Sozialgericht Hildesheim
Urt. v. 10.07.2020, Az.: S 42 AY 112/19
Gewährung fortgeschriebener Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)
Bibliographie
- Gericht
- SG Hildesheim
- Datum
- 10.07.2020
- Aktenzeichen
- S 42 AY 112/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 37016
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- § 3 Abs. 4 AsylbLG
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger erstrebt im Wege des Überprüfungsverfahrens gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) die Gewährung gemäß § 3 Absatz 4 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) fortgeschriebener Grundleistungen für die Zeit vom 01. Januar bis zum 28. Dezember 2017.
Der 1988 geborene, im streitigen Zeitraum alleinstehende Kläger besitzt die pakistanische Staatsangehörigkeit und reiste am 29. September 2016 erstmals in das Bundesgebiet ein und stellte am 06. Oktober 2016 einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte mit Bescheid vom 01. August 2017 den Antrag auf Asylanerkennung, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie subsidiären Schutzes ab und stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote bestehen. Der Kläger wurde aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen zu verlassen, nach deren Ablauf ihm die Abschiebung nach Pakistan in Aussicht gestellt wurde. Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Göttingen erhoben (2 A 603/17), über die bislang nach dem Inhalt der Ausländerakte nicht entschieden wurde.
Der Kläger war im streitigen Zeitraum im Besitz einer Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Asylgesetz (AsylG) und wurde zum 17. November 2016 dem örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten zugewiesen, wo er sich in dieser Zeit auch tatsächlich aufhielt (vgl. Zuweisungsbescheid der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen - Standort Bramsche vom 10. November 2016). Die Beklagte brachte den Kläger zunächst in einer städtischen Flüchtlingsunterkunft in der Straße I. in Göttingen unter, von wo aus er zum 01. April 2017 in eine von ihm angemietete Wohnung in der J. in Göttingen umzog (zu einer monatlichen Kaltmiete von 205,- Euro zuzüglich (kalten) Nebenkosten von 186,- Euro und Heizkosten von 49,- Euro). Er verfügte im streitigen Zeitraum weder über einsetzbares Einkommen noch über verwertbares Vermögen.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 09. Dezember 2016 Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG (in der Fassung vom 11. März 2016) für die Zeit vom 25. November bis zum 31. Dezember 2016.
Für Januar 2017 gewährte sie konkludent ohne Erteilung eines Leistungsbescheides Grundleistungen in Höhe von 176,32 Euro. Dabei legte sie einen notwendigen persönlichen Bedarf in Höhe von 135,- Euro gemäß § 3 Absatz 1 Satz 8 Nr. 1 AsylbLG und einen notwendigen Bedarf in Höhe von 219,- Euro gemäß § 3 Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG zugrunde legte. Sie kürzte den notwendigen Bedarf um einen Betrag von 143,82 Euro für die als Sachleistung in der Flüchtlingsunterkunft gewährten Nahrungsmittel bzw. alkoholfreie Getränke (Abteilung 1). Ferner kürzte Sie den als Sachleistung gewährten notwendigen Bedarf für Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung um 33,86 Euro (Abteilung 4).
Mit Bescheiden vom 17. Januar und 14. Februar 2017 bewilligte die Beklagte Grundleistungen für Februar und März 2017 in unveränderte Höhe von 176,32 Euro mit einer Bedarfsberechnung, die jeweils mit derjenigen für den Monat Januar 2017 übereinstimmte.
Nach dem Umzug des Klägers in die selbst angemietete Unterkunft in der K. gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 13. April 2017 Grundleistungen für April und Mai 2017 in Höhe von 794,- Euro monatlich. Dabei legte sie monatlich unveränderte Leistungssätze nach § 3 Absatz 1 Satz 8 Nr. 1 und Absatz 2 Nr. 1 AsylbLG zugrunde). Für die Unterkunft berücksichtigte sie die tatsächliche monatliche Warmmiete in Höhe von 440,- Euro und überwies diese an den Vermieter.
Die Beklagte gewährte für die Monate Juni bis einschließlich Dezember 2017 jeweils konkludent ohne Erteilung von Leistungsbescheiden Grundleistungen in unveränderter Höhe von 794,- Euro monatlich, wobei die Bedarfe sich identisch mit denjenigen im April und Mai 2017 zusammensetzten.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers stellte am 22. Dezember 2018 einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X, mit dem er u.a. beantragte, die Grundleistungen für die Zeit vom 01. Januar bis zum 31. Dezember 2017 neu zu berechnen. Er begründete dies damit, dass die Leistungssätze nach § 3 Absatz 1 Satz 8 und Absatz 2 Satz 2 AsylbLG zu Unrecht nicht nach Absatz 4 fortgeschrieben worden seien.
Der Beklagten ging am 04. Januar 2019 ein Schreiben des Klägers vom 20. Dezember 2018 zu, mit dem dieser um die Überprüfung der bestandskräftigen und anfechtbaren Leistungsbescheide ab Januar 2017 gemäß § 44 SGB X bat. Er begründete dies mit der unterlassenen Fortschreibung der Leistungssätze der Grundleistungen zum 01. Januar 2017.
Mit Bescheid vom 01. April 2019 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit ab dem 29. Dezember 2017 bis zum 30. April 2019 privilegierte Leistungen nach § 2 Absatz 1 AsylbLG in Verbindung mit dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - Sozialhilfe - analog.
Mit weiterem Bescheid vom 01. April 2019 erklärte die Beklagte eine Teilabhilfe des Überprüfungsantrages - unter Einschluss des mit Schreiben vom 20. Dezember 2018 persönlich vom Kläger geäußerten Überprüfungsbegehrens - für die Zeit vom 29. bis zum 31. Dezember 2017, lehnte aber für den übrigen Zeitraum die Gewährung höherer Grundleistungen ab. Sie begründete dies damit, dass die Leistungssätze nach § 3 Absatz 1 Satz 8 und Absatz 2 Satz 2 AsylbLG nicht fortzuschreiben seien. Es gelte der in Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz (GG) verankerte Grundsatz des Vorranges des Gesetzes. Die Fortschreibung sei zunächst vom Gesetzgeber zu normieren, um diesen Vorgaben zu entsprechen. Eine Änderung und Fortschreibung sei bis dato nicht in Kraft getreten, so dass die Leistungssätze des aktuellen AsylbLG zugrunde zu legen seien. Ab dem Jahre 2017 sei keine Neufestsetzung der Grundleistungen erfolgt, weil der Bundesrat dem vom Bundestag verabschiedeten Dritten Gesetz zur Änderung des AsylbLG nicht zugestimmt habe. In Ermangelung einer gesetzlichen Neufestsetzung nach § 3 Absatz 5 AsylbLG habe auch keine Fortschreibung nach Absatz 4 erfolgen können. Daraufhin habe das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) einen neuen Gesetzesentwurf erarbeitet, der nunmehr in die Ressortabstimmung gegeben worden und dann vom Gesetzgeber zu verabschieden sei. Das BMAS sei der Auffassung, dass eine rechtlich wirksame Fortschreibung die Bekanntgabe der aktuellen Leistungssätze im Bundesgesetzblatt erfordere, die indes seit November 2016 nicht erfolgt sei. Eine Änderung der Leistungssätze sei damit ausschließlich dem Gesetzgeber vorbehalten und eine Fortschreibung durch die Beklagte unzulässig. Zudem sei zunächst eine Neufestsetzung erforderlich, da die Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) vorlagen.
Dagegen legte der Kläger am 23. April 2019 Widerspruch ein, den er damit begründete, dass die Grundleistungen nach § 3 Absatz 1 Satz 8 und § 3 Absatz 2 Satz 2 AsylbLG für die streitige Zeit zu Unrecht nicht fortgeschrieben worden und damit zu niedrig bemessen seien. Die Bekanntgabe im Bundesgesetzblatt sei zwar unterblieben, was aber nichts an der Verpflichtung der Behörde ändere, die Erhöhung entsprechend der gesetzlichen Regelung durchzuführen. Die Erhöhung selbst sei durch das Gesetz centgenau vorgeschrieben, und die Bekanntgabe im Bundesgesetzblatt habe lediglich deklaratorische Funktion, die im Einzelfall das Errechnen erspare und allenfalls als Arbeitshilfe diene, wie das Sozialgericht (SG) Stade mit Urteil vom 13. November 2018 - S 19 AY 15/18 - festgestellt habe. Nach alledem seien die Leistungen neu zu berechnen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2019 zurück und führte zur Begründung an, dass sie nach Artikel 20 Absatz 3 GG nicht gegen das Gesetz verstoßen dürfe. Die Fortschreibung sei daher zunächst vom Gesetzgeber zu normieren, was dem Vorrang des Gesetzes entspreche. In Ermangelung einer Neufestsetzung habe zum 01. Januar 2017 keine Fortschreibung erfolgen können. Eine Änderung und Fortschreibung der Leistungssätze durch die Beklagte sei nicht statthaft. Gestützt werde diese Rechtsansicht durch den Aufsatz von Hohm in ZFSH SGB 2/2019, S. 68 ff., weil die Fortschreibung als Rechtsnormqualität besitzender Akt einer konkret-generellen Leistungsbemessung bedürfe.
Dagegen hat der Kläger am 07. Juli 2019 Klage erhoben.
Er trägt vor:
Die Beklagte sei trotz unterlassener Bekanntgabe im Bundesgesetzblatt verpflichtet, die Grundleistungen fortzuschreiben. Denn die Bekanntgabe habe nur deklaratorische Funktion, die im Einzelfall das eigene Errechnen der Erhöhung erspare und allenfalls als Arbeitshilfe diene, aber keine Auswirkungen auf den Anspruch als solchen habe. Der Kläger verweise auf das Urteil des Landessozialgerichtes (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 23. Mai 2019 - L 8 AY 49/18 -, das Urteil des SG Stade vom 13. November 2018 - S 19 AY 15/18 - und die im einstweiligen Rechtsschutz ergangenen Beschlüsse des SG Stade vom 06. März 2019 - S 19 AY 1/19 ER - und 14. Mai 2019 - S 19 AY 7/19 ER - und des SG Bremen vom 20. März 2019 - S 39 AY 95/18 ER - und 24. Mai 2019 - S 39 AY 46/19 ER -. Der Gegenansicht von Hohm, aaO., S. 71 könne weder im Hinblick auf den Wortlaut der Norm noch der Gesetzessystematik gefolgt werden. Der Verweis auf den Vorrang des Gesetzes stelle kein Argument für die Annahme einer Wirksamkeitsvoraussetzung dar. Die Bekanntgabe habe keinen eigenständigen Regelungsgehalt und diene allein der Vereinfachung und Vereinheitlichung der organisatorischen Prozesse, damit nicht jede zuständige Kommune die Berechnung selbst vornehmen müsse. Eine solche Auslegung sei im Hinblick auf das Grundrecht für ein menschenwürdiges Existenzminimum gemäß Artikel 1 In Verbindung mit Artikel 20 GG geboten. Im Einzelfall des Klägers sei unter Berücksichtigung einer Fortschreibung zum 01. Januar 2017 mit einer entsprechenden Veränderungsrate von 1,24 Prozent ein Gesamtbedarf nach § 3 Absatz 1 Satz 8 Nr. 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG von monatlich 358,- Euro zugrunde zu legen. Der Gesetzgeber habe bereits in der Vergangenheit seine verfassungsrechtliche Pflicht verletzt, angemessene Leistungen nach dem AsylbLG zu gewähren. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärte im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10. Juli 2020, dass die bis Ende März 2017 erfolgten Absetzungen von den Leistungssätzen wegen des Sachleistungsbezuges unstreitig gestellt würden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01. April 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2019 zu verpflichten, die Bescheide vom 17. Januar, 14. Februar, 13. April 2017 sowie die konkludente Bewilligung für Januar 2017 und für die Zeit vom 01. Juni bis zum 28. Dezember 2017 teilweise zurückzunehmen und dem Kläger gemäß § 3 Absatz 4 AsylbLG fortgeschriebene Grundleistungen in Höhe weiterer 4,- Euro monatlich für die Zeit vom 01. Januar bis zum 28. Dezember 2017 zu gewähren sowie im Unterliegensfall die Berufung zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen sowie im Unterliegensfall die Berufung zuzulassen.
Sie trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor:
Eine Änderung der Leistungssätze nach § 3 Absatz 1 Satz 8 und Absatz 2 Satz 2 AsylbLG sei ausschließlich dem Gesetzgeber vorbehalten. Die Beklagte habe dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu folgen und den Vorbehalt des Gesetzes zu beachten. Leistungserhöhungen für den streitigen Zeitraum seien bislang nicht in Kraft getreten. Eine selbständige Änderung der Leistungssätze durch die Beklagte sei unzulässig. Der Gesetzgeber habe zum 01. September 2019 die Höhe der Leistungssätze für die Zukunft geändert.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Ausländerakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid vom 01. April 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2019 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten.
Die Klage ist unbegründet, weil der Kläger gegen die Beklagte zur Überzeugung der Kammer keinen Anspruch auf Gewährung gemäß § 3 Absatz 4 AsylbLG (folgend - soweit nicht anders gekennzeichnet - in der Fassung vom 11. März 2016) fortgeschriebener Grundleistungen für die Zeit vom 01. Mai bis zum 31. Juli 2018 hat.
Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide ist § 44 SGB X in Verbindung mit § 9 Absatz 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG.
Nach § 44 Absatz 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Nach Satz 2 gilt dies nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Hinsicht unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
Mit dem am 22. Dezember 2018 gestellten Überprüfungsantrag vermag der Kläger grundsätzlich höhere Leistungen rückwirkend ab dem 01. Januar 2017 geltend zu machen, weil die Jahresfrist des § 9 Absatz 4 Satz 2 Nr. 2 AsylbLG gewahrt ist. Der Überprüfungsantrag war zur Überzeugung der Kammer auch hinreichend bestimmt, weil er erkennen ließ, dass sämtliche ausdrücklichen oder konkludenten Bewilligungsentscheidungen für den Zeitraum vom 01. Januar bis zum 31. Dezember 2017 im Hinblick auf die Fortschreibung der Leistungssätze nach § 3 Absatz 1 Satz 8 Nr. 1 und § 3 Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG angegriffen werden sollten. Aus diesem Grunde ist es unschädlich, dass einzelne Bescheide in dem Antrag nicht benannt wurden (vgl. zur Rechtslage im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende: Urteile des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 28. Oktober 2014 - B 14 AS 39/13 R - und 13. Februar 2014 - B 4 AS 22/13 R -). Das Überprüfungsverfahren ist im gegebenen Einzelfall auf die Rechtsfrage der Fortschreibung beschränkt, da nach dem Inhalt des anwaltlich formulierten Antrages die Entscheidungen zu den Absetzungen wegen der zeitweiligen Sachleistungsgewährung für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke (Abteilung 1) und für Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung (Abteilung 4) in der Zeit der Unterbringung in der Flüchtlingsunterkunft nicht wiederaufgegriffen werden sollten. Dies bestätigte der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung, indem er die Einbehaltungen als Berechnungselement der Leistung unstreitig stellte und die Klage auf die Frage der Höhe der Leistungssätze nach § 3 Absatz 1 Satz 8 Nr. 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG wirksam beschränkte.
Die Beklagte hat jedoch zur Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Einzelfall das Recht nicht unrichtig angewandt bzw. ist nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Die konkludenten und damit gemäß § 37 Absatz 2 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) in anderer Weise bekannt gemachten Bewilligungsentscheidungen für Januar sowie Juni bis Dezember 2017 erweisen sich ebenso wie die Leistungsbescheide vom 17. Januar, 14. Februar und 13. April 2017 für den übrigen Teil des streitigen Zeitraums als rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in eigenen Rechten.
Der im streitigen Zeitraum im Besitz einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylG stehende und damit gemäß § 1 Absatz 1 Nr. 1 AsylbLG leistungsberechtigte, alleinstehende, hilfebedürftige und sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhaltende Kläger hat in der Zeit vom 01. Januar bis zum 28. Dezember 2017 keinen Anspruch auf privilegierte Leistungen gemäß § 2 Absatz 1 AsylbLG, weil er die 15-monatige Voraufenthalts- bzw. Wartezeit noch nicht zurückgelegt hatte, nachdem er am 29. September 2017 erstmals in das Bundesgebiet eingereist war.
Damit ist grundsätzlich eine durchgehende Leistungsberechtigung nach § 3 Absatz 1 Satz 8 Nr. 1 und § 3 Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG gegeben. Die Beklagte bewilligte dem im streitigen Zeitraum alleinstehenden Kläger zu Recht in rechtlich nicht zu beanstandender Art und Weise Grundleistungen in Höhe von 135,- Euro für den notwendigen persönlichen Bedarf und 219,- Euro für den notwendigen Bedarf, ohne die Grundleistungen ab dem 01. Januar 2017 gemäß § 3 Absatz 4 AsylbLG fortzuschreiben.
Gemäß § 3 Absatz 5 AsylbLG werden die Höhe des Geldbetrags für alle notwendigen persönlichen Bedarfe und die Höhe des notwendigen Bedarfs neu festgesetzt, wenn die Ergebnisse einer bundesweiten neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorliegen. Nach Absatz 4 Satz 1 werden der Geldbetrag für alle notwendigen persönlichen Bedarfe nach Absatz 1 Satz 8 sowie der notwendige Bedarf nach Absatz 2 Satz 2 jeweils zum 01. Januar eines Jahres entsprechend der Veränderungsrate nach § 28a Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - Sozialhilfe - in Verbindung mit der Verordnung nach § 40 Satz 1 Nr. 1 des SGB XII fortgeschrieben. Die sich daraus ergebenden Beträge sind jeweils bis unter 0,50 Euro abzurunden sowie von 0,50 Euro an aufzurunden (Satz 2). Das BMAS gibt jeweils spätestens bis zum 01. November eines Kalenderjahres die Höhe der Bedarfe, die für das folgende Kalenderjahr maßgebend sind, im Bundesgesetzblatt bekannt. § 40 Satz 1 Nr. 1 SGB XII (in der Fassung vom 22. Dezember 2016) ermächtigt das BMAS im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates den für die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach § 28a maßgeblichen Vomhundertsatz zu bestimmen (Nr. 1).
Die Neufestsetzung der Leistungssätze nach § 3 Absatz 1 Satz 8 und Absatz 2 Satz 2 AsylbLG ist aufgrund des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips gemäß Artikel 20 Absatz 1 und 3 Grundgesetz (GG), nach welchem der Gesetzgeber die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen hat, nur von diesem selbst vorzunehmen (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom 09. Februar 2010 - 1 BvL 1/09 und 02/09 -).
Die Kammer ist der Rechtsauffassung, dass es dem Gesetzgeber zum 01. Januar 2017 oblegen hätte, eine Neufestsetzung der Leistungssätze nach § 3 Absatz 1 Satz 8 und Absatz 2 Satz 2 AsylbLG vorzunehmen. Denn im Jahre 2017 wurden die Ergebnisse der EVS 2013 veröffentlicht, die gemäß § 3 Absatz 5 AsylbLG zwingend eine Neufeststellung erfordern. Die aus der Auswertung der EVS folgende Regelungsnotwendigkeit hatte der Gesetzgeber mit Einbringung des "Dritten Gesetz zur Änderung des AsylbLG" erkannt, das am 01. Dezember 2016 vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde. Eine Einigung im nach Ablehnung des Gesetzentwurfes durch den Bundesrat einberufenen Vermittlungsausschuss erfolgte nicht bis zum Ablauf der 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages im Jahre 2017, so dass das Gesetz nicht in Kraft treten konnte.
Die Kammer vermag sich dem Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 23. Mai 2019 - L 8 AY 49/18 - (obiter dictum) nicht anzuschließen, dass in diesem Fall eine Fortschreibung erfolgen müsse, weil eine Neufestsetzung nach § 3 Absatz 5 AsylbLG einer Fortschreibung vorgeht und der Regelung des § 3 Absatz 4 AsylbLG nicht entnommen werden kann, dass im Falle einer gesetzgeberisch unterlassenen Neufestsetzung trotz Vorliegens einer neuen EVS zumindest eine Fortschreibung erfolgen müsse (so auch Beschluss des SG Hamburg vom 08. Juli 2019 - S 28 AY 48/17 ER - und Beschluss des SG Detmold vom 27. Juni 2019 - S 16 AY 16/19 ER -; Birk, in LPK/SGB XII, 11. Auflage 2018, § 3, Rd. 26; aA Urteil des SG Stade vom 13. November 2018 - S 19 AY 15/18 - und Urteil des SG Bremen vom 29. Januar 2020 - S 39 AY 79/18 u.a.). Denn es ist zu konstatieren, dass § 3 Absatz 4 Satz 1 AsylbLG gerade nicht auf den gesamten § 28a SGB XII (in der Fassung vom 24. März 2011) verweist, sondern nur auf die entsprechende Anwendung der Veränderungsrate nach § 28a Absatz 2 SGB XII in Verbindung mit der in § 40 Satz 1 Nr. 1 SGB XIII (in der Fassung vom 22. Dezember 2016) normierten Verordnung. Damit findet nach dem aus der Regelungssystematik abzuleitenden Willen des Bundesgesetzgebers mangels Verweisung auf § 28a Absatz 1 SGB XII diese somit nur für Leistungsberechtigte nach dem SGB II und XII geltende Regelung keine Anwendung, nach welcher in Jahren, in denen keine Neuermittlung nach § 28 erfolgt, die Regelbedarfsstufen jeweils zum 01. Januar mit der sich nach Absatz 2 ergebenden Veränderungsrate fortzuschreiben sind. Damit hat der Gesetzgeber aus Sicht der Kammer das Konkurrenzverhältnis zwischen § 3 Absatz 4 und 5 AsylbLG dergestalt gelöst, dass bei Vorliegen einer neuen EVS die Neufestsetzung eine Fortschreibung ausschließt, auch wenn die Neuermittlung tatsächlich nicht erfolgt, obgleich die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen. Das LSG Niedersachsen-Bremen vertritt in seinem obiter dictum offenbar die Auffassung, dass der Rechtsgedanke des § 28a Absatz 1 SGB XII auf das Verhältnis von § 3 Absatz 4 und 5 AsylbLG zu übertragen sei, wohingegen die Kammer von der fehlenden Anwendbarkeit der erstgenannten Vorschrift ausgeht und diese Schlussfolgerung aus dem Wortlaut des § 3 Absatz 4 Satz 1 AsylbLG zieht mit ausdrücklichen Verweis auf die ausschließliche Anwendung der Veränderungsrate. Dass es sich dabei nicht um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers gehandelt hat, zeigt die unveränderte Überführung der Regelung in den seit dem 01. September 2019 geltenden § 3a Absatz 4 AsylbLG. Aus diesen Gründen vermag das Gericht auch nicht der Einschätzung des SG Stade zu folgen, dass § 3 Absatz 4 AsylbLG eine Koppelung an die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach § 28a SGB XII vorsehe, zumal eine analoge Anwendung der Norm aufgrund der Vorschrift des § 2 Absatz 1 AsylbLG ausscheidet, der einen Rückgriff auf das SGB XII für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG versperrt. Denn allein die Veränderungsrate sollte nach dem Willen des Bundesgesetzgebers übernommen werden, womit aus Sicht der Kammer für Grundleistungsberechtigte die Neufestsetzung und Fortschreibung nach einem anderen System als nach dem SGB II/XII erfolgen sollte, das nach eigenen rechtlichen Maßstäben zu bewerten ist. Für diese Annahme eines vom SGB XII getrennt zu behandelnden Systems spricht im Übrigen der grundsätzliche Ausschluss der analogen Anwendung des SGB XII für Bezieher von Grundleistungen in § 2 Absatz 1 AsylbLG.
Darüber hinaus sind zur Überzeugung der Kammer die nach § 10 AsylbLG zuständigen Leistungsträger des AsylbLG und die Sozialgerichtsbarkeit nicht berechtigt, anstelle des Gesetzgebers bzw. des BMAS selbständig eine Fortschreibung der Bedarfssätze vorzunehmen (so auch Hohm, ZFSH SGB 2, 2019, 68, 71 f.; Beschlüsse des SG Hamburg und Detmold aaO. u.a.; aA Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen aaO., Urteile des SG Stade und Bremen aaO. u.a.).
Zunächst ist festzustellen, dass Adressat der gesetzlichen Regelung des § 3 Absatz 4 AsylbLG grundsätzlich das BMAS ist. So hat dieses in der Vergangenheit in eigener Verfahrenshoheit mit der Bekanntmachung vom 26. Oktober 2015 (BGBl. I, S. 1793) ab dem 01. Januar 2016 zeitlich unbegrenzt die Leistungssätze nach § 3 AsylbLG fortgeschrieben. Auch im Jahre 2020 erfolgte eine Fortschreibung mit entsprechender Bekanntmachung des BMAS im Bundesgesetzblatt.
Die Kammer folgt der Rechtsansicht von Hohm, nach der es sich bei dem Verfahren nach § 3 Absatz 4 AsylbLG um einen dreistufigen normativen Prozess handelt, den das BMAS vorzunehmen hat und der einer Ersetzung durch die Leistungsträger nach dem AsylbLG und Sozialgerichte entzogen ist. Bei der Fortschreibung handelt es sich um einen Rechtsnormqualität besitzenden Akt einer konkret-generellen Leistungsbemessung, die über einen bloßen Rechenvorgang hinausgeht. Aus Sicht der Kammer hat allein der Normgeber darüber zu entscheiden, in welcher Art und Weise die Fortschreibung vorgenommen wird, wobei das LSG Niedersachsen-Bremen in dem zitierten obiter dictum angedeutet hat, dass mehrere Berechnungen denkbar sind, (vorerst) ohne die zutreffende zu bezeichnen, die der Intention des Gesetzgebers entspricht. So sei denkbar, auf die Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der Verordnung nach § 40 Satz 1 Nr. 1 SGB XII (hier Regelbedarfsstufen-FortschreibungsVO (RBSFV) 2016 für die Zeit ab dem 01. Januar 2016 abzustellen, oder eine Veränderungsrate aus der Neufestsetzung der Regelbedarfsstufen nach dem SGB XII aufgrund des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG) vom 22. Dezember 2016 zu bilden. Auch wenn dies nur zu unterschiedlichen Ergebnissen für die Bedarfsstufen 4 bis 6 führen mag, ist dies aus Sicht der Kammer von grundlegender Bedeutung, weil der Normgeber die Methodik der Fortschreibung als wesentliches Element einer abstrakt-generellen Regelung festzulegen hat, zumal dies den Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums betrifft. Die tatsächliche Möglichkeit unterschiedlicher Berechnungsweisen aufgrund der Auslegung des § 3 Absatz 4 AsylbLG im vorliegenden Einzelfall spricht letztlich dafür, dass nicht die Sozialgerichte und Leistungsbehörden anstelle des Normgebers befugt sind, die Leistungssätze fortzuschreiben, sondern dies als wesentliche Entscheidung vom Normgeber selbst zu bestimmen ist. Andernfalls wäre eine Untergrabung der Normen- und Rechtsanwendungsklarheit zu befürchten, so dass eine bundesweit einheitliche Rechtsanwendung nicht sichergestellt ist. Dass der Gesetzgeber bei Fassung des § 3 Absatz 4 AsylbLG eine Konzeption verfolgt hat, welche die wesentliche Rechtsfrage der Festlegung der Höhe der fortzuschreibenden Leistungssätze nicht unmissverständlich und abschließend geregelt hat, schließt die Kammer aus.
Für die rechtseinheitliche Fortschreibung der Leistungssätze hat zur Überzeugung der Kammer das BMAS aufgrund des abgestuften, als normativ zu bewertenden Verfahrens in § 3 Absatz 4 AsylbLG zu sorgen, das aus Fortschreibung (Satz 1), Rundungsregel (Satz 2) und Bekanntgabe im Bundesgesetzblatt besteht (Satz 3).
Das Gericht vertritt in diesem Kontext die Auffassung, dass die Bekanntgabe im Bundesgesetzblatt nicht nur eine rein deklaratorische Form, sondern rechtsverbindliche Bedeutung hat (so auch Hohm aaO., Beschlüsse des SG Hamburg und Detmold; aA LSG Niedersachsen-Bremen aaO., Urteile des SG Stade und Bremen aaO., Frerichs, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Auflage, § 3a AsylbLG (Stand 23.06.20), Rd. 98). Die Regelung der Bekanntgabe in § 3 Absatz 4 Satz 3 AsylbLG ersetzt den Erlass einer Rechtsverordnung nach § 40 Satz 1 Nr. 2 SGB XII, die Anlage zu § 28 SGB XII um die sich durch die Fortschreibung nach Nr. 1 zum 01. Januar eines Jahres ergebenden Regelbedarfsstufen zu ergänzen, was die Leistungsbezieher nach dem SGB II und XII betrifft. Anders als dort, hat der Gesetzgeber des AsylbLG - in Anlehnung an die Regelungen zur Verkündung von Bundesgesetzen gemäß Artikel 82 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) - eine Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt angeordnet, jedoch jeweils um für die abstrakt-generelle Leistungsbemessung mit Regelsätzen bzw. den Leistungssätzen nach § 3 Absatz 1 Satz 8 und Absatz 2 Satz 2 eine bundesweite Bekanntgabe zu treffen, welche die legislative Regelung veröffentlicht. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Bekanntgabe im Bundesgesetzblatt angeordnet wurde, sofern keine Rechtsverbindlichkeit beabsichtigt war, wovon auch das BMAS auszugehen scheint. In der Praxis orientieren sich die Leistungsbehörden ausschließlich an den in der Anlage zu § 28 SGB XII veröffentlichten Regelbedarfen für Leistungsbezieher nach SGB II/XII und den im AsylbLG oder nach § 3 Absatz 4 Satz 3 AsylbLG bekanntgemachten Leistungssätzen für Grundleistungsbezieher. Erst diese offiziellen Veröffentlichungen des Normgebers ermöglichen eine einheitliche bundesweite Rechtsanwendung.
Das Gericht vermag sich nicht die Überzeugung zu bilden, dass der Regelungsabsicht des Gesetzgebers entsprechen könnte, dass ab dem 01. Januar 2016 bis zum 31. August 2019 nunmehr sämtliche Träger nach dem AsylbLG im Bundesgebiet anstelle des BMAS selbst über die Fortschreibung entscheiden sollen und dabei eine rechtsverbindliche Entscheidung treffen müssten, nach welcher von mehreren möglichen Berechnungsweisen dies erfolgen soll. Dies gilt umso mehr, als es sich um eine schwierige Rechtsfrage handelt, in deren Rahmen unter anderem die konkrete Berechnung des Umfangs der Fortschreibung nicht eindeutig geklärt ist. Zur Überzeugung der Kammer kann - wie vorstehend dargelegt - daher nur der Gesetzgeber bzw. das BMAS in seiner legislativen Funktion die Fortschreibung allgemeinverbindlich regeln und dabei die Höhe der Leistungssätze festlegen.
Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des AsylbLG vom 15. August 2019 zu erkennen gegeben, dass eine weitergehende Regelungsabsicht lediglich hinsichtlich einer Neufestsetzung der Bedarfe ab dem 01. September 2019, nicht aber bezüglich der vorhergehenden Zeit besteht. Er wäre ohne Weiteres berechtigt gewesen, höhere Bedarfe rückwirkend für die Vergangenheit neu festzusetzen oder fortzuschreiben, zumal ein solches legislatives Vorgehen wegen des begünstigenden Charakters nicht vom verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot betroffen gewesen wäre. In der Vergangenheit hatte der Gesetzgeber bereits mit § 14 AsylbLG (in der Fassung vom 10. Dezember 2014) die Kompetenz zur Fortschreibung selbst ausgeübt und die Grundleistungen für das Jahr 2015 fortgeschrieben. Dass dieser - im entsprechenden Gesetzgebungsverfahren diskutierte Aspekt der rückwirkenden Fortschreibung letztlich nicht aufgriffen wurde - deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber für die Zeit vom 01. Januar 2017 bis zum 31. August 2019 auch rückwirkend die Grundleistungen auf dem bisherigen Niveau zu belassen beabsichtigte. Von der Rechtsansicht der Fortgeltung der Leistungssätze nach § 3 AsylbLG in der bis zum 31. Dezember 2016 normierten Höhe geht auch das BMAS aus mit der Begründung, dass mangels Neufestsetzung eine Fortschreibung nicht habe erfolgen können (vgl. BT-Drucks. 19/6663, S. 50). Für die Fortgeltung der Leistungssätze aus 2016 spricht im Übrigen die Tatsache, dass diese nach deren Bekanntmachung vom 26. Oktober 2015 ab dem 01. Januar 2016 (vorläufig) zeitlich unbegrenzt gelten sollten. Letztlich auch aufgrund der Entscheidung des Gesetzgebers, eine Neufestsetzung ab dem 01. September 2019 vorzunehmen und auf eine rückwirkende Fortschreibung zu verzichten, verbietet sich zur Überzeugung der Kammer eine Korrektur dieser legislativen Entscheidung durch Sozialgerichte und Leistungsbehörden nach dem AsylbLG.
Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass im vorliegenden Einzelfall im Rahmen der Anwendung und Auslegung des § 3 Absatz 4 und 5 AsylbLG eine Fortschreibung der Leistungssätze nach § 3 Absatz 1 Satz 8 Nr. 1 und Absatz 2 Nr. 1 AsylbLG im sozialgerichtlichen Verfahren rechtlich nicht möglich ist. Damit fehlt es letztlich an einer gesetzlichen Grundlage im Sinne des Vorbehaltes des Gesetzes nach Artikel 20 Absatz 3 GG bzw. der entsprechenden Anwendung von § 31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I).
Der Umfang der nicht fortgeschriebenen Grundleistungen verletzt den Kläger zur Überzeugung der Kammer nicht in verfassungsmäßigen Rechten. Aufgrund des Umfangs der umstrittenen Beträge ist eine Verletzung des Grundrechtes auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gemäß Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 GG (noch) nicht gegeben.
Das Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat mit Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 1/10 und 2/11 - die Verfassungsmäßigkeit der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG in der Fassung der Bekanntmachung vom 05. August 1997 verneint und dabei das bereits mit Urteil vom 09. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09) entwickelte, vorstehend zitierte Grundrecht auch auf Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG ausgedehnt. Demnach ist der Leistungsanspruch aus Artikel 1 Absatz 1 GG dem Grunde nach von der Verfassung vorgegeben, wobei dessen Umfang nicht unmittelbar aus dieser abgeleitet werden kann. Er hängt von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation der Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und ist danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen, der über einen Gestaltungsspielraum verfügt. Die Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums müssen zur Konkretisierung des grundrechtlichen fundierten Anspruchs folgerichtig in einem inhaltlich transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen und jeweils aktuellen Bedarf - realitätsgerecht bemessen - begründet werden können. Die Ergebnisse eines sachgerechten Verfahrens zur Bestimmung grundrechtlich garantierter, pauschalierter Ansprüche sind fortwährend zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Auf Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie auf Preissteigerungen oder auf die Erhöhung von Verbrauchssteuern muss daher auch in der Normsetzung zeitnah reagiert werden, um sicherzustellen, dass der aktuelle Bedarf gedeckt wird. Die materielle Kontrolle der Höhe der Sozialleistungen durch das BVerfG beschränkt sich darauf ob die Leistungen evident unzureichend sind.
Der Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012 lag die Situation zugrunde, dass die Grundleistungen nach dem AsylbLG seit dem Jahr 1993 nicht angehoben worden waren. Vor diesem Hintergrund leitete das BVerfG aus zwei Aspekten die Einschätzung ab, dass die Leistungen evident und damit offensichtlich unzureichend seien. Einerseits zog es den Anstieg des Preisniveaus in diesem Zeitraum mit mehr als 30 Prozent und andererseits die Differenz zu den Regelsätzen für alleinstehende Leistungsbezieher nach dem SGB II und SGB XII in Betracht. Hinsichtlich letzterer ergab sich im Januar 2012 eine Differenz in Höhe von 35 Prozent.
Diese unhaltbare Situation der knapp 20 Jahre nicht veränderten Grundleistungen ist mit dem vorliegenden Einzelfall zur Überzeugung der Kammer nicht vergleichbar. § 3 Absatz 4 AsylbLG beinhaltet einen Fortschreibungsmechanismus, den das BVerfG aufgrund des Grundrechts auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums für geboten hielt und im Übrigen auch in der tenorierten Übergangsregelung in § 28a SGB XII anordnete. Der Gesetzgeber ist somit bei Abfassung dieser Norm der verfassungsgerichtlichen Entscheidung gefolgt und hat dem Grunde nach für eine realitätsgerechte Anpassung der Bedarfe gesorgt, die sich an dem Mischindex aus der jeweils bundesdurchschnittlichen Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter und Dienstleistungen sowie der Nettolöhne und -gehälter je beschäftigten Arbeitnehmer nach der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung orientiert. Dass die Neufestsetzung ab dem 01. Januar 2017 am Grundsatz der Diskontinuität scheitern und deshalb eine Fortschreibung nicht möglich sein würde, konnte er nicht voraussehen und stellt eine Regelungsversagen dar, weil für diesen Fall nicht eine Vorschrift entsprechend § 28a SGB XII geschaffen wurde, die das Konkurrenzverhältnis zwischen Neufestsetzung und Fortschreibung eindeutig regelt.
Die aufgrund dieser gesetzgeberischen Vorgänge unterbliebene Fortschreibung verletzt den Kläger zur Überzeugung der Kammer (noch) nicht in seinem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, weil die wirtschaftliche Ausgangslage des vorliegenden Einzelfalls nicht mit derjenigen des knapp 20 Jahre seit 1993 nicht fortgeschriebenen Leistungssatzes nach § 3 AsylbLG a.F. vergleichbar ist. Von einer evidenten Unterdeckung vermag die Kammer im vorliegenden Einzelfall nicht auszugehen, weil der monatlich vorenthaltene Betrag sich auf 4,- Euro bzw. 1,24 Prozent der Leistungssätze beläuft, was nicht ansatzweise dem Ausmaß des 2012 bestehenden Defizits gegenüber der Weiterentwicklung der Verbraucherpreise und dem Abstand zum Regelsatz eines Leistungsberechtigten nach dem SGB II/XII von jeweils mehr als 30 Prozent entspricht. Die Leistungssätze nach § 3 AsylbLG waren daher zur Überzeugung der Kammer in der Zeit vom 01. Januar 2017 bis zum 31. August 2019 nicht offensichtlich und evident unzureichend. Die Kammer konnte aufgrund dieses Befundes davon absehen, dem BVerfG den Rechtsstreit gemäß Artikel 100 Grundgesetz vorzulegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gemäß § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, Absatz 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, weil hier die Beschwer des Klägers mit 47,61 Euro unterhalb des Schwellenwertes von 750,- Euro liegt. Die Berufung wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.