Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 17.12.2003, Az.: L 13 V 1/03

Anspruch auf eine höhere Versorgungsrente ; Anerkennung eines Augenleidens, eines Hörschadens, einer psychischen Beeinträchtigung und eines Zahnverlustes als Schädigungsfolgen der Kriegsgefangenschaft in den UdSSR; Ursachenzusammenhang zwischen Kriegsgefangenschaft und Gesundheitsschädigung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
17.12.2003
Aktenzeichen
L 13 V 1/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 16025
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:1217.L13V1.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Bremen - 20.11.2002 - AZ: S 4 V 161/94

Redaktioneller Leitsatz

Für einen Anspruch auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) müssen die erlittenen Gesundheitsschädigungen kausal auf die Kriegsgefangenschaft zurückzuführen sein. Der schädigende Vorgang muß nachgewiesen werden.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 20. November 2002 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger wegen einer Verschlimmerung anerkannter Versorgungsleiden sowie der erstmaligen Berücksichtigung bislang nicht anerkannter Leiden eine höhere Versorgungsrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu gewähren ist.

2

Der 1926 in Ungarn geborene Kläger wurde im November 1944 als sog. Volksdeutscher zur deutschen Wehrmacht einberufen und geriet im April 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Als Kriegsgefangener arbeitete er in verschiedenen Arbeitslagern. Im November 1950 wurde er an Ungarn ausgeliefert und nach viermonatigem Zuchthausaufenthalt zur Zwangsarbeit verpflichtet. Im November 1953 wurde er entlassen und siedelte anschließend in die Bundesrepublik Deutschland über.

3

Auf Grund eines versorgungsärztlichen Gutachtens des Arztes für Innere Krankheiten Dr. E. vom 4. Januar 1954 erkannte das Versorgungsamt Hannover mit Bescheid vom 22. Januar 1954 einen abklingenden Mangelschaden als Schädigungsfolge nach dem BVG an und gewährte dem Kläger eine Grundrente nach einer MdE um 50 v. H. Nachdem der Kläger im Mai 1954 nach Kanada ausgewandert war, wurde die Zahlung der Versorgungsrente eingestellt.

4

Im Jahr 1966 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt Bremen die Wiedergewährung von Versorgungsleistungen. Nach Einholung verschiedener Gutachten erkannte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 28. Juli 1969 einen knöchern verheilten Bruch des Innenknöchels und des Wadenbeinschaftes rechts sowie arthritische Veränderungen im rechten Fußgelenk mit Bewegungseinschränkung als Schädigungsfolgen an und gewährte dem Kläger ab dem 1. Juni 1966 eine Grundrente nach einer MdE um 30 v. H. Eine Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen (Asthma, Emphysem, chronische Bronchitis und Prostatitis) wurde abgelehnt. Der früher anerkannte Körperschaden "abklingender Mangelschaden" bestehe nicht mehr. Die gegen diesen Bescheid erhobenen Rechtsbehelfe hatten keinen Erfolg (vgl. Urteil des Sozialgerichts - SG - Bremen vom 9. November 1971 - SV 97/70 -).

5

Mit Neufeststellungsantrag vom März 1983 machte der Kläger eine Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen geltend und begehrte - in weiteren Verfahren - die Anerkennung einer neuro-sensorischen Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen als weitere Schädigungsfolge. Die gegen den ablehnenden Bescheid vom 25. Juli 1983 erhobenen Rechtsbehelfe blieben erfolglos (Urteile des SG Bremen vom 6. Mai 1985 - S 15 V 416/83 - und des Landessozialgerichts - LSG - Bremen vom 27. Mai 1992 - L 3 V 44/85 -). Auf Grund eines Gutachtens des Dr. F. vom 30. Dezember 1990 mit orthopädischem Zusatzgutachten stellte das LSG fest, dass eine Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen nicht eingetreten sei. Hinsichtlich der geltend gemachten Schwerhörigkeit fehle es an dem Nachweis eines schädigenden Vorganges.

6

Im August 1993 beantragte der Kläger die Kostenübernahme für ein Teilgebiss im Ober- und Unterkiefer. Er machte geltend, in russischer Kriegsgefangenschaft zwei Zähne im Ober- und sieben Zähne im Unterkiefer verloren zu haben. Das Versorgungsamt Hannover habe nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft die Kosten für ein Teilgebiss übernommen. Mit Bescheid vom 19. Oktober 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 1993 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Zahnverlustes als Schädigungsfolge ab. Zur Begründung gab sie an, ein Nachweis über den Verlust der Zähne als Folge der Kriegsgefangenschaft sei nicht erbracht worden. Die Kostenübernahme im Jahr 1954 durch das Versorgungsamt Hannover sei nach § 27 Heimkehrergesetz erfolgt. Eine Anerkennung nach dem BVG bedeute dieses jedoch nicht.

7

Mit weiterem Bescheid vom 7. Juli 1994 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung einer höheren Versorgung ab, da eine Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen nicht eingetreten sei. Ferner könne eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden, da diese bereits mit Bescheid vom 28. Februar 1969 (richtig: 28. Juli 1969) rechtsverbindlich als versorgungsfremde Gesundheitsstörung abgegrenzt worden sei. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein.

8

Im August 1994 beantragte der Kläger die Anerkennung eines Augenleidens als Schädigungsfolge. Er gab an, er habe bei seiner Gefangennahme im Jahr 1945 von einem russischen Soldaten einen Schlag mit einem Schuhabsatz über dem rechten Auge erhalten. Während seiner Kriegsgefangenschaft habe er sich im Jahr 1949 in der Ukraine einer Operation am rechten Auge unterziehen müssen. Im Gefängnis in Ungarn sei er erneut an diesem Auge operiert worden. Er habe nur noch 25 % Sehkraft auf dem rechten Auge. In der Folgezeit verwies der Kläger auf eine Entzündung an seinem rechten Bein sowie auf Albträume, die er auf seine 81/2-jährige Kriegsgefangenschaft zurückführte. Auf Anforderung der Beklagten legte er diverse medizinische Unterlagen vor. Die Beklagte zog im Hinblick auf das geltend gemachte Augenleiden Befundberichte der Ärzte G. vom 18. September 1995 und des Dr. H. vom 6. März 1996 sowie wegen der angegebenen Albträume einen Befundbericht des Arztes I. vom 21. März 1996 bei. Nach Auswertung dieser Unterlagen führte der versorgungsärztliche Dienst der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 4. Juli 1996 aus, die in den Berichten beschriebene Bewegungseinschränkung im oberen und unteren Sprunggelenk rechts sei bereits mit der höchstmöglichen MdE von 30 v. H. anerkannt. Die üblichen Schmerzen bei Arthrose und zeitweiligen Reizerscheinungen (Gelenkentzündungen) würden hierdurch miterfasst. Nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz", Ausgabe 1983 (AHP 1983), komme eine höhere MdE nur bei einer Versteifung der Sprunggelenke in ungünstiger Stellung in Betracht, die bei dem Kläger nicht vorliege. Die Linsentrübung des rechten Auges sowie die Glaskörperdegeneration könnten nicht auf eine Verletzung oder auf eine im Gefängnis in Budapest durchgemachte Augenerkrankung zurückgeführt werden. Bei der bereits 1953 angegebenen verminderten Sehleistung beidseits handelte es sich um eine konstitutionell bedingte Minderung der Sehschärfe, die nicht auf ein 1951 durchgemachtes Augenleiden oder auf die Entbehrungen, Strapazen oder Unterernährung während der russischen Gefangenschaft zurückgeführt werden könne. Psychische Störungen (Alkoholmissbrauch, Albträume) könnten weiterhin nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden. Insoweit ergäben sich gegenüber dem vorliegenden nervenärztlichen Aktengutachten des Dr. J. vom 17. März 1969 keine neuen medizinischen Gesichtspunkte. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. Juli 1996 die Gewährung einer höheren Leistung nach dem BVG ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. August 1996).

9

Gegen den Bescheid vom 19. Oktober 1993 (Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 1993) hat der Kläger am 10. März 1994 Klage erhoben, gegen den Bescheid vom 16. Juli 1996 (Widerspruchsbescheid vom 14. August 1996) am 12. September 1996. Das Sozialgericht (SG) Bremen hat die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Der Kläger hat unter Vorlage weiterer medizinischer Unterlagen die Anerkennung eines Augenleidens, eines Hörschadens, einer psychischen Beeinträchtigung und eines Zahnverlustes als Schädigungsfolgen begehrt sowie eine Verschlimmerung des anerkannten Versorgungsleidens geltend gemacht.

10

Mit Urteil vom 20. November 2002 hat das SG die Klage(n) abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Anerkennung des Ohrenleidens als Schädigungsfolge scheitere daran, dass ein schädigender Vorgang nicht nachgewiesen sei. Darauf sei bereits in dem Urteil des LSG Bremen vom 27. Mai 1992 hingewiesen worden. Auch hinsichtlich des Augenleidens fehle es am Nachweis eines schädigenden Vorgangs. Der Kläger habe erstmals nach fast vier Jahrzehnten vorgetragen, 1945 von einem russischen Soldaten einen Schlag mit dem Schuhabsatz erhalten zu haben und während der Kriegsgefangenschaft zwei Mal operiert worden zu sein. Anlässlich der Untersuchung durch Dr. E. im Dezember 1953 habe der Kläger noch nicht behauptet, während der Gefangenschaft einen Augenschaden erlitten zu haben. Hinsichtlich des Zahnverlustes habe der Kläger einen schädigenden Vorgang überhaupt nicht vorgetragen. Der allgemeine Hinweis darauf, dass bei Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft Zähne im Ober- und Unterkiefer gefehlt hätten, sei hierfür nicht ausreichend. Zwar seien in dem Gutachten des Dr. E. vom 4. Januar 1954 fehlende Zähne dokumentiert. Dass dieses auf schädigende Einflüsse während der Kriegsgefangenschaft zurückzuführen sei, habe der Kläger anlässlich der Untersuchung durch Dr. E. allerdings nicht behauptet. Soweit der Kläger nach seinen Angaben seit der Kriegsgefangenschaft bzw. seit dem 28. Lebensjahr an Albträumen leide, reiche dieses nicht aus, um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Kriegsgefangenschaft und den psychischen Störungen zu bejahen. Denn es seien keine so genannten Brückensymptome vorhanden. Abgesehen davon habe der Arzt I. angegeben, dass der Kläger ein oder zwei Symptome einer posttraumatischen Stressstörung zeige, jedoch nicht das volle klinische Erscheinungsbild. Eine Bronchitis bzw. ein Emphysem oder Asthma könnten ebenfalls nicht als Versorgungsleiden anerkannt werden, da diese bereits mit Urteil des SG Bremen vom 9. November 1971 rechtsverbindlich als versorgungsfremd abgegrenzt worden seien. Schließlich könne hinsichtlich des anerkannten Versorgungsleidens keine Verschlimmerung festgestellt werden. Eine Bewertung mit einer MdE von mehr als 30 v. H. käme nur bei einer Versteifung der Sprunggelenke in ungünstiger Stellung in Betracht, wovon nach den vorliegenden Befunden nicht ausgegangen werden könne.

11

Gegen das ihm am 13. Dezember 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 3. Januar 2003 Berufung eingelegt. Er trägt sinngemäß vor, dass seine Invalidität von kanadischen Behörden anerkannt worden sei. Ihm stehe daher eine Versorgungsrente nach einer MdE um 100 v. H. zu.

12

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 20. November 2002 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Oktober 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 1993 und des Bescheides vom 16. Juli 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 1996 zu verurteilen, als weitere Schädigungsfolgen ein Augenleiden, einen Hörschaden, eine psychische Beeinträchtigung, einen Zahnverlust und eine Bronchitis anzuerkennen und ihm Versorgung nach einer MdE um 100 v. H. ab dem 1. August 1993 zu gewähren.

13

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

14

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

15

Die Beteiligten sind zu der beabsichtigten Entscheidung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört worden.

16

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten SV 97/70, S 15 V 416/83 (L 3 V 44/85), S 4 V 161/94 und S 4 V 355/96 (L 13 V 1/03) Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der Beschlussfassung gemacht worden.

Gründe

17

Der Senat konnte die Berufung nach vorheriger Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

18

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf höhere Versorgungsrente nicht zu, weil keine weiteren Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen anzuerkennen sind und hinsichtlich des anerkannten Versorgungsleidens eine Verschlimmerung sich nicht feststellen lässt.

19

Hinsichtlich der Bronchitis und des Hörschadens ist bereits mit Urteilen des SG Bremen vom 9. November 1971 bzw. des LSG Bremen vom 27. Mai 1992 rechtskräftig entschieden worden, dass diese Gesundheitsstörungen nicht als Schädigungsfolgen im Sinne des BVG anzuerkennen sind. Ferner hat das SG in seinem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, dass das bei dem Kläger heute vorliegende Augenleiden sowie die psychische Beeinträchtigung ebenfalls nicht als Schädigungsfolgen anerkannt werden können und hinsichtlich des anerkannten Versorgungsleidens nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen eine Verschlimmerung, die zu einer höheren MdE führen würde, nicht eingetreten ist. Diese Ausführungen macht sich der Senat vollinhaltlich zu Eigen und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, zumal der Kläger im Berufungsverfahren nur pauschale Einwände gegen das angefochtene Urteil erhoben hat.

20

Soweit der Kläger in seiner Berufungsbegründung auf die bei ihm bestehende Invalidität aufmerksam gemacht hat, ist darauf hinzuweisen, dass nach den Vorschriften des BVG bei der Feststellung der MdE nur die schädigungsbedingten Gesundheitsstörungen berücksichtigt werden dürfen. Als Schädigungsfolge anerkannt ist bei dem Kläger - zu Recht - lediglich ein knöchern verheilter Bruch des Innenknöchels und des Wadenbeinschaftes rechts sowie arthritische Veränderungen im rechten Fußgelenk mit Bewegungseinschränkung. Dieses Versorgungsleiden bedingt weiterhin eine MdE um 30 v. H.

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

22

Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).