Arbeitsgericht Hannover
Beschl. v. 13.12.1996, Az.: 11 BV 17/95

Kostenübernahme für eine Schulungs- und Bildungsveranstaltung; Beurteilung der Erforderlichkeit einer Schulungsveranstaltung; Erforderlichkeit der EDV-Fortbildung des Schriftführers des Betriebsrates

Bibliographie

Gericht
ArbG Hannover
Datum
13.12.1996
Aktenzeichen
11 BV 17/95
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1996, 11502
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:ARBGHAN:1996:1213.11BV17.95.0A

Fundstelle

  • CR 1997, 550-551 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Forderung

In dem Beschlußverfahren
hat das Arbeitsgericht in Hannover
auf die mündliche Anhörung der Beteiligten vom 13. Dezember 1996
durch
den Richter ... als Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter ... und Frau ... als Beisitzer
beschlossen:

Tenor:

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Antragsteller DM 1.031,30 netto nebst 4 % Zinsen seit den 01.04.1995 zu zahlen.

Tatbestand

1

I.

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine Schulungs- und Bildungsveranstaltung, an welcher der Antragsteller vom 02.04. bis 05.04.1995 im Ostseebad Damp 2000 teilgenommen hat.

2

Der Antragsteller gehört dem Betriebsrat des Werkes Lehrte an, dieser Betriebsrat wurde zuletzt im Frühjahr 1994 gewählt. Der Antragsteller ist Mitglied des Betriebsrates und führt dort die Funktion des Schriftführers aus. Vorsitzender des Betriebsrates ist Herr ... Die Antragsgegnerin ist ein Unternehmen der Zuckerindustrie. Sie beschäftigt ca. 280 Mitarbeiter. Der Betriebsrat im Werk Lehrte besteht aus 7 Personen. In seiner Sitzung am 21.12.94 beschloß der Beteiligte zu 3), den Antragsteller zur Teilnahme an dem Seminar "Computerwerkzeuge für den Betriebsrat" zu entsenden. Mit Schreiben vom 16.03.1995 bestritt die Antragsgegnerin die Erforderlichkeit der vom Beteiligten zu 3) ins Auge gefaßten Schulungsmaßnahme. Daraufhin versuchte der Beteiligte zu 3) die Teilnahme des Antragstellers an der streitigen Schulungsveranstaltung im Wege der einstweiligen Verfügung im Beschlußverfahren abzusichern. Dieses Verfahren endete am 31.03.1995 in einem Vergleich, nach welchem der Antragsteller in diesem Verfahren zur Teilnahme an dem Seminar freigestellt wurde. Im übrigen beharrten die Beteiligten auf ihren konträren Ansichten zur Frage der Erforderlichkeit der Schulungsveranstaltung (8 BV Ga 1/95, Bl. 19 jener Akte).

3

Der Antragsteller hat sodann vom 02. bis zum 05.04.1995 an dem genannten Seminar teilgenommen. Bezüglich des Konzeptes der Tagung, der dort gehaltenen Referate und der Themen des sogenannten "Informationsmarktes" wird auf Blatt 68 f. der Akten verwiesen. Mit einer am 07.06.1995 erhobenen Leistungsklage versuchte der Antragsteller für den Zeitraum der Seminarteilnahme die ihm von der Antragsgegnerin vorenthaltene Vergütung sowie weiterer 1,8 Stunden zugunsten seines Zeitausgleichskontos zu erlangen. Dieses Urteilsverfahren endete am 14. Februar 1996 mit einem Vergleich, in welchem die Parteien den Vergütungsanspruch des Klägers vom Ausgang des hier entschiedenen Beschlußverfahrens abhängig machten (11 Ca 412/95, Bl. 96 jener Akte).

4

Mit Rechnung vom 26.04.1995 verlangte das Bildungszentrum Oberjosbach zunächst von der Antragsgegnerin die Zahlung einer "Seminargebühr inkl. Unterkunft und Verpflegung" in Höhe von 670,00 DM (Bl. 5 d.A.). Der Antragsteller stellte der Antragsgegnerin auf der Basis einer zurückgelegten Reisestrecke von 602 km einen Betrag von insgesamt 361,30 DM in Rechnung (Bl. 6 d.A.). Die Antragsgegnerin verweigert den Ausgleich der Gesamtkosten in Höhe von 1.031,30 DM.

5

Mit Beschluß vom 14.02.1996 wurde der Beteiligte zu 3) in das Verfahren einbezogen und ihm Gelegenheit zur Schriftsätzlichen Stellungnahme gegeben. Der Antragsteller und der Beteiligte zu 3) tragen in diesem Verfahren einheitlich vor.

6

Der Antragsteller ist der Ansicht, die Antragsgegnerin habe die geltend gemachten Gesamtkosten in Höhe von 1.031,30 DM gemäß § 37 Abs. 6 i.V.m. § 40 BetrVG zu tragen. Die Teilnahme an der streitbefangenen Schulungsveranstaltung sei insbesondere erforderlich im Sinne von § 37 Abs. 6 BetrVG gewesen. Die auf der Schulung vermittelten Kenntnisse seien in spezifischer Weise für die Betriebsratstätigkeit bei der Antragsgegnerin notwendig. Dies ergebe sich zum einen aus der umfassenden Information über die Nutzungsmöglichkeiten eines CD-ROM-Laufwerks. Der Beteiligte zu 3) verfüge bereits über mehrere CD-ROMs mit betriebsratsspezifischer Software. Die Zurverfügungstellung eines entsprechenden CD-ROM-Laufwerks sei bei der Antragsgegnerin beantragt und werde von dieser aus nicht nachvollziehbaren Gründen verzögert. Der Beteiligte zu 3) beabsichtige insbesondere eine CD-ROM zu verwenden, auf welcher unerläßliche Informationen über Gefahrstoffe gespeichert seien, welche auch im Betrieb der Antragsgegnerin Verwendung finden. Die konkrete Erforderlichkeit der Schulungsinhalte ergebe sich aber auch daraus, daß die Kenntnisse für den effektiven Einsatz des Computers, welcher dem Beteiligten zu 3) bereits zur Verfügung steht, aktualisiert und vertieft werden müßten. Der Beteiligte zu 3) setze den Computer u. a. zur Erfassung der geleisteten Überstunden sowie zur Erarbeitung fundierter Gegenvorschläge in diesem Bereich ein. Der Antragsteller und der Vorsitzende des Beteiligten zu 3) seien im Rahmen der Aufgabenverteilung zuständig für die Überwachung der Betriebs Vereinbarungen hinsichtlich Arbeitszeiterfassung und Reparaturzeitplanung. Dabei handele es sich um ein mittlerweile sehr kompliziert entwickeltes EDV-System. Auch im Fertigungsbereich verfüge die Antragsgegnerin über ein Prozeßleitsystem, welches ständig weiterentwickelt werde und für dessen betriebsverfassungsrechtliche Bewertung und Betreuung der Vorsitzende des Beteiligten zu 3) und der Antragsteller zuständig seien. Hinsichtlich der geltend gemachten Fahrtkilometer verweist der Antragsteller auf eine Aufschlüsselung Blatt 30 der Akten. Zur Aufschlüsselung der Tagungskosten in Höhe von 670,00 DM bezieht sich der Antragsteller auf Blatt 81 f. der Akten.

7

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, an den Antragsteller DM 1.031,30 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 01.04.1995 zu zahlen.

8

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

9

Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, die streitbefangene Schulung sei nicht erforderlich im Sinne von § 37 Abs. 6 BetrVG gewesen. Der Antragsteller verfüge bereits über die erforderlichen Grundkenntnisse im Umgang mit Computern. Im übrigen könne er an betriebsinternen Schulungen teilnehmen. Das Programm der Schulungsveranstaltung lasse den konkreten Bezug zu den betrieblichen Erfordernissen im Betrieb der Antragsgegnerin vermissen. Es werde lediglich allgemeines Wissen über betriebsratsbezogene Computer-Software vermittelt, welches zwar vielleicht nützlich, keineswegs aber erforderlich für die Betriebsratstätigkeit sei. Dem Beteiligten zu 3) stehe ein CD-ROM-Laufwerk nicht zur Verfügung. Die vom Antragsteller vorgelegten Überstundenübersichten seien mit dem gebräuchlichen Tabellenkalkulationsprogramm Excel erstellt worden. Spezifische Betriebsratssoftware sei hierfür nicht erforderlich.

10

Die Antragsgegnerin rügt auch, daß die vom Antragsteller geltend gemachten Kosten nicht hinreichend aufgeschlüsselt seien. Es sei weder nachvollziehbar, ob diese Kosten tatsächlich entstanden seien, noch sei die Gefahr auszuschließen, daß über den Schulungsträger mittelbar die Gewerkschaft finanziert werde. Außerdem müsse sich der Antragsteller die ersparten Kosten für die private Lebensführung anrechnen lassen.

Gründe

11

II.

Der Antrag ist begründet, da die streitbefangene Schulungsveranstaltung erforderlich im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG gewesen ist und der Antragsteller die entstandenen Kosten im erforderlichen Umfang aufgeschlüsselt hat.

12

1.

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten nur dann für die Betriebsratsarbeit erforderlich, wenn der Betriebsrat sie unter Berücksichtigung der konkreten betrieblichen Situation benötigt, um seine derzeitigen oder demnächst anfallenden Arbeiten sachgerecht wahrnehmen zu können. Dazu bedarf es der Darlegung eines aktuellen oder absehbaren betrieblichen oder betriebsratsbezogenen Anlasses, aus dem sich der Schulungsbedarf ergibt. Lediglich bei erstmals gewählten Betriebsratsmitgliedern wird auf eine nähere Darlegung der Schulungsbedürftigkeit verzichtet, wenn es sich um die Vermittlung von Grundkenntnissen im Betriebsverfassungsrecht handelt. Hinsichtlich der Erforderlichkeit von EDV-Kenntnissen für die Betriebsratstätigkeit bedarf es hingegen einer Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der besonderen betrieblichen Gegebenheiten. Dabei anerkennt das BAG, daß der elektronischen Datenverarbeitung inzwischen im betrieblichen Alltag eine ganz erhebliche Bedeutung zukommt. Der Betriebsrat muß sich u. a. mit den damit verbundenen Fragen des Schutzes der Arbeitnehmer vor Eingriffen in deren Persönlichkeitsrechte im Rahmen seiner Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG befassen. Auch die schriftliche Kommunikation mit dem Arbeitgeber und unter bestimmten Voraussetzungen auch mit der Belegschaft (z. B. im Rahmen einer Belegschaftsbefragung) gehört zu den Aufgaben des Betriebsrates. Die mit dem Einsatz von EDV in den Betrieben verbundenen Aufgabenstellungen des Betriebsrates sind von Fall zu Fall unterschiedlich und in hohem Maße von den konkreten betrieblichen und betriebsratsbezogenen Verhältnissen abhängig. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit verlangt das Bundesarbeitsgericht daher einzelfallbezogene Angaben, aus denen sich der aktuelle oder absehbare betriebliche oder betriebsratsbezogene Anlaß der fraglichen Schulung ergibt (Beschluß vom 19.07.1995 - 7 ABR 49/94, AP Nr. 110 zu § 37 BetrVG 1972). In dieser Entscheidung hat das BAG die Erforderlichkeit der dort zu beurteilenden Schulungsmaßnahme im wesentlichen deshalb verneint, weil der dortige Betriebsrat nicht über einen Computer verfügte und auch für die nähere Zukunft nicht damit zu rechnen war, daß der Betriebsrat einen Computer einsetzen wird.

13

Im hier zu entscheidenen Fall verfügt der Beteiligte zu 3) jedoch unstreitig seit längerer Zeit über einen PC. Hinsichtlich des vom Beteiligten zu 3) beantragten CD-ROM-Laufwerks konnte sich die Kammer des Eindrucks nicht erwehren, daß die Antragsgegnerin die zunächst erteilte Bewilligung zurückgezogen hat, um eine für sie negative Indizwirkung in dem hier zu entscheidenden Rechtsstreit zu vermeiden. Das hierfür genannte Argument des Schutzes vor Computerviren vermochte zum einen deshalb nicht zu überzeugen, weil der PC des Beteiligten zu 3) bisher nicht vernetzt ist. Zum anderen sind die auf CD-ROMs vertriebenen Daten durch den einzelnen Nutzer nicht veränderbar, weshalb die Gefahr einer unkontrollierten Verbreitung eines Computer-Virus über CD-ROM erheblich geringer einzustufen ist als bei der Verwendung herkömmlicher Disketten.

14

Die betriebsbezogene Erforderlichkeit der streitbefangenen Schulung ergibt sich zum einen aus der Behandlung des Themas "Gefahrstoffdatenbanken online" im Rahmen eines Workshops, an welchem der Antragsteller teilgenommen hat. Im Betrieb der Antragsgegnerin werden in nicht unerheblichem Umfang Gefahrstoffe verwandt, so daß hier ein besonderes Informationsbedürfnis des Beteiligten zu 3) besteht. Es kann dem Betriebsrat und seinen Mitgliedern auch nicht grundsätzlich verwehrt werden, sich im voraus über diejenigen technischen Möglichkeiten zu informieren, welche geeignet wären, die Arbeitsabläufe entscheidend zu verbessern. Daher kann auch die Schulung über solche Techniken "erforderlich" sein, welche bisher nicht beim Betriebsrat in Gebrauch sind. Der Betriebsrat kann dann gegebenenfalls auf die Zurverfügungstellung dieser Mittel drängen. Wollte man den Betriebsrat auf die Schulung mit denjenigen Techniken beschränken, welche bei ihm bereits in Betrieb sind, bliebe ihm der Anschluß an den technischen Fortschritt verwehrt. Dies kann bei einer weiteren Veränderung der betrieblichen Verhältnisse dazu führen, daß der Betriebsrat seinen Aufgaben nicht mehr gerecht wird.

15

Im hier zu entscheidenden Fall ergibt sich die Erforderlichkeit der Schulung aber auch aus der spezifischen Funktion des Antragstellers als Schriftführer des Beteiligten zu 3). Die im Rahmen der Schulung vorgestellte spezifische Software für Betriebsräte ist geeignet, den Antragsteller bei der effizienten und schnellen Bewältigung seiner Betriebsratsaufgaben zu unterstützen. Eine Unterstützung des Antragstellers bei den ihm obliegenden Schreib- und Dokumentationsaufgaben durch moderne Bürotechnik führt zur Freisetzung von Arbeitszeit, in welcher sich der Antragsteller dann der Ausübung der dem Betriebsrat eigentlich obliegenden Mitbestimmungsrechte widmen kann. Der Hinweis der Antragsgegnerin auf die bei ihr stattfindenden betriebsinternen EDV-Schulungen greift hier insofern nicht, da diese Schulungen kaum die Anwendung betriebsratsspezifischer Software zum Gegenstand haben dürften.

16

Soweit das hier vorgelegte Tagungsprogramm einzelne Bestandteile enthält, deren unmittelbare Erforderlichkeit für die Verhältnisse im Betrieb der Antragsgegnerin nicht nachvollziehbar ist, so liegt dies daran, daß Betriebsratsschulungen typischerweise nicht nur für die Betriebsräte eines einzelnen Betriebes angeboten werden. Die Kammer ist jedoch der Auffassung, daß bei dem vom Antragsteller gewählten Tagungsablauf diejenigen Programmpunkte überwiegen, die einen direkten Bezug zu den ihm obliegenden Aufgaben erkennen lassen. Das Bundesarbeitsgericht betont zwar, daß der Betriebsrat die Frage der Erforderlichkeit nicht allein nach seinem subjektiven Ermessen entscheiden kann. Er müsse sich auf den Standpunkt eines vernünftigen Dritten stellen, der die Interessen des Betriebes einerseits und die des Betriebsrates und der Arbeitnehmerschaft andererseits gegeneinander abzuwägen hat (BAG a.a.O., Bl. 322). Darüber hinaus hat sich die Kammer im vorliegenden Fall aber auch von der Erwägung leiten lassen, daß dem Betriebsrat bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs "erforderlich" ein gewisser Beurteilungsspielraum zusteht. Die am 21.12.1994 gefällte Entscheidung des Beteiligten zu 3), den Antragsteller zu der streitbefangenen Schulung zu entsenden, überschreitet die Grenzen dieses Beurteilungsspielraumes nicht. Im Sinne einer effektiven Nutzung dieser Schulung hat der Antragsteller seine Kenntnisse an die übrigen Betriebsratskollegen weiter vermittelt.

17

2.

Auch der Höhe nach sind die vom Antragsteller geltend gemachten Kosten nicht zu beanstanden. Daß die vom Antragsteller zurückgelegte Reisestrecke ca. 600 km beträgt, ist von der Antragsgegnerin am Ende des Verfahrens nicht mehr angegriffen worden. Die vom Antragsteller vorgelegten Abrechnungsunterlagen über die im Zusammenhang mit der Schulungsmaßnahme entstandenen Kosten lassen nach summarischer Prüfung erkennen, daß hierbei keine - oder zumindest keine erheblichen - Gewinne zugunsten der Gewerkschaft erzielt worden sein können. Der Betrag von 670,00 DM für eine 3-tägige Tagung mit Vollpension ergibt auch der absoluten Höhe nach vor dem Hintergrund der allgemeinen Lebenserfahrung keinen Anlaß, die Angemessenheit dieser Kosten zu bezweifeln. Unabhängig davon konnte der Antragsteller die zugrunde liegende Kalkulation mit den zu den Akten gereichten Anlagen (Bl. 81 f.) weitgehend aufschlüsseln.

18

In diesem Verfahren werden gemäß §§ 12 Abs. 5, 2 a Abs. 1 ArbGG Kosten nicht erhoben.