Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 15.12.2011, Az.: Ss 63/11

Entziehungsanstalt; Beschränkung der Berufung

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
15.12.2011
Aktenzeichen
Ss 63/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 45316
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 19.09.2011 - AZ: 3 Ns 50/11

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Feststellung, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanalt nicht von vornherein aussichtlos ist, reicht als Begründung der Anordnung der Maßregel nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass sich in Persönlichkeit und Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie finden lassen.

2. Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch enthebt das Berufungsgericht auch dann nicht von seiner Pflicht, sich mit allen für die Strafzumessung und die Maßregelanordnung bedeutsamen Umständen auseinander zu setzen, wenn Ziel des Rechtsmittels die Aussetzung von Strafe und Maßregel ist.

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts G. vom 19. September 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts G. zurückverwiesen.

Gründe

Die zulässige Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts G. vom 29. März 2011 wegen vorsätzlichen Vollrauschs zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt worden. Mit dem angefochtenen Urteil verwarf das Landgericht G. die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung und ordnete zusätzlich die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt an.

Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, der die Sachrüge erhoben hat und insbesondere die Anwendung des § 64 StGB rügt.

II.

Die Revision des Angeklagten ist zulässig und auch begründet.

1. Ein zur Aufhebung führender Rechtsfehler liegt zunächst darin, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) im angefochtenen Urteil nicht ausreichend dargestellt sind.

Zu den Voraussetzungen für eine Unterbringung gehört dabei gem. § 64 Satz 2 StGB insbesondere, dass Feststellungen getroffen werden, die eine hinreichend konkrete Aussicht auf Heilung belegen oder aber erkennen lassen, dass der Angeklagte durch die Behandlung seiner Suchterkrankung mindestens über einen erheblichen Zeitraum von einem Rückfall in den Hang bewahrt und dadurch von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abgehalten werden kann.

Die bloße Feststellung des Landgerichts, die Sachverständige habe schlüssig erklärt, dass eine Unterbringung im Maßregelvollzug nicht von vornherein aussichtslos sei, reicht als Feststellung im vorgenannten Sinn nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass sich in Persönlichkeit und Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie finden lassen (vgl. hierzu Fischer, StGB, 58. Aufl. § 64 Rn.19). Hieran bestehen insbesondere aufgrund der Dauer der Alkoholabhängigkeit des Angeklagten, seiner Verweigerungshaltung und den bisher ohne Ausnahme erfolglos absolvierten Therapien begründete Zweifel. Bei einem derartig verfestigten und langjährigen Alkoholkonsum wird allein mit dem nicht näher ausgeführten Hinweis des Landgerichts auf die Notwendigkeit „eines strukturierten und stringenten Tagesablaufs“ und der Versicherung des Angeklagten, in Zukunft ein abstinentes Leben führen zu wollen, die konkrete Erfolgsaussicht der Maßregel nicht ausreichend belegt.

Vorsorglich weist der Senat aber darauf hin, dass die Anordnung der Maßregel vorliegend mit gutem Grund durchaus in Betracht zu ziehen war, jedoch ausreichende Erörterungen und Feststellungen hierzu fehlen, so dass dem Senat eine Überprüfung der - vom Angeklagten ausdrücklich gerügten - Anordnung der Maßregel nicht in der gebotenen Weise ermöglicht wurde.

2. Darüber hinaus kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben, weil es entgegen § 267 Abs.3 Satz 1 StPO die für die Zumessung der Strafe bestimmenden Umstände nicht mitteilt. Von der Verpflichtung, dies tun zu müssen, hat sich die Kammer offenbar aufgrund der durch den Verteidiger erklärten Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch befreit gesehen. Dies ist aber rechtsfehlerhaft.

Eine solche Darstellung der Strafzumessungsgesichtspunkte war vorliegend nicht gem. den §§ 318, 327 StPO entbehrlich, da mit Verteidigerschriftsatz vom 23.08.2011 die Berufung nur auf den Rechtsfolgenausspruch, nicht aber - wie die Kammer offenbar annimmt - innerhalb desselben weiter auf die Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt worden ist (zur Auslegung der Beschränkungserklärung siehe nachfolgend lit. b).

a) Insoweit ist es schon im Hinblick auf die erstmals angeordnete Maßregel fraglich, ob eine solche Beschränkung - selbst wenn sie vorliegend ausdrücklich erklärt worden wäre - wirksam sein könnte. Denn nach der insoweit heranzuziehenden sog. Trennbarkeitsformel ist eine Beschränkung der Berufung nur dann möglich, wenn sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich beurteilt werden können, ohne eine Prüfung im Übrigen erforderlich zu machen (Meyer-Goßner, StPO 54. Aufl., Rdnr. 6 f zu § 318 StGB) und dabei Widersprüche ausgeschlossen sind. Weil also sichergestellt sein muss, dass trotz der Aufspaltung auf zwei Instanzen insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen getroffen werden, verbietet sich aufgrund der Wechselwirkungen von Straffrage und Maßregelanordnung vorliegend die Annahme einer wirksamen Beschränkung der Berufung (allein) auf die Bewährungsfrage. Wegen dieser regelmäßig zu erkennenden Wechselwirkungen hat der Senat daher bereits entschieden, dass im Berufungsverfahren der Berufungsführer die Anwendung des § 64 StGB nicht wirksam vom Rechtsmittelangriff ausnehmen kann (Senat, Beschluss vom 14.09.2010 - Ws 241/10 - Niedersächsische Rechtspflege 2011, S.48), und auch im vorliegenden Fall standen diese Wechselwirkungen einer Beschränkung des Rechtsmittels schon deshalb entgegen, weil die Anordnung der Maßregel bei der Strafzumessung regelmäßig zu berücksichtigen ist (Fischer, StGB 58. Aufl., Rdnr.8 zu § 46) und gerade die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt häufig dazu führen wird, dass auf eine mildere Strafe erkannt wird (vgl. BGHSt 38, 362, 365). Da die Strafkammer die Maßregel erstmals angeordnet hat und das Amtsgericht sich mit dieser Frage nicht befasst hatte, hätte sich die Strafkammer nicht damit begnügen dürfen, die Strafzumessung des Amtsgerichts ungeprüft zu übernehmen und lediglich die Strafzumessungserwägungen des ersten Tatrichters mitzuteilen.

b) Hinzu kommt weiter, dass die Berufung auch gar nicht auf die Bewährungsfrage beschränkt war. Eine solche Beschränkung müsste zwar nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann sich auch aus dem Sinn der Berufungsbegründung ergeben, wobei diese bei Unklarheiten auszulegen ist (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 318 Rn.2 m. w. Nachw.). Sofern die Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt, gilt das Rechtsmittel dabei als unbeschränkt eingelegt (vgl. OLG Stuttgart, 23.09.1999, 4 Ss 493/99, zitiert nach juris Rn.8).

Schon mit Schriftsatz vom 23.08.2011 hat der Verteidiger, ein Fachanwalt für Strafrecht, ausdrücklich klargestellt, in welchem Umfang das Rechtsmittel beschränkt werden soll, nämlich auf den Rechtsfolgenausspruch. Der Verteidiger hat hierzu mit Schriftsatz vom 23. August 2011 (Bl. 145 d.A.) wörtlich ausgeführt:

"… teile ich mit, dass die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 29.03.2011 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wird.

Der Angeklagte verfolgt mit der Berufung das Ziel, dass die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird."

Sofern er darüber hinaus ergänzend als Ziel der Berufung eine Strafaussetzung bezeichnet, kann hierin keine weitere Beschränkung der Berufung zu sehen sein. Vielmehr soll durch diese Erklärung dem Tatgericht vorab mitgeteilt werden, mit welcher Intention das Rechtsmittel eingelegt worden ist. Eine verbindliche Erklärung dahingehend, dass die Strafzumessung nicht angegriffen werden soll, ist hierin nicht zu erkennen.

Das Protokoll der Hauptverhandlung vom 01. September 2011 (Bl. 163 d.A.) stellt hierzu weiterhin fest:

"Das Rechtsmittel wurde mit Schreiben vom 23.08.2011 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt (Bl. 145 d.A.).",so dass damit insgesamt eine Beschränkung der Berufung auf die Bewährungsfrage nicht festzustellen ist. Der Zusatz, dass über die mit Schriftsatz vom 23.08.2011 erfolgte Beschränkung hinaus eine weitergehende Beschränkung des Rechtsmittels erfolgen soll, kann somit auch dem Protokoll - übliche Formulierung hierzu: "und innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs weitergehend auf die Frage der Strafaussetzung" - nicht entnommen werden.

An diesem Auslegungsergebnis vermag auch der vom Verteidiger in seinem Plädoyer gestellte Antrag, das erstinstanzliche Urteil dahin abzuändern, dass die Freiheitsstrafe sowie die Maßregel zur Bewährung ausgesetzt wird, nichts zu ändern. Zwischen der Berufungsbeschränkung und diesem Antrag lagen unter anderem die Vernehmung der Sachverständigen sowie die Zeugenvernehmung der Bewährungshelferin des Angeklagten, die bestimmend für den Antrag des Verteidigers gewesen sein können. Einen tragfähigen Rückschluss auf den Umfang der vor der Beweisaufnahme erklärten Berufungsbeschränkung lässt der Schlussantrag der Verteidigung deshalb nicht zu.

3. Das angefochtene Urteil war auf die - ihrerseits unbeschränkt eingelegte - Revision des Angeklagten gemäß § 353 StPO aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs.2 StPO an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen, die nunmehr über den gesamten Rechtsfolgenausspruch (einschließlich der Strafzumessung und der Maßregelanordnung) sowie über die Kosten der Revision zu entscheiden hat. Der Schuldspruch hingegen ist schon aufgrund der Beschränkung der Berufung auf die Rechtsfolgenfrage rechtskräftig und deshalb schon nicht Gegenstand des angefochtenen Urteils (vgl. §§ 318, 327 StPO) geworden.

III.

Die Entscheidung über die Kosten der Revision ist dem Landgericht vorbehalten, weil der endgültige Erfolg des Rechtsmittels derzeit nicht absehbar ist.