Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 24.06.1986, Az.: 16 U 189/85
Schuldhafte Verletzung der Pflichten als vorläufiger Vergleichsverwalter; Fortführen der Geschäfte durch einen Vergleichsverwalter trotz Verbots durch das Amtsgericht; Beauftragung und Bezahlung von Neugläubigern durch eine Vergleichsschuldnerin; Pflichten eines vorläufigen Vergleichsverwalters
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 24.06.1986
- Aktenzeichen
- 16 U 189/85
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1986, 19872
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1986:0624.16U189.85.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 31.07.1985 - AZ: 6 O 160/85
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs. 2 VergleichsO
- § 42 VergleichsO
Fundstellen
- NJW-RR 1987, 375-376 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1987, 161 (amtl. Leitsatz)
- ZIP 1986, 1341-1343
In dem Rechtsstreitverfahren
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 1986
fürRecht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels das am 31. Juli 1985 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover teilweise geändert und wie folgt gefaßt:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.368,69 DM nebst 8,25 % Zinsen auf 4.758,68 DM für die Zeit vom 25. September 1984 bis 25. Oktober 1984 und auf 6.368,69 DM für die Zeit vom 26. Oktober 1984 bis zum 12. März 1985 sowie 9,25 % Zinsen auf 6.368,69 DM vom 13. März 1985 bis zum 20. August 1985, 8,5 % Zinsen auf 6.368,69 DM vom 21. August 1985 bis zum 30. September 1985, sowie weiter auf den Betrag von 6.368,69 DM 8,25 % Zinsen vom 1. Oktober 1985 bis zum 28. Februar 1986 und 8 % Zinsen seit dem 1. März 1986 zu zahlen;
dies Zug um Zug gegen Abtretung einer Forderung in gleicher Höhe, die die Klägerin gegen die Konkursmasse der Firma ..., hat und die die Klägerin unter Ziffer 2 der Forderungsanmeldung vom 22. November 1984 gegenüber dem Beklagten zur Konkurstabelle angemeldet hat.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt der Beklagte 9/10, die Klägerin 1/10.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer für den Beklagten beträgt 6.368,69 DM, für die Klägerin 387,13 DM.
Tatbestand
Wegen des Streitstoffs in erster Instanz wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme eines Teils des Zinsanspruchs - insoweit ist die Klage abgewiesen worden - stattgegeben. Auf das vorgetragene Urteil (Bl. 104 ff. d.A.) wird Bezug genommen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten.
Der Beklagte macht geltend:
Eine gesetzliche Haftung aus § 42 Vergleichsordnung komme nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur in Betracht, wenn der Vergleichsschuldnerin ein gerichtliches Veräußerungsverbot auferlegt wäre, er als Verwalter die Kassenführung übernommen, dem Geschäft zugestimmt und die Klägerin als Lieferant unter Eigentumsvorbehalt geliefert hätte. Es fehle bereits an der Voraussetzung, daß die Klägerin unter Eigentumsvorbehalt geliefert habe. Er habe als Vergleichsverwalter auch nicht die Geschäfte der Vergleichsschuldnerin zu führen gehabt, sondern lediglich diese zu überwachen. Die Zustimmung zur Eingehung von Verbindlichkeiten durch die Vergleichsschuldnerin führe nicht zu seiner persönlichen Haftung. Eine für den Schaden ursächliche Verletzung konkreter Überwachungspflichten habe die Klägerin nicht einmal dargetan, geschweige denn bewiesen. Auch das Landgericht habe einen Pflichtverstoß nicht festgestellt.
Weiter habe er durch Mitwirkung an dem Schreiben der Vergleichsschuldnerin vom 31. Juli 1984 keine persönliche Haftung übernommen. Er habe keinerlei Anlaß gehabt, eine persönliche Haftungsübernahme zu erklären. Die durch das neue Geschäft entstandenen Verbindlichkeiten träfen aber nur die Vergleichsschuldnerin. Außerdem habe er mit seinem Schreiben vom 20. September 1984 völlig klargestellt, daß die Klägerin sich allein an die Vergleichsschuldnerin halten müsse.
Schließlich sei der Klägerin jedenfalls ein ganz überwiegendes Mitverschulden an der Entstehung des Schadens zuzurechnen.
Der Beklagte bestreitet den Zinsanspruch.
Er beantragt:
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt:
die gegnerische Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt mit ihrem erstinstanzlichen Vorbringen die landgerichtliche Entscheidung und tritt dem Berufungsvortrag des Beklagten entgegen. Sie führt insbesondere aus, es gehe gar nicht darum, daß der Beklagte eine persönliche Haftung für Schulden der Vergleichsschuldnerin übernommen habe. Der Beklagte habe vielmehr schuldhaft gegen seine Verpflichtungen als vorläufiger Vergleichsverwalter verstoßen und hafte ihr deshalb auf Schadensersatz.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags in der Berufungsinstanz wird auf die dort gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat teilweise Erfolg.
I.
Der Beklagte haftet der Klägerin auf Schadenersatz nach §§ 42, 11 Abs. 2 Vergleichsordnung, weil er ihr gegenüber seine Pflichten als vorläufiger Vergleichsverwalter für die Firma ... schuldhaft verletzt hat und der Klägerin dadurch der ersetzt verlangte Schaden entstanden ist. Jedoch ist der Klägerin teilweise ein Mitverschulden an der Entstehung des Schadens zuzurechnen.
1.
Die Klägerin war Beteiligte im Sinne des § 42 Vergleichsordnung.
a)
Der Begriff des Beteiligten im Sinne dieser Bestimmung beschränkt sich nicht auf Altgläubiger des Vergleichsschuldners, sondern kann auch Gläubiger des Vergleichsschuldners umfassen, die diese Stellung erst nach dem Vergleichsantrag erlangt haben. Beteiligte sind also auch Neugläubiger, vorausgesetzt, der Vergleichsverwalter hat ihnen gegenüber Pflichten wahrzunehmen.
Das ist aber jedenfalls immer dann der Fall, wenn der Vergleichsverwalter infolge gerichtlicher Anordnungen in die Geschäftsführung des Vergleichsschuldners eingeschaltet ist; insbesondere wenn dem Schuldner ein allgemeines Veräußerungsverbot auferlegt ist und der Verwalter die gesamte Kassenführung übernimmt. Denn wird der Schuldner derart in seiner wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit beschränkt, ist die Stellung des Vergleichsverwalters derjenigen des Konkursverwalters soweit angenähert, daß sich auch die Pflichtenkreise, die mit einer derartigen Verwaltertätigkeit verbunden sind, weitgehend decken (vgl. BGHZ 67, 223; OLG Celle ZIP 1981, 1233; OLG Celle, Urteil vom 19. November 1985 - 16 U 264/84 -; vgl. auch zu der parallel liegenden Problematik der Pflichten des Sachwalters und des Sequesters BGHZ 35, 32; BGH VersR 1983, 1035; sowie OLG Celle NdsRpflege 1985, 74).
b)
Unstreitig war der Firma ... nach Stellung des Vergleichsantrages vom Amtsgericht verboten worden, ohne Zustimmung des zum vorläufigen Vergleichsverwalter bestellten Beklagten über Vermögensgegenstände zu verfügen oder Verbindlichkeiten einzugehen. Dementsprechend ist der Entschluß der Vergleichsschuldnerin, die Geschäfte vorerst fortzuführen, gemeinsam mit dem Beklagten gefaßt und auch von diesem an die Geschäftspartner der Firma ..., darunter die Klägerin, mitgeteilt worden (vgl. die Schreiben vom 19. Juli 1984 - Bl. 9 und 10, 11 d.A. -). Eine Fortführung der Geschäftstätigkeit der Vergleichsschuldnerin, die ihrerseits Voraussetzung für die Durchführbarkeit des Vergleichs war, war nach den Verfügungsbeschränkungen, die das Amtsgericht ausgesprochen hatte, im Grunde auch nur mit Zustimmung des Beklagten möglich.
Weiter ist unstreitig, daß der Beklagte ein Vergleichssonderkonto eingerichtet hat, über das er allein verfügen konnte. Er hat den Gläubigern der Vergleichsschuldnerin, darunter der Klägerin, mitgeteilt, daß sie allein über dieses Konto schuldbefreiend zahlen könnten (vgl. Schreiben des Beklagten vom 24. Juli 1984 - Bl. 12 d.A. - i.V.m. dem von dem Beklagten mitunterzeichneten Schreiben der Vergleichsschuldnerin vom 31. Juli 1984 nebst Anlagen - Bl. 34, 35 d.A. -). Schließlich sind unstreitig Zahlungen aus Anlaß der Geschäftsfortführung der Vergleichsschuldnerin entsprechend dem vom Beklagten mitunterzeichneten Schreiben dieser Firma vom 31. Juli 1984 (Bl. 13 d.A.) an die Geschäftspartner über dieses Sonderkonto vorgenommen worden; und zwar von dem Beklagten.
Dabei ist nicht ausschlaggebend, daß die Kassenführung dem Beklagten nicht vom Amtsgericht übertragen worden war. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Handhabung (vgl. BGH VersR 1983, 1035, 1036). Diese lief aber zusammengefaßt darauf hinaus, daß der Beklagte vergleichbar einem Konkursverwalter in die Geschäftsführung der Vergleichsschuldnerin eingeschaltet war.
c)
Das hatte zur Folge, daß der Beklagte durch entsprechende organisatorische Maßnahmen sicherstellen mußte, daß Neugläubiger wie die Klägerin für der Vergleichsschuldnerin gegenüber erbrachte Leistungen, die auf deren Fortführung des Geschäftsbetriebes zurückgingen, aus dem eingerichteten Vergleichssonderkonto zuverlässig und prompt bezahlt wurden. Der Beklagte durfte es nicht zulassen, daß derartige Rechnungen aus welchen Gründen auch immer längere Zeit unbezahlt blieben und die Klägerin auf diese Weise geschädigt werden konnte, weil sie letztlich gar keine Zahlung mehr bekam (vgl. BGHZ 67, 223, 229 f [BGH 19.10.1976 - VI ZR 253/74]; BGH VersR 1983, 1035; OLG Celle ZIP 1981, 1233).
Dabei ist entgegen der Auffassung des Beklagten bedeutungslos, daß es im vorliegenden Falle nicht um unter Eigentumsvorbehalt erfolgte Lieferungen der Klägerin geht (vgl. OLG Celle ZIP 1981, 1233; OLG Celle, Urteil vom 19. November 1985 - 16 U 264/64 -; vgl. außerdem Bley/Mohrbutter, VergleichsO 4. Aufl. § 42 Rdn 8; die Kommentierung bei Böhle-Stamschräder/Kilger, VergleichsO 10. Aufl. § 42 Anm. 1 kann nicht im gegenteiligen Sinne verstanden werden).
2.
a)
Der Beklagte hat diese seine Pflicht als vorläufiger Vergleichsverwalter der Klägerin gegenüber schuldhaft verletzt. Aus dem Schreiben des Beklagten vom 19. Dezember 1984 an die Anwälte der Klägerin (Bl. 16 d.A.) ergibt sich, daß der Beklagte die Beauftragung und Bezahlung von Neugläubigern wie der Klägerin der Vergleichsschuldnerin überlassen hat. Er hat sie dabei offenbar weitestgehend unkontrolliert gewähren lassen. Anderenfalls könnte es nicht dazu gekommen sein, daß der Beklagte, wie er ebenfalls in diesem Schreiben erwähnt, nach Konkurseröffnung ihm ersichtlich unbekannte, bereits angemahnte Rechnungen von Lieferanten in den Geschäftsräumen der Vergleichsschuldnerin vorgefunden hat. Wie die von der Klägerin vorgelegten Rechnungskopien zeigen, ist dabei eine Vielzahl von Rechnungen allein der Klägerin, beginnend ab Ende August 1984, unbezahlt geblieben. Der Beklagte hat augenscheinlich noch nicht einmal auf die an ihn gerichtete Mahnung der Klägerin vom 17. September 1984 (Bl. 14 d.A.) etwas unternommen, um den ihm obliegenden Pflichten nachzukommen. Wie sein Antwortschreiben vom 20. September 1984 (Bl. 15 d.A.) zeigt, hat er sich gar nicht betroffen gefühlt und die Mahnung an die Vergleichsschuldnerin weitergeleitet.
Sollte der Beklagte dabei über seinen Pflichtenkreis wirklich im unklaren gewesen sein, so wäre auch darin eine schuldhafte Pflichtverletzung zu sehen.
b)
Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ist im Ansatz auch der Höhe nach berechtigt. Der Beklagte bringt dagegen nichts weiter vor. Unwidersprochen hätte der Kontostand auf dem Vergleichssonderkonto eine Bezahlung der Klägerin in der geltend gemachten Höhe erlaubt.
3.
Der Klägerin fällt teilweise ein Mitverschulden zur Last.
a)
Im Hinblick auf das vom Beklagten mitunterzeichnete Schreiben der Firma ... vom 31. Juli 1984 (Bl. 13 d.A.), in dem diese mit Zustimmung des Beklagten erklärte, die Bezahlung für nach dem 19. Juli 1984 erbrachte Leistungen ihrer Geschäftspartner wie der Klägerin sei aus dem Vergleichssonderkonto sichergestellt, hatte die Klägerin allerdings keinen Anlaß, bereits von vornherein auf sofortiger Bezahlung der für die Vergleichsschuldnerin weiter ausgeführten Arbeiten zu bestehen oder nur bei erfolgter Bezahlung weitere Aufträge auszuführen.
b)
Gemahnt hat die Klägerin sowohl den Beklagten als auch - unwidersprochen - die Vergleichsschuldnerin. Es ist nicht ersichtlich, daß weitere Mahnungen erfolgreicher gewesen wären als die ergebnislos gebliebenen erfolgten.
c)
Als die Klägerin das Schreiben des Beklagten vom 20. September 1984 (Bl. 15. d.A.) erhielt, bestand jedoch nach Auffassung des Senats für sie Veranlassung, weitere Lieferungen und Leistungen einzustellen, bis sie für die zurückliegende Zeit bezahlt war. Dabei ist auch zu bedenken, daß ihre - unwidersprochenen - Mahnungen gegenüber der Vergleichschuldnerin ebenfalls erfolglos geblieben waren. Die ausweichende Antwort des Beklagten ließ eine unklare Situation entstehen. Daher war es ein Gebot der Vorsicht, zunächst nicht weitere Leistungen zugunsten der Vergleichsschuldnerin zu erbringen. Die Klägerin verstieß dann aber gegen ihre eigenen Interessen, als sie ihre Leistungen auch nach dem 21. September 1984 fortsetzte.
Jedoch war durch das erwähnte Schreiben des Beklagten das zuvor unter seiner Mitwirkung auch der Klägerin gegenüber geschaffene Vertrauen, nach Vergleichsantrag fortgeführte Leistungen würden letztlich von ihm bezahlt, noch nicht nachhaltig erschüttert. Es läßt sich also nicht sagen, den nach dem 21. September 1984 entstandenen Schaden habe sich die Klägerin ganz oder auch nur überwiegend allein zuzuschreiben. Der Senat bewertet vielmehr die beiderseitigen Verursachungsbeiträge dahin, daß der Beklagte für den nach dem 21. September 1984 der Klägerin entstandenen Schaden lediglich zu drei Vierteln aufkommen muß, während die Klägerin ein Viertel selbst zu tragen hat. Auf die Zeit von August 1984 bis zum 21. September 1984 wirkt sich diese Überlegung nicht aus.
Unwidersprochen beträgt der Schadensbetrag für die Zeit nach dem 21. September 1984 1.548,52 DM. Davon hat der Beklagte 1.161,39 DM zu bezahlen. Der von ihm der Klägerin zu ersetzende Gesamtschaden errechnet sich danach mit 6.368,69 DM.
4.
Der eingeklagte Zinsanspruch wird durch die vorgelegten Zinsbescheinigungen Bl. 23, 96 und 145 d.A. zwar im wesentlichen belegt. Ab dem 21. August 1985 stehen der Klägerin aber nicht mehr 9,25 % Zinsen zu, sondern lediglich die etwas niedrigeren Zinssätze entsprechend der Bankbescheinigung vom 28. April 1986 (Bl. 145 d.A.).
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97, 92 ZPO.
Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Die Beschwer für den Beklagten beträgt 6.368,69 DM, für die Klägerin 387,13 DM.