Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 29.05.2008, Az.: Ws 188/08

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
29.05.2008
Aktenzeichen
Ws 188/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 42403
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2008:0529.WS188.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 09.05.2008 - AZ: 2 Qs 62/08
AG Wolfsburg - AZ: 6 C Ls 555 Js 43778/07

Fundstellen

  • StV 2009, 84-85 (Volltext mit amtl. LS)
  • StraFo 2008, 330-331 (Volltext mit red. LS)

In der Strafsache

...

wegen Diebstahls mit Waffen ...

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig am 29. Mai 2008

beschlossen:

Tenor:

  1. Auf die weitere Beschwerde des Angeklagten werden der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 9. Mai 2008 und der Haftbefehl des Amtsgerichts Wolfsburg vom 2. Mai 2008 aufgehoben.

  2. Die Kosten der Beschwerde sowie der weiteren Beschwerde werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

1

Die weitere Haftbeschwerde hat Erfolg, da weder der Haftgrund der Fluchtgefahr noch derjenige der Wiederholungsgefahr gegeben ist.

2

I.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Wolfsburg vom 2. Mai 2008 verworfen und den Haftbefehl neu gefasst. Insoweit wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Hiergegen hat der Angeklagte die weitere Beschwerde eingelegt, welcher das Landgericht durch Beschluss vom 21. Mai 2008 nicht abgeholfen hat. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Auffassung, dass die weitere Beschwerde nicht nur zulässig, sondern auch begründet sei. Weder sei der Haftgrund der Fluchtgefahr gegeben, noch könne der Haftgrund der Wiederholungsgefahr angenommen werden.

3

II.

Gegen den Angeklagten besteht nicht der Haftgrund der Fluchtgefahr. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 26.05.2008 folgendes ausgeführt:

"Der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) ist gegeben, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde am Verfahren teilnehmen (KK - Boujong, StPO, 5. Aufl., § 112 Rdnr. 15 m.Rspr.N.). Diese Gefahr muss sich bei objektiver Betrachtung mit verständigen Erwägungen aus bestimmten Tatsachen ableiten lassen (KK - Boujong, a.a.O.). Solche bestimmten Tatsachen können der angefochtenen Entscheidung nicht entnommen werden. Danach wird die Fluchtgefahr maßgeblich mit der (auch wegen anderer Taten) durch Urteil vom 02.05.2008 verhängten Einheitsjugendstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten und der Tatsache, dass gegen den Angeklagten ein weiteres Verfahren wegen eines während des Laufs der Hauptverhandlung begangenen Diebstahls anhängig ist, begründet. Zwar sind die in einem Strafverfahren zu erwartenden Rechtsfolgen bei der Prüfung der Fluchtgefahr mit zu berücksichtigen, sodass die Erwartung einer hohen Strafe in Verbindung mit weiteren Umständen die Fluchtgefahr begründen kann, wobei die Anforderungen an die weiter erforderlichen Umstände umso geringer sind, je höher die Straferwartung ausfällt (vgl. KK - Boujong, a.a.O., Rdnr. 18 m.Rspr.N.). Solche weiteren Umstände sind jedoch weder in der angefochtenen Entscheidung angeführt noch nach bisheriger Aktenlage ersichtlich. Danach ist der auf freiem Fuß befindliche Angeklagte zu allen Verhandlungsterminen erschienen (vgl. Bl. 92, 102, 113, 142 Bd. IV d. Zweitakten). Konkrete Einzelheiten zu der dem Angeklagten weiter zur Last gelegten Tat vom 16.04.2008 ergeben sich aus den vorgelegten Zweitakten nicht, sodass weitere die Fluchtgefahr begründende Umstände hieraus nicht angenommen werden können. Zu einer Erhöhung der hier verhängten Einheitsjugendstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten kann die Verfolgung wegen dieser Straftat jedenfalls nicht führen, weil insoweit wegen Erreichens des 21. Lebensjahrs der am 11.01.1987 geborene Angeklagte nicht mehr nach Jugendstrafrecht verantwortlich gemacht werden kann. Soweit ergänzend frühere Verurteilungen zur Begründung der Fluchtgefahr angeführt werden, ergibt sich aus dem Bundeszentralregisterauszug vom 05.12.2007, dass die Strafvollstreckung der erkannten Jugendstrafe seit dem 05.05.2006 vollständig erledigt ist, sodass hierin kein weiterer die Fluchtgefahr begründender Umstand gesehen werden kann. Der Angeklagte verfügt auch über einen festen Wohnsitz und hält sich mit seiner Familie - wie aus dem Urteil des Jugendschöffengerichts Wolfsburg vom 04.08.2002 in dem Verfahren 6 DLs 504 Js 4692/02 ersichtlich ist - seit der Übersiedlung seiner Familie im Jahr 1992 in der Bundesrepublik Deutschland auf."

4

Dem tritt der Senat bei.

5

III.

Gegen den Angeklagten besteht auch nicht der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO. Die unter Ziffer 2. und 3. des angefochtenen Beschlusses genannten Taten nach den §§ 113, 185, 223 und 303 StGB sind keine Katalogtaten i.S.d. § 112a Abs. 1 StPO, so dass auf diese beiden Taten der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht gestützt werden kann. Lediglich bei der Tat zu Ziffer 1. handelt es sich um eine Katalogtat, da insoweit die §§ 243, 244 StGB betroffen sind. Diese Tat erfüllt allerdings nicht die Voraussetzung des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO, wonach insoweit eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten sein muss. Freiheitsstrafe in diesem Sinne ist auch die Jugendstrafe nach den §§ 18, 19 JGG (KK-Boujong, a.a.O., § 112a Rdnr. 20 m.w.N.). Hierbei kommt es darauf an, dass auch ohne die Einbeziehung weiterer Vorerkenntnisse oder von Nichtkatalogtaten eine Jugendstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist. Dies ist für Vorerkenntnisse nach § 31 Abs. 2 JGG anerkannt (Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 112a Rdnr. 10; Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 112a Rdnr. 46; LG Kiel StV 2002, 433; LG Itzehoe StV 2007, 587) und muss auch für die Einbeziehung von Nichtkatalogtaten in die Einheitsjugendstrafe in gleicher Weise gelten. Denn sonst würde das vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gewicht der Anlasstat - Katalogtat - unterlaufen werden, das sich darin ausdrückt, dass der Katalogtat unter der Nummer 2 des § 112a Abs. 1 StPO eine Straferwartung von mehr als einem Jahr zukommen muss.

6

Hiervon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Wenn bereits in erster Instanz ein Urteil ergangen ist, ist grundsätzlich von der verhängten Strafe auszugehen (Boujong in Karlsruher Kommentar, a.a.O.); dies ist im vorliegenden Fall vor allem deshalb geboten, weil sich aus der vorgelegten Zweitakte nichts dafür ergibt, dass auch die Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgerichts Wolfsburg vom 2. Mai 2008 eingelegt hat. Nach diesem Urteil ist gegen den Angeklagten aufgrund aller drei genannten Taten eine Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und 2 Monaten verhängt worden. Hierbei sind die beiden Taten zu Ziffer 2. und 3. von einem derartigen Gewicht, dass ohne die Verurteilung auch dieser Taten nicht von einer Jugendstrafe von mehr als einem Jahr, also von mindestens einem Jahr und einem Monat, allein für den unter Ziffer 1 des angefochtenen Beschlusses aufgeführten Diebstahl (mit den Qualifikationen der §§ 243 Abs. 1 Nr. 1, 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB) ausgegangen werden kann. Denn die beiden Widerstandshandlungen nach Ziffer 2. und 3. stehen in Tateinheit mit dem für den Angeklagten einschlägigen Delikt der Körperverletzung - Faustschlag auf das rechte Auge des eingesetzten Polizeibeamten sowie ungezielte Tritte gegen Polizeibeamte - und mit den einschlägigen Delikten der Sachbeschädigung und Beleidigung.

7

Damit kommt es auf die weiteren rechtlichen Erwägungen der am Verfahren Beteiligten zur Frage der Wiederholungsgefahr nicht mehr an.

8

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO; eine Auslagenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 464 Rdnr. 11).

Haase
Dr. Miersch
Tröndle