Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 18.08.2010, Az.: L 4 KR 66/09
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 18.08.2010
- Aktenzeichen
- L 4 KR 66/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 35344
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2010:0818.L4KR66.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 16.12.2008 - AZ: S 61 KR 113/07
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 16. Dezember 2008 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge.
Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) bis zu 3) werden für nicht erstattungsfähig erklärt.
Der Streitwert wird auf 15.000,- EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Feststellung des Versicherungsstatus des Beigeladenen zu 1) zur Klägerin in der Zeit vom 1. Februar 2000 bis 31. Dezember 2009.
Der im April 1976 geborene Beigeladene zu 1) ist der Sohn des Geschäftsführers und Inhabers der Klägerin, des im Juli 1947 geborenen D. und Enkel des im September 1916 geborenen und inzwischen verstorbenen E. (verheiratet gewesen mit F.). Er hat den Beruf des Baustoffkaufmanns erlernt. Der Großvater und der Vater des Beigeladenen zu 1) betrieben gemeinsam einen Baustoffhandel in der rechtlichen Form einer Offenen Handelsgesellschaft (OHG). An dieser waren der Großvater zu 2/3 und der Vater mit 1/3 beteiligt. Später gründeten der Vater und der Großvater des Beigeladenen zu 1) zusätzlich die Firma G ... Der Beigeladene zu 1) schloss mit der Firma G. im Oktober 1998 einen Geschäftsführer-Dienstvertrag, der Regelungen über eine Gehaltszahlung, Urlaub, Tantiemen, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall enthielt. Alleinige Gesellschafterin der Firma G. (Stammkapital 300.000,-DM) war die Verwaltungsgesellschaft H ... Alleinige Gesellschafter der Verwaltungsgesellschaft H. waren der Vater und der Großvater des Beigeladenen zu 1). Der Beigeladene zu 1) war an den Firmen nicht beteiligt.
Im Jahre 2003 wandelten der Vater und der zu diesem Zeitpunkt noch lebende Großvater des Beigeladenen zu 1) die Firma G. in die Firma I. um und gründeten zugleich die J., die Komplementärin der I. wurde. Zugleich trat die Verwaltungsgesellschaft H. einen Anteil des Stammkapitals (300.000,- DM) in Höhe von 1.000,- DM an die J. ab. Auch an diesen Firmen war der Beigeladene zu 1) nicht beteiligt. In den Jahren 1995 und 1996 gewährte der Beigeladene zu 1) seinem Vater zinslose Darlehen in Höhe von 150.000,- DM und 175.000,- DM.
Im Juni 2006 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Feststellung des Versicherungsstatus des Beigeladenen zu 1) von Beginn seiner Tätigkeit bei ihr im Juli 1998 an. Die Beklagte zog die Gesellschaftsverträge und Handelsregisterauszüge der Klägerin bei und ließ vom Beigeladenen zu 1) einen Fragebogen ausfüllen. Mit Bescheid vom 14. September 2006 stellte die Beklagte fest, dass der Beigeladene zu 1) in der Firma der Klägerin von Beginn an abhängig beschäftigt gewesen und mithin zu allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtig sei. Der Kläger sei an den Firmen der Klägerin nicht beteiligt und trage deshalb kein Unternehmerrisiko. Soweit er weitgehend unabhängig von Weisungen tätig werde, ändere dies nichts an der Feststellung, weil üblicherweise auch leitende Angestellte, die nicht mit den Gesellschaftern ihrer Firmen verwandt seien, gewöhnlich ebenfalls in dieser Weise tätig würden.
Mit ihrem Widerspruch vom 5. Oktober 2006 machte die Klägerin geltend, dass jedenfalls seit dem 1. Januar 2000 eine abhängige Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) nicht mehr gegeben sei. Der Vater des Beigeladenen zu 1) sei zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem auf dem Firmengelände befindlichen Haus ausgezogen und habe sich aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen, weil er eine andere Firma gekauft und sich dieser gewidmet habe. Er habe sich auch einer Operation unterziehen müssen. Der Beigeladene zu 1) habe seitdem die Geschäfte der Klägerin allein geführt. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2007).
Mit ihrer am 28. März 2007 bei dem Sozialgericht (SG) Oldenburg erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Der Beigeladene zu 1) trage entgegen der Beurteilung der Beklagten ein erhebliches Unternehmerrisiko, weil er seinem Vater zinslose Darlehen in Höhe von 325.000,- DM gewährt habe. Dabei handele es sich um Beträge, die er von seinem Großvater erhalten habe. Dass er sich offiziell nicht an den Firmen beteiligt habe, habe steuerliche Gründe gehabt.
Das SG hat der Klage durch Urteil vom 16. Dezember 2008 stattgegeben und festgestellt, dass der Beigeladene zu 1) seit dem 1. Februar 2000 in allen Zweigen der Sozialversicherung nicht der Versicherungspflicht unterliege. Unter Berücksichtigung dessen, dass für die Beurteilung der Versicherungspflicht von Geschäftsführern in Familienbetrieben in erster Linie die tatsächlichen und nicht die rechtlichen Verhältnisse maßgebend seien, müsse davon ausgegangen werden, dass der Beigeladene zu 1) die Geschäfte der Klägerin nach Gutdünken geführt habe. Der Vater des Beigeladenen zu 1) und Inhaber der Klägerin habe glaubhaft dargelegt, dass er sich wegen des Ankaufs einer anderen Firma den Geschäften der Klägerin nicht mehr habe widmen können. Auch räumlich habe er sich von der Firma getrennt und eine andere Wohnung bezogen.
Gegen dieses ihr am 30. Januar 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25. Februar 2009 bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Berufung eingelegt. Sie macht geltend, dass der Beigeladene zu 1) keinerlei Unternehmerrisiko trage. Die Umstände seiner Tätigkeit wiesen keine Unterschiede zu der Tätigkeit von Fremdgeschäftsführern auf, die häufig ebenso wie der Beigeladene zu 1) frei von Weisungen tätig werden könnten. Unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände überwögen die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 16. Dezember 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für rechtmäßig. Das SG habe in dem angefochtenen Urteil den Beigeladenen zu 1) zu Recht nicht für versicherungspflichtig gehalten und dabei in erster Linie auf die tatsächlichen Verhältnisse abgestellt.
Die Beigeladenen zu 2) und zu 3) haben sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorganges der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143 und § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden.
Sie ist auch begründet.
Nach § 5 Absatz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch -Fünftes Buch- (SGB V) sind versicherungspflichtig Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Für die Rentenversicherung ergibt sich diese Rechtsfolge aus § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch -Sechstes Buch- (SGB VI) und für die Arbeitslosenversicherung aus § 25 Abs. 1 Sozialgesetzbuch -Drittes Buch- (SGB III).
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch -Viertes Buch- (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben diese den Ausschlag (vgl. BSG Urteil vom 10. August 2000, Az: B 12 KR 21/98 R, veröffentlicht in SozR 3-2400 § 7 Nr. 15 mit weiteren Nachweisen).
Die von der Klägerin mit dem Beigeladenen zu 1) geschlossene Geschäftsführer-Dienstvereinbarung weist alle Merkmale einer abhängigen Beschäftigung auf. Der Senat hat sich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beigeladenen zu 1) und seines Vaters, des Inhabers der Klägerin, nicht die Überzeugung davon zu bilden vermocht, dass die tatsächlichen Verhältnisse von diesen Vereinbarungen in einer Weise abgewichen sind, dass eine abhängige Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) in der Firma der Klägerin seit dem 1. Februar 2000 nicht mehr angenommen werden kann. Die Klägerin hat gegenüber der Finanzverwaltung und gegenüber der Einzugstelle in der ganzen Zeit der Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) angegeben, dass dieser bei ihr abhängig beschäftigt sei. Der Beigeladene zu 1) hat davon als deren Geschäftsführer Kenntnis gehabt. Den Meldungen folgend wurden die auf das Gehalt und die sonstigen Bezüge des Beigeladenen zu 1) entfallenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge von der Klägerin abgeführt und als Betriebsausgaben geltend gemacht. Diesen Erklärungen misst der Senat erhebliche Bedeutung bei, weil der Inhaber der Klägerin und der Beigeladene zu 1) sich als geschäftskundige Personen über die Bedeutung dieser Erklärungen klar gewesen waren. Den Tatsachen, dass der Beigeladene zu 1) seit 2000 das Wohngebäude auf dem Betriebsgelände nur noch allein bewohnt hat, und dass der Inhaber der Klägerin sich seitdem im Wesentlichen anderen Geschäften zugewandt hat, misst der Senat demgegenüber nicht so erhebliche Bedeutung bei, dass durch sie die rechtlichen Vereinbarungen in den Hintergrund treten.
Dass der Beigeladene zu 1) seinem Vater in den Jahren 1995 und 1996 zinslose Darlehen in Höhe von insgesamt 325.000,- DM gewährt hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung der Sachlage. Der Beigeladene zu 1) hat in dem Fragebogen der Beklagten angegeben, dass er 1995 seine Lehre im väterlichen Betrieb abgeschlossen und in den Jahren 1996 und 1997 in den USA gearbeitet habe. Das Kapital sei ihm aus steuerlichen Gründen direkt von seinem Großvater zugeflossen. Dass das Kapital im Darlehenswege wieder direkt in den Betrieb zurückgeflossen ist, ohne dass der Beigeladene zu 1) rechtlich die Stellung als Gesellschafter erhielt, erachtet der Senat als Hinweis darauf, dass seine Beteiligung von seinem Großvater und seinem Vater gerade nicht gewollt war. Daraus zieht der Senat den Schluss, dass der Beigeladene zu 1) das Darlehen lediglich im Zusammenhang familiärer Gebundenheit gegeben hat. Eine Beteiligung am Unternehmerrisiko ist daraus nach Auffassung des Senates nicht abzuleiten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG iVm § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 1 und 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), denn keiner der Beteiligten gehört zu dem Personenkreis, für den nach § 183 SGG das Verfahren gerichtskostenfrei ist. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1) sind nicht erstattungsfähig, weil er unterlegen ist. Der Senat verneint die Erstattungsfähigkeit auch der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2) und zu 3), weil sie im Berufungsverfahren keine Stellungnahmen abgegeben haben.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Senat teilt die Auffassung des SG, wonach der Auffangstreitwert angesichts der Bedeutung der Sache zu verdreifachen ist.
Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen.
Im Hinblick auf die Festsetzung des Streitwertes ist die Senatsentscheidung unanfechtbar.