Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 26.02.2015, Az.: 3 A 80/13
Doppelleistung; Erstattung; Erstattungsanspruch; Erstattungsverhältnis; Rückforderung; Wohngeld
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 26.02.2015
- Aktenzeichen
- 3 A 80/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2015, 44957
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 103 SGB 10
- § 107 SGB 10
- § 50 SGB 10
- § 28 WoGG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Wohngeldstelle darf die von ihr geleisteten Wohngeldbeträge nicht vom Empfänger zurückfordern, wenn sie wegen ihrer Leistung nach § 103 SGB X einen Erstattungsanspruch gegen das Jobcenter hat, weil dieses die vorangegangene Wohngeldzahlung gekannt, aber unberücksichtigt gelassen und seinerseits (für den Empfänger ein zweites Mal) mit Rücksicht auf den Unterkunftsbedarf gezahlt hat; wegen §§ 103, 107 SGB X ist es Sache des Jobcenters, die Rückforderung des zu viel Gezahlten zu betreiben.
Tenor:
Die Bescheide der Beklagten vom 21.03.2013 in der Gestalt ihres Bescheids vom 15.04.2013 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst zu tragen hat.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des festzusetzenden Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 854,00 Euro festgesetzt.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von Wohngeld, das die Beklagte ihr für Juni 2010 und Januar 2011 bewilligt und ausgezahlt hat.
Die Klägerin lebt mit ihren beiden minderjährigen Kindern in einer gemieteten Wohnung im Gebiet der Beklagten. Sie besuchte vom 15.03. bis zum 24.06.2010 sowie erneut vom 29.11.2010 bis zum 18.01.2011 eine Meisterschule und erhielt in dieser Zeit auch Leistungen nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz.
Das beigeladene Jobcenter Braunschweig regte daraufhin unter dem 11.03.2010 bei der Beklagten an zu prüfen, ob der nach Beginn der Meisterschule verbliebene Restanspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) durch Wohngeldzahlungen abgewendet werden könne. Auf entsprechenden Antrag bewilligte die Beklagte der Klägerin mit dem Wohngeldbescheid Nr. 7 vom 23.03.2010 für die Zeit vom 01.03.2010 bis 30.06.2010 Wohngeld in Höhe von monatlich 384,00 Euro. Mit dem Wohngeldbescheid Nr. 10 vom 19.11.2010 gewährte sie ihr für die Zeit vom 01.11.2010 bis 31.01.2011 Wohngeld in Höhe von monatlich 470,00 Euro.
Am 19.03.2013 teilte das beigeladene Jobcenter der Beklagten per E-Mail (vorab) mit, dass es der Klägerin und ihren Kindern nachträglich u.a. auch für die Monate Juni 2010 und Januar 2011 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II gewähren werde.
Unter dem 20.03.2013 sandte die Beklagte dem Jobcenter eine „Leistungsanzeige zur Wohngeld-Erstattung nach den §§ 103, 105 SGB X …“ und machte geltend, dass ihre Wohngeldbescheide durch die Beantragung von Transferleistungen für Juni 2010 und Januar 2011 unwirksam geworden seien, so dass eine Überzahlung in Höhe ihrer jeweiligen Wohngeldleistungen eingetreten sei. „Falls das Wohngeld bei der Berechnung der Transferleistungen als Einnahme berücksichtigt wurde“, bestehe ein Erstattungsanspruch in Höhe von insgesamt 854 Euro, den sie geltend mache.
Mit den verfahrensgegenständlichen Wohngeldbescheiden Nr. 13 und Nr. 14 vom 21.03.2013 fordert die Beklagte die Wohngeldzahlungen für Juni 2010 in Höhe von 384,00 EUR und für Januar 2011 in Höhe von 470,00 EUR zurück. Dabei wies sie jeweils darauf hin, dass sie sich wegen der Rückforderungsbeträge (vorrangig) an das Jobcenter wende.
Das Jobcenter antwortete der Beklagten mit Schreiben vom 05.04.2013, eine Erstattung sei nicht möglich, da die Zahlung „im Rahmen des Widerspruches“ habe erbracht werden müssen.
Mit Bescheid vom 15.04.2013 teilte die Beklagte der Klägerin daraufhin mit, dass das Jobcenter eine Erstattung abgelehnt habe. Sie bestimmte ferner, dass sich die mit den Bescheiden Nr. 13 und 14 geforderte Wohngeldrückzahlung in Höhe von insgesamt 854 Euro nunmehr allein gegen sie, die Klägerin, richte.
Seine gegenüber der Beklagten im März 2013 angekündigten Entscheidungen traf das beigeladene Jobcenter für Januar 2011 mit dem Änderungsbescheid vom 30.04.2013 und für Juni 2010 mit dem Bescheid vom 04.06.2013; bei seinen Leistungen berücksichtigte es jeweils auch die Unterkunftskosten der Klägerin und ihrer Kinder, ohne die Wohngeldzahlungen in Ansatz zu bringen.
Die Klägerin beantragte am 18.04.2013 Prozesskostenhilfe, die ihr die Kammer mit Beschluss vom 21.10.2014, zugestellt am 27.10.2014, bewilligt hat. Mit der am 05.11.2014 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist insbesondere der Auffassung, dass die Rückforderung von Wohngeld rechtswidrig sei und sie in ihren Rechten verletze.
Die Klägerin beantragt,
die Erstattungsbescheide vom 21.03.2013 in der Gestalt des Bescheids vom 15.04.2013 aufzuheben.
Die Beklagte verteidigt ihre Bescheide und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält daran fest, dass sie sich habe an die Klägerin wenden dürfen, nachdem das Jobcenter die Erstattung abgelehnt habe. Dazu beruft sie sich u.a. auch auf den zur Durchführung des (früheren) Wohngeldgesetzes ergangenen Erlass des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen vom 18.11.2005 (Az: SW 23-300998-2, zu V 2., S. 8), in dem ausgeführt wird: „Wurde das überzahlte Wohngeld bei der Berechnung der bewilligten Transferleistung ausnahmsweise nicht als Einnahme berücksichtigt, ist der Gesamtbetrag der Überzahlung vom Wohngeldempfänger nach § 50 Abs. 2 SGB X zurückzufordern, weil es sich um eine zu Unrecht und ohne Verwaltungsakt erbrachte Leistung handelt“.
Der Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er vertritt im Wesentlichen die Auffassung, ein Erstattungsanspruch der Beklagten gegen ihn bestehe nicht. Die Beklagte habe das nunmehr zurückgeforderte Wohngeld tatsächlich in den Monaten Mai 2010 und Dezember 2011 (im Voraus für die jeweils nachfolgenden Monate) gezahlt. Für diese Monate habe er keine Leistungen erbracht und nach dem Zuflussprinzip könne er das Wohngeld für die Monate, für die es bestimmt gewesen sei, nicht als Einkommen berücksichtigen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge (2 Bände) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Der Klägerin ist mit Blick auf das von ihr rechtzeitig eingeleitete und erfolgreich durchgeführte Verfahren zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 60 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Wiedereinsetzung in die Klagefrist des § 74 VwGO zu gewähren, da sie die Klage binnen zwei Wochen nach Erhalt der Nachricht über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und damit im Sinne des § 60 Abs. 2 VwGO noch rechtzeitig nach Wegfall des Hindernisses für eine fristgerechte Klage erhoben hat.
Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Wohngeldbescheide Nr. 13 und 14 der Beklagten vom 21.03.2013 in der Gestalt ihres die (alleinige) Leistungsverpflichtung der Klägerin bestimmenden Bescheids vom 15.04.2013 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte hätte ihre Erstattungsforderungen nicht an die Klägerin richten und auf die Rechtsgrundlage des „§ 50“ des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (im Folgenden: SGB X) stützen dürfen. Dabei geht die Kammer davon aus, dass sich die insoweit unbestimmt formulierende Beklagte nicht auf § 50 Abs. 1 SGB X beziehen wollte, der die Erstattung (Rückzahlung) bereits erbrachter Leistungen anordnet, „soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist“. Mit Blick auf die in den Wohngeldbescheiden Nr. 13. und 14 genannte Vorschrift des § 28 Abs. 3 WoGG, die nicht die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, sondern dessen unmittelbar von Gesetzes wegen eintretende (nachträgliche) Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheids betrifft, deutet die Kammer die angefochtenen Erstattungsbescheide vielmehr dahin, dass die Beklagte sich auf § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X stützen wollte, der dem Leistungsempfänger aufgibt, die erhaltenen Leistungen zu erstatten, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind (zur Anwendung des § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X in den Fällen des § 28 Abs. 3 WoGG ebenso VG Ansbach, Beschluss vom 24.02.2011 – AN 14 K 10.02635 –; VG Saarland, Beschluss vom 11.10.2010 – 11 K 764/10 –; VG Köln, Beschluss vom 31.01.2014 - 16 K 3018/13 -, jew. juris).
Insofern hat die Beklagte zu Recht angenommen, dass ihre Wohngeldleistungen - rückblickend betrachtet - teilweise „ohne Verwaltungsakt“ erbracht worden sind, weil ihre Wohngeldbescheide Nr. 7 vom 23.03.2010 und Nr. 10 vom 19.11.2010 gemäß §§ 7, 8 und 28 Abs. 3 WoGG für die beiden streitbefangenen Monate unwirksam geworden sind. Nach § 28 Abs. 3 WoGG wird ein Bewilligungsbescheid von dem Zeitpunkt an unwirksam, ab dem ein zu berücksichtigendes Haushaltsmitglied u.a. nach §§ 7, 8 WoGG vom Wohngeldbezug ausgeschlossen ist. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WoGG sind u.a. Empfänger von Arbeitslosengeld II (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II), vom Wohngeld ausgeschlossen, wenn bei der Berechnung des Arbeitslosengelds II Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind. Der Ausschluss beginnt nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 WoGG bereits ab dem Ersten des Monats, für den der Antrag gestellt worden ist und setzt sich nach der Bewilligung von Arbeitslosengeld II für den gesamten Zeitraum fort, für den diese (nachträgliche) Bewilligung erfolgt ist. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht nicht streitig, dass diese Voraussetzungen für die verfahrensgegenständlichen Zeiträume (Juni 2010 und Januar 2011) erfüllt sind. Eine der Rückausnahmen nach § 7 Abs. 1 Satz 3 WoGG hat nicht vorgelegen; insbesondere war ein Ausschluss der Wohngeldberechtigung nicht dadurch gehindert, dass mit der Wohngeldzahlung (hier in Höhe von 384,00 Euro und 470,00 Euro) die Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 SGB II aufgehoben war, derentwegen der Beigeladene für diese Zeiträume unter Berücksichtigung der Unterkunftskosten die (höheren) Leistungen von Arbeitslosengeld II erbracht hat.
Entgegen der nur im Ergebnis einhelligen Auffassung der Beklagten und des Beigeladenen kann aber in Fällen wie dem vorliegenden nicht auf § 50 Abs. 2 SGB X zurückgegriffen werden (anderer Auffassung der von der Beklagten herangezogene Erlass, sowie vielleicht Teile der oben beispielhaft zitierten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, die sich mit dieser Problematik - soweit erkennbar - noch nicht auseinandergesetzt und regelmäßig keine Feststellungen zu § 103 SGB X, insbesondere zu der Frage getroffen hat, ob die für § 28 Abs. 3 WoGG beachtlichen Transferleistungen in Kenntnis der Wohngeldleistungen ausgezahlt worden sind; wie hier bereits VG Berlin, Urteile vom 27.08.2013 - 21 K 464.11 - und vom 24.06.2014 - 21 K 195.12 -, jew. juris). Vielmehr ist die Beklagte nach Auffassung der Kammer von Rechts wegen darauf verwiesen, ihren nach § 103 SGB X entstandenen Erstattungsanspruch gegenüber dem Beigeladenen geltend zu machen und es diesem zu überlassen, nach den für ihn geltenden Vorschriften bei der Klägerin den Ausgleich der Überzahlung zu betreiben, die er nicht nur bewirkt, sondern auch zu verantworten hat.
§ 103 Abs. 1 SGB X lautet: „Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.“ Diese Vorschrift, die schon mit ihrer amtlichen Überschrift („Anspruch des Leistungsträgers, dessen Leistungsverpflichtung nachträglich entfallen ist“) auch auf die Anwendungsfälle des § 28 Abs. 3 WoGG zugeschnitten ist, begründet für einen „Leistungsträger“ (hier die Beklagte), dessen Leistungsverpflichtung nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist, einen Erstattungsanspruch, der sich gegen den für die entsprechende, nachträglich erbrachte Leistung zuständigen Leistungsträger (hier das beigeladene Jobcenter) richtet, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers (der Beklagten) Kenntnis erlangt hat. Nach § 103 Abs. 2 SGB X sind für den Umfang des Erstattungsanspruchs die für den (letztlich) zuständigen, d.h. erstattungspflichtigen Leistungsträger geltenden Vorschriften maßgebend. Dabei ist grundsätzlich eine monatsweise Gegenüberstellung der angefallenen Kosten vorzunehmen (vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Becker in: Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB X, Stand Februar 2011, § 103 Rdnr. 24). Diese Voraussetzungen liegen für die streitige Zeit vor.
Die Beklagte hat als Leistungsträger im Sinne des § 12 i.V.m. § 26 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB I) Sozialleistungen im Sinne des § 11 SGB I - in Form von Wohngeld - erbracht. Es hat diese Leistungen auch rechtmäßig erbracht, wie § 103 SGB X - unausgesprochen - voraussetzt. Der Anspruch der Klägerin auf das Wohngeld ist erst nachträglich, für Januar 2011 mit dem erwähnten Änderungsbescheid des Beigeladenen vom 30.04.2013 und für Juni 2010 mit dessen Bescheid vom 04.06.2013 nach § 28 Abs. 3 WoGG entfallen.
Dieser Erstattungsanspruch der Beklagten richtet sich gegen den Beigeladenen, der für die von ihm erbrachte Sozialleistung in Form der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs zuständig war, die bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Form des Arbeitslosengeldes II gewährt wird (§ 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Das Arbeitslosengeld II ist - sofern der Bedarf für Unterkunft mitberücksichtigt wird - eine dem Wohngeld entsprechende Sozialleistung im Sinne von § 103 Abs. 1 SGB X. Nach der Legaldefinition des § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II umfasst diese Leistung den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Das Wohngeldgesetz knüpft daran an und formuliert den grundsätzlichen Ausschluss vom Wohngeld zur Vermeidung doppelten Verwaltungsaufwands (§ 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 WoGG) (bereits) für die Zeit zwischen der Stellung des Antrags auf (andere) Sozialleistungen und (erst recht) zur Verhinderung von nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 WoGG nicht gewollten Doppelleistungen. Wenn der Bedarf für die Unterkunft bei der Bewilligung von Arbeitslosengeld II berücksichtigt wird, ist der mit dem Wohngeld verfolgte Zweck erfüllt. Durch §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 WoGG wird der (fortdauernde) Wohngeldausschluss und die damit (fortwirkende) Unwirksamkeit der (zeitidentischen) Wohngeldbewilligung auf die gesamte Leistung des Arbeitslosengelds II bezogen, das den Unterkunftsbedarf berücksichtigt, ohne den dabei für Unterkunft (und Heizung) angesetzten Anteil eigens herauszurechnen und ihn (nur insoweit) dem Wohngeld gegenüberzustellen (vgl. dazu bereits VG Berlin, Urteil vom 24.06.2014 - 21 K 195.12 -, juris, Rn. 23) .
Die Beklagte hat den auf § 103 SGB X beruhenden Erstattungsanspruch gegen den Beigeladenen erworben, da der Beigeladene seine Leistungen in Kenntnis der Wohngeldleistungen der Beklagten erbracht hat. Die Beklagte hatte das Jobcenter spätestens mit ihrer „Leistungsanzeige zur Wohngelderstattung nach den §§ 103, 105 SGB X…“ vom 20.03.2013 über die in diesem Zusammenhang streitigen Leistungen sowohl in zeitlicher wie auch in umfänglicher Hinsicht informiert. Dies bestreitet der Beigeladene auch nicht.
Unerheblich ist, dass die Beklagte den Erstattungsanspruch - rechtsirrig - zunächst mit einer einschränkenden Formulierung geltend gemacht („falls das Wohngeld bei der Berechnung der Transferleistungen als Einnahme berücksichtigt wurde“) und später nicht weiterverfolgt hat. Der Erstattungsanspruch entsteht bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen von Rechts wegen unmittelbar in der gesetzlich vorgesehenen Höhe und mit der ihm vom Gesetz beigemessen Folge, ohne dass einer der beteiligten Leistungsträger insoweit darüber zu Lasten der sozialleistungsberechtigten Person (hier der Klägerin) disponieren könnte (vgl. dazu etwa BSG, Urteile vom 29.04.1997 - 8 RKn 29/95 -; vom 06.02.1992 - 12 RK 14/90 - und vom 31.10.1991 - 7 RAr 46/90 -; BVerwG, Urteil vom 18.10.1990 - 5 C 51.86 -, juris, Rn. 24).
Der Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X entsteht nicht nur, wenn der daraus verpflichtete Leistungsträger durch Anrechnung der bereits erbrachten Leistungen eigene Aufwendungen erspart hat, sondern auch wenn er (lediglich) berechtigt war, die von ihm bewilligte Leistung nicht zu erbringen. Dies verkennt der Beigeladene, wenn er der Beklagten entgegenhält, ihr sei kein Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X entstanden, da er in den Monaten, in denen die Beklagte Wohngeld jeweils im Voraus für den folgenden Monat gezahlt habe, keine Leistungen erbracht habe, so dass auch eine Anrechnung des Wohngelds aufgrund des Zuflussprinzips nicht habe erfolgen können.
Sowohl der Beigeladene als auch die Beklagte sowie der von ihr angeführte, für die Rechtsanwendung des Gerichts ohnehin nicht maßgebliche ministerielle Erlass vom 18.11.2005 haben insoweit die Bedeutung des § 107 SGB X verkannt bzw. nicht im gebotenen Umfang berücksichtigt (zumindest missverständlich, allein auf die Anrechnung von Einnahmen bezogen formuliert auch die Wohngeld-Verwaltungsvorschrift 2009 - WoGVwV 2009 - vom 29.4.2009 zu § 28 WoGG, Rn 28.01). Nach § 107 SGB X gilt der Anspruch des (Sozialleistungs-) Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht. § 107 SGB X betrifft nicht den Anspruch eines Bürgers auf Bewilligung von Sozialleistungen, sondern gewährt dem mit einer (begründeten) Erstattungsforderung (hier der Beklagten) konfrontierten Leistungsträger (hier dem Beigeladenen) das Recht, die Auszahlung der bewilligten Beträge zu unterlassen, weil der durch diese Bewilligung individuell konkretisierte Anspruch des Bürgers im Umfang der Erstattungsforderung auch ihm gegenüber als erfüllt gilt. Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 14.10.1993 - 5 C 10.91 - juris, Rn. 15) ausgeführt:
„Die in § 107 Abs. 1 SGB X normierte Erfüllungsfiktion hat zur Folge, daß demjenigen, der eine Leistung von einem erstattungsberechtigten Leistungsträger erhalten hat, kein Erfüllungsanspruch gegen den eigentlich zur Leistung verpflichteten Leistungsträger mehr zusteht. Auf diese Weise wird vermieden, daß der erstattungspflichtige Träger zweimal leisten muß: an den erstattungsberechtigten Träger und an den Leistungsempfänger. Zugleich wird durch die vom Gesetzgeber angeordnete Fiktion der Erfüllung erreicht, daß der Leistungsberechtigte keine Doppelleistungen erhält (vgl. auch Begründung zum Entwurf eines SGB X, BT-Drucks. 9/95 S. 24 vor §§ 108 ff. und S. 26 zu § 113). Mit der Erfüllungsfiktion in § 107 Abs. 1 SGB X hat der Gesetzgeber sich außerdem aus Gründen der Rechtsklarheit und der Verwaltungsökonomie für eine unkomplizierte und im Rahmen des Sozialleistungsrechts einheitliche Form des Ausgleichs von Leistungsbewilligungen entschieden (vgl. auch BVerwGE 87, 31 <35>), die eine Rückabwicklung im Verhältnis zwischen vorleistendem Träger und Leistungsberechtigtem sowie ein Nachholen der Leistung im Verhältnis zwischen leistungspflichtigem Träger und Leistungsberechtigtem ausschließen soll.“
Mit Rücksicht auf § 107 SGB X und auf die Erstattungsforderung der Beklagten, die nach § 103 SGB X unabhängig von den für Arbeitslosengeld II geltenden Bewilligungsvorschriften entstanden ist, wäre der Beigeladene demnach berechtigt gewesen, der Klägerin die Auszahlung des von ihm bewilligten Arbeitslosengelds II wegen bereits eingetretener (rechtlich fingierter) Erfüllung zu verweigern, soweit er einen Erstattungsanspruch der Beklagten (hier in Höhe der für die streitbefangenen Monate erbrachten Wohngeldleistungen) zu beachten hatte, der nur entstehen konnte, weil der Beigeladene in Kenntnis der bereits erfolgten (Wohngeld-) Leistung des Beklagten ein weiteres Mal geleistet hatte.
In der Konsequenz des ersichtlich auch im Interesse der betroffenen Leistungsberechtigten geschaffenen Systems der Erstattungsforderungen der §§ 103 ff SGB X liegt es deshalb auch, dem mit einer Erstattungsforderung ausgestatteten Leistungsträger ein Wahlrecht und damit einen Rückgriff auf Erstattungsvorschriften, die sich gegen den Leistungsempfänger richten, zu versagen (in diesem Sinne auch BSG, Urteile vom 29.04.1997 - 8 RKn 29/95 - und vom 22.05.2002 - B 8 KN 11/00 R -, jew. juris), zumal deren Anwendung - wie auch hier bei § 50 Abs. 2 SGB X - mit Nachteilen für den betroffenen Bürger verbunden sind, wie sich bereits daran zeigt, dass ein Streit um die Rückforderung von Wohngeld nicht gerichtskostenfrei ist, wohingegen ein Streit um die Erfüllung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. um dessen Rückabwicklung nach § 183 Sozialgerichtsgesetz gerichtskostenfrei wäre. Bereits in der Begründung zum Regierungsentwurf zu § 107 SGB X (damals § 113) heißt es, dass die Vorschrift „im Interesse der Beteiligten das Verhältnis der durch den erstattungsberechtigten Träger erbrachten Leistungen zum Anspruch des Berechtigten gegen den eigentlich zur Leistung verpflichteten Leistungsträger“ klären soll (BT Drs. 9/95, S. 26). Dies schließt auch die Berücksichtigung der Interessen der betroffenen Privatperson ein.
Vor diesem Hintergrund ist es lediglich ein Problem rechtsdogmatischer Begründung bzw. Konstruktion und kann hier offen bleiben, ob § 107 SGB X auch entnommen werden kann, dass eine Wohngeldleistung trotz unwirksam gewordenen Leistungsbescheids im Sinne von § 50 Abs. 2 SGB X als zu Recht erbracht angesehen werden muss (so VG Berlin, Urteil vom 24.06.2014 - 21 K 195.12 -, juris, Rn. 20 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 26.04.2005 - B 5 RJ 36/04 R -, juris, Rn. 13). Da es dem Gesetzgeber um eine „geschlossene Lösung“ gegangen ist, derentwegen er „eigenständige Erstattungsansprüche“ (vgl. Begründung zu § 108, BT-Drs. 9/95, S. 24) geregelt hat, liegt es nach Auffassung der Kammer näher - ändert am Ergebnis aber nichts -, aus Gründen der Spezialität bzw. Exklusivität des Erstattungsanspruchs aus § 103 SGB X anzunehmen, dass eine Rückabwicklung einer Doppelzahlung der hier zu beurteilenden, durch die Beteiligung von zwei Leistungsträgern geprägten Art nach dem Erstattungssystem der §§ 103, 107 SGB X zu erfolgen hat, das einem Rückgriff auf § 50 SGB X entgegensteht.
Gründe, dieses Erstattungssystem auf die Fälle zu beschränken, in denen ein Erstattungsanspruch (nur deshalb) entstanden ist, weil die zur Leistung verpflichtete Behörde (hier der Beigeladene) mit Rücksicht auf die bereits gewährte Leistung der anderen Behörde (hier der Beklagten) eigene Mittel bereits bei der Bewilligung nicht in Ansatz gebracht, sondern erspart hat, liegen nicht vor. Gerade die Vorschrift des § 107 SGB X belegt, dass der Gesetzgeber auch an die Erfüllung des durch die Bewilligung konkretisierten Anspruchs gedacht und die Erfüllungsfiktion sehr bewusst geregelt hat; § 107 SGB X wäre ohne Anwendungsbereich, wenn es lediglich Erstattungsforderungen gäbe, in denen es lediglich um (bereits bei der Bewilligung ersparte) Leistungsanteile ginge.
Demgemäß muss auch eine andere teleologische Reduktion des § 107 SGB X scheitern, die darauf hinausliefe, diese Vorschrift nur auf diejenigen Fälle anzuwenden, in denen eine Doppelleistung noch vermieden werden kann (vgl. dazu etwa Sächs. OVG, Beschluss vom 08.01.2015 - 4 D 92/14 -, juris, Rn. 3; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.01.2014 - OVG 6 M 128.12 -, juris, Rn. 5). Dies würde ihren Geltungsanspruch davon abhängig zu machen, ob die erstattungsverpflichtete Behörde sie auch berücksichtigt. Das kann weder dem primären Normprogramm der nicht nur zu wahlweisen Beachtung erlassenen Vorschrift entsprechen noch ihrer sekundären Schutzfunktion gegenüber den Leistungsempfängern Rechnung tragen, die darauf abzielt eine - gewissermaßen unbürokratische - Abwicklung der Ansprüche im Verhältnis der Sozialleistungsträger untereinander nicht nur zu ermöglichen, sondern auch zu gebieten (vgl. ergänzend auch VG Berlin, Urteil vom 24.06.2014 - 21 K 195.12 -, juris, Rn. 26 ff).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung nach §§ 124 Abs. 2 Nr. 6, 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen.