Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 21.06.2010, Az.: 11 A 1875/09
Tierschutz; Wegnahme; Tier; Amtstierarzt
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 21.06.2010
- Aktenzeichen
- 11 A 1875/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 41265
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2010:0621.11A1875.09.0A
Rechtsgrundlagen
Amtlicher Leitsatz
Die Wegnahme eines Tieres aus Gründen des Tierschutzes ist abschließend in der Sondervorschrift des § 16a Satz 2 Nr. 2 TierSchG geregelt. Die allgemeinen Bestimmungen des Nds. SOG über die unmittelbare Ausführung in § 64 Abs. 2 Nds. SOG finden daneben keine Anwendung (im Anschluss an BVerwG NVwZ 2009, 120).
Das nach § 16a Satz 2 Nr. 2 TierSchG vorgesehene Gutachten des Amtstierarztes ist vor der Weegnahme eines Tieres ausnahmslos erforderlich.
Tatbestand
Am 24. Januar 2009 wurde der Kläger wegen einer Suizidankündigung durch eine richterliche Entscheidung in die K.-Klinik B. eingewiesen. Er hielt zu diesem Zeitpunkt in seiner Wohnung in der E.-Str. 2 in D. eine Katze.
Im Rahmen der Erörterungen am 24. Januar 2009 erklärte sich der Kläger nicht bereit, anwesenden Mitarbeitern der Beklagten, der Polizei bzw. dem Richter einen Wohnungsschlüssel auszuhändigen. Er hat auf Nachfrage auch keine Person benannt, die sich um die Katze hätte kümmern können.
Mitarbeiter der Beklagten haben deshalb am 26. Januar 2009 die Wohnung des Klägers durch einen Schlüsseldienst öffnen lassen und die Katze in einem Tierheim in G. untergebracht. Dort ist sie bis zum 30. April 2009 geblieben und dann weitervermittelt worden.
Nach Anhörung setzte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Juni 2009 gegen den Kläger einen Betrag in Höhe von 393,33 Euro fest. Dieser besteht aus den Kosten der Unterbringung der Katze im Tierheim bis zum 30. April 2009 in Höhe von 358,33 Euro sowie 35,-- Euro Gebühren. Zur Begründung wurde auf § 66 Nds. SOG verwiesen. Zudem könnten Zwangsmittel - wie hier eine Ersatzvornahme - ohne vorangegangenen Verwaltungsakt durchgeführt werden, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr erforderlich sei.
Am 2. Juli 2009 hat der Kläger Klage erhoben.
Er trägt im Wesentlichen vor: Er habe bereits am 25. Januar 2009 dafür Sorge getragen, dass sich eine Bekannte, Frau M. aus D., um die Fütterung der Katze kümmere. Er habe das Pflegepersonal gebeten, die Polizei darüber zu informieren, dass die Katze versorgt sei. Frau M. habe dann noch am selben Tage die Katze in seiner Wohnung gefüttert, sie jedoch nicht einfangen können, um sie mitzunehmen. Als sie am 26. Januar 2009 wiedergekommen sei, sei die Katze bereits vom Ordnungsamt der Beklagten entfernt gewesen. Nach seiner Entlassung aus der Klinik habe er unverzüglich um die Rückgabe der Katze gebeten. Er habe den vom Tierheim verlangten Betrag in Höhe von 90,-- Euro jedoch nicht aufbringen können. Der dortige Mitarbeiter sei selbst mit einer Ratenzahlung nicht einverstanden gewesen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 9. Juni 2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert im Wesentlichen: Ihren Mitarbeitern sei nicht bekannt gewesen, dass die Katze von einer Bekannten versorgt worden sei. Bei seiner Einweisung habe der Kläger keine Person benannt, die sich um das Tier hätte kümmern können. Sie habe auch keine Informationen von der Klinik erhalten. Man habe daher davon ausgehen müssen, dass sich niemand um die Katze kümmere. Der Kläger habe sich nach seiner Entlassung auch lediglich einmal beim Tierheim gemeldet. Es sei üblich, dass das Tierheim die Katze nur gegen Erstattung der entstandenen Kosten aushändige. Deshalb habe man schließlich die Katze zur Vermittlung freigegeben. Rechtliche Grundlage für die Kostenforderung sei § 66 Nds. SOG, da eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestanden habe, nämlich, dass die Katze verhungere. Die Regelungen des Tierschutzgesetzes seien nicht anwendbar. Ein beamteter Tierarzt hätte zudem keine andere Feststellung treffen können.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 9. Juni 2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtliche Grundlage sind nicht die §§ 64 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 66 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG, wonach zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr Zwangsmittel auch ohne vorangegangenen Verwaltungsakt angewendet werden können und im Falle einer Ersatzvornahme die Verwaltungsbehörde auf Kosten der betroffenen Person die vertretbare Handlung selbst ausführen kann.
Zur Anwendung kommt vielmehr die Regelung des § 16a Satz 2 Nr. 2 TierSchG. Danach ist ein Tier, das nach dem Gutachten eines beamteten Tierarztes mangels der Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erheblich vernachlässigt ist oder eine schwerwiegende Verhaltensstörung aufzeigt, dem Halter fortzunehmen und solange auf dessen Kosten pfleglich unterzubringen, bis eine den Anforderungen des § 2 entsprechende Haltung des Tieres durch den Halter sichergestellt ist.
Diese Vorschrift stellt eine Sonderbestimmung über die unmittelbare Ausführung dar, die die allgemeinen ordnungs- und verwaltungsvollstreckungsrechtlichen Regelungen verdrängt, soweit ein Tier aus tierschutzrechtlichen Gründen fortgenommen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. August 2008 - 7 C 7.08 -NVwZ 2009, 120 [121]; VGH Mannheim, Beschluss vom 17. März 2005 - 1 S 381/05 - [juris Rn. 14]; OVG Brandenburg, Beschluss vom 25. Mai 1998 - 4 E 24/98 -NVwZ-RR 1999, 117 [118]). Die gegenteilige Rechtsauffassung der Beklagten lässt außer Acht, dass besondere ordnungs- bzw. vollstreckungsrechtliche Vorschriften für bestimmte Rechtsbereiche stets die allgemeinen Bestimmungen des Nds. SOG verdrängen. Der Geltung des TierSchG ergibt sich hier auch aus dem Vorrang des Bundesrechtes vor dem Landesrecht (Art. 31 GG).
Die Voraussetzungen des § 16a Satz 2 Nr. 2 TierSchG sind bei Wegnahme der Katze des Klägers schon deshalb nicht erfüllt gewesen, weil die Beklagte zuvor kein Gutachten eines beamteten Tierarztes eingeholt hat.
Dabei ist unerheblich, ob - wie die Beklagte meint - dieser lediglich dieselbe Entscheidung wie die tätig gewordenen Mitarbeiter ihres Ordnungsamtes hätte treffen können. Die Vorschrift verlangt nämlich nach ihrem eindeutigen Wortlaut die vorherige Einschaltung des beamteten Tierarztes ohne jede Ausnahme (vgl. Lorz/Metzger, TierSchG, 6. Auflage 2008, Rn. 18 zu § 16a). Wie sich auch aus § 15 Abs. 2 TierSchG ergibt, hat dieses Gesetz dem beamteten Tierarzt eine vorrangige Beurteilungskompetenz eingeräumt. Da die Wegnahme eines Tieres einen besonders starken Eingriff in die Rechte des Tierhalters darstellt und regelmäßig kurzfristig erfolgen muss, ist seine Mitwirkung nicht nur wie bei anderen tierschutzrechtlichen Maßnahmen in § 15 Abs. 2 TierSchG als Regelfall ("soll"), sondern ausnahmslos vorgesehen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 3. August 2009 - 11 ME 187/09 - Nds.VBl 2009, 349; Beschluss vom 3. Juni 2009 - 11 ME 172/09 - S. 7 jeweils m.w.N.). Dass dieses auch in der Sache gerechtfertigt ist, zeigt gerade der hier zu beurteilende Fall. Ein Tierarzt hätte nämlich feststellen können, ob die Katze - wie der Kläger vorgetragen hat - im Zeitpunkt der Wohnungsöffnung am 26. Januar 2009 bereits von einer anderen Person versorgt wurde. Deshalb geht der Einwand der Beklagten, ein Amtstierarzt hätte die gleiche Beurteilung wie die tätig gewordenen Mitarbeiter des Ordnungsamtes treffen müssen, auch in tatsächlicher Hinsicht fehl.
Der Vollständigkeit halber wird ergänzend darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung bei der Wegnahme eines Tieres zumindest eine nachträgliche Bestätigung durch eine entsprechende (schriftliche) behördliche Anordnung gegenüber dem Tierhalter verlangt (vgl. BVerwG, a.a.O.). Eine Veräußerung der Katze hätte gem. § 16a Satz 2 Nr. 2 TierSchG erst nach Ablauf einer dem Kläger zu setzenden Frist erfolgen dürfen.