Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 10.01.1992, Az.: 6 A 195/91

Täuschungshandlungen im schriftlichen Prüfungsteil einer fachrichtungsspezifischen Fortbildungsprüfung in der Fachrichtung Elektrotechnik ; Fortbildungsprüfung zum Industriemeister der Elektrotechnik ; Verwendung unerlaubter Hilfsmittel in einer Prüfung; Beweis eines Täuschungsversuches durch den Beweis des ersten Anscheins

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
10.01.1992
Aktenzeichen
6 A 195/91
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1992, 17218
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:1992:0110.6A195.91.0A

Verfahrensgegenstand

Fortbildungsprüfung zum Industriemeister/Elektrotechnik

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    In der Verwendung unerlaubter Hilfsmittel, insbesondere von Lösungsentwürfen eines Prüfungsausschusses, liegt eine schwere Täuschungshandlung vor.

  2. 2.

    Ein Täuschungsversuch kann durch den Beweis des ersten Anscheins bewiesen werden, wenn die Prüfungsarbeiten und das von den Prüfern erarbeitete, allein zur Verwendung durch die Prüfungskommission bestimmte Lösungsmuster teilweise wörtlich und im übrigen in Gliederung und Gedankenführung übereinstimmen.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 6. Kammer Stade -
aufgrund der mündlichen Verhandlung am 10. Januar 1992,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Gärtner
Richter am Verwaltungsgericht Lassalle
Richterin Lang
Ehrenamtlicher Richter A.
Ehrenamtlicher Richter B.
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Kostenvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Kostenbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Votum

1

I.

Der am ... 1943 geborene Kläger wendet sich mit seiner Klage dagegen, daß der zuständige Prüfungsausschuß der Beklagten seine Fortbildungsprüfung zum Industriemeister/Elektrotechnik mit der Begründung für nicht bestanden erklärt hat, die Ergebnisse seiner schriftlichen Prüfung im fachrichtungsspezifischen Teil der Fachrichtung Elektrotechnik seien zum Teil durch Täuschungshandlungen erzielt worden.

2

Der Kläger hat den Beruf des Meß- und Regelmechanikers erlernt und war in der Zeit vom 1. April 1972 bis einschließlich 31. Mai 1988 in diesem Beruf bei der ... GmbH in ... eingesetzt. Seit dem 1. Juni 1988 ist der Kläger in der Ausbildungsabteilung dieses Unternehmens als Ausbilder für Energieelektroniker tätig. Er ist selbst Mitglied des Prüfungsausschusses für die Durchführung von Zwischen- und Abschlußprüfungen in den Ausbildungsberufen der Elektroindustrie im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Einige Mitglieder dieses Prüfungsausschusses sind gleichzeitig in dem Prüfungsausschuß Industriemeister/Elektrotechnik tätig; zu ihnen gehört der Prüfer ....

3

Unter dem 22. Oktober 1990 - letzte Frist der Anmeldung war an sich der 15. Oktober 1990 gewesen - meldete sich der Kläger, der an dem diesbezüglichen Vorbersitungslehrgang nicht teilgenommen hatte, bei der Beklagten zur Fortbildungsprüfung zum anerkannten Abschluß Geprüfter Industriemeister - Fachrichtung Elektrotechnik - an und beantragte, gemäß §7 der Verordnung über die Prüfung zum anerkannten Abschluß Geprüfter Industriemeister/Geprüfte Industriemeisterin - Fachrichtung Elektrotechnik vom 11. Oktober 1982 (BGBl. I S. 1401) i.d.F. der ÄnderungsVO vom 6. November 1984 (BGBl. I S. 1330) - im folgenden: VO - von der Prüfung im berufs- und arbeitspädagogischen Prüfungsteil befreit zu werden.

4

Am 8. und 9. November 1990 nahm der Kläger an der schriftlichen Prüfung im fachrichtungsspezifischen Teil der Fachrichtung Elektrotechnik teil; er fertigte schriftliche Arbeiten in den Prüfungsfächern 1. Mathematische und naturwissenschaftliche Grundlagen, 2. Allgemeine Betriebstechnik und spezielle Betriebstechnik, 3. Fertigungstechnik und 4. Arbeitsschutz und fachbezogene Vorschriften an. Am 17. November 1990 unterzog er sich der Prüfung in dem Prüfungsteil "Betriebstechnische Situationsaufgabe", die in Form praktischer Tätigkeiten durchgeführt wird.

5

Der Prüfungsausschuß der Beklagten gelangte am 5. Dezember 1990 zu folgenden - vorläufigen - Bewertungen der Prüfungsleistungen des Klägers:

  1. 1.

    Schriftliche Arbeit im Fach Mathematische und naturwissenschaftliche Grundlagen:

    83 Punkte - bei 100 erreichbaren Punkten - = 2

  2. 2.

    Schriftliche Arbeit im Fach Allgemeine Betriebstechnik und spezielle Betriebstechnik:

    85 Punkte = bei 100 erreichbaren Punkten - = 2

  3. 3.

    Schriftliche Arbeit im Fach Fertigungstechnik:

    93 Punkte - bei 100 erreichbaren Punkten - = 1

  4. 4.

    Schriftliche Arbeit im Fach Arbeitsschutz und fachbezogene Vorschriften

    100 Punkte - bei 100 erreichbaren Punkten - = 1

  5. 5.

    Betriebstechnische Situationsaufgäbe:

    50 Punkte (gerade noch ausreichend - 49 Punkte wären bereits mangelhaft gewesen -).

6

Bei der Durchsicht der schriftlichen Prüfungsarbeiten war den Korrektoren unabhängig voneinander eine aus ihrer Sicht gravierende Übereinstimmung der Lösungen des Klägers mit den Lösungsvorschlägen des Prüfungsausschusses - z.T. fast wörtlich - aufgefallen. Der Prüfungsausschuß der Beklagten beschloß deshalb in seiner Sitzung am 5. Dezember 1990 mehrheitlich, den Kläger in dieser Angelegenheit zu hören.

7

Diese Anhörung erfolgte am 10. Januar 1991. In der anschließenden Beratung kam der Prüfungsausschuß zu der Überzeugung, daß der Kläger die durch die Erst- und Zweitkorrekturen festgestellten Ergebnisse zum Teil durch Täuschungshandlung erzielt habe, und erklärte die Prüfung gemäß § 20 Abs. 2 der Prüfungsordnung der Beklagten für die Durchführung von Fortbildungsprüfungen vom 21. August 1974 - im folgenden: PO - für nicht bestanden. Diese Entscheidung, die dem Kläger bereits im Anschluß an die Ausschußsitzung vom 10. Januar 1991 mündlich eröffnet worden war, teilte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 13. Februar 1991 schriftlich mit und führte zur Begründung aus:

8

Bei der Durchsicht der Prüfungsarbeiten des fachrichtungsspezifischen Teils der Industriemeisterprüfung Elektrotechnik vom 8. und 9. November 1990 seien den Korrektoren unabhängig voneinander gravierende Übereinstimmungen der Lösungen des Klägers mit den Lösungsvorschlägen des Prüfungsausschusses aufgefallen, und zwar bei den folgenden - dem Bescheid in Kopie beiliegenden - Aufgaben: Fertigungstechnik, Teil II, Aufgabe 9; Arbeitsschutz, Teil II, Aufgaben 1, 2 und 3, Teil III, Aufgaben 1 und 8. Darüber hinaus stimme die vom Kläger vorgenommene Bemaßung der - dem Bescheid ebenfalls beigefügten - Zeichnung des Faches "Fertigungstechnik" fast deckungsgleich mit der Lösung überein. In der Aufgabe 1 des Faches "Mathematische und naturwissenschaftliche Grundlagen" sei bemerkenswert, daß der Kläger zwar den Teil 1.1 - jedoch mit Ausnahme der erst im zweiten Entwurf des Aufgabenvorschlages des Prüfungsausschusses eingefügten Frage nach dem Oktal-Zahlensystem - gelöst habe, nicht jedoch den ebenfalls erst im zweiten Entwurf hinzugekommenen Teil 1.2 - für den folglich im ersten Entwurf auch keine Lösung angegeben gewesen sei -, obgleich die Lösung dieser Teilaufgabe nur die Anwendung der richtigen Lösungen des Teiles 1.1 erfordert hätte. Bei der Anhörung vom 10. Januar 1991 habe der Prüfungsausschuß dem Kläger diese Auffälligkeiten aufgezeigt und sich bei den Übereinstimmungen ausdrücklich auf die oben genannten, vom Prüfungsausschuß frei formulierten Lösungen beschränkt und nicht diejenigen der Lösungen des Klägers für die Entscheidung herangezogen, für die es ohnehin nur eine richtige Möglichkeit gebe. Die Wahrscheinlichkeit jedoch, daß frei formulierte Lösungsvorschläge des Prüfungsausschusses von einem Teilnehmer zufällig fast wörtlich in einer solchen Vielzahl in mehreren Arbeiten erbracht werden, halte der Prüfungsausschuß für nicht möglich. Auch nach der ausführlichen Anhörung des Klägers und anschließender eingehender Beratung sei der Prüfungsausschuß zu der Überzeugung gekommen, daß die durch die Erst- und Zweikorrekturen festgestellten Ergebnisse z.T. durch Täuschungshandlungen erzielt worden seien, und erkläre die Prüfung gemäß § 20 Abs. 2 PO für nicht bestanden.

9

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 17. Februar 1991 Widerspruch und machte geltend:

10

Bei der Anhörung am 10. Januar 1991 habe auch von ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit den dort verlesenen Lösungsvorschlägen und seiner Beantwortung bestätigt werden können. Bei seiner Stellungnahme hierzu habe er nur beteuern können, keine Einsicht in die erwähnten Lösungsvorschläge gehabt zu haben. Die einzige Erklärung, die er für die aufgezeigten Ähnlichkeiten habe, sei, daß die Beantwortung einer handwerklich/technischen Frage nur durch die Vorgabe des Themas bedingt sei. Wenn hier ein logischer Ablauf beschrieben werden solle, müsse die Antwort Ähnlichkeit mit einem Lösungsvorschlag haben. Bei der Einsicht in die dem Bescheid vom 13. Februar 1991 beigefügten Lösungsvorschläge und seinen eigenen Antworten könne er dieses Erklärung nur noch bestätigen. Denn bei dem Vergleich der Lösungsvorschläge und seinen Antworten könne es nur mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei noch viel mehr Aufgaben Ähnlichkeiten als bei den in Zweifel gezogenen Aufgaben geben, z.B. bei der schriftlichen Arbeit im Fach Arbeitsschutz - Teil 3 - nicht nur bei den Aufgaben 1 und 8, sondern bei den Aufgaben 1 bis 10. So oder ähnlich habe er auch bei der Anhörung zu jedem Vorwurf bereits Stellung genommen. Durch die schon zuvor festgelegte Betrachtungsweise der Prüfer sei jedoch ein Näherkommen/Einsicht nicht möglich gewesen. Auch eine Stellungnahme zu der Frage, was denn der Prüfungsausschuß erwartet habe oder wie er sich aus seiner Sicht gegen derartige Vorwürfe gewehrt hätte, habe er während der Anhörung nicht bekommen. Zudem habe bezogen auf die Aussagen und Prüfungsnoten der anderen Lehrgangsteilnehmer durch eine Verkettung unglücklicher Umstände der "rote Faden" durch den zuvor abgelaufenen Lehrgang gefehlt. Dies sei am 4. Februar 1991 in einem Gespräch mit Prüfern, Dozenten, Vertretern der Beklagten und Lehrgangsteilnehmern nochmals bestätigt worden. Der behandelte Unterricht und die vorgeschlagenen (nicht benutzten) Unterlagen seien am Prüfungsthema vorbeigelaufen. All diese Kriterien hätten einem externen Prüfungsteilnehmer nach Abschätzung der derzeitigem Lage aus seiner Unbedarftheit nur von Vorteil sein können. - Ein Teil besagter Mängel sei übrigens in den Bereich der Lehrer und Lehrmittel der BBS ... gefallen, und gerade diese Mißstände seien bei anderen Gegebenheiten oft Gegenstand massiver Kritik des Klägers gewesen, ebenso wie der Umstand, daß bei der Vorauswahl eines Betriebes für die Situationsaufgabe die Firma ... nicht in Frage komme und die "praxis" bezogenen Aufgaben letztendlich in der Schule stattfänden. Sollten sich aus all diesen Erwägungen in der von ihm angestellten Betrachtungsweise irgendwelche Nachteile für eine Teilnahme als "Externer" an der Prüfung ergeben haben, wäre dies sicherlich sehr bedauerlich.

11

Diesen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 1991 - auf der Grundlage des diesbezüglichen Beschlusses des Prüfungsausschusses in seiner Sitzung vom 2. Mai 1991 - als unbegründet zurück:

12

Die Widerspruchsbegründung des Klägers sei nicht geeignet, die ihm mit Bescheid vom 13. Februar 1991 schriftlich mitgeteilte Entscheidung des Ausschusses vom 10. Januar 1991 zu entkräften. Wie der Kläger selbst anführe, enthielten seine Lösungen der Prüfungsaufgaben - über die im angegriffenen Bescheid angegebenen Punkte hinaus - noch eine Reihe weiterer Ähnlichkeiten mit den Lösungsvorschlägen des Prüfungsausschusses. Diese weiteren Ähnlichkeiten seien jedoch ausdrücklich nicht in die Entscheidung des Prüfungsausschusses vom 10. Januar 1991 eingeflossen, soweit es für die Aufgabenstellung ohnehin nur eine richtige Lösungsmöglichkeit gebe bzw. soweit die richtige Beantwortung einer Frage allein vom logischen Ablauf her mit der Lösung des Prüfungsausschusses übereinstimmen müsse. Der Prüfungsausschuß habe sich vielmehr bei seiner Entscheidung nur auf die gravierenden Übereinstimmungen der Lösungen des Klägers mit den vom Ausschuß selbst erstellten Lösungsvorschlägen bei den im angegriffenen Bescheid genannten Aufgaben und darüber hinaus auf die Bemaßung der Bezeichnung des Faches "Fertigungstechnik" beschränkt. Diese Übereinstimmungen sowie der Umstand, daß der Kläger den erst im zweiten Entwurf hinzugefügten Teil 1.2 der Aufgabe in der schriftlichen Arbeit des Faches "Mathematische und naturwissenschaftliche Grundlagen" nicht gelöst habe, könne nur den Schluß zulassen, daß er sich während der Prüfung unerlaubter Hilfsmittel - nämlich der Lösungsentwürfe des Prüfungsausschusses - bedient habe. Dies stelle eine vorbereitete Täuschungshandlung im Sinne des § 20 Abs. 2 PO dar. Zu diesem Beschluß sei der Prüfungsausschuß nicht etwa durch die richtige Beantwortung der Prüfungsfragen durch den Kläger gekommen, sondern vielmehr durch die Übereinstimmung seiner Wortwahl mit den individuellen Lösungsvorschlägen des Prüfungsausschusses. Insofern seien im Lehrgang aufgetretene Schwierigkeiten hier auch nicht relevant.

13

Daraufhin hat der Kläger am 5. Juni 1991 bei Gericht Klage erhoben.

14

Zur Begründung dieser Klage macht er geltend:

15

Er sei empört darüber, daß ihm Täuschungshandlungen und die Verwendung unerlaubter Hilfsmittel vorgeworfen würden. Er empfinde es als besonders empörend, daß ihm als Mitglied eines anderen Prüfungsausschusses der Beklagten unterstellt werde, er habe sich unrechtmäßig in den Besitz von Lösungsvorschlägen gebracht. Die schriftliche Prüfung habe unter Aufsicht - von zum Teil drei Personen - stattgefunden. Einziges Hilfsmittel sei ein Tabellenbuch mittlerer Größe gewesen. Zudem habe er einen Sitzplatz in der ersten Reihe gehabt. Unter solchen Umständen dränge sich doch die Frage auf, wo und wie er überhaupt Prüfungsunterlagen hätte verstecken können. Unrichtig sei die Behauptung der Beklagten, daß er vor der Prüfung ein Gespräch mit dem Prüfungsausschußmitglied ... über die Verteilung der Aufgaben an alle Prüfungsausschußmitglieder geführt habe. Richtig sei lediglich, daß es kurz vor der schriftlichen Prüfung eine Sitzung bei einem anderen Prüfungsausschuß gegeben habe, an der auch Herr ... teilgenommen habe. Im Rahmen der Anhörung am 10. Januar 1991 habe der Prüfungsausschuß versucht, ihm zu unterstellen, daß er bei dieser Sitzung sogar Einblick in die Prüfungsunterlagen des Herrn ... gehabt habe. Diese - unzutreffende - Darstellung sei dabei mit der Frage verbunden gewesen, ob er ein fotografisches Gedächtnis habe. Auch der weitere Hinweis der Beklagten auf das Treffen des Prüfungsausschusses in der Firma ... liege neben der Sache. Dort sei vor Ort die Möglichkeit erörtert worden, die praktische Prüfung in den Räumen der ... abzuhalten. Da er, der Kläger, dort für die in Frage kommenden Räume als zuständiger Ausbilder der Elektroberufe tätig sei, habe es zu seinem Aufgabenbereich gehört, diese Räumlichkeiten vorzustellen. Es sei ihm völlig neu und bisher auch in keiner Phase seiner Anhörung von der Beklagten erwähnt worden, daß seinerzeit zumindest während seiner Anwesenheit über die schriftliche Prüfung gesprochen worden sein solle. überdies sei er bei den Gesprächen der Prüfungsausschußmitglieder über die Geeignetheit der Räume auch nur teilweise anwesend gewesen. Letztlich habe man sich seinerzeit entschlossen, die Räume der ... als nicht geeignet abzulehnen.

16

In der Sache werde die Einschätzung des Prüfungsausschusses durch die Ähnlichkeiten zwischen seiner Lösung und dem Lösungsvorschlag des Ausschusses bei den beanstandeten Aufgaben nicht gestützt. Aus den von ihm im Klageverfahren vorgelegten Auszügen aus Lehrbüchern und Literatur ergebe sich, daß seine Antworten auf einzelne Prüfungsfragen keineswegs auffällig seien. Der Umstand, daß er während der Anhörung noch kein Buch benannt habe, habe sowohl an der Sache selbst als auch an der außergewöhnlichen Situation gelegen. Seine damaligen Äußerungen könne man nicht dahingehend auslegen, er kenne überhaupt kein entsprechendes Lehrbuch. Nach Durchsicht der zur Erstellung des von ihm vorgelegten Anlagenkonvoluts in seinem Besitz befindlichen Unterlagen habe er natürlich wieder gewußt, woher er diese Angaben gehabt habe; natürlich habe er sich durch Lehrbücher auf die Prüfung vorbereitet.

17

Auch der Hinweis der Beklagten auf die Aufgabe 1.2 bei der schriftlichen Arbeit im Fach "Mathematische und naturwissenschaftliche Grundlagen" greife nicht durch. Er habe mit dieser Aufgabe - im Gegensatz zur Aufgabe 1.1 - auf Anhieb nichts anfangen können und sich deshalb den weiteren Aufgaben gewidmet, um zunächst möglichst viele Fragen aus Bereichen, die er problemlos lösen konnte, zu beantworten. Ein solches Prüfungsverhalten sei durchaus nicht ungewöhnlich. Im übrigen sei er - wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung ergänzt hat - ohnehin kein "Prüfungstyp" und während der schriftlichen Arbeiten anfangs nervös gewesen.

18

Auch der Hinweis der Beklagten auf die Bemaßung der Zeichnung im Fach "Fertigungstechnik" sei als Indiz für ein Täuschungsmanöver nicht geeignet. Zu Unrecht stufe die Beklagte die Art der Bemaßung als ungewöhnlich ein. Auch bei den von der Beklagten vorgelegten Lösungen anderer Prüflinge seien bei der Bemaßung und bei dem jeweils angewandten Bemaßungssystem deutliche Unterschiede festzustellen. Andererseits gebe es bei der Bemaßung, den Maßlinien und auch bei den Zahlen der innenliegranden Maße deutliche Parallelen. Ebenso wiesen zwei der vorgelegten Lösungen anderer Prüfungsteilnehmer "annähernd und durch Unvollständigkeit ansatzweise annähernd" dieselbe Systematik wie seine eigene Lösung auf.

19

Schließlich greife auch der Hinweis der Beklagten auf das Ergebnis seiner praktischen Prüfung nicht durch. Während ihm die fehlende Teilnahme an dem Vorbereitungsunterricht bei den schriftlichen Arbeiten von Vorteil gewesen sei, habe sich dies bei der praktischen Prüfung plötzlich umgekehrt, und zwar schon bei der ersten Aufgabenstellung. Warum viele andere Prüfungsteilnehmer hier - im Unterschied zu ihm - weniger oder keine Schwierigkeiten gehabt hätten, habe er erst Wochen später rein zufällig erfahren, als er bemerkt habe, daß ein anderer Prüfungsteilnehmer die gleiche oder zumindest ähnliche Anlage als Aufgabe aus dem Vorbereitungsunterricht in seinen Unterlagen gehabt habe.

20

Dar Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 1991 und deren Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 1991 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Fortbildungsprüfung des Klägers zum Industriemeister/Elektrotechnik - unter Berücksichtigung der von ihm im fachrichtungsspezifischen Teil bei den schriftlichen Arbeiten und der betriebstechnischen Situationsaufgabe im November 1990 erzielten Ergebnisse - fortzusetzen und ihn sodann erneut zu bescheiden.

21

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

22

und erwidert:

23

Die in den angefochtenen Bescheiden beschriebenen auffälligen Übereinstimmungen zwischen den schriftlichen Prüfungsantworten des Klägers und den zuvor schriftlich ausgearbeiteten Lösungsvorschlägen des Prüfungsausschusses ließen nur den Schluß zu, daß sich der Kläger vor der schriftlichen Prüfung in den Besitz dieser Lösungsvorschläge gebracht habe. Der Kläger sei selbst Mitglied des Prüfungsausschusses für die Durchführung von Zwischen- und Abschlußprüfungen in Ausbildungsberufen der Elektroindustrie in ihrem Zuständigkeitsbereich. Einige andere Mitglieder dieses Prüfungsausschusses seien gleichzeitig in dem Prüfungsausschuß Industriemeister/Elektrotechnik tätig, etwa der Prüfer .... Mit diesem habe der Kläger vor seiner eigenen schriftlichen Prüfung anläßlich einer anderen Prüfung, in der er als Prüfer für Auszubildende tätig gewesen sei, über die anstehende Prüfung zum Industriemeister/Elektrotechnik gesprochen. Dabei habe er Herrn ... nicht mitgeteilt, daß er selbst an dieser Prüfung teilnehmen werde. Dieser wiederum habe von dieser Absicht des Klägers nichts wissen können, da er sich nicht an dem vorangegangenen Vorbereitungskurs beteiligt habe. Wie der Kläger in den Besitz der Prüfungsunterlagen gekommen sei, könne der Prüfungsausschuß mit letzter Gewißheit nicht sagen. Nach seiner Einschätzung habe der Kläger aber mehrfach die Möglichkeit gehabt, die Prüfungsunterlagen an sich zu bringen, etwa bei dem Gespräch mit Herrn ..., womöglich - was nach der eigenen Einschätzung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung freilich eher unwahrscheinlich ist - auch bereits bei der Besichtigung der Räumlichkeiten der Firma ..., bei der der Kläger tätig sei. Dort sei - nach den Angaben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung bereits im Juni 1990 vor Ort über die Möglichkeit der Abhaltung der praktischen Prüfung in den dortigen Räumen gesprochen worden. Bei diesen Gesprächen, bei denen die Prüfungsausschußmitglieder Aufgabenvorschläge für die schriftlichen Prüfungsaufgaben bei sich gehabt hätten, sei der Kläger zumindest teilweise anwesend gewesen.

24

Die Bemaßung der Zeichnung im Fach "Fertigungstechnik" durch den Kläger sei durchaus ein Indiz dafür, daß dieser sich bei der Prüfung unerlaubter Hilfsmittel bedient habe. Natürlich sei die Ähnlichkeit der Welle im Lösungsvorschlag und in der Lösung des Klägers nicht ungewöhnlich, da die zu bemaßende Welle von der Bohrmaschinenzeichnung durchzupausen gewesen sei. Ungewöhnlich sei aber die Art der Bemaßung und die Eintragung der Maßlinien und der Zahlen in die Zeichnung. Vergleiche man die Lösung des Klägers mit denjenigen anderer Prüfungsteilnehmer, werde bereits auf den ersten Blick deutlich, daß die Maßlinien völlig anders, teilweise über der Welle, teilweise unter der Welle, gesetzt worden seien. Dies habe den Prüflingen auch freigestanden. Gleichwohl seien die Maßlinien des Klägers gegenüber der "Lösungsskizze" fast vollständig im gleichen Abstand zur Welle, wie aber auch untereinander. Diese Auffälligkeit sei nach Ansicht des Prüfungsausschusses kein Zufall. Auffällig an der Lösung des Klägers sei aber auch, daß er keines der herkömmlichen Bemaßungssysteme, nämlich die Verwendung eines festen Ausgangspunktes, angewandt habe, sondern dasselbe Bemaßungssystem wie in der "Lösungsskizze", die insoweit von der allgemeinen Vorgehensweise abweiche.

25

Nach wie vor sprächen die in den angefochtenen Bescheiden genannten gravierenden Übereinstimmungen der Lösungen des Klägers mit den Lösungsvorschlägen des Prüfungsausschusses aus dessen Sicht dafür, daß der Kläger sich vor der schriftlichen Prüfung die Lösungsvorschläge verschafft habe. Das vom Kläger im Klageverfahren vorgelegte Anlagenkonvolut rechtfertige keine andere Einschätzung. Selbstverständlich stimme der Inhalt von Lehrbüchern oder Broschüren mit den Lösungsaufgaben überein. Merkwürdig sei allerdings, daß der Kläger nunmehr die entsprechenden Nachweise aus den Büchern beibringe. Demgegenüber sei er bei der Anhörung am 10. Januar 1991 mehrfach und eindringlich befragt worden, woher er seine Kenntnisse bezogen habe, und habe damals gleichwohl kein Buch nennen können, sondern vielmehr erklärt, daß er die Lösungen einfach kenne; es sei ihm auch nicht die Zeichnung mit der ungewöhnlichen Bemaßung der Bahrmaschinenwelle bekannt gewesen, hierzu habe er erklärt, daß er dies halt so machen würde. Hinzu komme schließlich, daß die Ergebnisse des Klägers in den schriftlichen Prüfungsarbeiten in einem erheblichen Widerspruch zu den Ergebnissen in der praktischen Prüfung gestanden hätten; dort habe er lediglich 50 Punkte erreicht, somit gerade den Punktewert, der zum Bestehen der praktischen Prüfung noch ausreiche.

26

Wegen des Sach- und Streitstandes im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Prüfungsunterlagen der Beklagten Bezug genommen.

27

II.

Die Klage, mit welcher der Kläger im Wege der Verpflichtungsklage (§ 42 VwGO; vgl. OVG Münster, Beschluß vom 17. Dezember 1984 - 15 B 2662/84 -, NVwZ 1985, 593, 594 [OVG Nordrhein-Westfalen 17.12.1984 - 15 B 2662/84] = DÖV 1985, 493 f. [OVG Nordrhein-Westfalen 17.12.1984 - 15 B 2662/84]) - unter gleichseitiger Aufhebung der angefochtenen Bescheide - die Verpflichtung der Beklagten erstrebt, seine Fortbildungsprüfung zum Industriemeister/Elektrotechnik - unter Berücksichtigung der von ihm im fachrichtungsspezifischen Teil (§ 5 VO) bei den schriftlichen Arbeiten und bei der betriebstechnischen Situationsaufgabe im November 1990 erzielten Ergebnisse - fortzusetzen und ihn sodann erneut zu bescheiden (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.

28

Die Entscheidung des Prüfungsausschusses der Beklagten, die Prüfung des Klägers gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 PO für nicht bestanden zu erklären, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dieser hat deshalb auch keinen Anspruch auf Fortsetzung der Prüfung und erneute Bescheidung; er muß sich vielmehr auf die Möglichkeit einer Wiederholungsprüfung nach § 9 VO verweisen lassen.

29

Die Folgen von Täuschungshandlungen und Ordnungsverstößen im Rahmen von Fortbildungsprüfungen, welche die Beklagte als zuständige Stelle nach § 46 Abs. 1 des Berufsbildungsgesetzes - BBiG - durchführt, sind in § 20 ihrer PO - in Übereinstimmung mit § 20 der Musterprüfungsordnung für die Durchführung von Fortbildungsprüfungen (abgedruckt bei Wohlgemuth/Sarge, Berufsbildungsgesetz 1987, Rdnr. 27 zu § 46) - geregelt. Danach kann in schwerwiegenden Fällen, insbesondere bei vorbereiteten Täuschungshandlungen, die Prüfung für nicht bestanden erklärt werden (§ 20 Abs. 2 Satz 2 PO). Ein solcher schwerwiegender Fall einer - vorbereiteten - Täuschungshandlung liegt hier vor. Dies hat: die Beklagte zutreffend in ihren angefochtenen Bescheiden festgestellt. Das Klagevorbringen des Klägers rechtfertigt nach den gesamten Ergebnis des Verfahrens keine ihm günstigere Beurteilung.

30

Ebenso wie bereits der Prüfungsausschuß geht auch die Kammer davon aus, daß sich der Kläger während der schriftlichen Prüfung am 8./9. November 1990 unerlaubter Hilfsmittel - nämlich der Lösungsentwürfe des Prüfungsausschusses (in ihrer ursprünglichen Entwurfsfassung) - bedient und damit eine schwere Täuschungshandlung begangen hat. Zumindest aber hat der Kläger des gegen ihn sprechenden Beweis des ersten Anscheins nicht widerlegt.

31

Für einen schweren Täuschungsversuch des Klägers sprechen insbesondere die gravierenden Übereinstimmungen der Lösungen des Klägers mit den vom Prüfungsausschuß formulierten Lösungsvorschlägen bei den in den angefochtenen Bescheiden genannten Aufgaben.

32

Besonders krass tritt die Übereinstimmung in der Formulierung, d.h. in Stil, Diktion und Audrucksweise, bei der Lösung der Frage 9 in Teil II der schriftlichen Arbeit im Fach "Fertigungstechnik" zutage. Die Frage lautete: "Gedruckte Schaltungen werden unter anderem in der Fotopositivtechhik hergestellt. Erklären Sie dieses Verfahren". Hierzu hat der Prüfungsausschuß nach seinem - frei formulierten - Lösungsentwurf folgende Lösung erwartet:

"Eine kupferkaschierte dünne Platte wird mit einer Fotoemulsion beschichtet. Die Platte wird meist mit UV-Licht belichtet, dann entwickelt und fixiert, so daß eine der Vorlage entsprechend gemusterte säureabweisende Schicht stehen bleibt, alle anderen Kupferflächen werden in dem anschließenden Ätzbad entfernt. Nun wird noch die Fotoschicht, meist unpolar, abgewaschen."

33

Die Lösung des Klägers lautete:

"Eine kuperkaschierte mit einer Fotoemulsion beschichtete Platine wird entsprechend einer Vorlage mit UV-Licht beschichtet, entwickelt und fixiert. Eine der Vorlage entsprechende säureabweisende Schicht bleibt stehen. Alle anderen Kupferflächen werden im Ätzbad entfernt. Danach wird der Rest der Fotoschicht abgewaschen."

34

Besonders deutlich ist die Übereinstimmung in der Formulierung auch bei den Aufgaben in Teil II, namentlich bei der Teilaufgabe 2, der schriftlichen Prüfungsarbeit im Fach "Arbeitsschutz und fachbezogene Vorschriften", bei der der Kläger, der nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung "kein Prüfungstyp" ist und bei den schriftlichen Prüfungen im November 1990 sehr nervös war, gleichwohl die Höchstpunktzahl von 100 Punkten erreicht hat.

35

Die Aufgabenstellung im Teil II lautete wie folgt:

"Sie sollen einen Gerätereparatur- und -prüfplatz einrichten, an dem folgende Arbeiten durchgeführt werden sollen:

1.
Reparatur von und Prüfung von Handbohrmaschinen und ähnlichem Gerät.

2.
Reparatur von Geräten, bei denen ein geerdetes Oszilloskop zum Messen erforderlich ist.

Die gleichzeitige Reparatur von zwei Geräten soll möglich sein.

3.
Reparatur und Prüfung von Platinen, auf denen auch C-MOS Bauteile vorhanden sein können.

Wählen Sie die zu installierenden

a)
Spannungsversorgungsgeräte und

b)
Spannungsentnahnusstellen des Arbeitsplatzes aus,

c)
geben Sie an, welche Schutzmaßnahmen jeweils erforderlich sind und begründen Sie die Wahl der Schutzmaßnahmen."

36

Hierzu hat der Prüfungsausschuß nach seinem Lösungsentwurf folgende Lösungen erwartet (wichtige Antwortteile sind unterstrichen):

"zu 1. Für den Betrieb der zu reparierenden Geräte und der Geräte, die zur Reparatur erforderlich sind, sollten 4. Schukosteckdosen 230 V 16 A vorgesehen werden, die durch ein 30-mA-FI (TT- oder TN-S-Netz) geschützt sein sollten, da die Wahrscheinlichkeit, daß die Geräte defekt sind, groß ist und die Leistungsaufnahme bis 3 kW sein kann. Vor Inbetriebnahme eines als defekt geltenden Gerätes sollte der Durchgang gesprüft werden (Durchgangsprüfer). Da die meisten Geräte dieser Art schutzisoliert sind, sollte zur Isolationsmessung eine variable Spannungsquelle bis 4 kV zur Verfügung stehen; die dafür erforderliche Schutzmaßnahme gegen direktes Berühren wird durch einen genügend großen durchsichtigen isolierenden Kasten (Abdecken) erreicht.

zu 2. Wenn das Oszilloskop und damit der BMC-Stecker geerdet ist, müssen die zu reparierenden Geräte über Schutztrennung betrieben werden. Bei 2 Geräten sind 2 Trenntrafos oder eine Potentialausgleichsleitung zwischen den Geräten erforderlich. Bei Spannungen größer 50 V an den Geräten sind die Messungen mit dem Oszilloskop über einen entsprechenden Tastkopf durchzuführen.

zu 3. Da die Arbeiten an Platinen zum Schutz der C-MOS-Bauteile mit Erdungsableitung der möglichen statischen Aufladung erfolgen und Lötkolben selten lange eine einwandfreie Isolierung zwischen Lötspitze und Heizung haben, ist für die Lötstation Funktionskleinspannung mit sicherer Trennung vorzusehen."

37

Die Lösung des Klägers hierzu lautete:

"1.
Für Reparatur und Betrieb der zu repar. Geräte benötigt man 5 Schukosteckdosen 230 V 16 A ans TT oder TM-S Netz durch 30 m AFI geschützt.

Bei der Reparatur sollten Durchgangsprüfer und Isolationsmesser bis 4 KV zur Verfügung stehen. Bei der Isolationsmessung sollte als Schutzmaßnahme gegen direktes Berühren, daß Gerät mit einem durchsichtigen isolierenden Kasten abgedeckt werden.

2.
Bei Verwendung eines geerdeten Oszilloskops müssen die zu reparierenden Geräte über Schutztrennung betrieben werden.

Bei zwei Geräten sind zwei Trenntrafos oder eine Potentialgleichleitung zwischen den Geräten erforderlich.

Messungen an höheren Spannungen sind mit entsprechendem Tastkopf durchzuführen.

3.
Bei Arbeiten an Platinen mit C-MOS Bauteilen muß für eine mögliche statische Aufladung eine Erdungsableitung erfolgen. Lötstationen sollten hier nur mit Funktionskleinspannung und sicherer Trennung betrieben werden."

38

Die Ähnlichkeiten in der Formulierung zwischen dem frei formulierten Lösungsvorschlag des Prüfungsausschusses und der Lösung des Klägers sind hier, namentlich bei der Teilaufgabe 2., - die Passage "... müssen die zu reparierenden Geräte über Schutztrennung betrieben werden. Bei 2 Geräten sind 2 Trenntrafos oder eine Potentialausgleichsleitung zwischen den Geräten erforderlich." ist absolut identisch - derart groß, daß sie zu der Schlußfolgerung zwingen, daß der Kläger seine Prüfungsarbeit in Kenntnis des Lösungsmusters erstellt hat.

39

Diese Einschätzung wird durch die Ähnlichkeit in der Formulierung zwischen dem Lösungsentwurf des Prüfungsausschusses zur Frage 1., Teil III, der Arbeit "Arbeitsschutz..." bekräftigt. Diese Frage lautete: "Wann gelten DIN- oder VDE-Vorschriften genau soviel wie UVVen?" Als Antwort wurde vom Prüfungsausschuß nach dem von ihm frei formulierten Lösungsvorschlag erwartet; "Wenn die DIN- oder VDE-Vorschrift in einer Unfallverhütungsvorschrift als Bestandteil derselben ausgewiesen ist, z.B. VDE 0100 in VBG 4." Die Antwort des Klägers lautete: "Wenn die DIN- oder VDF-Vorschriften Bestandteil einer UVV sind, z.B. VDE 0100 in VBG 4." Der Kläger hat hier also genau wie der Prüfungsausschuß die individuelle Formulierung "z.B. VDE 0100 in VBG 4" gewählt.

40

Soweit der Kläger diese verblüffenden Ähnlichkeiten und die weiteren - darüber hinaus noch in den angefochtenen Bescheiden angesprochenen - Ähnlichkeiten im gerichtlichen Verfahren nunmehr unter Hinweis auf das von ihm zwischenzeitlich erstellte Anlagenkonvolut mit Auszügen aus Lehrbüchern u.ä. zu erklären versucht, vermag ihm die Kammer diesen nunmehrigen Erklärungsversuch - gegenüber dem Prüfungsausschuß hatte der Kläger übrigens bei seiner Anhörung am 10. Januar 1991 noch keine Lehrbücher und sonstige Materialien benennen können, aus denen er sein Wissen geschöpft habe - nicht abzunehmen. Selbstverständlich wird das in den schriftlichen Arbeiten abgefragte Wissen in ähnlicher Weise auch in Lehrbüchern/sonstigen Materialien vermittelt. Dies stellt auch der Prüfungsausschuß nicht in Frage. Er hat dem Kläger nicht etwa die richtige Beantwortung der Prüfungsfragen vorgehalten, sondern vielmehr die augenfällige Übereinstimmung seiner Wortwahl mit den individuellen Lösungsvorschlägen des Prüfungsausschusses als Indiz für eine Täuschungshandlung gewertet. Eine plausible Erklärung für diese auffällige Übereinstimmung in der Formulierung hat der Kläger weder im Widerspruchsverfahren noch im Klageverfahren zu liefern vermocht.

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Auch weitere Umstände bestätigen die Einschätzung des Prüfungsausschusses, daß der Kläger bei der Anfertigung seiner schriftlichen Arbeiten im November 1990 im Besitz der Lösungsvorschläge des Prüfungsausschusses (und zwar in ihrer ursprünglichen Fassung, die aufgrund des Ergebnisses der Sitzung des Ausschusses vom 17. Oktober 1990 in den nächsten Tagen noch geändert wurde) gewesen ist. Besonders auffällig ist insoweit die Lösung der Aufgabe 1 der schriftlichen Arbeit im Fach "Mathematische und naturwissenschaftliche Grundlagen", die der Kläger tatsächlich lediglich im Umfange der zunächst allein vorgesehenen Frage gelöst hat. Die ursprüngliche Fassung der in Aussicht genommenen Prüfungsfrage lautete: "Nennen Sie die drei gebräuchlichstem Zahlensysteme. Worin unterscheiden sie sich?". Als Antwort wurde nach dem ursprünglichen Lösungsvorschlag erwartet: "Dezimalsystems Basis 10, Faktoren 0, 1, 2 ... 9; Dualsystem: Basis 2, Faktoren 0, 1; Hexadezimalsystem: Basis 16, Faktoren 0, 1, 2, ... 9, A, ... F". Mit dieser erwarteten Antwort war die vom Kläger gelieferte Lösung zum späteren Teil 1.1. der Aufgabe deckungsgleich ("Dezimal: Basis 10, Faktor 0-9; Dual: Basis 2, Faktor 0 und 1; Hexadezimal: Basis 16, 0-9 und A - F"). Demgegenüber lautete die überarbeitete Fragestellung:

"1.1.
Stellen Sie das Binär-, das Oktal-, das Dezimal- und das Hexadezimal-Zahlensystem in der Schreibweise der Potenzen mit ihren Faktoren dar.

1.2.
Geben Sie die heutige Jahreszahl in den vier unter 1.1. genannten Zahlensystemen an".

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Im Unterschied zur ursprünglichen einheitlichen Frage 1 war die Aufgabe jetzt in 1.1 und 1.2 untergliedert und auch inhaltlich völlig neu gefaßt. Bei der Teilaufgabe 1.1 wurde nunmehr auch noch nach dem Oktal-Zahlensystem gefragt. Diese Frage konnte der Kläger nicht beantworten. Ebensowenig vermochte er die neue Frage 1.2 zu lösen. Dies hat er schriftsätzlich damit zu begründen versucht, er habe mit dieser Frage "nichts anfangen" können und ihre Beantwortung deshalb aus prüfungstaktischen Erwägungen heraus zunächst zurückgestellt; in der mündlichen Verhandlung hat er ergänzend angegeben, er sei kein Prüfungstyp und während der schriftlichen Arbeit(-en) anfangs nervös gewesen. Diese Erklärungsversuche überzeugen jedoch nicht. Mit Recht hat die Beklagte darauf hingewiesen, daß der Kläger bei der Teilaufgabe 1.2 doch lediglich die Jahreszahl (1990) in den jeweiligen Zahlensystemen hätte darstellen müssen. Hierzu aber hätte er ersichtlich - jedenfalls bezüglich des Dezimal-, des Dual- und des Hexadezimalsystems - trotz dieser Prüfungsnervosität in dar Lage sein können und müssen, wenn er zuvor die Teilaufgabe 1.1 insoweit tatsächlich aus eigenem Wissen beantwortet hätte.

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Für eine Täuschungshandlung des Klägers spricht zudem die Art der Bemaßung der von ihm im Rahmen der Arbeit im Fach "Fertigungstechnik" gefertigten Zeichnung. Der Kläger hat die dem Lösungsvorschlag des Prüfungsausschusses zugrundeliegende ungewöhnliche Bemaßung, die von der allgemeinen Vorgehensweise abweicht und nach den Angaben des Prüfers Lange in der mündlichen Verhandlung einem "alten Buch" entnommen worden ist, bis auf geringe Abweichungen nachvollzogen. Eine plausible Erklärung für diese Übereinstimmung hat der Kläger nicht zu liefern vermocht.

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Auffällig ist auch das - im Vergleich zu seinen guten und sehr guten "Leistungen" bei den schriftlichen Prüfungsarbeiten - äußerst schlechte Ergebnis in der praktischen Prüfung (Betriebstechnische Situationsaufgabe), bei der der Kläger lediglich 50 Punkte und damit gerade noch eine ausreichende Bewertung erreicht hat.

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Gegen den Kläger spricht endlich der Zeitpunkt seiner Anmeldung zur Fortbildungsprüfung. Der Kläger hat am Vorbereitungskurs nicht teilgenommen und sich zur Fortbildungsprüfung erst nach Ablauf der Anmeldungssfrist (15. Oktober 1990), nämlich unter dem 22. Oktober 1990, angemeldet. Die Anmeldung erfolgte damit nur gut zwei Wochen vor den schriftlichen Arbeiten (8./9. November 1990).

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Der Kläger hat seine späte Anmeldung in der mündlichen Verhandlung damit zu erklären versucht, sein Chef habe ihm geraten, an diesem Prüfungsdurchgang teilzunehmen. Dieser Erklärungsversuch des Klägers überzeugt jedoch nicht. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung drängt sich vielmehr auf, daß die Anmeldung des Klägers am 22. Oktober 1990 vor dem Hintergrund der vorangegangenen Sitzung des Prüfungsausschusses für die Durchführung von Zwischen- und Abschlußprüfungen in den Ausbildungsberufen der Elektroindustrie im Zuständigkeitsbereich der Beklagten am 18. Oktober 1990 zu sehen ist. An dieser Sitzung haben sowohl der Kläger als Mitglied dieses Prüfungsausschusses als auch der Prüfer ..., der gleichzeitig in dem Prüfungsausschuß Industriemeister/Elektrotechnik tätig ist, teilgenommen. Nach den Angaben des Prüfers ... in der mündlichen Verhandlung hat dieser in der damaliger. Sitzung des "Facharbeiter"-Prüfungsausschusses in einer Plastiktüte versehentlich die Prüfungsunterlagen aus der Sitzung des Prüfungsausschusses "Industriemeister/Elektrotechnik", die einen Tag zuvor stattgefunden hat, bei sich gehabt. Bei diesen Prüfungsunterlagen handelte es sich um die ursprünglichen Aufgabenvorschläge und Lösungsentwürfe für die schriftliche Prüfung, die im Rahmen der Sitzung am 17. Oktober 1990 an alle anwesenden Prüfer wechselseitig verteilt worden waren (insgesamt "1 kg Papier"). In dieser Sitzung waren sodann vom Prüfungsausschuß nach Änderungen der ursprünglichen Änderungsvorschläge bzw. Lösungsentwürfe beschlossen worden. Diese Änderungen wurden von den Prüfern, die für die Aufgabenstellung der schriftlichen Arbeiten jeweils zuständig waren, aber erst in den folgenden Tagen vorgenommen. Am 26. Oktober 1990 wurden die endgültigen Aufgabenvorschläge für die schriftliche Prüfung bei der Beklagten eingereicht. Jedenfalls hatte der Prüfer ... bei der Sitzung des "Facharbeiter"-Prüfungsausschusses am 18. Oktober 1990 noch die ursprünglich erarbeiteten Aufgabenvorschläge für die schriftliche Prüfung dabei. Als er sein Versehen bemerkte, entwickelte sich darüber ein Gespräch mit dem neben ihm sitzenden Kläger. Dieser bekundete dabei nach den Angaben des Prüfers ..., die von dem persönlich anwesenden Kläger in der mündlichen Verhandlung auch nicht bestritten worden sind, Interesse an einer Einsicht in diese Prüfungsunterlagen, wobei er sinngemäß verlauten ließ, er wolle später vielleicht auch einmal an der Meisterprüfung teilnehmen. Daraufhin überließ der Prüfer ... dem Kläger, seinem Prüferkollegen, die Unterlagen während der Sitzung am 18. Oktober 1990 zur Einsicht. Nur vier Tage nach dieser Einsichtnahme - nämlich am 22. Oktober 1990 - hat sich der Kläger sodann zur Fortbildungsprüfung angemeldet.

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Nach alledem zwingen die Fallumstände zu dem Schluß, daß sich der Kläger während der schriftlichen Prüfung unerlaubter Hilfsmittel - nämlich der (ursprünglichen) Lösungsentwürfe des Prüfungsausschusses - bedient und damit eine schwere Täuschungshandlung im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 2 PO begangen hat.

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Zumindest aber hat der Kläger den gegen ihn sprechenden Beweis des ersten Anscheins nicht widerlegt. Ein Täuschungsversuch kann nämlich durch den Beweis des ersten Anscheins bewiesen werden, wenn die Prüfungsarbeit(-en) und das von den Prüfern erarbeitete, allein zur Verwendung durch die Prüfungskommission bestimmte Lösungsmuster teilweise wörtlich und im übrigen in Gliederung und Gedankenführung übereinstimmen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluß vom 20. Februar 1984 - 7 B 109.83 -, Buchholz 421.0, Prüfungswesen Nr. 196). Die in erheblichem Umfang wörtliche und im übrigen sinngemäße Wiedergabe der schriftlichen Ausarbeitung einer anderen Person setzt typischerweise voraus, daß der Wiedergebende von dieser Ausarbeitung zuvor Kenntnis erlangt hat. Ist diese Ausarbeitung aber - wie hier - ein nur zur Verwendung des Prüfungsausschusses bestimmtes "Lösungsmuster", so ist mangels einer anderen hinreichenden Erklärung für die Übereinstimmung die Schlußfolgerung zwingend, daß der Prüfling eine Täuschungshandlung begeht, wenn er eine in Kenntnis des Lösungsmusters erstellte Prüfungsarbeit als eigene Prüfungsleistung ausgibt (BVerwG, a.a.O.). Den gegen ihn sprechenden Beweis des ersten Anscheins hat der Kläger mit seinem Vorbringen nicht zu erschüttern vermocht; Tatsachen, die eine andere Erklärung für die weitgehende Übereinstimmung der Lösungsvorschläge und der Prüfungsarbeiten des Klägers in der Formulierung bei den vom Prüfungsausschuß beanstandeten Passagen als möglich erscheinen lassen, liegen hier gerade nicht vor.

49

Mit Recht hat der Prüfungsausschuß der Beklagten die Benutzung der internen Lösungsvorschläge durch den Kläger als eine besonders schwerwiegende Täuschungshandlung im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 2 PO gewertet und die Prüfung rechtsfehlerfrei insgesamt als nicht bestanden erklärt. Diese Entscheidung verletzt bei den hier gegebenen Fallumständen auch nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. auch BVerwG, a.a.O.).

50

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

51

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Regelung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß § 13 Abs. 1 GKG auf 10.000,- DM festgesetzt.

Gärtner
Lassalle
Lang