu 3/4, die Beteiligte zu 1 als Miterbin zu 1/8 und die am 18. Februar 2021 nachverstorbene E. I. L. B. (ehemalige Beteiligte zu 4) als Miterbin zu 1/8 ausweist.

Beschwerdewert: 5.905,80 €.

Gründe

Die Beschwerde ist begründet.

I.

Der Beschwerdeeinwand, mit dem angefochtenen Beschluss hätte statt des zuständigen Richters die unzuständige Rechtspflegerin entschieden, ist unbegründet. Die Erteilung des beantragten gemeinschaftlichen Erbscheins ist nicht dem Richter vorbehalten, weil der Erblasser keine Verfügung von Todes wegen hinterlassen hat und nicht "die Anwendung ausländischen Rechts in Betracht kommt" (§ 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG).

II.

Es sind die Tatsachen für festgestellt zu erachten (§ 352 e Abs. 1 Satz 1 FamFG), die erforderlich sind, den von der Beteiligten zu 3 mit notarieller Urkunde vom 30. September 2020 beantragten gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen, der die Beteiligte zu 3 als Miterbin zu 3/4 und die Beteiligten zu 1 und 4 als Miterbinnen zu je 1/8 ausweist. 1. Das Vorbringen der Beteiligten zu 3 ist so auszulegen, dass sie hilfsweise die Erteilung dieses Erbscheins beantragt.

Zwar hat sie mit notarieller Urkunde vom 17. August 2021 (Bl. 55 -57 d. A.) unter Bezugnahme auf die notarielle Urkunde vom 30. September 2020 (Bl. 2 -4 d. A.) geltend gemacht, dass die Beteiligte zu 1 aufgrund Erbausschlagung, die sie verspätet angefochten habe, als Erbin ausgeschieden sei und an ihre Stelle ersatzweise ihr Sohn, der Beteiligte zu 2, getreten sei. Doch enthält diese notarielle Ergänzung keine ausdrückliche Rücknahme des ursprünglichen Erbscheinsantrags vom 30. September 2020 und ist daher -zur Vermeidung weiterer Gebühren -so auszulegen, dass die Beteiligte zu 3 für den Fall, dass die Beteiligte zu 1 nicht aufgrund Erbausschlagung als Erbin ausgeschieden ist, der ursprüngliche Erbscheinsantrag hilfsweise weiterverfolgt wird.

2. Der Erblasser, der keine Abkömmlinge und keine Verfügung von Todes wegen hinterlassen hat, ist im Wege gesetzlicher Erbfolge von der Beteiligten zu 3, seiner Ehefrau, mit der er im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt hat, zu 3/4 beerbt worden (§ 1931 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 BGB i. V. m. § 1931 Abs. 3, § 1371 Abs. 1 BGB), sowie zu je 1/8 von seiner Mutter, der am 18. Februar 2021 nachverstorbenen Beteiligten zu 4, und seiner Zwillingsschwester, der Beteiligten zu 1, weil der Erblasser keine weiteren Geschwister hatte und sein Vater vorverstorben ist (§ 1925 Abs. 1, 3 Satz 1 BGB).

Der Beteiligte zu 2 ist nicht gemäß § 1953 Abs. 2 BGB aufgrund Erbausschlagung an die Stelle seiner Mutter, der Beteiligten zu 1, getreten.

a) Der streitige Teil der Erbfolge richtet sich nach folgendem Sachverhalt: Am 19. September 2020 unterzeichnete die Beteiligte zu 1 eine an das Amtsgericht Hannover als Betreuungsgericht zu 661 XVII B 10055 gerichtete "Entlastungserklärung" (Bl. 67 d. A. und wohl Bl. 163 der Betreuungsakten) mit dem Inhalt, dass sie als "Miterbin" des Erblassers gegenüber der Beteiligten zu 3 als Betreuerin des Erblassers auf eine förmliche Schlussrechnung verzichte.

Am 15. Oktober 2020 ging beim Nachlassgericht die notariell beglaubigte Erklärung der Beteiligten zu 1 vom 29. September 2020 mit folgendem Wortlaut ein (Bl. 15 d. A.):

"... Am 19.09.2020 habe ich die Erbschaftsannahmeerklärung unterschrieben. Diese Erklärung habe ich nach fester Überzeugung unterschrieben, da ich davon ausgegangen bin, dass es sich hierbei nur um Hilfe für meine Schwägerin, A. B., handelt, die für sich den Erbschein beantragt wollte. Eigenes Erbrecht ist dabei nicht erörtert worden. Mir war nicht bekannt, dass ich als Erbin in Betracht komme.

Die Erbschaft nach meinem Bruder habe ich nicht annehmen wollen. Ich bin davon ausgegangen, dass das Nachlassgericht Hannover mich über mein Erbrecht informieren muss.

Ich (, die Beteiligte zu 1,) fechte daher die Erklärung über die Annahme der Erbschaft wegen Irrtums an und schlage die Erbschaft als gesetzliche Erbin aus allen Berufungsgründen aus."

Mit notarieller Urkunde vom 30. September 2020 hat die Beteiligte zu 3 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Miterbin zu 3/4 und die Beteiligten zu 1 und 4 als Miterben zu je ein 1/8 ausweist. Den Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Todes gab sie mit 70.869,60 € an.

Mit Schreiben vom 26. Oktober 2020, das am 28. Oktober 2020 beim Nachlassgericht eingegangen ist (Bl. 19 d. A.), erklärte die Beteiligte zu 1, seit sechs Jahren keinen Kontakt zu ihrem Sohn, dem Beteiligten zu 2, zu haben und sie die Erbschaft doch annehmen würde, wenn es geht.

Mit notariell beglaubigter Erklärung vom 18. November 2020, die am 30. November 2020 beim Nachlassgericht eingegangen ist (Bl. 25-27 d. A.), erklärte die Beteiligte zu 1 gegenüber dem Nachlassgericht:

"... (Der Erbausschlagung vom 29.09.2020) lag zugrunde, dass ich eine Entlastungserklärung in der Betreuungssache meines Bruders zugunsten seiner Betreuerin und Ehefrau, A. B., unterschrieben habe. In der Entlastungserklärung, die ich unterschrieben habe, war die Zeile "das Nachlassvermögen weist einen Bestand von ... € aus" nicht ausgefüllt. Ich habe meine Schwägerin gefragt, ob es bei meinem Bruder Schulden im Nachlass gebe. Die Frage hat meine Schwägerin nicht direkt beantwortet, aber die Weise, in der sie die Antwort gab, hat mir gegenüber zu erkennen gegeben, dass der Nachlass wohl überschuldet sei.

Das hat mich dazu gebracht, die Erbschaft auszuschlagen.

Am 07.10.2020 habe ich die von mir unterzeichnete Entlastungserklärung gesehen und war mehr als erstaunt, dass dort nun stand, dass das Nachlassvermögen einen Bestand von 70.869,60 € ausweist.

Durch die Unterschrift unter der Blanko-Erklärung, hinsichtlich des Nachlassvermögens und die Art der Beantwortung der Frage nach Schulden, fühle ich mich durch meine Schwägerin, A. B., getäuscht.

Wenn dort gestanden hätte, dass ein Vermögen von ca. 70.000,00 € vorhanden war, dann hätte ich die Erbschaft nicht ausgeschlagen.

Ich fechte daher meine Erklärung vom 29.09.2020, mit der ich die Erbschaft ausgeschlagen habe, wegen arglistiger Täuschung und Irrtums an.

Von der Notarin bin ich darauf hingewiesen worden, dass dies wohl ein Zick-Zack-Kurs sei.

Wenn ich den wirklichen Wert des Nachlasses gekannt und gewusst hätte, dass ich gesetzliche Miterbin bin, dann hätte ich niemals die Erbschaft ausgeschlagen."

b) Die Beteiligte zu 1 hat die ihr mit dem Tod des Erblassers am 28. Juni 2020 angefallene Erbschaft durch Fristablauf angenommen (§ 1943 BGB), weil sie nicht innerhalb der sechswöchigen Ausschlagungsfrist (§ 1944 Abs. 1 BGB) gegenüber dem Nachlassgericht die Ausschlagung der Erbschaft erklärt hat (§ 1945 Abs. 1 BGB). Die Ausschlagungsfrist beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt (§ 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB). Bei gesetzlicher Erbfolge ist Kenntnis des Berufungsgrundes anzunehmen, wenn dem gesetzlichen Erben, die seine Erbberechtigung begründeten Familienverhältnisse bekannt sind und er nach den Gesamtumständen keine begründete Vermutung haben kann oder hat, dass eine ihn ausschließende letztwillige Verfügung vorhanden ist (Grüneberg/Weidlich, BGB, 81. Aufl. 2022 § 1944, Rn. 4 m. w. N.).

Diese Ausschlagungsfrist war bereits vor dem 19. September 2020 abgelaufen, weil die Beteiligte zu 1 unmittelbar nach dem Tod des Erblassers vom Eintritt des Erbfalls Kenntnis erlangt hat, ihr die Familienverhältnisse bekannt waren und keine Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen hinterlassen hat.

c) Aber selbst wenn die sechswöchige Ausschlagungsfrist am 19. September 2020 noch nicht abgelaufen war, hat die Beteiligte zu 1 die Erbschaft durch ihre Entlastungserklärung vom 19. September 2020 (Bl. 67 d. A.) wirksam angenommen. Die Erbschaftsannahme ist eine gestaltende Willenserklärung, die ausdrücklich oder konkludent erfolgen kann, nicht an eine bestimmte Form gebunden und nicht empfangsbedürftig ist (Grüneberg/Weidlich, a. a. O., § 1943, Rn. 1). Mit der Entlastungserklärung vom 19. September 2020 hat die Beteiligte zu 1 sowohl gegenüber der Beteiligten zu 3 als Miterbin als auch gegenüber dem Betreuungsgericht zum Ausdruck gebracht, die Erbschaft nach ihrem Bruder annehmen zu wollen. Um ihrer Schwägerin durch die "Entlastung" zu helfen, hat sie ausdrücklich als "Miterbin" ihres Bruders erklärt, auf eine förmliche Schlussrechnung der Beteiligten zu 3 als Betreuerin des Erblassers zu verzichten.

Diese Erklärung ist wirksam geworden, weil die Beteiligte zu 1 sie gegenüber der Beteiligten zu 3 abgegeben hat, die diese Erklärung an das Betreuungsgericht weitergeleitet hat.

d) Diese Erbschaftsannahme ist nicht "als von Anfang an nichtig anzusehen" (§ 142 Abs. 1 BGB), weil sie von der Beteiligten zu 1 nicht wirksam wegen Irrtums angefochten worden ist.

(1) Eine Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Versäumung der Ausschlagungsfrist (vgl. § 1956 BGB) ist nicht erfolgt.

(2) Hinsichtlich der Entlastungserklärung enthält die Anfechtungserklärung der Beteiligten zu 1 vom 29. September 2020 (Bl. 15 d. A.) keinen erheblichen Anfechtungsgrund. Zwar unterliegt die Erbschaftsannahme der Anfechtung, wenn ein Anfechtungsgrund nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 119, 120 oder 123 BGB vorliegt (Grüneberg/Weidlich, a. a. O., § 1954 Rn. 1). Doch ist ein solcher nicht geltend gemacht worden.

(a) Die Erklärung der Beteiligten zu 1, ihr sei nicht bekannt gewesen, dass sie als Erbin in Betracht komme, ist unzutreffend, weil die Entlastungserklärung von ihr ausdrücklich als Miterbin ihres Bruders abgegeben worden ist.

(b) Auf eine Überschuldung des Nachlasses, die einen erheblichen Eigenschaftsirrtum darstellen könnte, hat die Beteiligte zu 1 die Erklärung vom 29. September 2020 nicht gestützt. Eine solche lag auch nicht vor.

e) Die Erklärung der Beteiligten zu 1 vom 18. November 2020 zur Anfechtung der Erbausschlagung ist für die Erbfolge ohne Bedeutung. Mangels wirksamer Erbausschlagung kam eine solche Anfechtung nicht in Betracht.

III.

Eine Kostenentscheidung war entbehrlich.

Für das erfolgreiche Beschwerdeverfahren sind keine Gerichtskosten angefallen.

Eine Kostenerstattung im Beschwerdeverfahren war nicht anzuordnen, weil sie weder billigem Ermessen (§ 81 Abs. 1 FamFG) entspricht noch Tatsachen vorgetragen oder ersichtlich sind, die eine Kostenentscheidung nach § 81 Abs. 2 FamFG rechtfertigen. Die Entscheidung hing von einer schwierigen Auslegung der Erklärungen der Beteiligten zu 1 vom 19. und 29. September 2020 ab. Der Beschwerdewert wurde gemäß § 36 Abs. 1, § 61 Abs. 1 Satz 1 GNotKG auf 5.905,80€festgesetzt (= 2/3 von 8.858,70€ [= 1/8 von 70.869,60€]). Das Interesse der Beteiligten zu 1 war darauf gerichtet am Nachlass, dessen Wert die Beteiligte zu 3 mit 70.869,60 € angegeben hat, als Miterbin zu 1/8 beteiligt zu werden. Ein weiteres Drittel war wegen der eingeschränkten Funktion des Erbscheins (nur Legitimationswirkung) abzuziehen.