Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 31.01.2005, Az.: 6 A 353/04
Förderschule; Schulfähigkeit; sonderpädagogischer Förderbedarf
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 31.01.2005
- Aktenzeichen
- 6 A 353/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50604
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 3 Abs 3 GG
- § 14 SchulG ND
- § 68 SchulG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Auch bei der Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs kann eine fehlende (Förder-)Schulfähigkeit relevant werden.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können eine vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Die Kläger wenden sich gegen die Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs bei ihrem Sohn B. und dessen Überweisung an eine Förderschule mit Schwerpunkt geistige Entwicklung.
Der am 20.06.1998 geborene Sohn B. der Kläger litt an einer Venenmissbildung, die zu einer Hirnblutung führte, die im September 1998 operativ behandelt wurde. Seither leidet B. an einer teilweisen, gesichts- und armbetonten Lähmung seiner rechten Körperhälfte (spastische Hemiparese) bei insoweit deutlich herabgesetztem Spannungszustand der Muskulatur. Neben den dadurch hervorgerufenen Beeinträchtigungen seiner grob- und feinmotorischen sowie seiner koordinativen Fähigkeiten fiel frühzeitig auch eine allgemeine Entwicklungsverzögerung mit Störung der Visuomotorik und Sprachentwicklungsstörung auf, derentwegen er unter anderem auch im Sozialpädiatrischen Zentrum in Hannover vorgestellt wurde.
In der Zeit vom August 2001 bis Juli 2004 besuchte B. den Kindergarten Hohenhameln, wo ihm im Wege der Einzelintegration zusätzlich zweimal wöchentlich Krankengymnastik, einmal wöchentlich Ergotherapie sowie eine heilpädagogische Förderung von täglich zwei Stunden gewährt wurden. Daneben wurde er auch außerhalb des Kindergartens behandelt.
Im Zuge seiner Einschulung beantragten die Kläger für B. das Verfahren zur Feststellung pädagogischen Förderbedarfs einzuleiten. Die Sonderschullehrerin C. kam in ihrem daraufhin erstellten Beratungsgutachten vom 15.04.2004, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, zu dem Ergebnis, dass bei B. umfassende Defizite in den entwicklungsorientierten Bereichen Sprache, visueller und auditiver Wahrnehmung vorlägen. Er verarbeite derzeit seine Sinneseindrücke im Gehirn unstrukturiert, größtenteils ohne basale Anbindungen. Elementare Grundlagen zum Schreiben, Lesen und der Mathematik seien noch nicht angebahnt. Eine Stabilisierung im sozial-emotionalen Bereich sei weiterhin erforderlich. Selbständigkeit und lebenspraktische Dinge müssten nachhaltig gefördert werden. Er entspreche derzeit nicht den Anforderungen, die an ein Vorschulkind gestellt würden. Neben einer Fortführung der therapeutischen Maßnahmen wie Ergotherapie, Sprachtherapie und Krankengymnastik benötige er eine individuelle Betreuung und spielerische Handlungsfelder in einer Kleingruppe.
Die daraufhin auf Antrag der Kläger eingerichtete Förderkommission kam in ihrer Sitzung am 04.05.2004 zu der Empfehlung, B. solle vom Schulbesuch zurückgestellt und dem heilpädagogischen Kindergarten in Peine zugewiesen werden, hilfsweise solle er im Schulkindergarten der verlässlichen Grundschule in Hohenhameln beschult werden, sofern eine ständige individuelle Hilfe zum Besuch der Schule gestellt werde.
Mit Bescheid vom 11.06.2004 hat die Bezirksregierung Braunschweig festgestellt, dass bei B. sonderpädagogischer Förderbedarf vorliegt und ihn der für seinen Wohnsitz zuständigen Förderschule mit Schwerpunkt geistige Entwicklung in Ilsede zugewiesen.
Mit Schreiben vom 27.06.2004 legten die Kläger dagegen Widerspruch ein. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus:
Ihr Sohn sei vom Schulbesuch zurückzustellen, weil er - wie auch im Beratungsgutachten erwähnt - die Voraussetzungen für eine Schulfähigkeit noch nicht erreicht habe. Andererseits stehe fest, dass er nicht an einer geistigen Behinderung leide. Deshalb solle die notwendige Entwicklungszeit, ggf. auch die Nachreifung seines dichotischen Hörvermögens abgewartet werden. In Zusammenarbeit mit dem Sozialamt, das im Wege der Eingliederungshilfe die notwendige individuelle Unterstützung ihres Sohnes ermöglichen müsse, werde der Besuch des Schulkindergartens in Verbindung mit den weiterhin verordneten medizinischen Therapien die angemessene Vorbereitung für ihren Sohn leisten können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2004, den Klägern zugestellt am 24.07.2004, wies die Bezirksregierung Braunschweig den Widerspruch zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid verwiesen.
Seit dem Beginn des Schuljahres 2004/2005 besucht B. die Grundschule in Hohenhameln. Zur Ermöglichung des Schulbesuchs hat der Landkreis Peine die Kosten für eine Eingliederungshelferin übernommen, da B. nach unbestrittenen amtsärztlichen Feststellungen Hilfen u.a. beim Toilettengang, beim Kleiderwechseln, beim Ein- und Auspacken von Arbeitsmaterialien sowie zur Erleichterung seiner Orientierung in der Schule, beim Treppensteigen sowie auf dem Pausenhof benötigt. Über ihre Erfahrungen mit B. haben sowohl seine Klassenlehrerin als auch seine Eingliederungshelferin jeweils einen schriftlichen Bericht angefertigt, auf die ebenfalls Bezug genommen wird (Bericht der Klassenlehrerin über die Zeit bis zum 08.10.2004, Beiakte B; Bericht der Eingliederungshelferin vom 24.11.2004, Bl. 69 - 73).
Mit der am 16.08.2004 erhobenen Klage verfolgen die Kläger, die trotz einer nicht unmissverständlichen, hier aber nur als Hinweis auf den betroffenen Schüler aufzufassenden Formulierung („als gesetzliche Vertreter des minderjährigen B....“) aus eigenem (Eltern-)Recht handeln, ihr Begehren weiter. Zu deren Begründung machen sie im Wesentlichen geltend:
Ihrer Ansicht nach habe die Beklagte nicht hinreichend dargelegt, aus welchen Gründen die Förderschule für geistige Entwicklung der geeignete Schultyp für ihren Sohn sei. Die bislang gegebenen, teilweise nicht nachvollziehbaren oder widersprüchlichen Begründungen würden den einschlägigen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht genügen. Der Schwerpunkt des festgestellten Förderbedarfs sei auf die unstreitig vorhandene körperliche Behinderung ihres Sohnes zurückzuführen, der mit der außerschulischen medizinischen Behandlung sowie schulischen Begleitmaßnahmen begegnet werden könne. Eine darüber hinausgehende geistige Behinderung liege nicht vor. Außerdem habe die Beklagte nicht dargelegt, warum ihrem Wunsch nach integrativer Beschulung nach § 4 NSchG nicht entsprochen worden sei. Die notwendige Förderung sei auch an der Grundschule, die ihr Sohn derzeit besuche, zu organisieren. Dort werde unstreitig drei bis vier Stunden wöchentlich mit einer zweiten Lehrkraft unterrichtet. Außerdem werde ihr Sohn zumindest einmal wöchentlich durch eine weitere Lehrkraft der Grundschule individuell gefördert. Richtigerweise hätte B. vom Schulbesuch zurückgestellt werden müssen zu Gunsten seiner Förderung in einem Schulkindergarten. Schon nach den Ausführungen im Beratungsgutachten sei jedenfalls nicht auszuschließen, dass ihr Sohn in dem kommenden Jahr weitere erhebliche Fortschritte machen werde, sodass er im nächsten Schuljahr mit Erfolg am Unterricht der Grundschule teilnehmen werden könne. Die nunmehr festgestellten Einschränkungen seines Hörvermögens könnten bis dahin ausgeglichen sein. Eine Zurückstellung vom Schulbesuch werde auch vom Sozialpädiatrischen Zentrum Hannover empfohlen (Bescheinigung vom 22.10.2003). Ihr mehrfach bei der Schulleitung der Grundschule in Hohenhameln gestellter Antrag auf Zurückstellung sei bislang nicht beschieden worden.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 11.06.2004 i.d.F. ihres Widerspruchsbescheides vom 22.07.2004 aufzuheben.
hilfsweise, unter Aufhebung der vorgenannten Bescheide die Beklagte zu verpflichten, ihren Sohn B. vom Schulbesuch zurückzustellen und für ihn ggf. den Besuch des Schulkindergartens anzuordnen.
Die Beklagte, Rechtsnachfolgerin der Bezirksregierung Braunschweig in Schulangelegenheiten, beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht im Wesentlichen geltend:
Der umfängliche Förderbedarf für B. sei weder an einer Grundschule noch in einer Schule für Lernhilfe zu erfüllen. Zwar leide B. nicht an einer geistigen Behinderung im engeren Sinne. Darauf komme es für die Beschulung in einer Schule für geistige Entwicklung aber auch nicht an. Neben den unstreitig bestehenden Lernschwächen würden auch Verhaltensauffälligkeiten auftreten, die gegenwärtig durch die eingesetzte Stützkraft ausgeglichen werden sollten. Die auf die individuellen Bedürfnisse des jeweiligen Kindes passende optimale Förderung könne im Falle von B. nur an der Schule erfolgen, zu der er zugewiesen sei, weil dort Selbständigkeit und lebenspraktische Dinge gefördert würden. B. benötige individuelle Förderung in Gruppen, die nur in einer Förderschule der genannten Art gewährleistet werden könne, nicht hingegen an einer Schule für Lernhilfe. Dass der Förderbedarf weiterhin bestehe, ergebe sich auch aus dem Bericht der Klassenlehrerin. Die eingesetzte Integrationshelferin könne die erforderliche sonderpädagogische Förderung nicht ersetzen. Selbst eine Integrationsklasse, die dem Kind einer weitere Wochenstunde böte, könnte seinen hohen Förderbedarf nicht abdecken. Der gestellte Hilfsantrag sei unzulässig, weil zu dessen Entscheidung die Schule zuständig sei. Er sei im Übrigen auch unbegründet, weil B. durchaus schulfähig sei. Allerdings bestehe die Schulfähigkeit nur mit Blick auf seine Beschulung in der Förderschule mit Schwerpunkt geistige Entwicklung. Das vorliegende Beratungsgutachten, die Berichte der Klassenlehrerin sowie des Schulleiters und auch der Bericht der eingesetzten Integrationshelferin würden nur belegen, dass B. basale oder elementare Kompetenzen nur in dem lebenspraktisch bedeutsamen Bereich besitze, der ihm handlungsorientiert-sensomotorische, praeliteral-gegenständliche und zielgerichtet konkrete Welterschließung ermögliche. B. gelinge es zwar, sich in seiner Klasse zurecht zu finden, das Erkennen und Ansprechen von Personen, das angeleitete zielgerichtete Umsetzen von gegliederten Arbeitsanweisungen und erstes Bemühen um die Übertragung reeller Begegnungen auf bildliche Darstellungen und umgekehrt zu leisten. Seine nachfolgende Lern- und Persönlichkeitsentwicklung müsse jedoch weiterhin darauf abzielen, die erste Abstrahierungsstufe zu erreichen, die als Symbolstufe mit den Tätigkeitsmerkmalen „Tu als ob !“ bezeichnet werden könne und bei der Vorstellungen für Gegenstände aus dem täglichen Lebens-, Erfahrungs- und Sprachbereich entwickelt würden. Dieser hohe und umfassende elementare Förderbedarf gehöre zum Bildungsauftrag für den Eingangsbereich Förderschule mit dem Schwerpunkt „geistige Entwicklung“. Im Vergleich seiner Entwicklungsmerkmale mit denjenigen „normaler“ Kinder, die eine Grundschule besuchten, sei er auf dem Stand von etwa 2 bis 2,6 Jahre alten Kindern. Die danach nötige elementare Förderung könne eine Grundschule weder aus der Sicht von Schulkindergartenarbeit noch aus Sicht von alternativen Schuleingangsphasen leisten. Hier seien spezielle motorische, sensorische, sprachliche und kognitive Modellierungshilfen durch Sonderpädagogen erforderlich. Additive, nicht in einem komplexen Bildungszusammenhang stehende Therapien können die von B. benötigten umfänglich vernetzten Entwicklungsanregungen und -anreize nicht ersetzen. Sie könnten ihm auch bei einer integrativen Beschulung nicht geboten werden, da insofern nur vier Sonderschullehrerstunden pro Woche zur Verfügung stünden. Die Notwendigkeit, eine Förderschule zu besuchen, ergebe sich auch bei einer Gesamtbetrachtung zur Einschätzung der mit einer integrativen Beschulung von B. einhergehenden Belastungen. Er erlebe schon jetzt deutliche Frustrationen und erkläre sich als „zu blöd“ für die Aufgaben. Eine gemeinsame Entwicklung mit Kindern, die vergleichbare Förderbedürfnisse hätten, sei ihm zur Zeit verwehrt. Er spüre aber den ständigen Begleit- und Erwartungsdruck von Integrationshelferin und Eltern. Auch die Mitschüler könnten sich kaum konstruktiv auf die Kommunikationsformen von B. einstellen. Sie seien überfordert und überforderten B.. Beziehungen seien nicht ausbalanciert und es bestünde die Gefahr des Entstehens einseitiger Helfer-, Distanzierungs- und Blockadeverhaltensweisen. Wie bereits von der Klassenlehrerin deutlich beschrieben, sei das Lehrpersonal mit dem individuellen Förderbedarf von B. bei Weitem überfordert, die wenigen Sonderschullehrerstunden würden nicht ausreichen, die erforderliche professionelle Hilfe für B. zu organisieren.
Durch Beschluss der Kammer vom 25.11.2004 ist der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden.
Am 21.12.2004 hat das Gericht einen Erörterungstermin durchgeführt und den Leiter der Grundschule, Herrn D., die Klassenlehrerin, Frau E., die Sonderschullehrerin C. sowie den Regierungsschuldirektor F. von der Beklagten angehört und informatorisch befragt. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, hierzu auch schriftlich Stellung zu nehmen, was die Beklagte durch ihr Schreiben vom 28.12.2004 und die Kläger durch ihre am 25.01.2005 eingereichte Stellungnahme genutzt haben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte einschließlich des als Beiakte B geführten Berichts der Klassenlehrerin sowie auf den vorgelegten Verwaltungsvorgang (VV) der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die das Gericht mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist mit ihrem Hauptantrag zulässig, aber nicht begründet (1.). Sie kann auch mit dem Hilfsantrag keinen Erfolg haben (2.). Die angegriffenen Bescheide der Bezirksregierung Braunschweig sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten.
1. Die Bezirksregierung Braunschweig hat ohne beachtlichen Verfahrensfehler (1.1.) bei B. zu Recht sonderpädagogischen Förderbedarf festgestellt (1.2.), der ihm wegen der dafür erforderlichen organisatorischen, personellen und sächlichen Mittel nur an der hierfür geeigneten Förderschule für geistige Entwicklung erteilt werden kann (1.3.).
1.1. Die von der Beklagten getroffenen Entscheidungen im Bescheid vom 11.06.2004 beruhen auf der Ermächtigung der §§ 68 Abs. 1 und 2, 14 Abs. 2 Satz 1 und 60 Abs. 1 Nr. 4 und 5 des Niedersächsischen Schulgesetzes - NSchG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 03.03.1998 (Nds. GVBl. 1998, 137), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 29.04.2004 (Nds. GVBl., S. 140). Nach § 68 Abs. 1 NSchG sind Schüler und Schülerinnen, die wegen Beeinträchtigungen in den von § 14 Abs. 1 Satz 2 NSchG genannten Bereichen (Lernen, emotionale und soziale Entwicklung, Sprache, geistige Entwicklung, motorische und körperliche Entwicklung, Sehen und Hören) einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen und diese Förderung nicht an einer Schule einer anderen Schulform erfahren können, für die Dauer ihrer Beeinträchtigung zum Besuch der für sie geeigneten Förderschule verpflichtet. Nach § 68 Abs. 2 Satz 1 NSchG entscheidet die Schulbehörde, ob diese Verpflichtung besteht.
Das Verfahren zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs sowie zur Bestimmung der geeigneten Förderschule ist - wie auch die Kläger nicht in Abrede stellen - formell ordnungsgemäß, insbesondere unter Einhaltung der dafür geltenden Vorschriften durchgeführt worden, die in der Verordnung zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs vom 01.11.1997 (Nds. GVBl 1997, 458), zuletzt geändert durch Gesetz vom 05.06.1997 (Nds. GVBl. S.244) - FeststellungsVO - geregelt sind. Diese Verordnung bestimmt, dass die Schulbehörde (vormals die Bezirksregierung, nunmehr die Beklagte als deren Rechtsnachfolgerin in Schulsachen) über eine sonderpädagogische Förderung unter Berücksichtigung eines Berichts der Schule, des Beratungsgutachtens der für eine Förderung in Betracht zu ziehenden Sonderschule (regelmäßig der örtlich zuständigen Sonderschule für Lernhilfe) und der Empfehlungen einer Förderungskommission, soweit sie auf Antrag der Erziehungsberechtigten zu bilden ist, entscheidet. Dabei sind die Erziehungsberechtigten in allen Schritten des Verfahrens zu beteiligen. Diesen Vorgaben hat die Beklagte genügt.
Auch im Übrigen begegnen die angegriffenen Bescheide durchgreifenden formellen Bedenken nicht. Zwar enthält der angegriffene Ausgangsbescheid der Beklagten vom 11.06.2004 eine hinreichende Begründung nicht. Es ist der Beklagten indessen durch ihren Widerspruchsbescheid und ihre Äußerungen im Laufe des Verwaltungsrechtsstreits in nach §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) i.V.m. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG zulässiger Weise gelungen, wesentliche Begründungselemente, die ihre Entscheidung tragen, überzeugend vorzubringen, die - wie im Einzelnen im Zusammenhang mit den materiell-rechtlichen Vorgaben noch auszuführen sein wird - den gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Erfordernissen ihrer Entscheidung genügen.
1.2. Die Beklagte hat zutreffend angenommen, dass B. einen erheblichen (umfänglichen) sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich der geistigen Entwicklung hat (1.2.1.), dem nicht (lediglich) mit einer Zurückstellung vom Schulbesuch zu begegnen ist (1.2.2.). Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts auf Grund der überzeugenden Darstellung im Beratungsgutachten sowie der ergänzenden fachlichen Erwägungen der Beklagten, die letztlich auch durch die Berichte über den Schulbesuch von B. bestätigt worden sind.
1.2.1. Ein sonderpädagogischer Förderbedarf ist nach § 1 der FeststellungsVO u.a. festzustellen, wenn eine körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigung oder eine Beeinträchtigung des sozialen Verhaltens bei der Schulanmeldung bekannt ist oder vermutet wird und das Erreichen der Bildungsziele der betreffenden allgemeinbildenden Schule nicht oder nur durch sonderpädagogische Förderung möglich erscheint. Dies ist hier der Fall.
Die Sonderschullehrerin C. hat in ihrem auf Grund ihrer einschlägigen fachlichen Qualifikation erstellten und von den Klägern substanziell nicht in Frage gestellten Beratungsgutachten vom 15.04.2004 (Bl. 29 - 48 VV) überzeugend ausgeführt, dass B. „umfassende Defizite in den entwicklungsorientierten Bereichen Sprache, visuelle und auditive Wahrnehmung und Motorik“ hat, die verbunden mit dem erforderlichen „Ausbau des sozial-emotionalen Bereichs“ in einer „Kleingruppe“ gefördert werden müssen. Frau G. hat nachvollziehbar dargelegt, dass sie diese Feststellungen unter Berücksichtigung des bei der Einschulung durchgeführten Spracheignungstests (Bl. 11 - 21 VV), des unter dem 01.03.2004 von Frau H., der Gruppenleiterin und heilpädagogischen Fachkraft, erstellten Berichtes des Kindergartens (Bl. 39 VV), der Gespräche mit der Klägerin, dem Leiter der Grundschule, Herrn D., und der Leiterin der Astrid-Lindgren-Schule in Ilsede sowie auf Grund eigener Erhebungen auch anhand fachwissenschaftlich anerkannter Testverfahren getroffen hat. Frau C. hat die elementaren Lernvoraussetzungen von B. in dem gebotenen Umfang untersucht und dabei hinlänglich dokumentierte und differenzierte Feststellungen zu verschiedenen elementaren Lernvoraussetzungen getroffen. In visueller Hinsicht ist B. danach in der Lage, im dreidimensionalen Raum räumliche Beziehungen (neben, unter auf) zu erkennen und zu benennen. Einer „umfänglichen Förderung“ benötigt er aber - wie anhand eines Steckbrett-Puzzels bzw. beim Memory-Spiel festgestellt - in den Bereichen der Visuomotorik, der Figur-Grund-Wahrnehmung, der Wahrnehmungskonstanz, der sonstigen räumlichen Beziehungen („rechts, links, zwischen“) sowie beim Ausbau eines visuellen Gedächtnisses. Auch im Bereich der auditiven Wahrnehmung hat Frau C. überzeugend das Erfordernis einer umfassenden Förderung bejaht. B. kann nach den im Beratungsgutachten festgehaltenen Feststellungen zwar einfache Einzelgeräusche identifizieren, benennen und im Raum lokalisieren, er ist aber infolge seiner umfänglichen Sprachentwicklungsverzögerung (bei stark eingeschränktem aktivem wie passivem Wortschatz) nicht in der Lage, einfache, kurze Wörter nachzusprechen oder zwischen „kurzen“ und „langen“ Wörtern zu unterscheiden, ähnlich klingende Laute zu unterscheiden (Diskrimination). Damit einher geht eine geringe Konzentrationsspanne sowie eine Einschränkung der auditiven Merkfähigkeit, die sich auch beim Verstehen und Umsetzen von Arbeitsanweisungen auswirkt. Der motorische Entwicklungsstand von B. weist bei ansonsten altersangemessener Entwicklung Defizite in den Bereichen Gleichgewicht, der Koordination sowie bei Überkreuzbewegungen auf, feinmotorische Aufgaben hat B. dabei nur verkrampft und ungeübt erledigt. Dementsprechend hat die Durchführung des Mannheimer Schuleingangs-Diagnostikum ergeben, dass B. zwar über ein im Übrigen normal ausgebildetes Gedächtnis (unwillkürliche kurzfristige Speicherungsfähigkeit bei gegenständlichem Material) verfügt, seine grob-psychomotorische Koordinationsfähigkeit aber ebenso wie sein Konzentrationsvermögen, seine kognitiven Denkleistungen und seine Gliederungsfähigkeit nur unterdurchschnittlich entwickelt sind. Die Sonderschullehrerin hat ferner überzeugend festgestellt und im Beratungsgutachten ausgeführt, dass die Lernausgangslage beim Schriftsprachenerwerb und auch zur Zahlenbegriffsbildung nicht dem eines Vorschulkindes entsprechen. Er benötigt ferner eine Förderung seines noch nicht altersangemessen entwickelten Arbeitsverhaltens sowie im sozial-emotionalen Bereich, die es ihm ermöglicht, seine Wünsche artikulieren zu lernen und selbständiger zu werden. Dementsprechend spricht sich die Sonderschullehrerin C. im Beratungsgutachten nicht nur für eine Beibehaltung der (außerschulischen) ergo- und sprachtherapeutischen Maßnahmen, sondern darüber hinaus auch für eine Förderung von B. in einer Kleingruppe aus, wo den umfassenden Defiziten in den entwicklungsorientierten Bereichen Sprache, visueller und auditiver Wahrnehmung sowie Motorik mit ganzheitlichen, handlungsorientierten oder isolierten förderpädagogischen Methoden begegnet werden und die notwendige Anbahnung bzw. der Ausbau des sozial-emotionalen Bereichs bewirkt werden sollte.
Die Richtigkeit dieser fachlichen Feststellungen und Bewertungen, die die Beklagte ihren Entscheidungen im Ergebnis zu Recht zu Grunde gelegt hat, wird durch die im Bericht der Klassenlehrerin festgehaltenen Erfahrungen mit B. in der Grundschule sowie schließlich auch durch den Leiter der Grundschule bestätigt. Danach ist insbesondere beim Lernen auch nach sieben Schulwochen kein spürbarer Fortschritt erkennbar gewesen und haben die sozialen Probleme zwischen B. und seinen Mitschülern zugenommen, seitdem der sich selbst offenbar überfordert erlebende B. zunehmend aggressiver reagiert. Die Klassenlehrerin hat im Erörterungstermin bestätigt, dass B. diese Tendenz auch nach den Herbstferien gezeigt und sich selbst als zu „blöd“ bezeichnet hat.
Soweit die Kläger demgegenüber auf die von ihnen eingereichten Unterlagen verweisen, sind diese nicht geeignet, die Richtigkeit der fachlichen Feststellungen der Beklagten in Frage zu stellen und das Gericht zu überzeugen, dass das von den Klägern schließlich angeregte Sachverständigengutachten eine andere Beurteilung zumindest nahe legen könnte; demgemäß sieht das Gericht auch keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen. Die Empfehlung des Landesbildungszentrums für Hörgeschädigte vom 05.05.2004 (Bl. 43 ff GA), in der angeraten wird, eine „eventuelle Nachreifung“ des dichotischen Hörvermögens von B. abzuwarten, enthält ebenso wie die Äußerung der staatlich anerkannten Sprachtherapeutin vom 17.09.2004 (Bl. 38 GA) nichts, was nachvollziehbar gegen die Notwendigkeit sonderpädagogischer Förderung spräche. Soweit der Arzt für Kinderheilkunde I. im Sozialpädiatrischen Zentrum Hannover unter dem 22.10.2003 (Bl. 47 f GA) eine Einschulung für nicht möglich hält und den Besuch eines Schulkindergartens empfiehlt, hat er - wie nicht zuletzt seine Erwähnung der von den Eltern gewünschten integrativen Beschulung zeigt - sich nicht mit der Frage des Besuchs einer Förderschule auseinandergesetzt. Der von Frau J. unter dem 09.11.2004 erstellte Bericht zeigt (weitergehender noch als ihr Bericht vom 19.09.2004) einmal mehr auf, dass B. auf umfangreiche Hilfeleistungen angewiesen ist, die über den rein pflegerischen Bereich hinausgehen. In diesem Bericht führt Frau J. unter Hinweis auf ihr abgeschlossenes Lehramtsstudium für Grund- und Hauptschulen ausdrücklich aus, dass sich ihre Tätigkeit als Eingliederungshelferin für B. nicht in rein pflegerischen Aktivitäten erschöpft, sondern darüber hinaus vielfältige Hilfestellungen umfasst, die B. auch aus ihrer Sicht benötigt.
1.2.2. Entgegen der Auffassung der Kläger sind die Defizite von B., der nach § 64 Abs. 1 NSchG am 30.06.2004 schulpflichtig geworden ist, nicht lediglich Ausdruck einer noch nicht gegebenen Schulreife.
Allerdings wäre eine fehlende Schulreife auch im Verfahren zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs zu berücksichtigen. Die Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs, die notwendig im unmittelbaren Zusammenhang mit der Verpflichtung zum Besuch einer bestimmten Schule steht, ist bei fehlender Schulreife nicht erforderlich, dem Kind zur Verwirklichung seines Bildungsanspruchs (§ 54 Abs. 1 NSchG) zu verhelfen. Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 Nds. Schulgesetz (NSchG) kann eine Zurückstellung schulpflichtiger Kinder vom Schulbesuch für die Dauer eines Jahres jedoch nur erfolgen, wenn das Kind körperlich, geistig oder in seinem sozialen Verhalten nicht genügend entwickelt ist, um mit der Aussicht auf Erfolg am Unterricht der Grundschule oder einer Förderschule teilzunehmen. Aus dem Zweck der Regelung ergibt sich insbesondere, dass die Zurückstellung nur ausgesprochen werden darf, wenn sie angesichts der Art oder des Ausmaßes des festgestellten Entwicklungsrückstandes geeignet ist, die noch nicht vorhandene Schulfähigkeit herzustellen (sog. Eignungs- oder "Nachreife"-Prognose; vgl. VG Braunschweig, Beschl. vom 08.08.2002 - 6 B 528/02; Urt. vom 15.05.2003 - 6 A 11/03, jew. m. w. Nw.). Dies aber hängt auch von der Frage ab, von welcher Art der festgestellte Entwicklungsrückstand ist bzw. in welchem Ausmaß er vorliegt. Während die Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs eine Beeinträchtigung voraussetzt, die spezifische Hilfen für voraussichtlich längere Zeit beansprucht, kommt eine Zurückstellung vom Schulbesuch nach § 64 Abs. 2 NSchG nur dann in Betracht, wenn mit einer Nachreifung binnen eines Jahres gerechnet werden kann. So könnte sich mit Blick auf den Besuch einer Grundschule die Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs als nicht erforderlich erweisen, wenn infolge einer Nachreifung auf Grund im Allgemeinen zu erwartender „normaler“ Entwicklungsfortschritte und sei es im Zuge außerschulisch erteilter therapeutischer Fördermaßnahmen sowie eines Besuchs eines Schulkindergartens damit gerechnet werden kann, dass das Kind nach Ablauf des Zurückstellungsjahres mit Aussicht auf Erfolg am Unterricht der Grundschule teilnehmen könnte. Eine Zurückstellung kann aber auch dann in Betracht kommen, wenn eine längerfristige Beeinträchtigung besteht, die den Besuch einer Förderschule gebietet. Auch wenn ein sonderpädagogischer Förderbedarf besteht, können (vorübergehend) Umstände im Sinne des § 64 Abs. 2 NSchG vorliegen, die einer Beschulung des Kindes selbst an einer Förderschule entgegenstehen; eine Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs ginge in diesem Fall ins Leere, sie wäre weder erforderlich noch geeignet, dem Kind zu helfen. Unstreitig ist jedoch auch, dass eine Zurückstellung vom Schulbesuch nicht allein mit sonderpädagogischem Förderbedarf begründet werden kann, sondern dass insoweit weitere (vorübergehende) Umstände hinzukommen müssen (so zu Recht Nr. 5.1. des Erlasses des MK „Ergänzende Bestimmungen zur Schulpflicht und zum Rechtsverhältnis zur Schule“ vom 29.08.1995, Nds. MBl. S.1142, zuletzt geändert durch den Erlass vom 26.06.2003, SVBl. S.227; VG Braunschweig, Beschl. vom 08.09.1998 - 6 B 6233/98; Brockmann in: Seyderhelm/ Nagel/ Brockmann, Niedersächsisches Schulgesetz, § 64 Anm. 3 m. w. Nw.).
Diese Grundsätze hat die Beklagte beachtet. Nichts spricht dafür, dass mit der von den Klägern gewünschten Zurückstellung vom Schulbesuch (und einer Zuweisung zum Schulkindergarten, sofern sie organisatorisch möglich gewesen wäre) die festgestellten Entwicklungsdefizite von B. hätten behoben werden können oder dass - zumindest - Gründe gegeben wären, die seiner Einschulung in einer Förderschule entgegenstünden. Auch aus dem Beratungsgutachten können die Kläger nichts für die Richtigkeit ihrer Auffassung herleiten. Zwar ist ihnen zuzugeben, dass einige Formulierungen des Beratungsgutachtens auf eine andere Beurteilung hindeuten. So hat die Sonderschullehrerin beispielsweise ausgeführt, B. sei „in seiner Schulfähigkeit eingeschränkt“ (S. 3 zu 7.4) bzw. seine Defizite im sprachlichen Bereich beeinträchtigten „derzeit nachhaltig seine Schulfähigkeit“. Daraus kann indessen nicht geschlossen werden, die Verfasserin des Beratungsgutachtens habe von einer fehlenden Schulfähigkeit im rechtlichen Sinne gesprochen und die Förderbedürftigkeit von B. in einer Weise bewertet, dass eine Zurückstellung vom Schulbesuch und der Besuch eines Schulkindergartens ausreichen würden, seine Defizite zu beheben. Ihre Ausführungen sind ersichtlich am Maßstab der Anforderungen für einen Unterricht in der Grundschule orientiert und haben in diesem Zusammenhang lediglich diagnostische Bedeutung; sie sollen, wie Frau C. auch im Erörterungstermin bestätigt hat, keinesfalls die Fähigkeit von B. in Abrede stellen, in einer Förderschule erfolgreich beschult werden zu können.
Der Umstand, dass die Förderkommission eine Zurückstellung von B. empfohlen hat, lässt sich ebenfalls nicht für die Annahme fruchtbar machen, B. sei noch nicht schulfähig. Die Empfehlung der Förderkommission, die ersichtlich dem Wunsch der Eltern entgegen gekommen ist und nicht die Richtigkeit des Beratungsgutachtens in Frage stellen soll, ist von der Beklagten zu beachten, kann sie aber rechtlich nicht (weiter) binden.
1.3. Die im Bescheid vom 11.06.2004 getroffene weitere Regelung, dass B. die Förderschule in Ilsede zu besuchen hat, beruht (ebenfalls) auf der Ermächtigungsgrundlage des § 68 Abs. 2 Satz 1 NSchG. Danach entscheidet die Schulbehörde nicht nur darüber, ob die Verpflichtung zur Inanspruchnahme sonderpädagogischer Förderung besteht, sondern an welchem Förderunterricht teilzunehmen, oder - wie hier -, welche Schule zu besuchen ist.
Entgegen der Auffassung der Kläger bestehen auch gegen diese Entscheidung durchgreifende rechtliche Bedenken nicht. Die Kläger können nicht beanspruchen, dass B. trotz seines sonderpädagogischen Förderbedarfs (weiterhin) an der Grundschule beschult wird. Einen Rechtsanspruch auf integrative Beschulung gibt es in Niedersachsen nicht. Dazu hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 21.07.1999 (Az.: 13 L 2468/99) ausgeführt:
"Auf der Ebene des einfachen Rechts trifft es nicht zu, dass das NSchG Schülerinnen und Schülern, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, grundsätzlich einen vorrangigen Anspruch auf gemeinsame Beschulung mit Schülerinnen und Schülern ohne einen solchen Bedarf in den allgemeinen Schulen gibt. Den § 4 NSchG bestimmt lediglich, dass Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen (§ 14 Abs. 2 Satz 1 NSchG), an allen Schulen gemeinsam mit anderen Schülern erzogen und unterrichtet werden sollen, wenn auf diese Weise ihrem individuellen Förderbedarf entsprochen werden kann und soweit es die organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten erlauben. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut und ihrer systematischen Stellung enthält die Vorschrift des § 4 NSchG (nur) eine Zielvorgabe und gibt allgemein die Richtung an, in der das Schulwesen im Lande Niedersachsen weiterzuentwickeln ist. § 4 NSchG sagt indessen noch nichts darüber aus, wie und in welchen Schritten das aufgestellte Ziel der gemeinsamen Erziehung und Unterrichtung angestrebt und erreicht werden soll, und bildet keine Rechtsgrundlage für einzelne konkrete Maßnahmen (Seyderhelm/Nagel, NSchG, § 4 Anm. 1, 3, 4; Woltering/Bräth, NSchG, 4. Aufl., § 4 Anm. 2, 5; ebenso Dietze, Anm. zu BVerfG, Beschl. v. 30. 7. 1996 - 1 BvR 1308/96, JZ 1996, 1073, S. 1074: »Zielvorstellung«). Insbesondere gewährt § 4 NSchG Schülerinnen und Schülern sowie ihren Erziehungsberechtigten keine individuellen Rechtsansprüche auf bestimmte Integrationsmaßnahmen, z.B. einen integrativen Schulbesuch, kombiniert mit einer gezielten Einzelförderung (Seyderhelm/Nagel, aaO, Anm. 3; Woltering/Bräth, a.a.O., § 14 Anm. 1; Dietze, a.a.O., S. 1074, m.N.; zur Rechtslage in Baden-Württ. ebenso VGH Baden-Württ., Beschl. v. 3. 9. 1996 - 9 S 1971/96 -). Denn Integrationsmaßnahmen aller Art stehen in § 4 NSchG unter dem Vorbehalt, dass sie nur getroffen werden sollen und können, soweit es die organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten erlauben, für deren Schaffung das Land und der jeweilige Schulträger zuständig sind. Damit stimmt überein, dass gemäß § 23 Abs. 4 NSchG im 1. bis 10. Schuljahrgang der allgemeinbildenden Schulen Integrationsklassen eingerichtet werden können, in denen Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen (§ 14 Abs. 2 Satz 1 NSchG), gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern unterrichtet werden und in denen die Leistungsanforderungen der unterschiedlichen Lernfähigkeit entsprechen. Ein entsprechender Antrag der Schule und/oder des Schulträgers bedarf nach § 23 Abs. 5 NSchG der Genehmigung der Schulbehörde und setzt u.a. wiederum voraus, dass die organisatorischen, personellen und sächlichen Voraussetzungen geschaffen sind. Ein Antragsrecht anderer Stellen oder Personen, insbesondere auch von Eltern, auf Einrichtung einer Integrationsklasse besteht nicht, erst recht nicht ein darauf gerichteter Rechtsanspruch (Seyderhelm/Nagel, a.a.O., § 23 Anm. 5; Woltering/Bräth, a.a.O., § 23 Anm. 7).
Ein vorrangiger Anspruch auf eine integrative Beschulung an allgemeinen Schulen lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass nach § 68 Abs. 1 Satz 2 NSchG bei sonderpädagogischem Förderbedarf eine Verpflichtung zum Besuch der Sonderschule dann nicht besteht, wenn die notwendige Förderung in einer Schule einer anderen Schulform gewährleistet ist. Denn dieser Vorbehalt verweist ebenfalls auf die bereits dargelegten Voraussetzungen einer gemeinsamen Beschulung, deren Schaffung im pflichtgemäßen Ermessen des Landes sowie des jeweiligen Schulträgers liegt und auf welche die betroffenen Schülerinnen und Schüler bzw. ihre Eltern nach dem NSchG einen Rechtsanspruch nicht haben (Seyderhelm/Nagel, a.a.O., § 68 Anm. 4 m.N.; Woltering/Bräth, a.a.O., § 68 Anm. 1, 2). Ein Entfallen der Verpflichtung zum Besuch der Sonderschule gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 und die in § 14 Abs. 2 Satz 1 NSchG zum Ausdruck kommende Subsidiarität hängen danach insbesondere davon ab, dass die personellen, räumlichen und organisatorischen Voraussetzungen für eine gemeinsame Beschulung an einer anderen Schule vorhanden sind. Auf der Grundlage der NSchG besteht deshalb derzeit auch kein Recht der Eltern zu wählen, wo ihr Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf seine Schulpflicht erfüllt. Vielmehr entscheidet gemäß § 68 Abs. 2 Satz 1 NSchG die Schulbehörde, ob die Verpflichtung nach § 1 besteht und welche Schule zu besuchen ist. Den Eltern steht allerdings insoweit ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Schulbehörde zu, so dass eine Überweisung an eine Sonderschule rechtswidrig ist, wenn die Voraussetzungen der notwendigen Förderung auch an einer allgemeinen Schule erfüllt sind und die Eltern deren Besuch für ihr Kind wünschen (Woltering/Bräth, a.a.O., § 4 Anm. 6, § 68 Anm. 1)."
In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob die Beeinträchtigungen von B. als eine "Behinderung" im Sinne des Art 3 Abs. 3 Satz 2 GG zu qualifizieren sind, was nach verschiedenen Äußerungen der Beteiligten zu verneinen wäre. Die Beurteilung könnte nicht anders erfolgen, wenn zugunsten von B. Art 3 Abs. 3 Satz 2 GG anzuwenden wäre, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Bei allen Differenzen über die Auslegung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG besteht Einigkeit darüber, dass die Überweisung eines behinderten Schülers an eine Förderschule gegen seinen und seiner Eltern Willen nicht schon für sich eine verbotenen Benachteiligung im Sinne des Art 3 Abs. 3 Satz 2 GG darstellt. Eine solche Benachteiligung tritt erst ein, wenn die Überweisung erfolgt, obwohl eine Unterrichtung an der allgemeinen Schule mit sonderpädagogischer Förderung möglich ist, der dafür benötigte personelle und sächliche Aufwand mit vorhandenen Personal- und Sachmitteln bestritten werden kann und auch organisatorische Schwierigkeiten und schutzwürdige Belange Dritter der integrativen Beschulung nicht entgegenstehen (BVerfG, Beschl. vom 08.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, BVerfGE 96, 288). Daraus ergibt sich für die Behörde eine erhöhte Begründungspflicht. Die gebotene Begründung hat insbesondere die Art und Schwere der Förderungsbedürftigkeit und die Gesichtspunkte anzugeben, die die Behörde zur Einschätzung gelangen lassen, die Erziehung und Unterricht des Schülers sei am besten in dieser Förderschule gewährleistet. Gegebenenfalls sind auch organisatorische, personelle oder sächliche Schwierigkeiten sowie die Gründe darzulegen, warum diese Schwierigkeiten im konkreten Fall nicht überwunden werden können. Hierbei sind einerseits die Vor- und Nachteile einer nach den gesetzlichen Regelungen im Grundsatz möglichen integrativen Erziehung und Unterrichtung an der bisherigen Schule und andererseits eine Beschulung an der in Aussicht genommenen Sonder- oder Förderschule zu berücksichtigen. Einzubeziehen sind außerdem, soweit es um die Bewertung einer integrativen Beschulung geht, die mit einer solchen Maßnahme möglicherweise verbundene Belastungen nicht nur in Bezug auf das förderungsbedürftige Kind, sondern auch mit Blick auf die Mitschüler und das Lehrpersonal. Schließlich ist in die Gesamtbetrachtung einzustellen, dass die staatlichen Maßnahmen zum Ausgleich des Förderungsbedarfs nur nach Maßgabe des finanziell, personell, sachlich und organisatorisch Möglichen verlangt und gewährt werden können. Denn der mit einer integrativen Beschulung verbundene Aufwand darf nicht zu Lasten solcher Kinder gehen, deren Teilnahme an einem gemeinsamen Unterricht auf Grund der Art und des Grades ihrer Förderungsbedürftigkeit ausgeschlossen ist oder pädagogisch nicht wünschenswert erscheint und die deshalb auf eine der besonderen pädagogischen Aufgabe personell und sachlich angemessene Ausstattung der Sonder- und Förderschulen angewiesen sind (BVerfG, Beschluss vom 08.10.1997, a. a. O., S. 307 f; Nds. OVG, Urt. vom 21.07.1999 - 13 L 2468/99, VG Braunschweig, Urt. Vom 17.06.2004 - 6 A 85/04).
Diesen Maßstäben genügen die Erklärungen der Beklagten noch. Die Beklagte hat sich zwar nicht im Ausgangsbescheid, dafür aber im Widerspruchsbescheid und im Laufe des Verwaltungsrechtsstreits in ausreichender Form mit der Frage des notwendigen Förderbedarfs für B. und der Möglichkeit seiner integrativen Beschulung auseinandergesetzt und jedenfalls im Ergebnis zu Recht angenommen, dass B. an einer Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung zu beschulen ist. Das Gericht folgt der Beklagten darin, dass B. wegen der Art und des Umfangs seines sonderpädagogischen Förderbedarfs auf eine schulische Kleingruppe angewiesen ist, in der deutlich mehr als bei einer Beschulung in einer schon aus finanziellen und organisatorischen Gründen merklich größeren Grundschulklasse auf seine individuellen Bedürfnisse verstärkt eingegangen werden kann. Da er besonderen Förderbedarf auch im Bereich der Selbständigkeit und der lebenspraktischen Dinge hat, liegt es auch nach der Auffassung des Gerichts auf der Hand, dass ihm nur in einer Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung die Förderung gewährt werden kann, die seinem aus § 54 Abs. 1 NSchG folgenden Anspruch auf eine seinen individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen entsprechende Bildung gerecht wird. Das Gericht folgt der schulfachlichen Einschätzung durch die beteiligten Pädagogen auch insoweit, als die festgestellten Defizite durch eine (weitere) Beschulung von B. in der Grundschule nicht nur nicht ausgeräumt werden könnten, sondern sich verstärken würden. B. benötigt dringend die professionelle Qualität der nur in einer Förderschule möglichen intensiven individuellen Förderung.
Die Notwendigkeit einer Förderung in einer unter den genannten Fördergesichtspunkten geführten Kleingruppe, die aus hier nicht in Frage zu stellenden organisatorischen und finanziellen Gründen an einer Grundschule nicht bereitgestellt werden kann, ist auch durch die Erfahrungen mit B. während seines Grundschulbesuchs bestätigt worden. Obgleich B. an der von ihm derzeit besuchten Grundschule bedingt durch günstige Umstände eine Förderung erhalten hat, die mit Blick auf die Anzahl der zur Verfügung gestellten Lehrerstunden einer integrativen Beschulung nahezu gleich kam, hat er bislang in der Grundschulklasse nicht annähernd die Fortschritte erzielt, die es rechtfertigen könnten, auf dem eingeschlagenen Weg fortzufahren oder den Besuch einer anderen Grundschule mit alternativem Eingangsmodell zu erwägen. B. ist trotz der ihm gewährten individuellen Förderung auf der Grundschule ersichtlich überfordert, zeigt deutliche Frustrationen (u. auch in Form von aggressiven Ausbrüchen) und bezeichnet sich selbst bereits als „zu blöd“. Dies hat die Klassenlehrerin von B. im Erörterungstermin glaubhaft geschildert. Dabei hat sie die nach wie vor bestehende Aktualität und Richtigkeit ihrer Angaben in dem zum Beginn der Herbstferien am 08.10.2004 erstellten schriftlichen Bericht (Beiakte B) nochmals unterstrichen. Nach ihrer schulfachlichen Einschätzung, die auch der Grundschulleiter bestätigt hat, kann eine angemessene Förderung von B. in einer Grundschule trotz der durchgeführten besonderen Integrationsbemühungen und des Einsatzes einer Eingliederungshelferin, die sich über einen längeren Zeitraum nicht nur auf pflegerische Tätigkeiten beschränkt hat, nicht erfolgreich sein. Dies haben sie und der Schulleiter auch in ihrem Zusatz zum Bericht der vom 09.11.2004 zum Ausdruck gebracht und bei der mündlichern Erörterung vor dem Gericht bekräftigt. Der für das Förderschulwesen einschlägig ausgebildete Regierungsschuldirektor F. hat unter Hinweis auch auf die einschlägige fachwissenschaftliche Diskussion den Entwicklungsstand von B. mit demjenigen eines Kindes im Alter von etwa 2 bis 2,6 Jahren gleich gesetzt und mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass B. dringend auf einschlägige professionelle Unterstützung angewiesen ist, die ihm unter den gegebenen Umständen nur in der Förderschule mit Schwerpunkt geistige Entwicklung gewährt werden kann. Soweit die Kläger (und ihre „eifrigen“ Ratgeber) demgegenüber eine wesentlich andere Schullandschaft fordern, betrifft dies Fragen der Schulpolitik, über die hier nicht zu diskutieren ist.
2. Auch mit ihrem Hilfsantrag kann die Klage keinen Erfolg haben. Es ist zum einen nicht die Sache der Beklagten, über die Frage der Zurückstellung vom Schulbesuch nach § 64 Abs. 2 Satz 1 Nds. Schulgesetz (NSchG) förmlich zu entscheiden. Für diese Entscheidung ist nicht die Schulbehörde zuständig, sondern die Schule, die durch ihren Leiter handelt (Nr. 5.2 und 5.3 des Erlasses des MK „Ergänzende Bestimmungen zur Schulpflicht und zum Rechtsverhältnis zur Schule“ vom 29.08.1995, Nds. MBl. S.1142, zuletzt geändert durch den Erlass vom 26.06.2003, SVBl. S.227). Zum zweiten kann aus den zu 1.2.2. bereits genannten Gründen nicht angenommen werden, dass der im Übrigen auch von den Klägern als lernwillig geschilderte B. (noch) nicht die Fähigkeit besitzen würde, die für ihn zuständige Förderschule zu besuchen.
Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2 GKG.