Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 09.10.2008, Az.: 1 Ws 599/08
Unzulässigkeit eines möglichen Widerrufs einer Strafaussetzung zur Bewährung aufgrund des einem Verurteilten zukommenden Vertrauensschutzes; Folgen des irrtümlichen Erlasses einer Bewährungsstrafe in einem Strafurteil
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 09.10.2008
- Aktenzeichen
- 1 Ws 599/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 23581
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2008:1009.1WS599.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Dortmund - 21.09.2004 - AZ: 99 Ds 222 Js 337/04 (99651304)
- LG Osnabrück - 16.09.2008 - AZ: 15 BRs 163/08
Rechtsgrundlage
- § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB
Fundstellen
- BewHi 2009, 201-202
- StraFo 2008, 522-523 (Volltext)
Amtlicher Leitsatz
Der wegen einer innerhalb der Bewährungszeit begangenen neuen Straftat grundsätzlich auch längere Zeit nach Ablauf der Bewährungszeit noch mögliche Widerruf der Strafaussetzung ist unzulässig, wenn der Verurteilte darauf vertrauen durfte, die Strafaussetzung werde nicht mehr widerrufen. Das ist auch dann der Fall, wenn in dem neuen Urteil irrtümlich angegeben ist, die Bewährungsstrafe sei inzwischen erlassen worden, und nicht davon ausgegangen werden kann, der Verurteilte habe diesen Irrtum erkannt.
In der Bewährungssache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 9. Oktober 2008
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richterin am Oberlandesgericht ...
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Osnabrück - Strafvollstreckungskammer beim Amtsgericht Lingen - vom 16.09.2008 aufgehoben.
Die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 21.09.2004 - 99 Ds 222 Js 337/04 (99651304) - wird nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen.
Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Der Verurteilte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 21.09.2004 wegen Betruges in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, wobei die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die auf 2 Jahre festgesetzte Bewährungszeit lief am 28.09.2006 ab. In der Bewährungszeit ist der Verurteilte erneut einschlägig straffällig geworden. Das Landgericht Osnabrück verurteilte ihn am 16.04.2008 - Az.: 15 KLs 920 Js 42758/06 (4/08) - wegen Betruges in 163 Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 91 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten. Dieses Urteil ist seit dem 06.05.2008 rechtskräftig.
Mit Beschluss vom 16.09.2008 hat die nunmehr zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück die gewährte Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 21.09.2004 widerrufen.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten ist zulässig und hat in der Sache auch Erfolg. Die angefochtene Entscheidung hielt einer Überprüfung unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes des Verurteilten nicht stand.
Die Zulässigkeit eines Widerrufs der Strafaussetzung nach Ablauf der Bewährungsfrist ist unter anderem davon abhängig, ob der Verurteilte noch mit einer gerichtlichen Reaktion auf ein bestimmtes Bewährungsversagen rechnen muss oder angesichts des Verfahrens und Zeitablaufs darauf vertrauen durfte, dass dieses nicht mehr zum Anlass des Widerrufs genommen werde (vgl. Senatsbeschluss vom 02.04.2002, StV 2003, 346. Fischer, StGB, 55. Auflage, § 56 f, Rd.Nr. 19). Zwar liegen hier grundsätzlich die Voraussetzungen für einen Bewährungswiderruf gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB vor, denn der Verurteilte hat in der Bewährungszeit zahlreiche einschlägige Betrugstaten begangen und dadurch gezeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Die Strafvollstreckungskammer ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass der Umstand, dass die Bewährungszeit bereits vor fast 2 Jahren abgelaufen und die letzte Verurteilung am 24. April 2008 rechtskräftig geworden ist, einem Bewährungswiderruf als solche nicht entgegenstehen. Auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Beschleunigung liegt nicht vor, denn der Verurteilte ist erst am 07.06.2007 aufgrund eines Europäischen Haftbefehls in den Niederlanden festgenommen und am 19.10.2007 an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert worden.
Der Zulässigkeit des Widerrufs der Strafaussetzung aus dem Urteil vom 21.09.2004 steht jedoch entgegen, dass der Verurteilte angesichts des im April 2008 durchgeführten (neuen) Verfahrens vor dem Landgericht Osnabrück darauf vertrauen durfte, dass die nunmehr zur Aburteilung anstehenden Straftaten nicht mehr zum Anlass des Widerrufs der Strafaussetzung genommen werden. Wie sich aus dem Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 16.04.2008 ergibt, ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass die Freiheitsstrafe von 6 Monaten aus dem Urteil vom 21.09.2004 bereits erlassen worden war und ein Widerruf der Strafaussetzung nicht mehr in Betracht kam. Der Straferlass wird in den Urteilsgründen als Tatsache mitgeteilt. Dem Urteil des Landgerichts Osnabrück ist ferner zu entnehmen, dass der Verurteilte in der Hauptverhandlung ein umfassendes Geständnis abgelegt hat und dies - offenbar im Rahmen einer verfahrensbeendenden Absprache - wesentlich zu seinen Gunsten berücksichtigt wurde. Anhaltspunkte dafür, dass dem Verurteilten, anders als dem Landgericht, die tatsächliche Rechtslage im Hinblick auf den Erlass der Strafe aus dem Urteil vom 21.09.2004 bekannt war und er trotz der entgegenstehenden Angabe in dem Urteil noch von einem möglichen Widerruf der Strafaussetzung ausging oder ausgehen musste, sind nicht ersichtlich. Angesichts dieses Sachverhaltes kommt ein Widerruf der Strafaussetzung wegen der neuen Verurteilung nicht mehr in Betracht. Darauf, ob das Landgericht bei Kenntnis der Tatsache, dass die Freiheitsstrafe von 6 Monaten noch nicht erlassen war, eine andere (mildere) Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte, kommt es nicht an.
Der angefochtene Beschluss war somit aufzuheben.
Die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 21.09.2004 war nach § 56 g Abs. 1 StGB zu erlassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 StPO.