Sozialgericht Hildesheim
v. 22.05.2020, Az.: S 44 SO 150/19
Verurteilung des Sozialamtes zur Bescheidung eines Widerspruchs
Bibliographie
- Gericht
- SG Hildesheim
- Datum
- 22.05.2020
- Aktenzeichen
- S 44 SO 150/19
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2020, 37171
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- § 85 Abs. 1 SGG
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt den Widerspruch der Klägerin vom 08. Oktober 2018 gegen den Bescheid des Beklagten vom 02. Oktober 2018 zu bescheiden. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Tatbestand:Streitig ist die Bescheidung eines Widerspruches der Klägerin.
Die Klägerin war zumindest in den Jahren 2017 und 2018 rechtliche Betreuerin einer Person, die vom Beklagten Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) erhielt. Die Eltern der betreuten sind im Januar bzw. Juli 2017 verstorben. Im Oktober 2017 beantragte die Klägerin im Namen ihrer Betreuten die Übernahme der Kosten für die freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung bei der E. da die Betreute seit dem Tod des zuletzt verstorbenen Elternteils nicht mehr familienversichert war.
Im Januar 2018 beantragte die Klägerin für ihre Betreute diese über das Sozialamt Kranken zu versichern. Die zuständige F. lehnte mit Bescheid vom 17. Januar 2018 den Antrag auf eine Mitgliedschaft wegen des Bezuges von Sozialleistungen und damit des Vorliegens einer anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall ab.
Mit Bescheid vom 2. Oktober 2018 machte der Beklagte gegenüber der Klägerin eine Kostenerstattung gemäß § 103 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geltend. Der Beklagte habe die betreute mit Datum vom 30. Januar 2018 gemäß § 48 SGB XII bei der Krankenversicherung angemeldet. Die Kosten der Krankenbehandlung würden daher vom G. getragen. Dies beruhe auf einem Versäumnis der Klägerin. Die Klägerin habe nach Beendigung der Familienversicherung die Betreute nicht fristgerecht bei der freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung der H. angemeldet.
Hiergegen erhob die Klägerin am 8. Oktober 2018 Widerspruch. Sofern der Kostenersatzanspruch bestünde, müssten die ersparten Aufwendungen für Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung gegengerechnet werden.Mit Bescheid vom 18. Juni 2019 teilte die F. der Betreuten mit, dass keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfalle vorliege, sodass sich ihre Mitgliedschaft am 3. Juli 2017 fortsetzen würde. Ab diesem Zeitpunkt würde die F. als zuständige Kranken- und Pflegeversicherung leisten. Die Entscheidung beruhte auf einem Urteil des Sozialgerichtes Hildesheim vom 9. Oktober 2018, S 2 KR 329/18.
Mit Schriftsatz vom 25. September 2019, beim Sozialgericht Hildesheim am 27. September 2019 eingegangen, begehrt die Klägerin die Bescheidung ihres Widerspruches vom 8. Oktober 2018 gegen den Bescheid des Beklagten vom 2. Oktober 2018. Sie ist der Auffassung, dass sich das Verfahren nicht erledigt habe und der Beklagte den Widerspruch zu bescheiden habe.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, den Widerspruch der Klägerin vom 8. Oktober 2018 betreffend den Verwaltungsakt des Beklagten vom 2. Oktober 2018 zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Klägerin durch die Führung des Verfahrens gegen die F. für ihre Betreute die Richtigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes anerkannt hat, die Kostenerstattung sich jedoch aufgrund der Zahlung der F. erledigt habe. Insofern bestünde kein Widerspruch mehr, der beschieden werden könnte.Die Verwaltungsvorgänge des Beklagten lagen dem Gericht bei der Entscheidung vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf diese sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher gehört worden sind.
Die Klage ist gemäß § 88 SGG zulässig. Der Beklagte hatte nicht binnen drei Monaten über den Widerspruch der Klägerin entschieden. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Bescheidung ihres Widerspruches.Gem. § 85 Abs. 1 SGG ist dem Widerspruch, so er für begründet erachtet wird, abzuhelfen. Gem. § 85 Abs. 2 Satz 1 ist ein Widerspruch zu erlassen, soweit dem Widerspruch nicht abgeholfen wird.
Das Gesetz sieht also dem Wortlaut nach entweder eine Abhilfe oder einen Widerspruchsbescheid vor. Die Möglichkeit der Erledigung eines Widerspruches sieht das Gesetz dem Wortlaut nach nicht vor. Zumindest in den Fällen, in denen der Widerspruchsführer auf einer Entscheidung besteht, ist ein Widerspruchsbescheid zu erlassen (Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG Kommentar, 2. Auflage, § 85, Rdn. 6). Der Widerspruch ist dann gegebenenfalls als Unzulässig abzuweisen (Claus in jurisPK-SGG, Stand 15.07.2017, § 85 Rdn. 28).Jedoch auch unterstellt eine analoge Anwendung von § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG wäre auf das Widerspruchsverfahren zulässig, würde dies zu keiner anderen Entscheidung führen. Der Widerspruch ist nicht im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG erledigt. Der Verwaltungsakt ist weder zurückgenommen noch widerrufen worden. Er ist auch nicht anderweitig aufgehoben oder hat sich aufgrund von Zeitablauf erledigt. Eine auflösende Bedingung ist dem Verwaltungsakt ebenfalls nicht zu entnehmen. Der Verwaltungsakt ist auch entgegen der Auffassung des Beklagten nicht gegenstandslos geworden. Eine solche Erledigung auf andere Weise wurde in der Rechtsprechung zum Beispiel bei Streit um die Genehmigung eines Labors bei dessen Schließung oder bei Verfahren um ein persönliches Budget nach dem SGB IX bei Tod des Versicherten angenommen (Schütz in jurisPK-SGG, Stand 5. April 2018, § 131, Rn. 35).
Vorliegend ist dem Beklagten insofern zuzustimmen als er faktisch die gegen die Klägerin geltend gemachte Forderung nicht mehr zu fordern ist, da der Beklagte sich so bereichern würde, weil die F. die Zahlungen beglichen hat. Dies beruht jedoch nicht darauf, dass die F. auf die Schuld der Klägerin gezahlt hat, sondern die F. aufgrund eines Gerichtsurteile die Versicherung der Betreuten der Klägerin anerkannt hat.
Insofern wäre der Bescheid des Beklagten vom 2. Oktober 2018 ohnehin als rechtswidrig aufzuheben, da die Beklagte völlig verkannt hat, dass die Aufnahme oder Nichtaufnahme der Betreuten der Klägerin nicht auf einem Versäumnis der Klägerin beruhte, sondern auf der falschen Rechtsauslegung der F ... Gemäß § 188 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) setzt sich die Versicherung für Personen, deren Familienversicherung endet, mit dem Tag nach dem Ende der Familienversicherung als freiwillige Mitgliedschaft fort, es sei denn, das Mitglied erklärt innerhalb von zwei Wochen nach Hinweis der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeiten seinen Austritt.Die Beklagte hat hier die neue Rechtslage seit August 2013 verkannt. Nach der Rechtslage seit August 2013 setzt sich die Mitgliedschaft als freiwillige Mitgliedschaft fort, es sei denn der Austritt wird erklärt. Im Gegensatz zu der vorherigen gesetzlichen Regelung, die da lautete, dass eine freiwillige Versicherung nur dann eintritt, wenn innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nach Ende der Versicherungspflicht bzw. der Familienversicherung eine entsprechende Erklärung zur Fortsetzung der Mitgliedschaft erfolgt. Der Grund für die zunächst erfolgte Ablehnung der Versicherung durch die F. war eine falsche Auffassung von § 188 Abs. 4 Satz 3 SGB V. Die Krankenkasse hat hier verkannt, dass dieser Ausschluss nur bei Ende der Versicherungspflicht gilt und nicht bei Ende der Familienversicherung. Dies hätte die Beklagte auch durch aufmerksames Lesen des Urteiles des SG Hildesheim vom 9. Oktober 2018 erkennen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.