Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.04.2016, Az.: 11 K 11006/14
Anwendung des umsatzsteuerlichen Regelsteuersatzes auf zur Benutzung durch Schwerstkranke gelieferte Beatmungsmasken
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 14.04.2016
- Aktenzeichen
- 11 K 11006/14
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 24478
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2016:0414.11K11006.14.0A
Rechtsgrundlagen
- § 12 Abs. 1 UStG
- § 12 Abs. 2 UStG
Fundstellen
- DStR 2017, 10
- DStRE 2017, 610-611
- MwStR 2017, 763
Amtlicher Leitsatz
Beatmungsmasken, die ein Zahntechniker auf ärztliche Verordnung zur Benutzung durch Schwerstkranke (außerhalb der Zahntechnik) liefert, unterliegen dem umsatzsteuerlichen Regelsteuersatz.
Tatbestand
Der Kläger ist selbständiger Zahntechnikermeister und als Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts tätig. In den Streitjahren lieferte er sogenannte Beatmungsmasken, die er auf ärztliche Verordnung individuell für einzelne Patienten in seinem Dentallabor herstellte. Abnehmer waren Schwerstkranke, die bei der Benutzung von Beatmungsgeräten die vom Hersteller mitgelieferten Standardmasken nicht verwenden konnten. Zur Herstellung nahm der Kläger unter ärztlicher Aufsicht Gipsabdrücke und stellte sodann die Masken unter Verwendung von Silikonmasse, wie sie auch in der Zahntechnik verwendet wird, her.
Streitig ist, mit welchem Steuersatz diese Leistungen der Umsatzsteuer zu unterwerfen sind.
Während der Kläger in seinen Steuererklärungen die oben genannten Leistungen dem ermäßigten Steuersatz unterwarf, nahm der Beklagte nach einer Betriebsprüfung an, die Lieferungen unterlägen dem Regelsteuersatz. Weder komme die Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 6 Umsatzsteuergesetz (UStG) in Betracht, weil die Fertigung der Masken für Zahntechniker nicht berufstypisch sei noch sei der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 52 d der Anlage 2 zum Gesetz anwendbar, weil die Masken zolltarifrechtlich in die Position 9019 einzuordnen seien.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren war die vom Kläger erhobene Klage erfolgreich. Mit Urteil des Niedersächsischen Finanzgericht vom 22. März 2012 (Az. 5 K 22/11) erkannte das Gericht, dass die in Rede stehenden Leistungen unter § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG fielen. Auf Revision des Beklagten hob der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 24. Oktober 2013 (Az.: V R 14/12) das Urteil auf und verwies die Sache an das Niedersächsische Finanzgericht zurück. § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG sei für die Lieferung der Beatmungsmasken nicht einschlägig. Im zweiten Rechtsgang sei jedoch zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine ermäßigte Besteuerung nach § 12 Abs. 2 Nr.1 UStG i.V.m. Nr. 52 d der Anlage 2 zum UStG vorliegen. Zu den dort genannten Gegenständen gehören Schwerhörigengeräte, Herzschrittmacher und andere Vorrichtungen zum Beheben von Funktionsschäden oder Gebrächen zum Tragen in der Hand oder am Körper oder zum Einpflanzen in den Organismus, ausgenommen Teile und Zubehör aus den Unterpositionen 9021.40 und 9021.50 sowie aus Unterpositionen 9021.90 des Zolltarifs.
Der Kläger trägt vor, die von ihm hergestellten Atmungsmasken ermöglichten die nicht- invasive Beatmung der ateminsuffizienten Patienten und dienten damit der Behebung von Funktionsstörungen. Sie seien weder Teile noch Zubehör. Die Beatmungsmasken würden vom Kläger individuell an die Gesichtsform der Patienten angepasst. Die hergestellten Beatmungsmasken seien mithin nicht Teil oder Zubehör eines gelieferten Beatmungsgeräts, sondern eine selbständige Vorrichtung zum Beheben einer Funktionsstörung. Zolltariflich sei deshalb die Einordnung unter der Position 902190 geboten. Hieraus folge die Anwendung des begünstigten Steuersatzes.
Der Kläger beantragt,
die Umsatzsteuer 2003 auf 725,53 €, die Umsatzsteuer 2004 auf 9.603,02 € und die Umsatzsteuer 2005 auf 9.852,71 € herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entgegen der Auffassung des Klägers seien die von ihm hergestellten Beatmungsmasken unter die Zolltarifposition 901920 einzuordnen. Hierunter sind aufgeführt Apparate und Geräte für Ozon- Sauerstoff- oder Aeorosoltherapie; Beatmungsapparate zum Wiederbeleben und andere Apparate und Geräte für Atmungstherapie. Zur Stützung seiner Rechtsauffassung verweist der Beklagte auf eine schriftliche Stellungnahme des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung vom 23. Februar 2015 (Bl. 126 - 127 der Gerichtsakte).
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Die Lieferungen der vom Kläger gefertigten Beatmungsmasken unterliegen dem Regelsteuersatz des § 12 Abs. 1 UStG, da die Voraussetzungen für eine ermäßigte Besteuerung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 52 d der Anlage 2 zur UStG nicht vorliegen.
Wie bereits der BFH im Urteil vom 24. Oktober 2013 V R 14/12 entschieden hat, ist eine Einreihung in Nr. 52 d der Anlage 2 zur UStG dann nicht möglich, wenn die hergestellten Beatmungsmasken zolltariflich der Position 9019 unterliegen. Nach Auffassung des erkennenden Senats sind jedoch die Beatmungsmasken genau in die Zolltarifpositionen 901920 einzuordnen.
Für die Einreihung von Waren zu den Kapiteln, Positionen und Unterpositionen des Zolltarifs gelten zunächst die allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der kombinierten Nomenklatur (Teil I, Titel 1, Abschnitt A des gemeinsamen Zolltarifs; VO (EWG) Nr. 2658/87) - AV -. Nach Nr. 6 der AV ist für die Einreihung von Waren in die Unterpositionen einer Position der Wortlaut dieser Unterpositionen, die Anmerkungen zu den Unterpositionen und - sinngemäß - die vorstehenden allgemeinen Vorschriften maßgebend.
Die Unterposition 901920 der Kombinierten Nomenklatur (KN) umfasst: Apparate und Geräte für Ozontherapie, Sauerstofftherapie, Aerosoltherapie, Apparate zum Wiederbeleben und andere Apparate und Geräte zur Atmungstherapie. Nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System Nr. 37.0 zur Position 9019 der KN ist diese Position auch auf Teile und Zubehör für die genannten Apparate und Geräte anzuwenden.
Unter Berücksichtigung vorgenannter Rechtsgrundsätze ordnet das Gericht die vom Kläger hergestellten Beatmungsmasken als jeweils Teile von Geräten zur Atemtherapie ein. Wie sich aus der Anschauung der Atemmasken in der mündlichen Verhandlung ergeben hat, kommt der einzelnen Maske keine eigenständig nutzbare Funktion zu. Vielmehr ergibt sich die Funktion erst in Zusammenhang mit der Nutzung von Beatmungsgeräten. Wie der Kläger selbst vorgetragen hat, entsprechen die von ihm gefertigten Beatmungsmasken den jeweils individuellen Bedürfnissen der Kranken, für die die üblicherweise von den Herstellern der Beatmungsgeräte mitgelieferten Standardmasken für eine dauerhafte Beatmung der Schwerstkranken unbrauchbar sind. Damit treten die vom Kläger gefertigten Masken in ihrer Funktion an die Stelle der Standardmasken. Sie werden damit Teil des jeweiligen Beatmungsgeräts und sind somit in die Zolltarifnummer 901920 einzuordnen. Dies schließt die Anwendung des begünstigten Steuersatzes aus.
Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen. Die Kostentragungspflicht des Klägers umfasst auch das Revisionsverfahren V R 14/12.