Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 13.07.1998, Az.: 4 W 129/98
Voraussetzungen einer Ausgleichszahlung zugunsten des Inhabers eines Wohnungsrechtes; Unmöglichkeit der Ausübung des Wohnungsrechtes auf Grund eigener Pflegebedürftigkeit; Erlöschen des Wohnungsrechtes durch Umzug in ein Altenheim; Umwandlung des Wohnrechtes in eine Geldleistung oder in ein Vermietungsrecht
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 13.07.1998
- Aktenzeichen
- 4 W 129/98
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1998, 30467
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1998:0713.4W129.98.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 23.12.1997 - AZ: 9 O 224/97
Rechtsgrundlagen
- § 1093 BGB
- § 242 BGB
Fundstellen
- MDR 1998, 1344
- MDR 1999, 97
- MDR 1999, 87 (amtl. Leitsatz mit Anm.)
- NJW-RR 1999, 10-11 (Volltext mit red. LS)
- NZM 1998, 929-930
- OLGReport Gerichtsort 1998, 237-238
Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle hat
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters ... sowie
der Richter ... und ...
am 13. Juli 1998
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 23. Dezember 1997 teilweise geändert.
Der Antragstellerin wird Prozeßkostenhilfe auch für den Antrag bewilligt, die Antragsgegner zu verurteilen, an sie mit Wirkung vom 1. November 1997 monatlich 300 DM zu zahlen.
Der Antragstellerin wird Rechtsanwalt ... in Hannover beigeordnet.
Gründe
I.
Der Antragstellerin ist von ihrem Sohn ein unentgeltliches und lebenslängliches dingliches Wohnrecht an Räumen im Obergeschoß einer Wohnung in ... eingeräumt worden. Die Antragsgegner haben das Hausgrundstück vom Sohn der Antragstellerin gekauft und in diesem Vertrag das Wohnrecht übernommen.
Die Antragstellerin ist inzwischen pflegebedürftig und wohnt in einem Heim. Sie verlangt eine monatliche Nutzungsentschädigung von 300 DM, hilfsweise Herausgabe der Wohnung. Anläßlich des Umzuges der Antragstellerin in das Pflegeheim ist den Antragsgegnern ein Schlüssel zu der Wohnung übergeben worden, zu dessen Rückgabe die Antragsgegner mit Fristsetzung bis zum 22. Oktober 1997 erfolglos aufgefordert worden sind.
Die Parteien streiten u.a. darüber, ob die Antragsgegner die leerstehenden Räume selbst nutzen und ob die Wohnung vermietbar ist. Nach dem bisher unwidersprochenen Vortrag der Antragstellerin handelte es sich ursprünglich um eine abgeschlossene Wohnung, weil eine gesonderte Wohnungseingangstür eingebaut worden ist. Die Antragstellerin hält es für möglich, daß die Antragsgegner nach ihrem Auszug diese Tür entfernt haben und die Räume nunmehr nicht mehr in sich abgeschlossen sind.
Das Landgericht hat der Antragstellerin Prozeßkostenhilfe nur für das Herausgabeverlangen zugebilligt und im übrigen die Auffassung vertreten, für das Zahlungsbegehren fehle es an einer Anspruchsgrundlage.
II.
Die gemäß § 127 Abs. 3 ZPO zulässige Beschwerde hat Erfolg.
1.
Die Rechtsprechung (OLG Köln, ZMR 1995, 256; Senat 4 U 266/94 vom 21. Juli 1995; weitere ausführliche Nachweise bei Palandt/Heinrichs, BGB, 57. Aufl. 1998, Rdn. 154 zu § 242) hat sich schon mehrfach mit der Frage beschäftigt, ob und unter welchen Voraussetzungen der Inhaber eines Wohnungsrechtes einen Ausgleich in Geld für den Fall verlangen darf, daß ihm die Ausübung seines Rechts infolge Pflegebedürftigkeit voraussichtlich auf Dauer nicht mehr möglich ist.
a)
Das als beschränkt persönliche Dienstbarkeit begründete und in § 1093 BGB geregelte Wohnungsrecht erlischt grundsätzlich, wenn infolge von Veränderungen die Ausübung des Rechts aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen dauernd ausgeschlossen ist oder wenn der Vorteil für die Benutzung des herrschenden Grundstücks infolge grundlegender Änderung der tatsächlichen Verhältnisse oder der rechtlichen Grundlagen objektiv und endgültig wegfällt (BGH DNotZ 1989, 562). Wie die Rechtsprechung (OLG Zweibrücken, OLGZ 1987, 27; OLG Köln, ZMR 1995, 256) allerdings mehrfach entschieden hat, führt ein subjektives Ausübungshindernis - wie der Umzug in ein Altenheim - grundsätzlich noch nicht zum Erlöschen des Rechts, zumal nicht sicher vorherzusehen ist, ob sich der gesundheitliche Zustand des Berechtigten bessert.
b)
Unabhängig von der noch unter Ziffer 2. zu erörternden Frage der Umwandlung in einen Zahlungsanspruch oder der Verpflichtung zur Vermietung sind die Antragsgegner jedenfalls unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt befugt, die zur Zeit leerstehenden Räume selbst zu nutzen. Da sie trotz entsprechender Aufforderung und Fristsetzung seit Ende Oktober 1997 die Schlüssel nicht herausgegeben und möglicherweise sogar die ursprünglich vorhandene Wohnungseingangstür abgerissen haben, bestehen jedenfalls ausreichende Anhaltspunkte dafür, daß die Antragsgegner trotz ihrer entgegenstehenden Behauptung die Räume in der Vergangenheit selbst genutzt haben und dementsprechend ein Schadensersatzanspruch analog den §§ 987 ff. BGB in Betracht kommt.
2.
Zur Frage der Umwandlung in Geldleistungen bzw. zum Vermietungsrecht gilt folgendes:
Die Rechtsprechung (Senat 4 U 266/94; OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 326 [OLG Düsseldorf 28.10.1987 - 9 U 69/87] sowie NJW-RR 1994, 201; OLG Köln, NJW-RR 1989, 138 [OLG Köln 04.11.1988 - 19 U 96/88]) hat bereits mehrfach ausgesprochen, daß unter Berücksichtigung des Rechtsinstituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ein nicht mehr ausübbares Wohnungsrecht auch Geldzahlungsansprüche auslösen kann. Geregelt ist dieser Fall ausdrücklich in Art. 16 des Niedersächsischen AGBGB, der bestimmt, daß bei einem Auszug des Altenteilers, der von keiner der Parteien zu vertreten ist, der Verpflichtete zum Ersatz der ihm aus der Nichtausübung des Altenteilsrechts erwachsenden Vorteile verpflichtet ist. Obwohl es sich im vorliegenden Fall nicht um ein Altenteil handelt, hat die Rechtsprechung in den zitierten Entscheidungen die für das Altenteil entwickelten Grundsätze auf andere Wohnungsrechte entsprechend angewendet. Ob der Antragstellerin in diesem Zusammenhang ein Anspruch zusteht, läßt sich indessen noch nicht abschließend beurteilen, weil die Antragstellerin Ausgleichszahlungen auch für die Zukunft verlangt und zur Zeit noch nicht übersehen werden kann, ob die Antragsgegner die Räume in Zukunft tatsächlich nutzen und insoweit Vorteile haben.
3.
Was die Befugnis zur Vermietung an Dritte im Fall des Umzuges in ein Pflegeheim anbetrifft, so hat das OLG Oldenburg (Nds.Rpfl. 1994, 305) ein derartiges Recht im Hinblick auf § 1093 Abs. 2 BGB ausdrücklich verneint, weil nach dieser Bestimmung der Berechtigte lediglich Familienangehörige in die dem Wohnrecht unterliegenden Räume aufnehmen darf, sofern im Vertrag nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Demgegenüber hat das OLG Köln (ZMR 1995, 256) entschieden, daß die Geschäftsgrundlage für die Beschränkung auf eine höchstpersönliche Nutzung je nach den Umständen bei Existenzgefährdung des Berechtigten wegfallen und die erforderliche Anpassung es gebieten kann, dem Berechtigten bei notwendiger auswärtiger Pflegeunterbringung die durch Vermietung oder sonstige Nutzung zu erzielenden Erträge zukommen zu lassen.
Das Oberlandesgericht Köln führt in diesem Zusammenhang aus, die Wortwahl des § 1093 Abs. 2 BGB spiegele die sozialen Verhältnisse beim Inkrafttreten des BGB vor fast 100 Jahren wieder und zeige den Willen des Gesetzgebers, dem Wohnungsberechtigten die Nutzung auch im Pflegefall zu ermöglichen. Da die Aufnahme von Pflegepersonal in die Wohnung heute wegen der veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse so gut wie ausgeschlossen sei, könne es dem Verpflichteten in Ausnahmefällen nach § 242 BGB zumutbar sein, bei unvorhergesehener persönlicher Verhinderung die Nutzungen dem Wohnungsberechtigten zukommen anstatt die Wohnung leerstehen zu lassen. Eine solche Pflicht bestehe jedenfalls dann, wenn nach Lage und Art der Räume eine Nutzung durch andere Personen ohne Beeinträchtigung der Verpflichteten möglich sei und der Berechtigte sich in einer existenzbedrohenden Notlage befinde, ohne daß es in diesem Zusammenhang auf die Frage ankomme, ob Sozialhilfeleistungen gewährt würden.
Der Senat tritt der Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln im Hinblick auf dessen überzeugende Begründung bei, denn es ist in der Tat nicht einzusehen, daß der Verpflichtete die Wohnung selbst nicht nutzen darf und leerstehen läßt, unter Berufung auf § 1093 Abs. 2 BGB aber gleichwohl eine ihm zumutbare Vermietung ablehnt. Nach dem - wenn auch bestrittenen - Vorbringen der Antragsteller in war die Wohnung abgeschlossen und vermietbar. Dafür hat sie Beweis angetreten (Zeugnis ... Augenscheineinnahme der Örtlichkeit). Die von der Antragsgegnerin zitierte Entscheidung BGH NJW-RR 1992, 566 befaßt sich in erster Linie mit prozessualen Fragen und nimmt zu dem konkreten Problem dieses Falles nicht detailliert Stellung.
4.
Im übrigen ist Prozeßkostenhilfe nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH NJW 1998, 1154) bereits dann zu bewilligen, wenn eine Rechtsfrage in der obergerichtlichen Rechtsprechung noch nicht eindeutig geklärt ist; diese Voraussetzungen liegen aber im Hinblick auf die einander widersprechenden Entscheidungen der Oberlandesgerichte Oldenburg und Köln vor, so daß auch die Zulassung der Revision in Betracht kommt (§ 546 Abs. 1 ZPO).
5.
Ob die von der Antragstellerin geräumte Wohnung nach den erwähnten Maßstäben vermietet werden kann, wird das Landgericht erforderlichenfalls durch einen Ortstermin oder ein Gutachten klären müssen.