Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 14.08.2013, Az.: 7 A 5302/12
Beeinträchtigungsprüfung; Bescheidungsurteil; Genehmigung; Genehmigungsfiktion; Krankentransport; Rettungsdienst; Wartezeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 14.08.2013
- Aktenzeichen
- 7 A 5302/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 64381
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs 2 S 1 RettDBedarfV ND
- § 21 Abs 1 RettDG ND
- § 22 Abs 1 S 2 RettDG ND
- § 15 Abs 1 S 5 PBefG
- § 113 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Genehmigungsfiktion nach § 15 I 5 PBefG gilt nur im erstmaligen Verwaltungsverfahren und nicht für eine durch Urteil erfolgte Verpflichtung zur Neubescheidung (Berufung zugelassen).
2. Die Planungsvorgabe, nach der die Wartezeit im Krankentransport "in der Regel" 30 Minuten nicht übersteigen darf, wird nicht eingehalten, wenn die Wartezeit nur in 69,34 % aller Fälle eingehalten wird (Berufung zugelassen).
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin auf ihren seit 27. März 2012 vollständigen Antrag die Genehmigung zum qualifizierten Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes mit einem Krankentransportwagen mit dem amtlichen Kennzeichen D. und der Fahrzeug-Identifizierungsnummer E. mit Standort in F. und dem Betriebsbereich des Rettungsdienstbereichs der Beklagten zu erteilen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Gerichtskosten tragen die Klägerin und die Beklagte zu je 1/2. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte zu 1/2 und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt die Klägerin ebenfalls zu 1/2. Im Übrigen trägt jeder Beteiligte seine eigenen außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beklagte ist Trägerin des öffentlichen Rettungsdienstes in ihrem Rettungsdienstbereich und Genehmigungsbehörde.
Nach ihrem Rettungsdienst-Bedarfsplan in der Fassung der Fortschreibung zum 1. Januar 2007 (im Folgenden: Bedarfsplan 2007) umfasste ihr öffentlicher Rettungsdienst 6 Notarzt-Einsatzfahrzeuge (NEF), 29 Rettungswagen bzw. Mehrzweckfahrzeuge (RTW/MZF) und 12 Krankentransportwagen (KTW), hiervon 1 KTW für Fernfahrten (Bedarfsplan 2007, S. 13f.). Mehrzweckfahrzeuge sind RTW, die auch im Krankentransport eingesetzt werden. Für den Bereich des Krankentransports waren vier Versorgungsbereiche gebildet. Die Beklagte trägt vor, dass im Verhältnis zur vorausgegangenen Bedarfsplanung aus dem Jahre 2004 insgesamt 4 KTW sowie 1 MZF abgebaut und zusätzlich 2 RTW in Dienst gestellt werden mussten (Bl. 7 d.A. 7 A 3542/10.). In der Rettungswache G. waren durchgängig 2 RTW stationiert (Bedarfsplan 2007, S. 14).
Nach zum 1. November 2011 fortgeschriebenen Bedarfsplan (im Folgenden: Bedarfsplan 2011) umfasst ihr öffentlicher Rettungsdienst nunmehr 6 NEF, 35 RTW/MZF und 8 KTW, zuzüglich 11 Reservefahrzeuge, die in 14 Rettungswachen und 6 Notarztstandorten vorgehalten werden (Bl. 46 d.A.). In der Rettungswache H. sind wie bisher durchgängig 2 RTW stationiert und außerdem zusätzlich u.a. montags bis donnerstags in der Zeit von 07.00 bis 15.00 Uhr und freitags in der Zeit von 08.00 bis 14.00 Uhr ein MZF für den qualifizierten Krankentransport. Samstags wird ein MZF ohne Beschränkung auf den qualifizierten Krankentransport in der Zeit von 7.00 bis 15.00 Uhr vorgehalten (Bl. 187 d.A. 7 A 3542/10). Grundlage der Bedarfsplanfortschreibung war das tatsächliche Einsatzaufkommen im Zeitraum vom 1. November 2009 bis 31. Oktober 2010 (Bl. 173, 184 d.A. 7 A 3542/10).
Außerdem hat die Beklagte 2008 Krankentransportgenehmigungen außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes an 4 Unternehmen für insgesamt 11 Fahrzeuge erteilt. Im Jahr 2011 wurde einem Unternehmer 1 weiteres Fahrzeug zum Transport u.a. von Patienten mit mehr als 150 kg Körpermasse, besonderer Rollstühle etc. genehmigt (Bl. 107 d.A. 7 A 3542/10).
Die Klägerin hatte mit Schreiben vom 2. Dezember 2009, das am 4. Dezember 2009 bei der Beklagten einging, die Erteilung einer Genehmigung zum qualifizierten Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes nach § 19 des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes - NRettDG - mit 1 KTW mit dem amtl. Kennz. D. mit Standort in F. für den Rettungsdienstbereich der Beklagten für die Geltungsdauer von fünf Jahren beantragt. Für dieses Fahrzeug ist gegenwärtig eine Genehmigung nach § 49 des Personenbeförderungsgesetzes - PBefG - erteilt. Die geplante Rollzeit des Fahrzeugs ist montags bis freitags jeweils von 7.00 bis 17.00 Uhr (Bl. 47 BA A).
Mit einem Bescheid vom 16. Juli 2010 lehnte die Beklagte die Erteilung der nachgesuchten Genehmigung erstmals ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Erteilung der Genehmigung das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen, bedarfsgerechten, flächendeckenden und wirtschaftlichen Rettungsdienst beeinträchtigen würde. Gemessen an der KTW-Vorhaltung 2007 (11 KTW + 1 Fern-KTW) würde der KTW der Klägerin im Falle seiner Genehmigung 11,34% der Vorhaltung des öffentlichen Rettungsdienstes abziehen. Würden 7 Krankentransporte täglich zugrunde gelegt, würden 7,75% des jährlichen Krankentransportaufkommens des öffentlichen Rettungsdienstes abgezogen. Ein KTW des öffentlichen Rettungsdienstes, der im Versorgungsbereich der Rettungswachen I., J., K., L. und H. vorgehalten werde, habe jedoch nur eine Auslastung von 35,82%. Deshalb müsse im Falle der Erteilung der Genehmigung mit einem weiteren Einbruch der Auslastung des öffentlichen Rettungsdienstes gerechnet werden. Maximal sei bei 7 Krankentransporten/täglich, die an die Klägerin fielen, ein Einnahmeausfall des öffentlichen Rettungsdienstes in Höhe von 226.927,63 € zu erwarten. Dies entspreche einem Anteil von 9,55% im Kostenbereich KTW. Die Kostensteigerung bei der KTW-Gebühr des öffentlichen Rettungsdienstes betrüge 21,24%. Wenn als Reaktion auf die Erteilung der Genehmigung 11,34% der Vorhaltestunden des öffentlichen Rettungsdienstes abgebaut werden müssten, könne die vorgegebene Wartezeit von 30 Minuten im Krankentransport nicht mehr eingehalten werden. Die M. habe sich gegen die Erteilung der Genehmigung ausgesprochen. Die Klägerin sei ein Neubewerber. In Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens habe die Beklagte die Genehmigung zu versagen. Die Versagung sei geeignet, einem Kapazitätsabbau, den die Zulassung des beantragten KTW zur Folge hätte, entgegenzuwirken. Das öffentliche Interesse an einem ordnungsgemäß funktionierenden Rettungsdienst sei höher zu bewerten als das Interesse der Klägerin an der Ausübung des Krankentransportes mit einem KTW zu den beantragten Zeiten. Die Versagung führe auch dazu, dass die Solidargemeinschaft nicht höhere Lasten in Kauf nehmen müsse. Zu den überragend wichtigen Gemeinschaftsgütern zähle auch die Sicherstellung des Krankentransports als Teilaufgabe des öffentlichen Rettungsdienstes durch die Beklagte.
Auf die hiergegen erhobene Klage der Klägerin hob die Kammer mit Urteil vom 27. März 2012 den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2010 auf und verpflichtete sie auf den 2. Hilfsantrag der Klägerin, ihren Genehmigungsantrag vom 2. Dezember 2009 in der Fassung der Erklärung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 27. März 2012 auf Erteilung einer Genehmigung zum qualifizierten Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes mit einem KTW mit dem amtlichen Kennzeichen D. und der Fahrzeug-Identifizierungsnummer E. mit Standort in F. und dem Betriebsbereich des Rettungsdienstbereichs der Beklagten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen - 7 A 3542/10 -. Die Kammer führte hierzu aus, dass erst seit der mündlichen Verhandlung am 27. März 2012 ein bescheidungsfähiger Antrag vorliege, nachdem die Klägerin erklärt hatte:
"Die Klägerin wird für den Fall, dass ihr die Genehmigung nach § 19 NRettDG erteilt wird, für das streitbefangene Fahrzeug auf die zuvor erteilte und bis 2013 gültige Genehmigung nach § 49 PBefG verzichten und diese für den Fall der Erteilung der rettungsdienstlichen Genehmigung zurückreichen."
In den Entscheidungsgründen heißt es zu dem von der Klägerin damals mit Hilfsanträgen verfolgten Verpflichtungs- bzw. Neubescheidungsbegehren auf der Grundlage des damaligen Sach- und Streitstands weiter:
„2. Zum 1. Hilfsantrag: Der 1. Hilfsantrag ist unbegründet. Zwar ist der Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2010 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Sache ist jedoch im maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage am Schluss der mündlichen Verhandlung nicht spruchreif, so dass die Beklagte gegenwärtig nicht auf den 1. Hilfsantrag zu verpflichten ist, der Klägerin die Genehmigung nach § 19 NRettDG für den qualifizierten Krankentransport außerhalb des Rettungsdienstes mit 1 KTW für den Betriebsbereich des Rettungsdienstbereichs der Beklagten mit Standort in F. für den beantragten Zeitraum montags bis freitags 7.00 bis 17.00 Uhr zu erteilen (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die Klägerin erfüllt unstreitig die subjektiven Genehmigungsvoraussetzungen des § 22 Abs. 1 Satz 1 [des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes -] NRettDG.
Zur Überzeugung des Gerichts erfüllt die Klägerin hingegen die objektive Genehmigungsvoraussetzung des § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG nicht. Nach dieser Vorschrift kann die Beklagte die Genehmigung versagen, wenn zu erwarten ist, dass sie zu einer Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen, bedarfsgerechten, flächendeckenden und wirtschaftlichen Rettungsdienst führt; zu berücksichtigen sind insbesondere die Auslastung und die Abstimmung des Einsatzes der Rettungsmittel, die Zahl und die Dauer der Einsätze, die Eintreffzeiten und die Entwicklung der Gesamtkosten im Rettungsdienstbereich. Ist nicht zu erwarten, dass das zur Genehmigung gestellte Fahrzeug das von § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG geschützte öffentliche Interesse beeinträchtigt, hat der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Ist hingegen zu erwarten, dass das zur Genehmigung gestellte Fahrzeug das geschützte öffentliche Interesse beeinträchtigen wird, ist der Genehmigungsbehörde von § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG ein Ermessensspielraum eröffnet, ob die Genehmigung gleichwohl zu erteilen ist. Eine Beeinträchtigung des von § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG geschützten öffentlichen Interesses muss nicht bereits eingetreten sein. Vielmehr reicht die Erwartung aus, dass im Falle der Erteilung der Genehmigung eine entsprechende Beeinträchtigung eintreten wird. Die Behörde muss danach eine prognostische Entscheidung mit wertendem Charakter treffen, die ihr einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsfreiraum gewährt (OVG Lüneburg, Urteil vom 24.6.1999 - 11 L 719/98 - Nds. MBl. 1999, S. 689 Ls).
Die Beklagte zählt nicht zu den Rettungsdienstträgern, die in ihrem Rettungsdienstbereich überhaupt keine Genehmigungen nach § 19 NRettDG an Unternehmer außerhalb ihres öffentlichen Rettungsdienstes erteilt hat. Vielmehr hat sie bislang an 4 Unternehmer Genehmigungen für 12 Fahrzeuge erteilt. Der zur Genehmigung gestellte KTW der Klägerin wäre damit das 13. Fahrzeug außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes, das grundsätzlich geeignet wäre, Umsatz des öffentlichen Rettungsdienstes abzuziehen, der nach § 2 NRettDG auch den qualifizierten Krankentransport rund um die Uhr sicherstellen muss. Der Kammer erscheint plausibel, dass dem öffentlichen Rettungsdienst ein nicht unerhebliches Gebührenaufkommen entzogen würde, das wegen der Verpflichtung des öffentlichen Rettungsdienstes, den Krankentransport rund um die Uhr sicherzustellen, die Kosten des Rettungsdienstes verteuern würde. Auch die Klägerin will ihr Fahrzeug nur montags bis freitags tagsüber einsetzen und scheut ersichtlich aus Wirtschaftlichkeitsgründen die Inbetriebnahme nachts und an Wochenenden.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass die Fortschreibung des Bedarfsplanes 2011 zum Abbau von Kapazitäten im Bereich des qualifizierten Krankentransports im Umfang von 15,73% = 92 Wochenstunden geführt habe, mithin ein besonders sensibler Bereich betroffen wäre. Hierfür spricht auf den ersten Blick auch, dass die Beklagte die Gesamtzahl der von ihr vorgehaltenen KTW in dem Bedarfsplan 2011 gegenüber 2007 von 12 um weitere 4 auf 8 KTW reduziert hat. Gleichzeitig hat sie jedoch die Zahl ihrer RTW und MZF von ursprünglich 29 (Bedarfsplan 2007, S. 13f.) um 6 auf 35 Fahrzeuge (Bl. 174 d.A. [7 A 3542/10]) aufgestockt. Insgesamt wurden die einsatzbereit vorgehaltenen Fahrzeuge des öffentlichen Rettungsdienstes von 41 um 2 auf 43 Fahrzeuge erhöht. Dabei wurde augenscheinlich Krankentransportvolumen von den KTW auf die MZF verlagert. Dieses Vorgehen ist gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung über die Bemessung des Bedarfs an Einrichtungen des Rettungsdienstes vom 4.1.1993 (Nieders. GVBl. S. 1) - BedarfVO-RettD - auch grundsätzlich zulässig, zumal es wirtschaftlich ist. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage am Schluss der mündlichen Verhandlung ist zudem zu berücksichtigen, dass die Beklagte nach dem Bedarfsplan 2011 in der Rettungswache H. ein dort bislang nicht stationiertes MZF mit der Widmung "qual. Krankentransport" und den Dienstzeiten montags bis donnerstags 7.00 bis 15.00 Uhr und freitags 8.00 bis 14.00 Uhr stationiert hat (Bl. 187 d.A. [7 A 3542/10]). Für die Kammer ist offensichtlich, dass der zur Genehmigung gestellte KTW der Klägerin mit Standort in F. Transportvolumen von diesem im Rahmen des Sicherstellungsauftrages dort stationierten MZF abziehen würden. Die Prognose der Beklagten hinsichtlich des möglichen Abzuges von Transportvolumen vom öffentlichen Rettungsdienst, die sich in dem Bescheid vom 16. Juli 2010 in einzelnen Parametern noch auf einen weiter entfernt stationierten KTW des öffentlichen Rettungsdienstes bezog, besitzt danach aktuelle Gültigkeit und ist nicht zu beanstanden. Insbesondere ist die Beklagte berechtigt, ein worst-case-Szenario in Ansatz zubringen, bei dem von bis zu 7 Transporten/täglich durch den KTW der Klägerin auszugehen ist, zumal diese nach ihrer Erklärung in der mündlichen Verhandlung das zur Genehmigung gestellte Fahrzeug nunmehr ausschließlich im qualifizierten Krankentransport einzusetzen beabsichtigt.
3. Zum 2. Hilfsantrag: Die Klage ist jedoch mit dem 2. Hilfsantrag begründet. Die Beklagte ist zur Neubescheidung des Genehmigungsantrages zu verpflichten, weil die von ihr getroffene Ermessensentscheidung rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt, §§ 113 Abs. 5 Satz 2, 114 VwGO. Wie bereits oben ausgeführt, ist der Beklagten im Falle der Beeinträchtigung des öffentlichen Rettungsdienstes durch den zur Genehmigung gestellten KTW ein Ermessensspielraum eröffnet, die Genehmigung gleichwohl zu erteilen. Zwar hat die Beklagte auf Seite 8f. ihres Genehmigungsbescheides das gesetzlich geforderte Ermessen ausgeübt. Diese Ermessensentscheidung erweist sich jedoch bei rückschauender Betrachtungsweise als unvollständig, weil wesentliche Veränderungen der Sachlage, deren Ursachen zumindest teilweise bereits im Zeitpunkt der Bescheidung lagen, nicht eingestellt waren und diese Umstände zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen sind.
a. Im Zeitpunkt der Bescheidung umfasste der öffentliche Rettungsdienst zwei Fahrzeuge weniger als heute. Während des Klageverfahrens wurde im Zuge der Fortschreibung des Bedarfsplans 2011 die Zahl der Rettungsmittel ohne NEF von 41 auf 43 aufgestockt (s. Bedarfsplan 2007, S. 13f. und Bl. 174 [d.A. 7 A 3542/10]). Im Bereich des qualifizierten Krankentransports mag zwar ein Rückgang des Transportvolumens festzustellen sein, jedoch hat die Beklagte in der Standortgemeinde des von der Klägerin zu Genehmigung gestellten Fahrzeuges im Zuge des Klageverfahrens in der Rettungswache H. ein dem ‚qualifizierten Krankentransport‘ gewidmetes MZF, das zuvor dort nicht stationiert war, zu den Dienstzeiten in Betrieb genommen, die auch die Klägerin mit ihrem bereits 2009 zur Genehmigung gestellten Fahrzeug abdecken wollte. Diese Indienststellung des im Bereich H. zusätzlichen MZF für den qualifizierten Krankentransport erfolgte ausweislich der Angaben im Bedarfsplan 2011 aufgrund des tatsächlichen Einsatzaufkommens im Zeitraum vom 1. November 2009 bis zu 31. Oktober 2010, mithin einer Datenlage, die auch den Bearbeitungszeitraum des Antrages der Klägerin vom 4. Dezember 2009 bis zum 16. Juli 2010 umfasste. Danach hätte sich die Beklagte die Frage stellen müssen, ob sie statt ihren Bedarfsplan mit einem MZF, der dem "qualifizierten Krankentransport" gewidmet ist, in Wunstorf aufzustocken, den Antrag der Klägerin hätte genehmigen sollen. In der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts ist für den Fall bereits erteilter Genehmigungen geklärt, dass sodann eine Pflicht zur Anpassung des Bedarfsplans besteht (OVG Lüneburg, Beschluss vom 9.8.1996 - 7 L 7019/95; Beschluss vom 6.2.1997 - 7 M 5028/96 -; Urteil vom 24.6.1999 - 11L 719/98 -). Nach Auffassung der Kammer gilt für den Fall, dass sich aus dem tatsächlichen Einsatzaufkommen abzeichnet, dass sich am Standort eines zur Genehmigung gestellten KTW ein Transportaufkommen entwickelt, das zur Stationierung eines weiteren KTW oder MZF des öffentlichen Rettungsdienstes mit Widmung für den qualifizierten Krankentransport in der Rettungswache der Standortgemeinde führt, dieser Umstand zugunsten des Genehmigungsbewerbers in die Ermessensentscheidung über seinen Antrag einzustellen ist. Die Genehmigungsbehörde hat in einem solchen Fall vor Aufstockung ihres öffentlichen Rettungsdienstes zu berücksichtigen, dass ein rechtzeitig gestellter Genehmigungsantrag vorliegt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Neustationierung eines Fahrzeugs des öffentlichen Rettungsdienstes in derselben Gemeinde wie dem Standort des zur Genehmigung gestellten Fahrzeugs mit weitestgehend identischen Betriebszeiten erfolgen soll. Andernfalls liefe das legitime Interesse von Genehmigungsbewerbern, sich Standorte für Fahrzeuge zu suchen, die nicht das von § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG geschützte öffentliche Interesse beinträchtigen, leer.
b. Die Beklagte hat den Genehmigungsantrag der Klägerin mit dem streitbefangenen Bescheid vom 16. Juli 2010 abgelehnt, jedoch zeitlich nachfolgend ím Jahr 2011 einem Unternehmer die Genehmigung nach § 19 NRettDG für den qualifizierten Krankentransport von Patienten erteilt, ‚deren Körpermasse (Gewicht) den Wert von 150 kg übersteigt oder die aufgrund einer ärztlichen Verordnung (z.B. wegen ihrer Körperproportionen) nicht mit einem Rettungsmittel transportiert werden können oder die aufgrund einer ärztlichen Verordnung sitzend in einem Rollstuhl (z.B. Elektrorollstuhl, überbreiter Rollstuhl oder angepasste Sitzschalen mit Untergestell für Menschen mit Multi-Dysfunktionalität) unter Beachtung der DIN 75080 (Teil 2: Rückhaltesysteme) transportiert werden müssen‘ (Bl. 107 d.A. [7 A 3542/10]). Die Genehmigung ist damit ersichtlich im Einverständnis mit dem Antragsteller auf den Transport entsprechender Patienten beschränkt. Die Genehmigungserteilung an den Unternehmer erfolgte trotz der in dem streitbefangenen und an die Klägerin gerichteten Bescheid vom 16. Juli 2010 enthaltenen Prognose, dass die von der Klägerin beantragte Genehmigung im Falle ihrer Erteilung das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen, bedarfsgerechten, flächendeckenden und wirtschaftlichen Rettungsdienst beeinträchtigen würde. Die Genehmigungserteilung an den Unternehmer erfolgte ebenfalls, obwohl der öffentliche Rettungsdienst nach § 2 NRettDG den Transport auch solcher Patienten flächendeckend rund um die Uhr sicherstellen muss, die die vorstehend genannten Erschwernisse mit sich bringen. Danach lässt sich die 2011 während des vorliegenden Klageverfahrens erfolgte Genehmigungserteilung an den Unternehmer für die erkennende Kammer nur damit erklären, dass der öffentliche Rettungsdienst der Beklagten entweder nicht in der Lage war oder ist, den entsprechenden Personenkreis zu transportieren oder die Beklagte Einnahmeverluste ihres öffentlichen Rettungsdienstes aufgrund der erteilten Genehmigung hinnimmt oder der Unternehmer die fraglichen Transporte wirtschaftlicher durchführen kann. Die Vertreter der Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung hierzu lediglich auf die ‚Krankenkassen‘ als Kostenträger nach § 4 Abs. 6 NRettDG verwiesen. Jedenfalls war die von der Beklagten in dem streitbefangenen Bescheid vom 16. Juli 2010 getroffene Ermessensentscheidung auch insoweit unvollständig, als es ein Transportaufkommen von Patienten gibt, hinsichtlich dessen die Beklagte bereit ist, Einnahmeverluste des öffentlichen Rettungsdienstes hinzunehmen. Auch dieser Umstand hätte zugunsten der Klägerin berücksichtigt werden müssen.
Eine Ermessenreduktion auf ‚Null‘ mit der Folge, dass nur eine Genehmigungserteilung zugunsten der Klägerin in Frage kommt, folgt hieraus nicht. Die Beklagte ist jedoch verpflichtet, bei einer Neubescheidung die vorgenannten Umstände in ihre Ermessensentscheidung einzustellen und mit dem Interesse der Klägerin an der Genehmigungserteilung abzuwägen.“
Das Urteil ist seit 22. Mai 2012 rechtskräftig.
Mit dem hier streitbefangenen Bescheid vom 20. August 2012 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin erneut ab. In diesem Bescheid stellt sie zunächst fest, dass in ihrem Rettungsdienstbereich ein funktionsfähiger, bedarfsgerechter, flächendeckender und wirtschaftlicher Rettungsdienst bestehe (Bescheidabdruck S. 2-4) und führt sodann in einem zweiten Schritt eine Beeinträchtigungsprüfung durch (Bescheidabdruck S. 4). In diesem Zusammenhang kommt sie erneut zu dem Ergebnis, dass bei Erteilung der beantragten Genehmigung eine ernsthafte- und schwerwiegende Beeinträchtigung des öffentlichen Rettungsdienstes zu befürchten sei, die zu schwerwiegenden Mängeln bei dessen Durchführung führen würde (Bescheidabdruck S. 9). Im Falle der Erteilung der Genehmigung werde sich der Auslastungsgrad im Krankentransport um mehr als 10% verringern (Bescheidabdruck S. 8) und die Einnahmeausfälle würden sich bei einem worst-case-Szenario auf 9,55% erstrecken (Bescheidabdruck S. 9). Damit bestehe die Gefahr, dass die Eintreff- und Wartezeiten nicht mehr eingehalten werden könnten, weil möglicherweise ein vorgehaltener KTW abgebaut werden müsste. Bei weiterer Vorhaltung hätte dies kostenrechtliche Auswirkungen (Bescheidabdruck S. 8). Die Kosten würden im KTW-Bereich je Einsatz im Vergleich zum Vorjahr um 21,12% steigen.
Zu Ziffer 3a) des Urteils der Kammer vom 27.3.2012 führt die Beklagte aus (Bescheidabdruck S. 6f. und S. 11):
„Die [Beklagte] hat im Zeitpunkt der Bedarfsfortschreibung keine Möglichkeit gesehen und sieht sich auch weiterhin nicht in der Lage, das dortige Krankentransportvolumen entsprechend der Anmerkung des Gerichts in seinem Urteil vom 27.03.2012 unter Ziffer 3a) an [die Klägerin] im Rahmen einer Genehmigung nach § 19 NRettDG zu geben. Einerseits würde dies zu einer erheblichen Unwirtschaftlichkeit des dort samstags vorzuhaltenden Notfallrettungsmittels MZF führen und auch insgesamt zu einer noch nachfolgend weiter begründeten Beeinträchtigung des öffentlichen Rettungsdienstes führen.
Bezüglich der Bemerkung des Gerichts, es würde sich hierbei um eine Neustationierung eines zusätzlichen Fahrzeugs handeln, ist festzustellen, dass dies zwar bezüglich der Vorhaltung samstags für die Notfallrettung zutreffend ist, es sich hinsichtlich der Vorhaltung für den qualifizierten Krankentransport montags bis freitags lediglich um eine Verschiebung von in diesem Krankentransportversorgungsbereich bereits vorhandenen Kapazitäten aufgrund der oben geschilderten wirtschaftlichen Erwägungen gehandelt hat. Insgesamt hat sich die Vorhaltung für den qualifizierten Krankentransport im Krankentransportversorgungsbereich J., I., L., H. und K. montags bis freitags (wie bisher ohne Fernfahrtaufkommen) von 172 Wochenstunden im Bedarfsplan 2007 auf 110 Wochenstunden im Bedarfsplan 2011 verringert.“ (insoweit Bescheidabdruck S. 6f.). (…)
„Ihr Interesse an einer Standortsuche für ihre Fahrzeuge für den qualifizierten Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes habe ich zu Ihren Gunsten berücksichtigt. Der Bedarf von qualifizierten Krankentransporten im Versorgungsbereich J., I., L., H., K. von montags bis donnerstags von 7 bis 15 Uhr und freitags von 8 bis 14 Uhr ist zwar gemäß Bedarfsplan 2011 vorhanden, allerdings ist darüber hinaus ein Notfallrettungsmittel auf der Rettungswache H. samstags von 7 bis 15 Uhr [als] ein zusätzliches Notfallrettungsmittel vorzuhalten. Diese Vorhaltung kann nur vom öffentlichen Rettungsdienst wahrgenommen werden, daher wurde von der Rettungsdienstträgerin entschieden, dass diese Vorhaltung nicht einem privaten Unternehmer übertragen, sondern vom öffentlichen Rettungsdienst mittels eines MZF durchgeführt wird. Die auf diese Weise verbesserte Auslastung trägt zur Kostenminderung bei. Wie bereits dargelegt, ist dieses MZF in Notfällen auch während der Vorhaltezeiten für den qualifizierten Krankentransport für die Notfallrettungen von montags bis freitags einsatzfähig, so dass durch kürzere Eintreffzeiten die Patienten schneller versorgt werden können.
Bei der Abwägung Ihrer wirtschaftlichen Interessen in Bezug auf die Standortsuche und der öffentlichen Interessen der Kostenminimierung und Verkürzung der Eintreffzeiten im Bereich der Rettungswache H. komme ich zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen überwiegen“ (insoweit Bescheidabdruck S. 11).
Zu Ziffer 3b) in dem Urteil der Kammer vom 27.3.2012 führt die Beklagte aus (Bescheidabdruck S. 7f.):
„Auch die Tatsache, dass im Juli 2011 eine Genehmigung nach § 19 NRettDG an ein Unternehmen zur Durchführung von qualifiziertem Krankentransport von Patienten, deren Körpermasse (Gewicht) den Wert von 150 Kilogramm übersteigt, die aufgrund einer ärztlichen Verordnung (z.B. wegen ihrer Körperproportionen) nicht mit einem regulären Rettungsmittel transportiert werden können oder die aufgrund einer ärztlichen Verordnung sitzend in einem Rollstuhl (z.B. Elektrorollstuhl, Überbreiter-Rollstuhl oder angepasste Sitzschalen mit Untergestellt für Menschen mit Multi-Dysfunktionalität) unter Beachtung der DIN 75078 (Teil 2: Rückhaltesysteme) transportiert werden müssen, erteilt wurde, ist kein Hinweis auf einen generell erhöhten Bedarf an qualifizierten Krankentransporten. Die damals erteilte Genehmigung weist eindeutig darauf hin, dass lediglich diese spezielle Form des qualifizierten Krankentransports durchgeführt werden darf. Diese Form des Krankentransports setzt eine spezielle Ausstattung des eingesetzten Rettungsmittels voraus. In Ihrem Antrag sind weder Angaben noch Nachweise einer besonderen Ausstattung des von Ihnen für die Durchführung der qualifizierten Krankentransporte vorgesehenen Fahrzeuges enthalten. Aufgrund des vorliegenden Antrages gehe ich daher davon aus, dass Sie im Falle einer Genehmigung den qualifizierten Krankentransport vollumfänglich für die beantragten Betriebszeiten, d.h. ohne besondere Auflagen, wahrnehmen möchten. Insofern handelt es sich im vorliegenden Fall nicht um die Bevorzugung eines konkurrierenden Unternehmens aufgrund von sachfremden Erwägungen.
Die Erteilung der vorgenannten Genehmigung führt darüber hinaus zu keinem Einnahmeverlust des öffentlichen Rettungsdienstes, da diese spezielle Form bisher von der [Beklagten] selbst nicht vorgehalten wurde und auch nicht im Bedarfsplan bemessen war. Wurden solche speziellen qualifizierten Krankentransporte in der Vergangenheit erforderlich, so wurde gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 NRettDG nachbarschaftliche Hilfe durch die N. in Anspruch genommen oder Einzelaufträge außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes vergeben. Da sich eine Zunahme dieser Transporte abzeichnete und auch die N. signalisierte, nur noch in geringem Maße nachbarschaftlich aushelfen zu können, hatte die [Beklagte] die gesonderte Bemessung einer Vorhaltung für entsprechende Sondertransporte im Rahmen der Fortschreibung des Bedarfsplans vom 01.11.2011 vorgesehen. Da noch vor Beginn dieser Berechnungen jedoch dem Antrag des Unternehmens nach § 19 NRettDG für genau diese Spezialtransporte zu entsprechen war, musste die ursprünglich vorgesehene gesonderte Bemessung einer Vorhaltung für entsprechende Sondertransporte aus der Fortschreibung des Bedarfsplans herausgenommen werden. Zu dem Zeitpunkt, zu dem über den am 13.05.2011 gestellten Antrag zu entscheiden war, konnte eine Beeinträchtigung des öffentlichen Rettungsdienstes im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG für qualifizierten Krankentransport entsprechend der beantragten Beschränkung nicht festgestellt werden. (…)“
Schließlich führt die Beklagte aus, dass die Genehmigung in Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens nach wie vor zu versagen sei (Bescheidabdruck S. 11-12). Die Versagung der Genehmigung sei geeignet, einem Kapazitätsabbau, den die Zulassung des beantragten KTW zur Folge hätte, entgegenzuwirken. Das öffentliche Interesse an einem ordnungsgemäßen funktionierenden Rettungsdienst sei höher zu bewerten als das Interesse der Klägerin an der Ausübung des qualifizierten Krankentransports mit einem KTW zu den beantragten Zeiten.
Mit ihrer am 20. September 2012 beim Verwaltungsgericht Hannover erhobenen erneuten Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter. Sie ist (1.) der Auffassung, dass die Genehmigung aufgrund der Genehmigungsfiktion in § 21 Abs. 1 NRettDG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG bereits seit 27. Juni 2012 als erteilt gilt, weil der Genehmigungsantrag mit dem Tag der mündlichen Verhandlung in dem Verfahren 7 A 3542/10 am 27. März 2012 vollständig gestellt gewesen sei und die Beklagte gleichwohl die Genehmigung nicht innerhalb der 3-Monats-Frist versagt habe sondern erst mit dem streitbefangenen Bescheid vom 20. August 2012. Deshalb habe die Klägerin einen Anspruch auf Herausgabe der Genehmigungsurkunde. Hilfsweise habe sie (2.) einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung, weil der Rettungsdienst der Beklagten nicht bedarfsgerecht ausgebaut sei und bereits deshalb durch den zur Genehmigung gestellten KTW nicht beeinträchtigt werde. Es sei zweifelhaft, ob die Beklagte bei der Organisation ihres Rettungsdienstes die Eintreffzeit in der Notfallrettung von 15 Minuten in 95 vom Hundert der in einem Jahr im Rettungsdienstbereich zu erwartenden Notfalleinsätze (§ 2 Abs. 3 BedarfVO-RettD) einhalte. Das von der Beklagten hierzu vorgelegtes Zahlenwerk, das sich auf den Zeitraum vom 1. November 2011 bis 31. Mai 2012 beschränke, beruhe auf Rechenfehlern, weil sie den 7-Monats-Zeitraum verdoppelt habe, um ein Jahresaufkommen zu erhalten. Außerdem sei der öffentliche Rettungsdienst nach wie vor selbst nicht bedarfsgerecht, weil die Beklagte nach ihren eigenen Unterlagen die Wartezeit im qualifizierten Krankentransport von in der Regel 30 Minuten (§ 5 Abs. 2 Satz 1 BedarfVO-RettD) nur in - bereits von der Beklagten im Klageverfahren korrigiert - 69,36% aller Fälle einhalte (Bl. 113 d.A.). Dieser Wert sei zu gering, um den „Regelfall“ abzubilden. Außerdem sei die Beklagte nach wie vor selbst nicht in der Lage, stark übergewichtige Patienten zu transportieren, wie die einem Dritten hierzu erteilte Genehmigung und deren Begründung zeige. Die Beklagte hätte bei Fortschreibung des Bedarfsplans den bereits seit 2009 vorliegenden Antrag der Klägerin berücksichtigen müssen. Die Neustationierung des MZF in der Standortgemeinde des zur Genehmigung gestellten Fahrzeugs der Klägerin werde mit der Notwendigkeit, samstags für 8 Stunden ein 3. Notfallrettungsmittel vorzuhalten, begründet. Hingegen werde das Einsparvolumen bei Wegfall des MZF über 32 Stunden montags bis freitags (richtig wohl: 38 Stunden; die Klägerin beantragt für sich eine Rollzeit von 50 Stunden) nicht berücksichtigt. Das Zahlenmaterial für die Prognose, welche Einnahmeausfälle im öffentlichen Rettungsdienst bei Erteilung der nachgesuchten Genehmigung entstünden, sei veraltet. Auch gehe die Beklagte im Rahmen des worst-case-Szenario davon aus, dass die Klägerin 7 Krankentransporte/Tag durchführen werde (= 1,27 Stunden/Einsatz). Diese Annahme sei zu hoch. Zudem ginge das Transportvolumen nicht ausschließlich zu Lasten des öffentlichen Rettungsdienstes, sondern auch zu Lasten der Konkurrenten, die bereits im Besitz einer Krankentransportgenehmigung sei. Ferner habe sie hilfsweise (3.) einen Anspruch auf Neubescheidung, weil auch die erneute Ermessensentscheidung fehlerhaft sei. Die Beklagte habe die Verpflichtung aus dem Urteil der Kammer vom 27. März 2012 unzureichend umgesetzt. Schließlich stellt sie 12 Hilfsbeweisanträge.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20. August 2012 aufzuheben sowie
festzustellen, dass zugunsten der Klägerin die Genehmigung zur Durchführung qualifizierten Krankentransportes außerhalb des Rettungsdienstes (Dienstzeit montags bis freitags 7.00 bis 17.00 Uhr vom Standort der Klägerin aus im gesamten Rettungsdienstbereich der O. mit einem KTW) nach Maßgabe des von der Klägerin mit Schreiben vom 2. Dezember 2009 gestellten und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Hannover - 7 A 3542/10 - am 27. März 2012 konkretisierten Antrages als erteilt gilt und die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die entsprechende Genehmigungsurkunde auszuhändigen,
hilfsweise
die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die beantragte Genehmigung zu erteilen,
hilfsweise
die Beklagte zu verpflichten, über den Genehmigungsantrag der Klägerin erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden,
hilfsweise
Beweis zu erheben gemäß den in der Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung beigefügten Beweisanträgen zu 1) bis 12), nach der Anlage zu dem Schriftsatz vom 13. August 2013, der am 14. August 2013 zur Gerichtsakte gereicht worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise
Schriftsatznachlass zu den Beweisanträgen zu 1) bis 12) zu gewähren.
Die Beklagte erwidert: (1.) Sie habe innerhalb des 3-Monats-Zeitraums nach Rechtskraft des Urteils der Kammer mit der Verpflichtung zur Neubescheidung entschieden. Danach sei die Genehmigungsfiktion nicht eingetreten (2.) Da das Verwaltungsgericht eine Verpflichtung zur Neubescheidung unter Berücksichtigung der Bedarfsplanfortschreibung ab 1. November 2011 ausgesprochen hätte, habe zum Zeitpunkt der erneuten Bescheidung nur auf das Zahlenmaterial vom 1. November 2011 bis 31. Mai 2012 zurückgegriffen werden können. Bei der erneuten Prüfung der Beeinträchtigung des Rettungsdienstes seien ihr in dem streitbefangenen Bescheid vom 20. August 2012 allerdings Auswertungs- und Rechenfehler unterlaufen. Diese hätten jedoch keinerlei Einfluss auf das Ergebnis der „Bedarfsprüfung“ (Bl. 80 d.A.). Mit Schriftsatz vom 27. März 2013 erklärt sie: Eine Neuauswertung und Berechnung ergebe, dass die Eintreffzeit in 95,22% aller Notfalleinsätze eingehalten werde. Die Wartezeit im Krankentransport betrage 25,42 Minuten. Dabei habe jedoch ein Anteil von unplausiblen Datensätzen ausgeschieden werden müssen. Zwar treffe es zu, dass sie die Wartezeit im Krankentransport nur in knapp 70% der Einsätze einhalte. Die BedarfVO-RettD gebe ihr jedoch im Gegensatz zur Notfallrettung nicht die Einhaltung eines gewissen Prozentanteils vor, weil die Norm nur die Einhaltung der Wartezeit „in der Regel“ vorschreibe. Die Wartezeit von 30 Minuten bei qualifizierten Krankentransporten werde in ihrem Rettungsdienstbereich durchschnittlich erfüllt. Deshalb liege ein funktionsfähiger Rettungsdienst vor, der beeinträchtigungsfähig sei (Bl. 113, 170,199 d.A.). Im Genehmigungsfall würde die Klägerin 10,01% der Krankentransporte vom öffentlichen Rettungsdienst abziehen. Eine Entgeltsteigerung von 21,53% sei zu erwarten. Es wäre äußerst unwirtschaftlich, in H. ausschließlich samstags ein „extra“ drittes Fahrzeug für die Notfallrettung vorzuhalten und das Fahrzeug für den Krankentransport an einem anderen Standort zu stationieren. (3.) Zu der „Anmerkung 3a)“ des Gerichts werde nach wie vor ausgeführt, dass es sich nicht um eine Neustationierung eines Fahrzeuges handele, sondern lediglich um eine Standortverlagerung.
Die Klägerin repliziert, dass die Beklagte die Grundlagen ihrer Prognoseentscheidung vollständig ausgewechselt habe. Damit sei dem Bescheid vom 20. August 2012 die Grundlage entzogen. Die Berechnung der Eintreff- und Wartezeit sei nicht nachvollziehbar. Der Anteil von 570 unplausiblen Einsätzen sei viel zu hoch. Entsprechendes gelte für die Einsätze mit „negativen Wartezeiten“ (= 0 Minuten in 1.284 Fällen, Bl. 163 d.A.). Im Übrigen könne die Klägerin allenfalls 5 Transporte/Tag durchführen, von denen 80% zu Lasten des öffentlichen Rettungsdienstes berechnet werden dürften (= 4 Transporte). Es sei dann auf keinem Fall im Krankentransportbereich der Beklagten eine Steigerung im zweistelligen Bereich zur erwarten. Die Beklagte habe die ihr aus dem rechtskräftigen Urteil vom 27. März 2012 auferlegten Verpflichtungen ignoriert.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorbezeichneten Gerichtsakten und des Verwaltungsvorganges der Beklagten, der dem Gericht zur Einsichtnahme vorgelegen hat, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist mit dem 1. Hilfsantrag begründet.
1. Zum Hauptantrag: Der Hauptantrag ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung und Aushändigung der Genehmigungsurkunde gemäß § 21 Abs. 1 des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes in der Neufassung vom 2.10.2007 (Nds. GVBl. S. 473), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7.12.2012 (Nds. GVBl. S. 548) - NRettDG - in Verbindung mit § 15 Abs. 2 Satz 1 des Personenbeförderungsgesetzes - PBefG -, weil die Genehmigung nicht gemäß § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG spätestens seit 27. Juni 2012 als erteilt gilt. Die Klägerin kann sich nicht auf die Genehmigungsfiktion berufen.
Mit Art. 1 des Änderungsgesetzes vom 12.7.2007 (Nds. GVBl. S. 316) ist die Genehmigungsfiktion erstmals in das Niedersächsische Rettungsdienstgesetz inkorporiert worden, weil § 21 Abs. 1 NRettDG in der vorausgehenden Fassung auf eine ältere Fassung des Personenbeförderungsgesetzes Bezug genommen hatte, die ihrerseits die Genehmigungsfiktion noch nicht enthielt.
Gemäß § 21 Abs. 1 NRettDG in der nunmehr geltenden Fassung ist in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Satz 2 PBefG über den Genehmigungsantrag nach §§ 19ff. NRettDG innerhalb einer Frist von 3 Monaten zu entscheiden. Diese Frist beginnt nach ständiger Rechtsprechung der Kammer mit Eingang der vollständigen Antragsunterlagen bei der Behörde zu laufen (s. auch OVG Greifswald, Beschluss vom 9.12.2003 - 1 L 174/03 -; OVG Magdeburg, Urteil vom 29.2.1996, DVBl. 1997, S. 964; Fromm/Sellmann/Zuck; PBefR, 4. Aufl., § 15 PBefG Rdnr. 2). Die Klägerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass der Antrag nach den ergänzenden Erklärungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zum gerichtlichen Verfahren 7 A 3542/10 am 27. März 2012 vollständig gestellt war. Dies ist jedoch unerheblich, weil die Genehmigungsfiktion nach § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG nur im erstmaligen Verwaltungsverfahren und nicht für die durch Urteil erfolgte Verpflichtung der Genehmigungsbehörde zur Neubescheidung gilt. Kommt die Verwaltung der gerichtlich auferlegten Verpflichtung nicht binnen angemessener Frist nach, ist dies ein Fall der Vollstreckung des gerichtlichen Urteils und nicht eine Frage der Genehmigungsfiktion.
Selbst wenn die Genehmigungsfiktion jedoch auch auf den Fall eines Urteils zur Verpflichtung auf Neubescheidung anwendbar sein sollte, wäre die Genehmigungsfiktion jedoch vorliegend nicht eingetreten. Denn in einem solchen Fall wäre nicht auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als Beginn der Drei-Monats-Frist, sondern auf den Zeitpunkt der Rechtskraft des zur Neubescheidung verpflichtenden Urteils abzustellen, mithin auf den 22. Mai 2012 (ebenso VG Oldenburg, Urteil vom 6.2.2013 - 11 A 4199/12 - n. rkr., Urteilsabdruck S. 18). Der streitbefangene Bescheid vom 20. August 2012 wäre danach innerhalb der Drei-Monats-Frist ergangen und die Genehmigungsfiktion nicht eingetreten.
2. Zum 1. Hilfsantrag: Die erneute Ablehnung der Erteilung der Krankentransportgenehmigung in dem Bescheid vom 20. August 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Weil die Sache spruchreif ist, ist die Beklagte gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu verpflichten, die beantragte Genehmigung zu erteilen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17.1.1954 - V C 97.54 - BVerwGE 1, S. 291, 296f.; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl., § 113 Rdnr. 179 mwN).
Die Klägerin erfüllt unstreitig die subjektiven Genehmigungsvoraussetzungen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 NRettDG.
Die Klägerin erfüllt nunmehr auch die objektive Genehmigungsvoraussetzung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG.
Nach dieser Vorschrift kann die Beklagte die Genehmigung nur versagen, wenn zu erwarten ist, dass sie zu einer Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen, bedarfsgerechten, flächendeckenden und wirtschaftlichen Rettungsdienst führt; zu berücksichtigen sind insbesondere die Auslastung und die Abstimmung des Einsatzes der Rettungsmittel, die Zahl und die Dauer der Einsätze, die Eintreffzeiten und die Entwicklung der Gesamtkosten im Rettungsdienstbereich. Ist nicht zu erwarten, dass das zur Genehmigung gestellte Fahrzeug das von § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG geschützte öffentliche Interesse beeinträchtigt, hat der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Ist hingegen zu erwarten, dass das zur Genehmigung gestellte Fahrzeug das geschützte öffentliche Interesse beeinträchtigen wird, ist der Genehmigungsbehörde von § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG ein Ermessensspielraum eröffnet, ob die Genehmigung gleichwohl zu erteilen ist. Eine Beeinträchtigung des von § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG geschützten öffentlichen Interesses muss nicht bereits eingetreten sein. Vielmehr reicht die Erwartung aus, dass im Falle der Erteilung der Genehmigung eine entsprechende Beeinträchtigung eintreten wird. Die Behörde muss danach eine prognostische Entscheidung mit wertendem Charakter treffen, die ihr einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsfreiraum gewährt (Nds. OVG, Urteil vom 24.6.1999 - 11 L 719/98 - Nds. MBl. 1999, S. 689 Ls).
Zwar hatte die Kammer mit Urteil vom 27. März 2012 festgestellt, dass die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt nicht die objektive Genehmigungsvoraussetzung des § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG erfüllte, weil zu erwarten war, dass die Genehmigung im Falle ihrer Erteilung zu einer Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen, bedarfsgerechten, flächendeckenden und wirtschaftlichen Rettungsdienst führt. Insoweit war das Urteil vom 27. März 2013 von der Klägerin nicht unter Weiterverfolgung ihres Verpflichtungsbegehrens angefochten worden und ist rechtskräftig. Die Kammer hatte die Beklagte jedoch zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer verpflichtet, wobei aus den Urteilsgründen hervorgeht, dass ihre Ermessensentscheidung in dem vorausgegangenen Bescheid vom 16. Juli 2010 fehlerhaft gewesen war.
Die Beklagte hat nunmehr in dem streitbefangenen Bescheid vom 20. August 2012 eine erneute Beeinträchtigungsprüfung unter Verwendung aktualisierten Zahlenmaterials vorgenommen, damit einen vollumfänglichen Zweitbescheid erlassen und der Klägerin somit die Möglichkeit zur erneuten Überprüfung auch des Vorliegens der objektiven Genehmigungsvoraussetzung des § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG gegeben. Dabei hat sie auf Vorhalt der Klägerin einräumen müssen, dass sie in dem streitbefangenen Bescheid vom 20. August 2012 unrichtiges Zahlenmaterial verwendet hat, das sie erst im Klageverfahren berichtigte (u.a. Klageerwiderung vom 27. März 2013, S. 3 und 6, Bl. 134 und 137 d.A.).
Deshalb ist der Einwand der Klägerin vollinhaltlich zu überprüfen, es fehle überhaupt an einem funktionsfähigen Rettungsdienst, der durch das Hinzutreten ihres zur Genehmigung gestellten einen Krankentransportwagens gefährdet werden könnte. Die Ausführungen der Beklagten in dem streitbefangenen Bescheid vom 20. August 2012 auf den Seiten 2 bis 4 des Bescheidabdrucks, sie stelle einen funktionsfähigen, bedarfsgerechten, flächendeckenden und wirtschaftlichen Rettungsdienst in ihrem Rettungsdienstbereich sicher, trifft hinsichtlich des qualifizierten Krankentransports ausweislich des von ihr selbst vorgelegten und im Klageverfahren berichtigten Zahlenmaterials nicht zu. Die Klägerin ist berechtigt, diesen Umstand zu rügen. Die Kammer folgt in diesem Zusammenhang in ständiger Rechtsprechung nicht der jüngeren Rechtsprechung des OVG Münster, die in Abweichung von ihrer vorausgehenden Rechtsprechung im Rahmen der Funktionsschutzklausel nicht mehr vorab prüft, ob überhaupt ein funktionsfähiger Rettungsdienst vorliegt, der beeinträchtigt werden kann (OVG Münster, Urteil vom 7.3.2007, DVBl. 2007, S. 1503; Beschluss vom 19.9.2007 - 13 A 2451/04 -; Urteil vom 10.6.2008 - 13 A 1779/06 - DVBl. 2008, S. 1139). Der Hinweis des OVG Münster, das öffentliche Interesse schütze nicht nur einen bestehenden funktionsfähigen öffentlichen Rettungsdienst, sondern auch das Ziel zur Erlangung eines solchen, überzeugt nicht. Zum einen würde der Rettungsdienstträger kaum mehr einer Kontrolle unterliegen, ob er wirklich funktionsgerecht, bedarfsgerecht, flächendeckend und (hierbei) wirtschaftlich handelt; zum anderen könnte allein der Hinweis des Rettungsdienstträgers, er sei bestrebt, einen den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Rettungsdienst herzustellen, regelmäßig die Zulassung eines jeden Unternehmers verhindern (u.a. Urteil der erk. Kammer vom 23.8.2011 - 7 A 3283/10 -). Deshalb wird ein unterdimensionierter Rettungsdienst nicht von der Funktionsschutzklausel des § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG geschützt.
Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte bei der Organisation ihres öffentlichen Rettungsdienstes insbesondere die Eintreffzeit in der Notfallrettung nach § 2 Abs. 2 und 3 BedarfVO-RettD einhält, wobei allerdings der hohe Anteil von Datensätzen auffällt, der von der Beklagten aus der Statistik ihrer Notfallrettungseinsätze als „unplausibel“ herausgerechnet worden ist.
Denn die Kammer ist aufgrund der erneuten mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte bei der Organisation ihres öffentlichen Rettungsdienstes die Wartezeit im Krankentransport nach § 5 Abs. 2 Satz 1 BedarfVO-RettD nicht einhält und ihr Rettungsdienst insoweit deshalb nicht bedarfsgerecht organisiert ist. Deshalb ist noch „Platz“ für den von der Klägerin zur Genehmigung gestellten einen Krankentransportwagen. Die Überprüfung der Frage, ob die Beklagte die Wartezeit im qualifizierten Krankentransport einhält, ist durch § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG nicht ausgeschlossen. Denn dieser enthält keine abschließende Aufzählung der zu prüfenden Kriterien, wie sich aus dem Begriff „insbesondere“ ergibt, der der Aufzählung der nachfolgenden Kriterien vorangestellt ist und in der die Wartezeit nicht genannt wird. Für die Kammer ist die Einhaltung der Wartezeit im qualifizierten Krankentransport jedoch ein zentrales Kriterium, weil die Beklagte gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 NRettDG mit ihrem öffentlichen Rettungsdienst aufgrund der in § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 NRettDG definierten medizinischen, funktionalen und wirtschaftlichen Einheit von Notfallrettung, Intensivtransport und qualifiziertem Krankentransport auch die Einhaltung der Wartezeit sicherzustellen hat, solange diese in Niedersachsen durch Verordnung geregelt ist.
Diesen Anforderungen wird der öffentliche Rettungsdienst der Beklagten insoweit nicht gerecht, wenn nach den eigenen Angaben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung die Wartezeit von 30 Minuten im qualifizierten Krankentransport nur in 69,34% aller Fälle eingehalten wird, mithin in 30,66% aller Fälle nicht (Bl. 113, 199 d.A.). Dieser Wert wird den Anforderungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 BedarfVO-RettD nicht gerecht und führt dazu, dass der öffentliche Rettungsdienst der Beklagten im Krankentransportbereich unterdimensioniert und damit durch das Hinzutreten eines weiteren Krankentransportwagens nicht beeinträchtigt werden kann. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 BedarfVO-RettD ist der Bedarf an einsatzbereit vorzuhaltenden Krankenkraftwagen für den qualifizierten Krankentransport im öffentlichen Rettungsdienst so zu bemessen, dass der Zeitraum zwischen dem Eingang einer Anforderung in der zuständigen Rettungsleitstelle und dem Eintreffen eines Krankenkraftwagens am Einsatzort (Wartezeit) in der Regel 30 Minuten nicht übersteigt. Die Beklagte legt das Erfordernis des Regelfalls in der Vorschrift dahingehend aus, dass damit die Wartezeit von ihr nur durchschnittlich einzuhalten ist (Bl. 170, 199 d.A.). Diese Auffassung steht jedoch im Widerspruch zum Regelungsgehalt der Vorschrift.
Der Wortlaut der Vorschrift verlangt die Einhaltung der Wartezeit „in der Regel“ und nicht „durchschnittlich“. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Personalvertretungsrecht ist geklärt, dass der Begriff der „in der Regel beschäftigten Personen“ nicht mit der „Durchschnittszahl der beschäftigten Personen“ gleichzusetzen ist (BVerwG, Beschluss vom 3.7.1991, ZBR 1992, S. 89, 91 [BVerwG 03.07.1991 - BVerwG 6 P 1.89] mwN). Entsprechendes gilt im Fall der „in der Regel“ einzuhaltenden Wartezeit. Das Gegenteil vom „Regelfall“ ist begrifflich der „Ausnahmefall“. Dieser ist nicht mit dem unterhalb des Durchschnitts liegenden Fall gleichzusetzen.
Systematisch wird die von § 5 Abs. 2 Satz 1 BedarfVO-RettD vorgegebene Wartezeit im qualifizierten Krankentransport von 30 Minuten jedenfalls dann „in der Regel“ eingehalten, wenn die Überschreitung in weniger als 5% der Fälle erfolgt. Denn für den Bereich des Krankentransports kann kein höheres Sicherheitsniveau gefordert werden als im Bereich der Notfallrettung (vgl. erk. Kammer, Urteil vom 23.8.2011 - 7 A 3283/11 -, Urteilabdruck S. 10; VG Göttingen, Urteil vom 2.3.2006 - 4 A 17/04 -).
Sinn und Zweck der Wartezeit im qualifizierten Krankentransport ist, dass der Nicht-Notfallpatient in der Regel nicht länger als eine halbe Stunde auf seinen Krankentransport warten soll. Sinn und Zweck der Wartezeit ist es auch, mit der Verpflichtung zur zeitnahen Durchführung dieser Leistung zu verhindern, dass im Einzelfall aus dem Nicht-Notfallpatienten durch eine Verzögerung des Transportbeginns ein Notfallpatient wird. Schließlich ist Sinn und Zweck der Regelung einer Wartezeit als Organisationsvorgabe für den öffentlichen Rettungsdienst, dass die einzelnen medizinischen Maßnahmen, die dem Krankentransport nachfolgen (z.B. der Beginn einer Dialyse, die Untersuchung in einem medizinischen Zentrum, eine Anschlussheilbehandlung etc.) pünktlich und ohne Verzögerungen durchgeführt bzw. begonnen werden können und damit ebenso Belastungen und Nachteile für den Patienten ausgeschlossen bzw. minimiert werden wie wirtschaftliche Nachteile in den Behandlungseinrichtungen durch unnötige Wartezeit bis zum Eintreffen des Patienten.
Die Wartezeit im Krankentransport ist nur in einzelnen Bundesländern geregelt. In Mecklenburg-Vorpommern beträgt sie gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Rettungsdienstgesetzes - RDG M-V - bei zeitkritischen Krankentransporten in der Spitzenbelastung in der Regel nicht mehr als 30 Minuten. In Rheinland-Pfalz beträgt sie gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 des Rettungsdienstgesetzes - RettDG - in der Regel 40 Minuten, wobei diese Frist nicht für Krankentransporte gilt, die bereits am Tag zuvor angefordert werden können.
Diese Einschränkungen enthält die Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 BedarfVO-RettD in Niedersachsen nicht. Vielmehr beschränkt sich der Regelfall nach Auslegung durch die Kammer darauf, dass die Wartezeit nur im Ausnahmefall nicht eingehalten werden muss. Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat mit Urteil vom 6.2.2013 (aaO, Urteilsabdruck S. 12, n. rkr.) eine Einhaltung der Wartezeit durch den Rettungsdienstträger in 77,7% der Fälle für nicht mehr ausreichend erachtet. Vorliegend bildet der von der Beklagten erreichte Anteil von sogar nur 69,34% aller von ihr in die Statistik als plausibel aufgenommen Krankentransporteinsätze, die die Wartezeit einhalten, nicht mehr den Regelfall der Einhaltung der Vorgabe ab, wenn in drei von zehn Einsätzen dem Patienten eine Wartezeit von mehr als 30 Minuten auferlegt wird.
Danach ist der öffentliche Rettungsdienst der Beklagten hinsichtlich des qualifizierten Krankentransportes in ihrem Rettungsdienstbereich nicht bedarfsgerecht organisiert und deshalb durch § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG nicht geschützt. Er kann bereits vom Ansatz her durch das Hinzutreten eines einzelnen Krankentransportwagens der Klägerin nicht beeinträchtigt werden.
Danach kann dahingestellt bleiben, ob die tragenden Entscheidungsgründe der Kammer in dem Urteil vom 27. März 2012 - 7 A 3542/12 - sachgerecht in die Ermessensentscheidung in dem Bescheid vom 20. August 2012 eingestellt worden sind, weil der Beklagten ein Ermessensspielraum nicht mehr eröffnet ist, nachdem der nicht ausreichende Organisationsgrad ihres Rettungsdienstes im Bereich des qualifizierten Krankentransportes festzustellen ist.
3) Über den 2. Hilfsantrag und die Hilfsbeweisanträge brauchte danach nicht mehr entschieden zu werden. Entsprechendes gilt danach für den von der Beklagten beantragten Schriftsatznachlass zu den Hilfsbeweisanträgen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Klägerin ist mit dem Hauptantrag unterlegen und hat mit dem 1. Hilfsantrag obsiegt. Dies rechtfertigt eine Kostenteilung. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.
Die Berufung ist gemäß §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die Kammer misst der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zu, ob die Genehmigungsfiktion nach § 21 Abs. 1 NRettDG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG auch im Nachgang zu einem Bescheidungsurteil gilt und bejahendenfalls, ab welchem Zeitpunkt. Ebenfalls grundsätzliche Bedeutung misst die Kammer der Rechtsfrage zu, ob § 5 Abs. 2 Satz 1 BedarfVO-RettD dahingehend auszulegen ist, ob - wie die Beklagte meint - lediglich eine durchschnittliche Einhaltung der Wartezeit von 30 Minuten im qualifizierten Krankentransport ausreicht, um dem Sicherstellungsauftrag des Rettungsdienstträgers im Sinne der §§ 2 und 4 Abs. 2 Satz 1 NRettDG zu genügen.