Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 07.11.2011, Az.: Ws 316/11

Ausscheiden einer Katalogtat als Anlasstat für die Annahme des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr i.S.d. § 112a StPO bei Vorliegen einer Straferwartung von mindestens einem Jahr

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
07.11.2011
Aktenzeichen
Ws 316/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 29755
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2011:1107.WS316.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 13.09.2011

Fundstelle

  • StV 2012, 352

Amtlicher Leitsatz

Eine Katalogtat scheidet als Anlasstat aus für die Annahme des Haftgrundes des Wiederholungsgefahr i.S. des § 112a StPO aus , wenn ihr (der Einzeltat) nicht mindestens eine Straferwartung von einem Jahr zukommt. Davon ist bei einem Beutewert von 700 EUR und 1.300 EUR bei einem Diebstahl i.d.R. nicht auszugehen.

In der Strafsache gegen pp. Verteidiger: Rechtsanwalt Jan-Robert Funck, Schleinitzstraße 14, 38106 Braunschweig - wegen Diebstahls hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig am 7. November 2011 beschlossen:

Tenor:

Auf die weitere Beschwerde des Angeschuldigten werden der Haftbefehl des Amtsgerichts Braunschweig vom 29. Juli 2011 und der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 13. September 2011 aufgehoben.

Die Kosten der Beschwerde und der weiteren Beschwerde sowie die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

1

Die weitere Haftbeschwerde hat Erfolg.

2

I.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Braunschweig die Beschwerde des Angeschuldigten gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Wolfsburg vom 29. Juli 2011 verworfen. Wegen der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss (BI. 171 ff. d.A.) Bezug genommen. Hiergegen hat der Angeschuldigte weitere Beschwerde eingelegt, der das Landgericht durch Beschluss vom 13. Oktober 2011 (BI. 183 d.A.) nicht abgeholfen hat.

3

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die weitere Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Der Angeschuldigte sei der im Haftbefehl bezeichneten Taten des zweifachen gewerbsmäßigen Diebstahls dringend verdächtig. Es bestehe der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gemäß § 112 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO, weil der Angeschuldigte selbst in Ansehung seines Geständnisses angesichts der vielfachen Vorbelastungen mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu rechnen habe.

4

II.

Die Haftbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr nach§ 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO liegen nicht vor. Weder die Tat vom 09.07.2011, die im Haftbefehl zutreffend als solche des Diebstahls im besonders schweren Fall gemäß § 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB eingeordnet wurde, noch jene vom 10.07.2011, bei der - ebenso wie bei der Tat Nr. 1 - eine gewerbsmäßige Begehungsweise i.S.d. § 243 Abs. 1 Nr. 3 StGB nahe liegt - rechtfertigen die für den Haftgrund erforderliche schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung. Die schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung darf sich bei tatmehrheitlicher Begehung mehrere Straftaten nicht auf das Gesamtunrecht, sondern auf die jeweilige Einzeltat als Anlasstat beziehen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.01.2000, 1 Ws 161/99, [...], Rdnr. 13; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.04.2001, 3 Ws 31/01, [...], Rdnr. 12). Sie setzt voraus, dass es sich bei der Anlasstat um eine solche überdurchschnittlichen Schweregrades und Unrechtsgehaltes handelt; die Tat muss mindestens mindestens in die obere Hälfte der mittelschweren Straftaten einzuordnen sein (OLG Frankfurt, a. a. 0., Rdnr. 5; OLG Karlsruhe, a. a. 0., Rdnr. 12; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 112 a Rdnr. 9 m.w.N.). Eine Katalogtat scheidet als Anlasstat aus, wenn ihr (der Einzeltat) nicht mindestens eine Straferwartung von einem Jahr zukommt (OLG Braunschweig, Beschluss vom 29.05.2008, Ws 188/08, [...], Rdnr. 6); daran fehlt es.

5

Im konkreten Fall gibt es zwar keinen Anlass, das Verhalten des Angeschuldigten zu bagatellisieren. Von der geforderten schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung kann aber trotz der einschlägigen Vorstrafen des Angeschuldigten bei beiden Vorwürfen nicht ausgegangen werden: So verleiht zunächst der Wert der entwendeten Fahrräder von 700,00 EUR (Tat Nr. 1) und 1.300,00 EUR (Tat Nr. 2) den jeweiligen Taten nicht die Bedeutung überdurchschnittlicher Vergehen des Diebstahls im besonders schweren Fall. Obgleich dies nicht auf einem freiwilligen Willensentschluss des Angeschuldigten beruhte, werden beide Taten außerdem durch den strafmildernden Umstand geprägt, dass die Geschädigten die entwendeten Fahrräder jeweils noch am selben Tag zurückerhalten haben.

6

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 467-StP0' (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 473 Rdnr. 2).