Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.10.2006, Az.: 2 K 619/01
Erschließungskosten eines Gebäudes als sofort abzugsfähiger Aufwand bei der Gewinnermittlung; Übernahme der Erschließungsaufwendungen als vorausgezahltes Nutzungsentgelt; Anschaffungskosten auf das Erbbaurecht; Erstellung eines Rechnungsabgrenzungspostens bei Bilanzierungspflicht; Abhängigkeit der Einordnung des Aufwands von der Gewinnermittlungsart
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 11.10.2006
- Aktenzeichen
- 2 K 619/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 32427
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2006:1011.2K619.01.0A
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs. 1 EStG
- § 4 Abs. 3 EStG
- § 5 Abs. 5 EStG
- § 11 Abs. 2 S. 3 EStG
- § 255 Abs. 1 HGB
Fundstellen
- BBK 2007, 526
- DStR 2007, VI Heft 13 (Kurzinformation)
- DStRE 2007, 668-669 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2007, 499-501 (Volltext mit red. LS)
- INF 2007, 404
- KÖSDI 2007, 15537-15538
- NWB direkt 2007, 4
- Jurion-Abstract 2006, 228639 (Zusammenfassung)
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Erschließungskosten für ein in Ausübung eines Erbaurechts errichtetes Gebäude im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG als sofort abzugsfähige Betriebsausgabe zu behandeln sind.
Die Klägerin betrieben in den Streitjahren eine Steuerberatungspraxis in der Rechtsform einer Gesellschaft Bürgerlichen Rechts. Sie ermittelte ihren Gewinn durch Einnahme- Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG.
Der Gesellschafter M, Kläger zu 1), erwarb durch Vertrag vom Februar 1994 von dem Landwirt W aus Lüneburg ein Erbbaurecht. Auf dem Grundstück errichtete der Kläger zu 1) das Bürogebäude der Steuerberatungs-GbR und Klägerin. Nach dem Inhalt des Erbbaurechtsvertrages sollte der Kläger zu 1) dem Erbbaurechtsverpflichteten einen Erbbauzins in Höhe von jährlich 6.011 DM zahlen (§ 3 des Vertrages). Die Höhe des Erbbauzinsen soll nach § 3 Satz 2 des Erbbaurechtsvertrages auf einer Verzinsung in Höhe von 5% des Verkehrswertes des Grundstückes in Höhe von 75 DM/qm beruhen. Nach § 6 des Vertrages sollte der Erbbauberechtigte alle den Eigentümer als solchen treffenden öffentlichen und privaten Abgaben und Lasten tragen. Gegenüber dem Eigentümer des Grundstücks verpflichtete er sich außerdem dazu (§ 19 letzter Absatz), einen Erschließungsvertrag gemäß dem den Vertragsparteien vorliegenden Entwurf abzuschließen und die anfallenden Erschließungskosten zu übernehmen. Der Gesellschafter vereinbarte daraufhin mit einem Erschließungsträger - der für den Grundstückseigentümer handelte - einen Erschließungsvertrag und verpflichtete sich zur Übernahme der Erschließungskosten.
Der Kläger zu 1) zahlte folgende Erschließungskosten und sonstige Kosten, die er in der Feststellungserklärung als Sonderbetriebsausgaben geltend machte:
1994 | 1995 | 1997 |
---|---|---|
Erschließungskosten: 44.338, 98 DM | AG: 1.150 DM | Erschließung: 22.169,44 |
Grunderwerbsteuer: 2.263 DM | (Eintragungskosten) | |
Notarkosten: 964,40 DM | ||
Auflassungskosten: 77 DM | ||
Maklergebühr: 6.011 DM | ||
Katasteramt: 431,02 DM | ||
Sonderung: 2.243,93 DM | ||
Summe 1994 56.329,33 DM |
Die Summe der gesamten Aufwendungen im Zusammenhang mit der Einräumung des Erbbaurechts 1994-1997 betrug somit 79.648,77 DM, davon waren 66.508,42 DM Erschließungskosten. Das Finanzamt erkannte die Aufwendungen nicht als Sonderbetriebsausgaben an und behandelte die Aufwendungen als Anschaffungskosten. Es verteilte die Aufwendungen über die Laufzeit des Erbbaurechts im Wege der Absetzung für Abnutzung.
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage. Die Kläger sind der Auffassung, die Übernahme von Erschließungskosten führe zu einem zusätzlichen Entgelt für die Nutzungsüberlassung des Grundstücks durch den Erbbaurechtsverpflichteten. Dieses Entgelt sei grundsätzlich beim bilanzierenden Erbbauberechtigten zu aktivieren und abzugrenzen bzw. beim Verpflichteten passiv abzugrenzen. Da die Klägerin aber eine Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG erstellten, bei der es keine aktiven oder passiven Rechnungsabgrenzungsposten gebe, seien die Aufwendungen in vollem Umfang sofort als Betriebsausgabe abziehbar. Es lägen auch keine Anschaffungskosten des immateriellen Wirtschaftsguts "Erbbaurecht" vor. Das BFH-Urteil vom 14.9.1999 (BFH/NV 2000, 558), in dem der BFH Anschaffungskosten angenommen habe, beziehe sich ausdrücklich nur auf die Behandlung bei der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, nicht aber auf Gewinneinkunftsarten.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Gewinnes der Jahre 1994-1995 und 1997 dahingehend zu ändern, dass die Erschließungskosten des Klägers zu 1), wie in den Steuererklärungen erklärt, als Sonderbetriebsausgaben abgezogen werden und der Gewinnanteil der Klägers zu 1) für 1994 mit 82.672 DM, für 1995 mit 165.332 DM und für 1997 mit 128.897 DM angesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
und ist weiterhin der Auffassung, die Erschließungsaufwendungen seien nicht sofort als Betriebsausgabe abziehbar.
Vielmehr lägen Anschaffungskosten des Wirtschaftsgutes "Erbbaurecht" vor, die über die Laufzeit des Erbbaurechts zu verteilen seien. Erschließungsaufwendungen seien unabhängig von der jeweils einschlägigen Einkunftsart zu beurteilen. Wie schon der IX. BFH-Senat für Vermietungseinkünfte entschieden habe, seien vom Erbbaurechtsverpflichteten übernommen Erschließungsaufwendungen über die Laufzeit des Erbbaurechts abzuschreiben.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist teilweise begründet. Das Finanzamt hat die Anerkennung der Erschließungskosten als sofort abziehbare Aufwendungen zu Unrecht versagt. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
1.
Die Klage war so auszulegen, dass sie gleichzeitig im Namen der durch die Kläger betriebenen GbR erhoben wurde, die somit ebenfalls als Klägerin im Rubrum aufzuführen war.
2.
Die vom Kläger zu 1) gezahlten Erschließungskosten sind nicht als Anschaffungskosten des Erbbaurechts zu aktivieren, sondern als Aufwand sofort im Abflussjahr abziehbar.
a)
Die vom Kläger getragenen Erschließungskosten (44.338,98 DM im Jahre 1994 sowie 22.169,44 DM im Jahre 1997) stellen entgegen der Auffassung des Beklagten keine Anschaffungskosten des Erbbaurechts dar. Anschaffungskosten gemäß § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches sind nämlich die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, soweit sie dem Vermögensgegenstand einzeln zugeordnet werden können. Hierzu zählt insbesondere der Anschaffungspreis. Entsprechend hat u.a. der X. BFH-Senat eine an den bisherigen Erbbauberechtigten geleistete Zahlung für die Übertragung eines (bereits bestehenden) Erbbaurechts --eines Vermögensgegenstands im Sinne des Handelsrechts und eines Wirtschaftsguts i.S. des §§ 4 ff. EStG (BFH-Urteil vom 4. Juni 1991 X R 136/87, BFHE 165, 349, BStBl II 1992, 70)-- beim Erwerber als Anschaffungskosten des Erbbaurechts und nicht als zusätzliches Nutzungsentgelt beurteilt (BFH-Urteil vom 27. Juli 1994 X R 126/93, BFHE 175, 120, BStBl II 1995, 109, m.w.N.), und zwar unabhängig davon, ob das der Erbbaurechtsbestellung zugrundeliegende schuldrechtliche Geschäft als Rechtskauf oder kaufähnlicher Vertrag zu bewerten sei (vgl. dazu BFH-Urteil vom 20. Januar 1983 IV R 158/80, BFHE 138, 53, BStBl II 1983, 413, 416).
Die Übernahme der Erschließungsaufwendungen stellt im Streitfall indes ein vorausgezahltes Nutzungsentgelt dar. Der Kläger zu 1) hat sich zwar im Erbbaurechtsvertrag dazu verpflichtet, einen Erschließungsvertrag mit dem Dipl. Ing. N als Vertreter des Grundstückseigentümers zu schließen. Erschließungsaufwendungen für eine erstmalige Erschließung stellen nach Meinung des erkennenden Senats - jedenfalls dann, wenn Gewinneinkünfte erzielt werden unabhängig von der Art der Gewinnermittlung (Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG oder Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG) - nicht Anschaffungskosten, sondern vorausgezahltes Nutzungsentgelt und damit Aufwand dar, der nur bei einer Vorhandensein einer gesetzlicher Verpflichtung über die voraussichtliche Nutzungsdauer zu verteilen ist. Während nämlich ursprünglich vom BFH - im Zusammenhang mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung-- solche Erschließungskosten zu den Anschaffungskosten des Erbbauberechtigten für das Erbbaurecht gerechnet worden sind, die im Wege der Absetzung für Abnutzung auf die Laufzeit des Erbbaurechts zu verteilen sind (BFH-Urteil vom 22. Februar 1967 VI 295/65, BFHE 88, 285, BStBl III 1967, 417), wird in der Übernahme von Erschließungskosten durch Erbbauberechtigte mit Gewinneinkünften, die ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG) ermitteln, ein zusätzliches Entgelt für die Nutzungsüberlassung des Grundstücks - also keine Anschaffungskosten auf das Erbbaurecht gesehen, das in der Bilanz des Erbbauberechtigten als aktiver, in derjenigen des Erbbauverpflichteten als passiver Rechnungsabgrenzungsposten auszuweisen und jeweils auf die Dauer des Erbbaurechts zu verteilen ist (BFH-Urteile vom 8. Dezember 1988 IV R 33/87, BFHE 155, 532, BStBl II 1989, 407; vom 19. Oktober 1993 VIII R 87/91, BFHE 172, 376, BStBl II 1994, 109). Nach dieser Rechtsprechung ist es gleichgültig, ob der Erbbauberechtigte die Erschließungskosten unmittelbar trägt oder sie dem Grundstückseigentümer erstattet (BFH-Urteil in BFHE 155, 532, BStBl II 1989, 407). Die Übernahme der Erschließungsbeiträge durch den Erbbauberechtigten beinhaltet vielmehr ein neben den Erbbauzins tretendes zusätzliches Entgelt (vgl. BFH- Urteile in BFHE 132, 418, BStBl II 1981, 398 ; vom 20. Januar 1983 IV R 158/80, BFHE 138, 53, BStBl II 1983, 413; vom 17.April 1985 I R 132/81 , BFHE 144, 213 , BStBl II 1985, 617; vom 8. Dezember 1988 IV R 33/87, BFHE 155, 532, BStBl II 1989, 407; vom 4.Juni 1991 X R 136/87, BFHE 165, 349, BStBl II 1992, 70).
b)
Dieser Aufwand ist nach Meinung des Senats beim Erbbauberechtigten, der Überschussrechner ist, sofort abziehbar. Zwar ist er bei Bilanzierenden (Betriebsvermögensvergleich, § 4 Abs. 1 EStG) gem. § 5 Abs. 5 EStG in einen Rechnungsabgrenzungsposten einzustellen. Bis zur Änderung von § 11 Abs. 2 EStG durch Einfügung von § 11 Abs.2 Satz 3 EStG sind Vorauszahlungen ab dem 1. Januar 2004 (§ 52 Abs. 30 EStG) bei Überschussrechnern (§ 4 Abs. 3 EStG) sowie bei Erzielung von Einkünften nach § 2 Abs. 1 Nr. 4-7 EStG (sog. Überschusseinkünfte) indes auch dann, wenn sie für einen Zeitraum von mehr als 5 Jahren geleistet wurden, nach § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG im Zeitpunkt der Verausgabung in voller Höhe abziehbar und nicht über die Laufzeit zu verteilen. Dies gilt auch für den Fall des Erbbauberechtigten, der Überschussrechner ist und erstmalige Erschließungsaufwendungen trägt. Einer Behandlung als sofort abzugsfähigen Betriebsausgabe steht nicht die gegenteilige Bewertung von Erschließungskosten des Erbbauberechtigten im Bereich der Überschusseinkünfte entgegen, bei denen Erschließungsaufwendungen regelmäßig vom zuständigen IX. BFH-Senat als Anschaffungskosten behandelt werden. Der IX. BFH-Senat hat es zwar bislang ausdrücklich offengelassen, inwieweit die zu Gewinneinkünften (§ 2 Abs. 1 Nr. 1-3 EStG) entwickelten Grundsätze (s.o. unter a)) auf die Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung übertragbar sind (BFH-Urteile vom 14. September 1999, IX R 31/96, BFH/NV 2000, 397; vom 23. November 1993 IX R 84/92, BFHE 173, 61, BStBl II 1994, 292; vom 23. November 1993 IX R 142/89, BFH/NV 1994, 314; vom 21. November 1989 IX R 170/85, BFHE 159, 72, BStBl II 1990, 310). Die Anwendung der für die bilanzierenden Erbbauberechtigten geltenden Rechtsprechung im Bereich der Überschusseinkünfte sei deshalb zweifelhaft, weil bei den Überschusseinkünften nicht die Möglichkeit bestehe, ein Nutzungsentgelt auf die Laufzeit des Nutzungsrechts zu verteilen (BFH-Urteil vom 23. April 1991 IX R 86/89, BFHE 164, 275, BStBl II 1991, 712). Eine solche Notwendigkeit, sich über mehrere Jahre auswirkenden Aufwand über die Laufzeit zu verteilen, besteht aber erst ab dem Veranlagungszeitraum 2004 (§ 52 Abs. 30 EStG, s.o.), nach Einfügung von § 11 Abs. 2 Satz 3 EStG. Vor dem Veranlagungszeitraum 2004 wäre es nach Meinung des Senats jedenfalls bei der Erzielung von Gewinneinkünften (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 - 3 EStG) inkonsequent, die Einordnung des Aufwands davon abhängig zu machen, ob der Steuerpflichtige seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich oder durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt (vgl. auch die Kritik von Spindler, DB 1984, S. 650 ff., allerdings mit anderen Schlussfolgerungen bezgl. der Einordnung des Aufwands, nämlich als Anschaffungskosten).
c)
Somit waren die Erschließungsaufwendungen im Abflusszeitpunkt als Betriebsausgabe abziehbar. Demgegenüber sind vom Finanzamt angerechnete Absetzungen für Abnutzung rückgängig zu machen, soweit sie auf die nunmehr anerkannten Erschließungsaufwendungen entfallen (vgl. BPA Bl. 99, 119, 120).
d)
Nicht sofort abziehbar waren hingegen die übrigen geltend gemachten, einmaligen Aufwendungen (Grunderwerbesteuer, Notarkosten, Auflassungskosten, Maklergebühr, Katasteramt, Sonderung, also 11.990,35 DM im Jahre 1994 und 1.150 DM im Jahre 1995). Einmalige Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Erbbaurechts (Grunderwerbsteuer, Maklerprovision, Notar- und Gerichtsgebühren) sind Anschaffungskosten des Wirtschaftsguts "Erbbaurecht"; lediglich Zahlungen im Rahmen des Leistungsaustausches - wie insbesondere das laufende oder vorausgezahlte Nutzungsentgelt (Erbbauzins) -- sind als sofort abziehbarer Aufwand zu behandeln (BFH vom 19. Oktober 1993, VIII R 87/91, BStBl. II 1994, 109).
e)
Die Ausrechnung des festzustellenden Gewinns wird nach § 100 Abs. 2 FGO dem Finanzamt übertragen.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 FGO. Die Revision war zuzulassen, da bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde, wie vom Erbbauberechtigten übernommene Erschließungsbeiträge bei Freiberuflern und Gewerbetreibenden, die ihren Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung ermitteln, zu behandeln sind. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1, 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.