Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 02.08.2006, Az.: L 8 SO 59/06 ER
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung; Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Ablehnung der Leistung wegen fehlender Mitwirkung des Antragstellers; Ergänzende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 12. Buch (SGB XII) auf Grund neuerlichen Getrenntlebens von Eheleuten im gemeinsamen Haus; Ablehnung eines Hausbesuchs durch den Antragsteller; Sozialhilferechtlicher Begriff des Getrenntlebens; Mangelnde Feststellbarkeit der tatsächlichen Durchführung einer dauerhaften Trennung; Regelerfordernis des Auszuges eines Partners aus der bislang gemeinsam bewohnten Wohnung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 02.08.2006
- Aktenzeichen
- L 8 SO 59/06 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 20539
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2006:0802.L8SO59.06ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 08.06.2006 - AZ: S 19 SO 66/06 ER
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I
- § 66 Abs. 1 S. 1 SGB I
- §§ 41 ff. SGB XII
- § 1567 Abs. 1 S. 1 BGB
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 8. Juni 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Stade vom 8. Juni 2006 ist nicht begründet. Das SG hat in seinem angefochtenen Beschluss zutreffend dargelegt, dass der Antragsteller im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Leistungen nach den §§ 41 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - nicht erhalten kann. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird verwiesen auf die Beschlussgründe, § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG.
Die Beschwerdebegründung bietet keinen Anlass zu einer anderen rechtlichen Betrachtungsweise. Der im Februar 1945 geborene Antragsteller, der eine Erwerbsunfähigkeitsrente von monatlich 662,76 EUR bezieht, ist verheiratet mit der im April 1966 geborenen C., welche die polnische Staatsangehörigkeit besitzt. Beide haben im Jahr 1998 ein Einfamilienhaus angemietet, welches sie nach wie vor bewohnen. Die Ehefrau des Antragstellers bezieht Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeit Suchende - (SGB II); nach dem Vortrag des Antragsgegners sind der Ehefrau zuletzt monatlich 537,00 EUR ausgezahlt worden. Der Antragsteller begehrte mit Antrag vom 25. April 2006 die Gewährung von Sozialhilfe- Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung -. In dem Antrag erfolgte der Hinweis, dass die Eheleute seit dem 9. April 2006 in dem Einfamilienhaus getrennt lebten. Dazu wurde eine "Vereinbarung" vom 11. April 2006 vorgelegt, wonach die Eheleute seit dem 9. April 2006 von "Tisch und Bett" getrennt lebten. Es bestünde nur noch eine Wohngemeinschaft. Dies veranlasste den Antragsgegner in der Anhörung vom 11. Mai 2006 zu dem Hinweis, dass wegen des behaupteten Getrenntlebens weitere Sachaufklärung nötig sei. Die Hilfebedürftigkeit sei ohne Hausbesuch nicht abschließend aufzuklären. Bei fehlender Mitwirkung sei beabsichtigt, die Leistung gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 66 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) abzulehnen. Einen Hausbesuch lehnte der Antragsteller unter Hinweis auf von ihm für einschlägig gehaltene Rechtsprechung und auf Artikel 13 Grundgesetz (GG) ab. Der Antragsgegner erließ sodann den Bescheid vom 23. Mai 2006, mit dem die begehrten Leistungen wegen fehlender Mitwirkung abgelehnt wurden. Dagegen richtet sich der bislang nicht beschiedene Widerspruch des Antragstellers.
Bei dieser Sachlage bleibt das Begehren des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erfolglos. Der Antragsteller verspricht sich von seiner Behandlung als getrennt lebender Ehegatte offensichtlich ergänzende Leistungen nach dem SGB XII zur Aufstockung seiner EU-Rente. Das lässt sich seinem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 11. Juni 2006 entnehmen. Damit kann der Antragsteller bereits deshalb nicht erfolgreich sein, weil er ein Getrenntleben von seiner Ehefrau nicht glaubhaft gemacht hat. Bei Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 SGB XII das Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten, die dessen notwendigen Lebensunterhalt übersteigen, zu berücksichtigen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Ehegatten sind mithin nur dann ohne rechtlichen Belang, wenn die Ehegatten tatsächlich getrennt leben, wie dies der Antragsteller behauptet.
Angesichts der bekannt gewordenen Gesamtumstände besteht insoweit allerdings weiterer Aufklärungsbedarf. Die Eheleute haben bis zum 8. April 2006 nicht getrennt gelebt. Ein äußeres Anzeichen für das plötzlich behauptete Getrenntleben ist nicht ersichtlich. Vielmehr scheint der Antragsteller das Getrenntleben zu behaupten, um in den Genuss der von ihm beantragten Sozialleistungen zu kommen. Denn sein Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe steht im zeitlichen Zusammenhang mit einem Bescheid des Jobcenters D. vom 3. April 2006, wonach für die Ehefrau des Antragstellers Unterkunfts- und Heizkosten nur in vermindertem Umfang berücksichtigt wurden, weil das Jobcenter D. nur noch die aus seiner Sicht angemessenen Kosten berücksichtigt hat. Auf diesen Gesichtspunkt hat bereits zutreffend das SG hingewiesen. Bereits dieser Umstand verschafft dem Sozialleistungsträger genügend Anlass, das behauptete Getrenntleben näher zu überprüfen, insbesondere auch durch einen Hausbesuch, um nähere Feststellungen darüber zu treffen, ob die behauptete räumliche Trennung tatsächlich durchgeführt worden ist. Wenn der Antragsteller dies verhindert, geht dies zu seinen Lasten, da er seine Hilfebedürftigkeit glaubhaft machen muss. Abgesehen hiervon kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller und seine Ehefrau tatsächlich getrennt leben. Denn der sozialhilferechtliche Begriff des Getrenntlebens ist von der familienrechtlichen Terminologie des § 1567 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unabhängig. Das - sozialhilferechtliche - Getrenntleben beurteilt sich nicht nach bürgerlichem Recht, sondern danach, ob zwischen den Ehegatten eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft besteht; der sozialhilferechtliche Begriff des Getrenntlebens bestimmt sich daher in erster Linie durch den Nachranggrundsatz des § 2 SGB XII und geht vom Vorhandensein einer die Beziehung zwischen Ehegatten herkömmlich prägenden Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft aus (vgl Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 26. Januar 1995 -5 C 8/93 - BVerwGE 97, Seite 344 = FEVS 45, Seite 447; Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Kommentar zum SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 19 SGB XII Rdnr 14; Seidel in Oestreicher, Kommentar zum SGB XII/SGB II, Loseblattsammlung Stand Dezember 2005, § 19 SGB XII Rdnr. 35 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Ein Getrenntleben der Eheleute wird erst anzunehmen sein, wenn die Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft der Eheleute nach den tatsächlichen Verhältnissen nicht nur vorübergehend aufgehoben ist; die gemeinschaftliche Lebensführung muss in allen für die Ehegemeinschaft maßgeblichen Lebensbereichen, also auch im Haushalt und in der Wirtschaftsführung, auf Dauer aufgegeben sein, und ein entsprechender Trennungswille nach außen erkennbar in Erscheinung treten. Eine getrennte Haushaltsführung allein, bloßes getrenntes Schlafen und getrennte Beköstigung bei fortbestehender Wohngemeinschaft vermitteln nicht das Bild eines Getrenntleben (vgl Seidel a.a.O.).
Nach diesen Grundsätzen lässt sich das behauptete Getrenntleben nicht feststellen. Denn nach außen erkennbar wird es allein durch die vorgelegte "Vereinbarung" vom 11. April 2006, die nur auf dem Papier existiert. Ob eine dauerhafte Trennung tatsächlich durchgeführt worden ist, lässt sich nicht feststellen. Der Senat hat bereits entschieden (Beschluss vom 4. Juli 2005 - L 8 AS 68/05 ER -), dass die Beendigung einer eheähnlichen Gemeinschaft im Regelfall mit der Auflösung der Wohngemeinschaft verbunden sein muss, also durch Auszug eines Partners aus der bislang gemeinsam bewohnten Wohnung. Entsprechendes muss gelten, wenn Eheleute behaupten, nunmehr getrennt zu leben. In jedem Fall ist zu erwarten, dass eine räumliche Trennung durch Auszug eingeleitet wird. Denn ansonsten besteht die Befürchtung, das Getrenntleben werde allein zur Erzielung von ansonsten nicht zustehenden Sozialleistungen behauptet. Mithin sprechen die bekannt gewordenen Umstände gegen das behauptete Getrenntleben ab dem 9. April 2006. Der Senat hat daher keine Veranlassung, sich mit dem Begehren des Antragstellers im Einzelnen zu beschäftigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung des § 193 SGG. Da der Antragsteller unterliegt, trägt er seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Gerichtskosten werden in Verfahren dieser Art nicht erhoben.
Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.