Sozialgericht Hildesheim
Urt. v. 11.09.2020, Az.: S 26 AS 816/18 V

Gewährung der tatsächlichen Bedarfe für Unterkunft für die Zeit

Bibliographie

Gericht
SG Hildesheim
Datum
11.09.2020
Aktenzeichen
S 26 AS 816/18 V
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 43325
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

  1. 1.

    Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 22. Mai 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2014, abgeändert mit Bescheiden vom 24. Juni und 23. September 2014, verurteilt, den Klägerinnen für die Zeit vom 01. Juni bis zum 30. November 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe monatlich weiterer 17,70 Euro zu gewähren.

  2. 2.

    Der Beklagte hat den Klägerinnen ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

  3. 3.

    Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerinnen erstreben im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - Grundsicherung für Arbeitssuchende - die Gewährung der tatsächlichen Bedarfe für Unterkunft für die Zeit vom 01. Juni bis zum 30. November 2014.

Die 1957 geborene, erwerbsfähige Klägerin zu 1. und ihre 1993 geborene Tochter, die 1993 geborene, erwerbsfähige Klägerin zu 2., beziehen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Sie bewohnten im streitigen Zeitraum eine 60 m² große Wohnung in der I. zu einer Kaltmiete von monatlich 300,- Euro zuzüglich kalten Nebenkosten von 97,50 Euro. Die Klägerin zu 2. bezog Kindergeld in Höhe von monatlich 184,- Euro und bis August 2014 Unterhalt in Höhe von 216,- Euro. Die Klägerinnen verfügten nicht über verwertbares Vermögen.

Der Beklagte erklärte mit Schreiben vom 19. Mai 2010, dass die Kosten der Unterkunft seiner Auffassung nach unangemessen seien und nach Ablauf von 6 Monaten das angemessene Maß von 365,40 Euro monatlich bewilligt werde.

Der Beklagte bewilligte den Klägerinnen auf ihren Fortzahlungsantrag mit Bescheid vom 22. Mai 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01. Juni bis zum 30. November 2014 in Höhe von monatlich 797,50 Euro. Er berücksichtigte dabei Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 377,50 Euro.

Dagegen legten die Klägerinnen am 04. Juni 2014 Widerspruch ein, den sie damit begründeten, dass die Kosten der Unterkunft 397,50 Euro betrügen.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2014 zurück und führte zur Begründung an, dass lediglich die angemessenen Unterkunftskosten zu berücksichtigen seien. Die Mietobergrenze für einen Zweipersonenhaushalt betrage in der Region I, Stadt Hildesheim, 377,50 Euro.

Mit Bescheid vom 24. Juni 2014 bewilligte der Beklagte ab Juli 2014 weitere 2,30 Euro und erkannte eine Bruttokaltmiete von monatlich 379,80 Euro an.

Hiergegen haben die Klägerinnen am 24. Juli 2014 Klage erhoben.

Sie tragen vor:

Das Sozialgericht (SG) Hildesheim habe die Mietdatenbank des Beklagten als unwirksam erachtet, so dass die Wohngeldtabelle zuzüglich eines Sicherheitsaufschlages von 10 Prozent zur Anwendung komme. Zwischenzeitlich habe das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen mit zwei Entscheidungen rechtskräftig entschieden, dass das Mietkonzept des Beklagten unschlüssig sei. Die Einbeziehung der Bestandsmieten stelle ein neues Konzept und damit keine zulässige Nachbesserung dar.

Mit Bescheid vom 23. September 2014 hat der Beklagte den Klägerinnen für die Zeit vom 01. September bis zum 30. November 2014 monatlich weitere 216,- Euro bewilligt und eine Bruttokaltmiete von 379,80 Euro berücksichtigt.

Der Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 08. September 2020 die Einholung eines Sachverständigengutachtens (1.) zum Beweis der Tatsache, dass die erhobenen Daten den Angebotsmarkt repräsentativ wiedergeben, (2.) dass das 20 %-Perzentil zutreffend errechnet wurde, (3.) dass der Spannoberwert hinsichtlich der Bestandsmieten unter mathematisch-statistischen Grundsätzen zutreffend errechnet wurde, (4.) dass durch die Einbeziehung von Bestandsmieten von Transferleistungsempfängern (SGB II, SGB XII, WoGG) das einfache Segment statistisch zutreffend abgebildet wird , (5.) dass die Erhebung weiterer Daten nicht unmöglich ist, (6.) dass unter mathematisch-statistischen Grundsätzen zutreffend aus den Daten zu den Angebotsmieten, die sich auf den gesamten Wohnungsmarkt beziehen, und den Daten zu Bestandsmieten von Transferleistungsempfängern ein einheitlicher (abstrakter) Angemessenheitswert errechnet wurde, (7.) dass die Auswertung der Daten durch den kommunalen Träger unter Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer (Methoden) erfolgt ist, (8.) dass der Beobachtungsgegenstand und der Beobachtungszeitraum nachvollziehbar definiert wurde und (9.) dass die Vergleichsräume zutreffend gebildet wurden.

Die Klägerinnen beantragen,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 22. Mai 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2014, abgeändert mit Bescheiden vom 24. Juni und 23. September 2014, zu verurteilen, ihnen für die Zeit vom 01. Juni bis zum 30. November 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 397,50 Euro zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und im Unterliegensfall die Berufung zuzulassen.

Er beantragt hilfsweise,

den Beweisanträgen aus dem Schriftsatz vom 08. September 2020 nachzugehen.

Er trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor:

Das Konzept zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten sei durch Einbeziehung der Bestandsmieten nachgebessert worden, auch wenn die Entscheidungen des LSG unrichtig seien. Er habe den Spannenoberwert der von SGB II-, SGB XII- und Wohngeldempfängern bewohnten Wohnungen ermittelt. Die Bestandsmieten werden mit 20 zu 80 Prozent zu den Angebotsmieten in Beziehung gesetzt. Es ergebe sich ein angemessener Wert von 359,84 Euro für Juni 2014 und 361,59 Euro für die Folgezeit. Die Datenprobe der Bestandsmieten sei nicht auf Wohnungen einfachsten Standards untersucht worden, weil diese nicht marktfähig seien und nicht angeboten würden. Dieser Wohnraum werde vor allem von untergetauchten Ausländern bewohnt. Der Zeitpunkt der Anmietung sei nicht erhoben worden. Es sei rechtlich nicht erheblich, welchen Anteil die untersuchten Wohnungen am Wohnungsmarkt ausmachten. Angaben zur konkreten Angemessenheit und Alternativwohnungen könnten nicht vorgenommen werden.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg.

Der Bescheid des Beklagten vom 22. Mai 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2014, abgeändert mit Bescheiden vom 24. Juni und 23. September 2014, erweist sich im tenorierten Umfang als rechtswidrig und verletzt die Klägerinnen in eigenen Rechten.

Die Bescheide vom 24. Juni und 23. September 2014 sind gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

Streitgegenständlich ist der Zeitraum vom 01. Juni bis zum 30. November 2014, welcher in den angegriffenen Bescheiden geregelt wurde. Die Entscheidungen der Behörde über Folgezeiträume sind nicht im Rahmen von § 96 SGG berücksichtigungsfähig (vgl. Urteile BSG vom 07. November 2006 - B 7b AS 14/06 R - und 25. Juni 2008 - B 11b AS 35/06 R -).

Die Klägerinnen haben zur Überzeugung der Kammer im streitigen Zeitraum Anspruch auf Gewährung weiterer 17,70 Euro monatlich im Rahmen der Bedarfe für Unterkunft, die in tatsächlicher Höhe von 397,50 Euro monatlich zu berücksichtigen sind.

Die erwerbsfähigen Klägerinnen sind im streitigen Zeitraum gemäß § 19 Absatz 1 SGB II leistungsberechtigt, weil ihr Einkommen nicht ausreicht, den laufenden Hilfebedarf zu decken. Zu Recht hat der Beklagte ihnen aus diesem Grund Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bewilligt.

Gemäß § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (Satz 3). Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre (Satz 4).

Der Streitgegenstand ist wirksam auf die Bedarfe für Unterkunft begrenzt worden. Dabei handelt es sich um eine abtrennbare, isoliert anfechtbare Verfügung (vgl. Urteile des BSG vom 06. August 2014 - B 4 AS 55/13 R -, 29. März 2007 - B 7b AS 2/06 R, 07. November 2006 - B 7b AS 8/06 R - und 27. Februar 2008 - B 14 AS 23/07 R -). Die Prüfung der Angemessenheit hat aber für Unterkunfts- und Heizkosten jeweils getrennt zu erfolgen, so dass eine Gesamtangemessenheitsgrenze im Sinne einer erweiterten Produkttheorie abzulehnen ist (vgl. Urteile des BSG vom 02. Juli 2009 - B 14 AS 36/08 R - und 17. Dezember 2009 - B 4 AS 50/09 R -). Höhere Bedarfe für Heizung werden - ausweislich des anwaltlich gestellten Klageantrages - mit dieser Klage nicht verfolgt, zumal der Beklagte die tatsächlichen Bedarfe für Heizung bewilligt hat.

Der Beklagte verfügt für den Vergleichsraum der Stadt Hildesheim zur Überzeugung der Kammer nicht über ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Bedarfe für Unterkunft. Das von diesem entwickelte Konzept entspricht nicht den Anforderungen der Rechtsprechung des BSG.

Die Angemessenheit der Unterkunftskosten (Kaltmiete und kalte Nebenkosten) ist nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 07. November 2006 - B 7b AS 18/06 R -) in mehreren Schritten zu prüfen: Zunächst bedarf es der Feststellung, welche Größe die vom Hilfebedürftigen beziehungsweise von der Bedarfsgemeinschaft gemietete Wohnung aufweist; das heißt, zu ermitteln ist die Quadratmeterzahl der im Streitfall konkret betroffenen Wohnung. Bei der Wohnungsgröße ist jeweils auf die landesrechtlichen Richtlinien über die soziale Wohnraumförderung abzustellen. Nach Feststellung der Wohnraumgröße ist als weiterer Faktor der Wohnungsstandard zu berücksichtigen. Angemessen sind nämlich die Aufwendungen für eine Wohnung nur dann, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist. Die Wohnung muss von daher hinsichtlich der aufgeführten Kriterien, die als Mietpreis bildenden Faktoren regelmäßig im Quadratmeterpreis ihren Niederschlag finden, im unteren Segment der nach der Größe der in Betracht kommenden Wohnungen in dem räumlichen Bezirk liegen, der den Vergleichsmaßstab bildet. Als räumlicher Vergleichsmaßstab ist in erster Linie der Wohnort des Hilfebedürftigen maßgebend, weil ein Umzug in einen anderen Wohnort, der mit einer Aufgabe des sozialen Umfeldes verbunden wäre, im Regelfall von ihm nicht verlangt werden kann (vgl. Urteil des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R -). Die Prüfung der Angemessenheit ist aber nicht nur auf der Grundlage von marktüblichen Wohnungsmieten abstrakt vorzunehmen. Vielmehr muss die Behörde nach der Rechtsprechung des BSG in einem letzten Schritt eine konkrete Angemessenheitsprüfung vornehmen, nämlich ob dem Hilfebedürftigen eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung tatsächlich und konkret verfügbar und zugänglich ist. Besteht eine solche konkrete Unterkunftsalternative nicht, sind die Aufwendungen für die tatsächlich gemietete Unterkunft als konkret angemessen anzusehen (vgl. Urteil des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rd. 22).

Der Grundsicherungsträger hat nach der Rechtsprechung des BSG ein schlüssiges Konzept zu erstellen, welches nach dem Urteil des genannten Gerichtes vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R - folgende Kriterien aufzuweisen hat:

• die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung), • es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, zB welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße, • Angaben über den Beobachtungszeitraum, • Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, zB Mietspiegel), • Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten, • Validität der Datenerhebung, • Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und • Angaben über die gezogenen Schlüsse (zB Spannoberwert oder Kappungsgrenze).

Die Kammer ist der Überzeugung, dass der Beklagte über kein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der Bedarfe für Unterkunft verfügt. Damit ist auf die Werte der Wohngeldtabelle in der seit dem 01. Januar 2009 geltenden Fassung (§ 12 Wohngeldgesetz (WoGG)) zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von 10 Prozent abzustellen.

Bei Bestimmung der angemessenen Bedarfe der Unterkunft ist auf die angemessene Wohnungsgröße abzustellen (vgl. Urteil des BSG vom 07. November 2006 - B 7b AS 18/06 R -). In Niedersachsen sind die Richtlinien über die soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsbestimmungen - WFB 2003 -) in dem Runderlass vom 27. Juni 2003 geregelt (Nds. Ministerialblatt 2003, Heft 27, S. 580). Gemäß Ziffer B Nr. 11.2 der Wohnraumförderungsbestimmungen - WFB 2003 - gilt bei Mietwohnungen für einen Zweipersonenhaushalt eine Wohnfläche bis 60 m² als angemessen. Die von den Klägerinnen bewohnte Wohnung ist mit einer Wohnfläche von 60 m² somit angemessen groß.

(I) Zunächst ist im Rahmen des schlüssigen Konzeptes der örtliche Vergleichsraum zu bilden. Es ist notwendig, ausreichend große Räume der Wohnbebauung zu beschreiben, die aufgrund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden, wobei es im ländlichen Raum geboten sein kann, größere Gebiete als Vergleichsmaßstab zusammenzufassen (vgl. Urteil des BSG vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 87/12 R -).

Der Beklagte hat die Stadt Hildesheim als Vergleichsraum herangezogen, was keinen rechtlichen Bedenken begegnet. Dass er die Nebenkosten aus diesem Vergleichsraum ebenfalls für die Vergleichsräume II und III berücksichtigt hat, lässt allenfalls den Rückschluss zu, dass für diese Vergleichsräume nicht genügend Daten ermittelt worden sind und insoweit ein lokaler Erkenntnisausfall vorliegen könnte, begründet aber nicht die fehlende Eignung der Stadt Hildesheim als ausreichend großen Raum der Bebauung mit einem homogenen Lebens- und Wohnbereich. Gleiches gilt für die Tatsache, dass der Vergleichsraum nicht anhand der erhobenen Mieten gebildet wurde, sondern allein aus kommunalpolitischen Erwägungen (vgl. IWU-Gutachten vom 29. Dezember 2014). Damit ist dem Beweisantrag zu (9.) mangels Relevanz nicht nachzugehen.

(II) Die Ermittlung des nach Auffassung des Beklagten angemessenen Quadratmeterzinses für den angemessenen Wohnungsstandard für die Wohnungsgrößenklasse bis zu 60 m² gründet zur Überzeugung der Kammer ebenfalls nicht auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der dargelegten Rechtsprechung des BSG. Letzteres definiert ein schlüssiges Konzept als ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne einer systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall (vgl. Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R -).

(1) Zunächst ist festzustellen, dass das bisherige, allein auf der Auswertung von Angebotsmieten basierende Konzept des kommunalen Trägers in keiner Weise den Anforderungen an ein schlüssiges Konzept entspricht. Die Erhebung der Angebotsmieten ist vor dem Hintergrund des seit 2011 geltenden § 22c SGB II nicht ausreichend, um ein schlüssiges Konzept zu begründen. Die Kammer schließt sich den rechtskräftigen Urteilen des LSG Niedersachsen-Bremen vom 01. Juli 2018 - L 8 SO 193/13 - und 21. März 2019 - L 11 AS 1334/15 - an, die das BSG unter Darlegung seiner Rechtsprechung im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde bestätigt hat. Denn der Beklagte vermochte es nicht, diese Entscheidung auch nur im Sinne der Darlegung eines Revisionsgrundes zu erschüttern. Das BSG hat zudem die Rechtsauffassung des 11. Senates, dass das Konzept des Beklagten wegen einer schon im Ansatz anderen Herangehensweise nicht nachbesserungsfähig ist, nicht korrigiert und die Revision verbunden mit einer Zurückweisungsentscheidung nicht zugelassen. Die Kammer vertritt in diesem Kontext die Auffassung, dass unter Einbeziehung der Bestandsmieten nunmehr ein qualitativ anderes Konzept vorliegt, das keine Nachbesserung im Sinne der Rechtsprechung des BSG darstellt, sondern der Erstellung eines Konzeptes auf einer komplett neuen Grundlage entspricht, die über die Beseitigung einzelner konzeptioneller Schwächen, die denknotwendig und begrifflich nur innerhalb des bisherigen Konzepts möglich wäre, hinausgeht.

In diesem Zusammenhang ist aus Sicht der Kammer ergänzend auszuführen, dass die Rechtsprechung des BSG zur Nachbesserung unschlüssiger Konzepte - wie das Nachschieben von Gründen einer Verwaltungsentscheidung - nicht so zu verstehen ist, dass eine solche Nachbesserung grenzenlos erfolgen könnte, sondern der Leistungsträger aufgrund der Bindung an Recht und Gesetz gehalten ist, bereits ein schlüssiges Konzept aufzustellen und nicht erst in einer langjährigen gerichtlichen Auseinandersetzung vollkommen neu zu entwickeln, ohne dass der Leistungsberechtigte sich damit in den angegriffenen Bescheiden, geschweige denn in der Absenkungsaufforderung auseinandersetzen konnte. Die Kammer vertritt im vorliegenden Einzelfall, in dem Leistungszeiträume in 2014 streitig sind, die Auffassung, dass ein Nachbesserungsversuch nach Ablauf von mehr als 4 Jahren gegen Treu und Glauben verstößt und zieht als Maßstab die Frist des § 44 Absatz 4 SGB X heran. Andernfalls müsste sich der Leistungsberechtigte im gerichtlichen Verfahren (ggf. über mehrere Instanzen) einem uferlosen Nachbesserungsrecht der Verwaltung mit einer unbegrenzten Anzahl von Nachbesserungsversuchen unterschiedlichster Art gegenübersehen, das aus § 22 Absatz 1 SGB II nicht abgeleitet werden kann und sein Recht auf faire Prozessführung unterlaufen würde. Die mit Schriftsatz vom 08. September 2020 gestellten Beweisanträge zielen nicht auf die Feststellung der Nachbesserungsfähigkeit des bisherigen angebotsbasierten Konzeptes ab, die ohnehin eine Rechtsfrage darstellt, so dass dieser Aspekt unabhängig von aus Sicht des Beklagten noch aufklärungsbedürftigen Tatsachen bereits zum Erfolg der Klage führt.

(2) Darüber hinaus ist jedoch aus Sicht der Kammer festzustellen, dass der unternommene Nachbesserungsversuch des Beklagten - sofern er hinreichend dargelegt worden ist - in wesentlichen Punkten nicht die Mindestanforderungen an ein schlüssiges Konzept erfüllt. Der aufgrund der Untersuchung der Angebots- und Bestandsmieten vorgenommenen Mietdatenerhebung liegt keine nachvollziehbare Definition des Gegenstandes der Beobachtung zugrunde, die Repräsentativität des Umfangs und der Kappungsgrenze sind nicht nachzuvollziehen, so dass nicht abschließend beurteilt werden kann, dass tatsächlich die zutreffenden Kosten für Wohnraum einfachen Standards abgebildet werden.

Einen evidenten Mangel der Erhebung, der zum Ausschluss der Schlüssigkeit des Konzepts führt, stellt zur Überzeugung des Gerichts dar, dass die Erhebung und Heranziehung der Daten von Wohnungen einfachsten Standards konzeptionell nicht von vornherein ausgeschlossen worden ist, was sowohl die Angebots- als auch die Bestandsmieten betrifft. Nach dem Urteil des BSG vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 2/10 R - (Rd. 24) können Leistungsberechtigte nach dem SGB II auf Wohnungen mit besonders niedrigem Ausstattungsgrad (Wohnungen ohne Sammelheizung und/oder Duschbad) grundsätzlich nicht verwiesen werden. Der Beklagte bzw. die von ihm eingesetzte Firma haben es unterlassen, die erhobenen Wohnungen auf ihren Standard zu prüfen und Substandards konsequent auszuschließen. Dabei entspricht ein solches Vorgehen dem Standardverfahren anderer Leistungsträger und wäre konzeptionell problemlos möglich gewesen, sofern an die Vermieter mit einer entsprechenden Anfrage herangetreten worden wäre. Der Einwand des Beklagten, dass solche Wohnungen am Markt nicht angeboten werden würden, kann das Gericht nicht folgen, da es für Wohnungsanzeigen keine gesetzliche oder redaktionelle Vorschrift gibt, die es dem Anbieter untersagt, Wohnungen des Substandards anzubieten. Dies entspricht auch nicht den Inseraten in anderen Landkreisen, denen die Kammer zur Prüfung der dortigen Konzepte nachzugehen hatte. Darüber hinaus trifft nicht zu, dass nur untergetauchte Flüchtlinge solchen Wohnraum in Anspruch nehmen. Der Vorsitzende hat aus seiner jahrelangen Tätigkeit als Vorsitzender einer Kammer für AsylbLG Kenntnis darüber, dass Flüchtlinge vorwiegend bei Freunden und Bekannten untertauchen, von denen keine Miete verlangt wird. Denn es ist nicht erkennbar, dass ein Fremdvermieter mit diesen ein Mietverhältnis eingeht, bei dem klar ist, dass mangels öffentlicher Leistungen und Mittellosigkeit niemals die vereinbarte Miete fließen wird und das Mietverhältnis damit auf einem Eingehungsbetrug beruht.

Umso mehr kann die Auffassung des Beklagten im Übrigen nicht für Bestandsmieten zutreffen. So wurde vom kommunalen Träger im Rahmen des Nachbesserungsversuchs eine Wohnung mit einer monatlichen Kaltmiete von 15,- Euro in Hildesheim erfasst, bei der es sich um eine solche einfachster Art handeln muss, zumal Leistungsbezieher ihre Wohnungen nicht immer auf offizielle Wohnungsanzeigen erhalten, sondern aufgrund Kenntnis anderer Art oder im Verwandtenkreis. Diese Wohnung wurde mangels ernsthaften Untersuchungswillens nicht ausgesondert, obwohl die Atypik offensichtlich ist. Entscheidend ist für die Kammer, dass der Beklagte (trotz Möglichkeit) nicht untersucht hat, ob Wohnungen des Substandards einbezogen wurden, so dass sich dieser Fehler bei Bemessung der Kappungsgrenze fortsetzt.

(3) Darüber hinaus überzeugt die Festlegung Kappungsgrenze bei Bestandsmieten nicht bzw. das Maß von deren Einbeziehung (20 Prozent) zu der Vergleichsmiete. Nach der Literatur sind atypische und nicht aussagekräftige Mietverhältnisse auszuschließen, und zwar spätestens über die Extremwertelimination (vgl. Berlit, in: LPK/SGB II, 6. Auflage 2017, § 22, Rd. 99 m.w.N.). Eine solche Untersuchung der Bestandsmieten (trotz Kenntnis der Mietverträge) und jegliche Extremwertelimination ist nicht erfolgt und lässt den Schluss zu, dass zahlreiche extrem günstige Mietverhältnisse in die Berechnung eingeflossen sind, wohingegen die besseren Wohnlagen von Hildesheim nicht berücksichtigt wurden (zum Beispiel Calenberger Graben oder Weinberg), weil dort aufgrund der Miethöhe kein Leistungsempfänger nach SGB II, SGB XII oder WoGG kostendeckend wohnen kann. Eine Untersuchung auf lang bestehende Mietverhältnisse (mit extrem niedrigem Mietzins) und Gefälligkeitsmieten - zum Beispiel im Verwandtenverhältnis - wäre unerlässlich und auch ohne Weiteres möglich gewesen, um realistische Bestandsmieten zu ermitteln. Dass diese ohne Bereinigung zu 20 Prozent bei Ermittlung der Vergleichsmieten herangezogen wurden, führt zwingend zur Unschlüssigkeit auch des Nachbesserungsversuches des Konzepts, zumal die Mieten mit Substandard entgegen der (bekannten) Rechtsprechung des BSG ebenfalls noch in der Datenprobe enthalten sind und das Preisniveau weiter drücken.

Ferner ist die Kappungsgrenze für jedes Wohnungsgrößensegment gesondert zu bestimmen, wobei zum Beispiel die unterschiedliche Nachfragesituation unter Beachtung der Absenkungsaufforderungen des Beklagten für Einzimmerwohnungen gegenüber größeren Wohnungen zu berücksichtigen ist (vgl. Susnjar, in Hohm, GK zum SGB II, Loseblattsammlung, § 22, Rd. 109 m.w.N.) Diesbezüglich fehlt es vollständig an konzeptionellen Ausführungen des Beklagten, und zwar sowohl bezüglich der Angebots- als auch der Bestandsmieten. Auch die Konkurrenzsituation auf dem Wohnungsmarkt unter Beachtung der Gesamtzahl der erteilten Absenkungsaufforderungen in den einzelnen Segmenten ist trotz Möglichkeit weder analysiert noch beachtet worden.

Aufgrund dieser gerichtlichen Feststellungen, die auf einer Anwendung der Rechtsprechung des BSG basieren, welche die Kammer selbst ohne Einschaltung eines Sachverständigen zu beantworten hat, war den Beweisanträgen in ihrer Gesamtheit nicht nachzugehen. Diese betreffen entweder Rechts- und keine Tatsachenfragen oder sind für die Einschätzung des Gerichtes irrelevant bzw. aufgrund der herrschenden Rechtsprechung bereits beantwortet. Ob das 20-Prozent-Perzentil bei den Angebotsmieten und der Spannoberwert mathematisch-statistische zutreffend ermittelt wurden, kann offenbleiben, weil die bereits die zugrundeliegende Datenbasis unzureichend und nicht repräsentativ ist. Die Kammer weist jedoch darauf hin, dass das ursprüngliche 35-Prozent-Perzentil mit erheblichem Aufwand vom Beklagten begründet wurde, und zwar u.a. mit dem Argument, dass sonst keine ausreichenden Wohnungen zur Verfügung stünden. Die plötzliche Abkehr ohne nähere Darlegung der tragenden Gründe wirft insoweit Fragen und ernsthafte Zweifel auf, die aber aus Sicht des Gerichts nicht beantwortet werden müssen, weil bereits aus einer Vielzahl anderer Gründe kein schlüssiges Konzept vorliegt. In diesem Kontext ist auch unerheblich, ob jetzt noch Daten (in nicht näher bestimmter Art) erhoben werden können, weil das Gericht auf diesen Umstand bereits hingewiesen und Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben hat. Insoweit ist der Beweisantrag zu (5.) zudem zu unbestimmt abgefasst. Die Substandardmieten hätten in keinem Fall in die Datenprobe eingeführt werden dürfen. Aufgrund der fehlenden Extremwertelemination ist die Kappungsgrenze bei den Bestandsmieten fehlerhaft gewählt.

(4) Ferner dürfte die unterschiedliche Ermittlung der Bestandsmieten in den verschiedenen Vergleichsräumen gegen Artikel 3 Grundgesetz (GG) verstoßen. Denn in den Vergleichsräumen II und III sind nur die Mieten der Wohngeldempfänger und SGB XII-Leistungsbezieher herangezogen worden, nicht aber - wie in der Stadt Hildesheim - diejenigen der SGB II-Leistungsbezieher. Dies stellt eine Ungleichbehandlung desselben kommunalen Trägers dar, den die rechtliche Vorgabe trifft, die Leistungsberechtigten in seinem örtlichen Zuständigkeitsbereich gleich zu behandeln. Für die tatsächliche Ungleichbehandlung fehlt es an einer vernünftigen Rechtfertigung. Eine solche stellt jedenfalls das vom Beklagten selbst vorgebrachte (eigene) Weigerungshalten neben der Bundesagentur für Arbeit nicht dar, die Mietdaten der SGB II-Leistungsberechtigten an den kommunalen Träger herauszugeben. Diesbezüglich ist ein Klageverfahren des kommunalen Trägers gegen den Beklagten anhängig. Durch dieses auseinanderfallende Verhalten der Träger nach dem SGB II ist der Nachbesserungsversuch des kommunalen Trägers bereits von vornherein ad absurdum geführt. Kaum vorstellbar erscheint, dass nach einer möglichen Verurteilung zur Herausgabe der Daten (in mehreren Jahren), wobei es sich um den singulären Fall einer solchen Klage handelt dürfte, ein weiterer Nachbesserungsversuch des kommunalen Trägers erfolgen soll, womöglich 10 oder 15 Jahre nach Ablauf des Streitzeitraums in einzelnen Fällen. Dies dürfte in jedem Fall gegen Treu und Glauben verstoßen und stellt eine unverhältnismäßige Überdehnung der prozessualen Befugnis zum Nachschieben von Gründen dar, ist hier aber nicht abschließend zu beurteilen. Hingegen ist darauf hinzuweisen, dass die Beweisanträge Nr. 4 und 6 nicht auf die unterschiedliche Handhabung der Mieten der SGB II-Leistungsempfänger abstellen und damit bereits aus diesem Grund unschlüssig sind. Im Übrigen ist die Anwendbarkeit der Mieten der Transferleistungsempfänger hinsichtlich einer zulässigen Datenprobe nach der Rechtsprechung des BSG zu beurteilen, welche die Kammer vorstehend ausführlich dargelegt hat.

Sofern - wie im vorliegenden Einzelfall - ein schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG nicht besteht und im Nachhinein nicht festgestellt werden kann, ist es statthaft, auf die Wohngeldtabelle abzustellen und einen angemessenen Sicherheitsaufschlag vorzunehmen (vgl. Urteile des BSG vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 15/09 R - und 17. Dezember 2009 - B 4 AS 50/09 R-; Urteil des Hessischen LSG vom 20. Dezember 2010 - L 9 AS 239/08 -), wobei das BSG mit Urteilen vom 11. Dezember 2012 - B 4 AS 44/12 R - und 12. Dezember 2013 - B 4 AS 87/12 R - einen Aufschlag von 10 Prozent auf die jeweils geltende Fassung der Wohngeldtabelle als angemessen angesehen hat.

Die ab dem 01. Januar 2009 geltende Wohngeldtabelle weist für die Mietenstufe III bei einem Zweipersonenhaushalt einen Angemessenheitswert von 402,- Euro auf. Da die tatsächlichen Unterkunftskosten im streitigen Zeitraum monatlich 397,50 Euro betragen, sind diese auch als angemessen zu übernehmen. In diesem Kontext kommt es im vorliegenden Einzelfall nicht auf die Bildung eines Sicherheitszuschlages an, weil die tatsächlichen Kosten den einfachen Tabellenwert bereits unterschreiten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.

Gemäß § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, Absatz 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, weil hier die Beschwer des Beklagten mit 106,20 Euro unterhalb des Schwellenwertes von 750,- Euro liegt. Die Berufung wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichtes, des Bundessozialgerichtes, des Gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe oder des Bundesverfassungsgerichtes abweicht sowie auf dieser Abweichung beruht.