Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 07.03.2023, Az.: 11 UF 206/22
Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung der teilweisen Entziehung der elterlichen Sorge wegen Verletzung der Schulpflicht
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 07.03.2023
- Aktenzeichen
- 11 UF 206/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 51893
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Osnabrück - 23.09.2022 - AZ: 71 F 173/22 SO
Rechtsgrundlagen
- § 1666 Abs. 1 BGB
- § 64 Abs. 3 FamFG
Redaktioneller Leitsatz
1. Die Beschwerde gegen die teilweise Entziehung der elterlichen Sorge wegen Verletzung der Schulpflicht, wegen Ablehnung von Corona-Schutzmaßnahmen, erscheint wegen der hierin liegenden Gefährdung des Kindeswohls nicht erfolgversprechend.
2. Die Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses des Familiengerichts ist daher abzulehnen.
Tenor:
Der Antrag der Kindeseltern vom 07.02.2023, die Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengerichts - Osnabrück vom 23.09.2022 (Aktenzeichen: 71 F 173/22 SO) einstweilen auszusetzen, wird zurückgewiesen.
Gründe
Der Antrag der Kindeseltern auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 23.09.2022 begehrt wird, ist gemäß § 64 Abs. 3 FamFG zulässig.
In der Sache ist die Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses vom 23.09.2022 aber abzulehnen.
Der Beschluss des Amtsgerichts, mit dem den Kindeseltern das Recht der Regelung schulischer Angelegenheiten und des Aufenthaltsbestimmungsrechts, soweit dieses zur Ausübung des Rechts der Regelung schulischer Angelegenheiten, einschließlich des Schulbesuchs erforderlich ist, für die Kinder BB, geboren am TT.MM.2005, AA, geboren am TT.MM.2009, und CC, geboren am TT.MM.2011, entzogen und auf das Jugendamt des Landkreises Osnabrück als Pfleger übertragen hat, ist mit seiner Bekanntgabe gemäß § 40 Abs. 1 FamFG wirksam geworden. Eine Aussetzung der Vollziehung nach § 64 Abs. 3 FamFG ist nach pflichtgemäßem Ermessen dann angezeigt, wenn ein dringendes Bedürfnis dafür besteht, vor Umsetzung der Entscheidung deren Rechtskraft abzuwarten. Maßgebliches Kriterium ist die Erfolgsaussicht des eingelegten Rechtsmittels und die Beachtung des Kindeswohls.
Gemessen an diesen Voraussetzungen ist die Aussetzung der Vollziehung nicht angezeigt. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Erfolgsaussicht des Rechtsmittels der Kindeseltern lässt sich derzeit nicht bejahen.
Hierzu im Einzelnen:
I.
Unter dem 30.09.2020 befasste das Jugendamt erstmalig das Familiengericht gem. § 8a SGB VIII wegen Verletzung der Schulpflicht (Bl. 1f der Beiakte 71 F 138/20). Es führte aus, die Waldorfschule in Ort3 habe am 14.09.2020 eine Schulpflichtverletzungsanzeige gestellt und hierzu ausgeführt, dass die Kinder seit dem Schulbeginn des Schuljahres 2020/2021 (27.08.2020) die Schule nicht mehr besuchten. Die Kindeseltern hätten angegeben, dass die Kinder dem Unterricht aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen fernblieben (Bl. 1f der Beiakte 71 F 138/20).
Die Kindeseltern gaben in der nicht öffentlichen Sitzung vom 18.11.2020 an, sich in der Sache selbst nicht und nur über einen Anwalt äußern zu wollen (Bl. 13 der Beiakte 71 F 138/20).
Der Verfahrensbeistand führte in seinem Bericht vom 13.01.2021 (Bl. 21ff der Beiakte 71 F 138/20) aus, die Kindesmutter habe angegeben, seit ihrem 16. Lebensjahr viele Jahre an einer Angststörung erkrankt gewesen zu sein. Sie habe mehrere Therapien, u.a. eine Maltherapie absolviert, es gehe ihr inzwischen besser. Auch ihre Tochter HH (geb. am TT.MM.2003) habe seit dem Ende der Grundschulzeit mit Angststörungen und Panikattacken zu tun gehabt. Die Coronabedingungen in der Schule einschließlich der dortigen Schutzmaßnahmen hätten die Angstproblematik für HH erneut verstärkt. Die Atmosphäre von Angst und Außergewöhnlichkeit habe sich auf die Geschwister übertragen. Insbesondere das Tragen eines Mundschutzes löse inzwischen bei allen Kindern beängstigende Gefühle aus. Sie sähen als Eltern für sich keine Möglichkeit bei ihren Kindern einen entsprechenden Druck auszuüben dennoch die Schule zu besuchen, sowie das Hygienekonzept der Schule anzunehmen und umzusetzen.
BB habe angegeben, dass ihn die Coronaregeln in der Schule extrem störten. Er wolle keine Maske tragen und fände es zunehmend anstrengend, einen Mindestabstand zu seinen Mitschülern halten zu müssen. Er habe daraufhin beschlossen, die Schule nicht mehr zu besuchen. Seine Eltern hätten ihm diesbezüglich auch keinen Druck gemacht. Es gäbe im Haushalt keine Geräte für PC-Spiele. Er verfüge über kein eigenes Handy und dürfe gelegentlich das Handy seiner Mutter nutzen.
CC habe angegeben, das Tragen einer Maske zum Schutz vor Corona für sich abzulehnen. Die Frage, ob er Ängste habe, sich zu infizieren und möglicherweise daran zu erkranken, habe er nicht beantworten können. Auch wenn die Pandemie nicht wäre, würde er nie wieder in die Schule gehen. Er treffe sich manchmal mit einem Freund aus der Nachbarschaft. Darüber hinaus würde er gerne malen.
AA habe angegeben, vor dem Lockdown gerne zur Schule gegangen zu sein. Da ihre Geschwister nicht mehr zur Schule gehen wollten, sei sie auch zuhause geblieben. Ängste vor den Auswirkungen der Pandemie habe auch AA nicht nennen können.
Der Verfahrensbeistand regte an, die Kinder zur therapeutischen Aufarbeitung der Ängste und Panikattacken beim Tragen von Schutzmasken bei einem Kinder- und Jugendpsychiater vorzustellen. Die Kinder sollten umgehend die Schule wieder besuchen.
Der Verfahrensbeistand berichtete unter dem 24.02.2021 (Bl. 68 der Beiakte 71 F 138/20), die Waldorfschule habe ihm gemeldet, allen Kinder seit dem ersten Lockdown Aufgaben für das Homeschooling zur Verfügung gestellt zu haben. Diese Aufgaben seien jedoch nur vereinzelt bearbeitet und überwiegend nicht zurückgesandt worden. Die Kinder hätten nicht am jeweils angebotenen Zoom-Unterricht teilgenommen. Die Kinder hätten von dem Kindesanhörungstermin am 22.02.2021 keine Kenntnis erlangt.
Die Waldorfschule teilte den Kindeseltern unter dem 04.05.2021 zur Anfrage nach Reduzierung des Schulgeldes mit, dass die Kinder seit langer Zeit nicht mehr zur Schule kämen. Die Waldorfschule bat um Benennung der Schule, die die Kinder künftig im neuen Schuljahr besuchen sollen, damit die notwendigen Ummeldungen eingeleitet werden können (Bl. 71 der Beiakte 71 F 138/20).
Der Verfahrensbeistand berichtete unter dem 10.07.2021 (Bl. 72f der Beiakte 71 F 138/20), JJ von der Waldorfschule habe am 05.07.2021 mitgeteilt, dass den Kindeseltern die Kündigung für alle Kinder ausgesprochen worden sei. Sie habe alle Fachlehrer der Kinder angefragt, ob und wann es Kontakte zu den Kindern gegeben habe und ob zugewiesene Aufgaben per Homeoffice bearbeitet und zurückgesandt worden seien. Die Rückmeldungen der Lehrkräfte seien ernüchternd gewesen. Es seien nur vereinzelt Aufgaben bearbeitet und zurück gemailt worden. Telefonische Kontakte zwischen den Lehrkräften und Schülern bzw. Eltern lägen zum Teil schon mehrere Monate zurück. Zu dem Präsenzunterricht sei kein Kind mehr seit dem Lockdown in 03/2020 erschienen. Der Verfahrensbeistand führte aus, es lägen trotz der sehr bedenklichen ideologischen Vorgehensweise der Kindeseltern im Hinblick auf fehlende schulische Kontakte und einer angemessenen Teilhabe an Bildung für ihre Kinder keine Hinweise auf eine akute Kindeswohlgefährdung vor.
Unter dem 09.11.2021 berichtete der Verfahrensbeistand (Bl. 77 der Beiakte 71 F 138/20), dass die Kinder den Schulbesuch unter Pandemiebedingungen weiterhin ablehnten. Nach den Angaben der Kinder seien diese in der Lage, ihren Alltag anderweitig zu gestalten, sie würden ihren Hobbies nachgehen und sich mit Freunden treffen. Die Kindesmutter habe ergänzt, dass ihre Kinder nunmehr Zeit hätten, sich selbst zu entdecken, was in ihrer jeweiligen Lebensphase gerade richtig für sie sein könnte. Darüber erfolge auch mit den Elternteilen ein regelmäßiger Austausch.
Die Kindeseltern trugen unter dem 02.12.2021 vor, dass das Kindeswohl an den Orten (Schulen), an denen Kinder sich sicher und beschützt fühlen sollten, mit Füßen getreten werde. Die Gesamtlage hätte sich weder an den Schulen noch gesellschaftlich entspannt (Bl. 79 der Beiakte 71 F 138/20).
Unter dem 03.02.2022 baten die Kindeseltern das Gericht um Mitteilung alternativer Gesprächsmöglichkeiten. Sie führten aus, nicht gewillt zu sein, das Gerichtsgebäude mit einem tagesaktuellen Test und FFP2 Masken zu betreten. Zudem baten die Kindeseltern darum, ihre Kinder nicht anzuhören, da der psychische Druck, den solch ein Termin verursache, enorm sei (Bl. 87 der Beiakte 71 F 138/20).
Die Kinder erschienen zum Anhörungstermin ausweislich des vorliegenden Sitzungsprotokolls am 08.02.2022 nicht (Bl. 89f der Beiakte 71 F 138/20).
Die Kindeseltern gaben in der Sitzung am 15.02.2022 an, sie gingen davon aus, dass ihre Kinder, wenn es keine Pandemie gäbe, auch wieder zur Schule gehen würden. Der Kindesvater führte aus, dass aus seiner Sicht der Staat in Vorleistung zu treten habe und für eine sichere Umgebung zum Schulunterricht sowie für eine sichere Beförderung der Kinder zu sorgen habe. Die Kindeseltern legten in der Sitzung einen Artikel der Dipl. Psych. und Psychotherapeutin Susanne Stroppel vom 11.02.2022 mit dem Titel "Wie geht es den Kindern in der Pandemie?" vor (Bl. 94ff der Beiakte 71 F 138/20).
Mit Beschluss vom 24.03.2022 gab das Familiengericht in dem unter dem Aktenzeichen 71 F 138/20 SO geführten Verfahren den Kindeseltern auf, ihre Kinder unverzüglich wieder an einer für den allgemeinen Schulbetrieb zugelassenen Schule anzumelden. Den Kindeseltern wurde aufgegeben, dafür Sorge zu tragen, dass die Kinder verlässlich und regelmäßig am Schulbesuch und Unterricht in der jeweils festgesetzten Form teilnehmen.
Im vorliegenden Verfahren berichtete das Jugendamt unter dem 13.07.2022, dass sich die Kindeseltern gegen die Anmeldung ihrer Kinder an einer Schule entschieden hätten (Bl. 2).
Der Verfahrensbeistand teilte unter dem 10.08.2022 mit, die Kindeseltern hätten ihm gegenüber angegeben, BB habe seinen Freizeitarrest am 05.08.2022 nicht angetreten. Die Eltern hätten darum gebeten, ihre Kinder nicht erneut mit den Belastungen eines aus ihrer Sicht unnötigen Familiengerichtsverfahrens zu konfrontieren. Mit den Kindern hätte er nicht sprechen können. Aufgrund seiner früheren Eindrücke gehe er davon aus, dass neben dem nicht erfüllten Recht auf Teilhabe an Bildung und sozialem Lernen keine darüberhinausgehenden kindeswohlgefährdenden Verdachtsmomente bestünden (Bl. 13f). Dem Bericht beigefügt war eine E-Mail der Kindesmutter vom 04.08.2022, mit deren Weiterleitung sich die Kindesmutter ausdrücklich einverstanden erklärte (Bl. 15). Die Kindesmutter führte hierin aus, sie hätten das Gespräch mit der zuständigen Oberschule Ort1 gesucht, um über eine dortige Beschulung ihrer Kinder zu sprechen. Sie hätten die Aussagen des Schulleiters erschreckend gefunden. Dieser habe seine Hauptaufgabe darin gesehen, die Schüler zu Leistungsträgern der Gesellschaft zu formen. Der Schulleiter habe persönlich die Maskenpflicht befürwortet, sich aber der Vorgabe von Anfang Mai 2022 gebeugt, wonach keine Pflicht zum Maskentragen mehr bestehe.
Die Kindeseltern erklärten bei ihrer Anhörung am 15.08.2022 (Bl. 16ff), die Schule KK sei kein guter Platz für ihre Kinder. Sie fänden es subtil, wenn ein Direktor diejenigen Kinder lobe, die eine Maske trügen, obwohl aktuell keine Vorgaben bestünden. Zunächst seien es die Masken und der Abstand gewesen. Das "Ganze" sei nicht für sie gewesen. Sie könnten sich vorstellen, dass ihre Kinder zu einer freien Schule gingen. Sie könnten sich aber auch vorstellen, dass ihre Kinder selbstbestimmt lernten. Ein Hirnforscher habe festgestellt, dass 98% der Kinder als hochbegabt zur Welt kämen, wenn sie die Schule verließen, seien das nur noch 2%. Ihre Kinder hätten außerschulisch Freunde. Sowohl in der Familie als auch außerhalb sei alles "picobello". Die Kinder wüssten, dass sie ihre Abschlüsse nachholen könnten. 90 % des Schulwissens würde heutzutage nicht gebraucht. Der Schulbesuch sei im Zweifel lediglich eine Eintrittskarte für Weiteres. Die Kindesmutter überreichte ein Schriftstück mit der Überschrift "Schulpflicht im Völkerrecht" (Bl. 19f).
BB gab bei seiner erstinstanzlichen Anhörung am 14.09.2022 (Bl. 21f) an, seit März 2020 die Schule nicht mehr zu besuchen. Die Zeit seither sei "ganz gut" gewesen. Er habe sich gelegentlich mit Freunden getroffen. Seit Anfang des Jahres habe er sich mit der Spieleentwicklung beschäftigt. Dafür interessiere er sich und das wolle er später machen. Er würde Mobile Games designen. Dafür gebe es Anleitungen bei YouTube. Er wolle selbständiger Spieleentwickler werden. Dafür könne man ein Studium absolvieren oder es sich - so wie er - autodidaktisch beibringen. Er sehe keinen Grund zur Schule zu gehen. Es gebe seit ein bis zwei Wochen ein Problem mit dem LAN. Wenn das LAN wieder ok sei, wolle er ein Spiel rausbringen. Schule sei für ihn nur so etwas wie eine Zweckgemeinschaft. Man habe ihm angeboten, zur KK Schule zu gehen. Er habe aber mit der Entwicklung von Spielen angefangen. Er habe es sich aussuchen können, zur KK Schule zu gehen und sich dagegen entschieden. Er betreibe das Programmieren teilweise ähnlich lange, wie einen Schulbesuch. Dann würde er gegen 9.00 Uhr anfangen und mittags aufhören. Manchmal würde er auch noch abends weitermachen.
CC und AA waren zur erstinstanzlichen Anhörung ausweislich des Anhörungsvermerks vom 14.09.2022 nicht erschienen, da sie nach den Angaben der Kindeseltern weinend im Bett lagen und nicht zur Anhörung kommen wollten (Bl. 21 d. A.).
Die Kindesmutter führte in der Sitzung vom 19.09.2022 aus, das Vertrauen in das System verloren zu haben. Der Kindesvater führte aus, niemandem einen Schaden zufügen zu wollen. Er füge seinen Kindern keinen Schaden zu, sondern halte vielmehr Schäden von diesen fern.
Mit Beschluss vom 23.09.2022 entzog das Familiengericht den Kindeseltern für die Kinder BB, AA und CC das Recht der Regelung schulischer Angelegenheiten sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht, soweit dieses zur Ausübung des Rechts der Regelung schulischer Angelegenheiten einschließlich des Schulbesuchs erforderlich ist. Es ordnete unter anderem an, dass die Kinder an den Ergänzungspfleger herauszugeben sind, soweit sie zu den einschlägigen Schulzeiten nicht von selbst in der Schule erscheinen oder verbleiben. Es führte im Wesentlichen aus, es liege eine Gefährdung des Kindeswohls vor. Diese liege bereits darin, dass sich die Eltern nicht einmal bemühten, die Kinder im Bildungsbereich sowohl in Bezug auf den Wissensstand als auch im Hinblick auf das Bestehen von Prüfungssituationen vorzubereiten und mit entsprechenden Kompetenzen auszustatten. Die Eltern würden ihren Kindern die Chance auf Wissenserwerb und eine darauf aufbauende berufliche Entwicklung nehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird vollumfänglich auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
Unter dem 27.09.2022 führten die Kindeseltern schriftlich zur Gefährdungsanalyse von Covid-19-Schnelltests und durch PCR-Tests aus. Sie stützten sich darauf, dass der Mensch frei sei und ein naturgegebenes Recht auf seine freie Entfaltung habe. Mit der Anmeldung beim Standesamt und der Erstellung der Geburtsurkunde erhebe nun auf einmal die Organisation "Staat" Ansprüche auf ein Lebewesen und lege diesem Erfüllungs- und Leistungspflichten auf. Sie würden die Anmeldung ihrer Kinder beim Standesamt anfechten, da sie nicht in Kenntnis dieser Sachlage gewesen seien und diese bei verständiger Würdigung nicht abgegeben haben würden (Bl. 36f).
Gegen den ihnen am 13.10.2022 zugestellten Beschluss haben die Kindeseltern mit am 25.10.2022 beim Familiengericht eingegangenen Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom gleichen Tage Beschwerde eingelegt. Antragsgemäß wurde dem Verfahrensbevollmächtigten der Kindeseltern die Frist zur Begründung der Beschwerde bis einschließlich 13.01.2022 verlängert. Die am 19.12.2022 übersandten Beiakten (71 F 138/20 SO und 71 F 267/22 PF) zur Akteneinsicht für drei Tage reichte der Verfahrensbevollmächtigte der Kindeseltern unter dem 24.01.2023 zurück (Bl. 90).
Die Kindeseltern führen in ihrer Beschwerdebegründung vom 07.02.2023 (Bl. 101ff) aus, es läge keine Kindeswohlgefährdung vor. Das Familiengericht habe zudem verkannt, dass es nicht Aufgabe des Gerichts sei, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen. Sie nahmen in ihrer Beschwerdebegründung auf die Lebensläufe der Eltern und der Kinder Bezug.
Die Kindeseltern verfolgen mit ihrer Beschwerde den Antrag,
den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Osnabrück vom 23.09.2022 - 71 F 173/22 SO - aufzuheben, von familiengerichtlichen Maßnahmen abzusehen und das Verfahren zu beenden, hilfsweise, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
Sie beantragen,
vor der Entscheidung über die Beschwerde eine einstweilige Anordnung zu erlassen, insbesondere anzuordnen, dass die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses auszusetzen ist (§ 64 Abs. 3 FamFG).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss (Bl. 26ff) und die Beschwerdebegründung vom 07.02.2022 nebst Anlagen (Bl. 101ff) Bezug genommen.
Der Pfleger hat unter dem 07.02.2023 mitgeteilt, dass die Kinder AA und CC an der Oberschule KK in Ort1 und BB am Berufsschulzentrum LL in Ort2 angemeldet worden seien (Bl. 129).
Den Kindeseltern ist mit Verfügung vom 09.02.2023 aufgegeben worden, zu dem weiteren Vorgehen und den zu vermittelnden und vermittelten Lerninhalten vorzutragen und mitzuteilen, ob sie mit einer Begutachtung einverstanden sind. Eine Stellungnahme ist weder binnen gesetzter Frist noch bis zur Entscheidung erfolgt.
Der Verfahrensbeistand hat unter dem 12.02.2023 (Bl. 132) ausgeführt, der Kindesvater habe erklärt, es habe bereits zeitnah Gespräche mit zwei Vertreterinnen des Jugendamtes im Rahmen eines Hausbesuchs gegeben. Es solle ein weiterer Termin folgen. Der Kindesvater halte es nicht für vertretbar, wenn seine Kinder mit drei verschiedenen Personen / Institutionen Gespräche führen sollten (Jugendamt / Ergänzungspflegschaft / Verfahrensbeistand). Seine Kinder würden sich unabhängig von der Schule bilden und diesbezüglich eine freie eigene Entscheidung treffen.
II.
Der Antrag vom 07.02.2023 auf vorläufige Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses vom 23.09.2022 ist zulässig, jedoch unbegründet. Denn die zulässige Beschwerde der Kindeseltern hat nach vorläufiger Bewertung der Sach- und Rechtslage keine Aussicht auf Erfolg. Die teilweise Entziehung der elterlichen Sorge betreffend die Schulangelegenheiten und des Aufenthaltsbestimmungsrechts zur Durchsetzung der Schulpflicht erscheint nach vorläufiger Bewertung des Senats notwendig.
Das Familiengericht hat zu Recht und zutreffend ausgeführt, dass das Kindeswohl gem. § 1666 Abs. 1 BGB gefährdet ist. Es hat nach dieser Bestimmung die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Das Kindeswohl ist gefährdet, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes zu erwarten ist, wobei an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je schwerer der drohende Schaden wiegt (BGH, FamRZ 2019, 598, juris Rn. 18). Die - auch teilweise - Entziehung der elterlichen Sorge als besonders schwerer Eingriff kann aber nur bei einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes mit einer höheren - einer ebenfalls im Einzelfall durch Abwägung aller Umstände zu bestimmenden ziemlichen - Sicherheit eines Schadenseintritts gem. § 1666a BGB verhältnismäßig sein (BGH a.a.O. Rn. 33). Da in das nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG den Eltern gewährleistete Recht auf Erziehung nur unter strenger Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden darf (BVerfG FamRZ 2021, 104 Rn. 30), dürfen den Eltern nicht mehr Rechte entzogen werden, als es zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist.
Die elterliche Sorge umfasst die Pflicht der Eltern, die Entwicklung des Kindes zum selbstbestimmungsfähigen, selbstverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Erwachsenen zu ermöglichen und zu fördern (Staudinger/Coester (2020) BGB § 1666 Rn. 137 m.w.N.). Auch wenn es kein Recht eines Kindes auf optimale Erziehungsbedingungen und optimale Förderung gibt, werden die beruflichen Lebenschancen des Kindes verweigert, wenn die Eltern das Kind vom Schulbesuch abhalten (Staudinger/Coester a.a.O.).
Bildung und Erziehung von Kindern sind gemeinsame Aufgaben von Eltern und Staat. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht der Kinder auf Teilhabe an der schulischen Bildung, der Ausübung der elterlichen Sorge und den Erziehungszielen des Staates ist im Grundgesetz angelegt (vgl. hierzu Amend-Traut und Singer, FamRZ 2022, 662 und BVerfG, FamRZ 2022, 99ff).
Die Eltern haben das natürliche Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Über die zuvörderst den Eltern obliegende Pflicht wacht die staatliche Gemeinschaft (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG). Gleichzeitig stellt Art. 7 Abs. 1 GG das gesamte Schulwesen unter die Aufsicht des Staates und begründet damit neben einem staatlichen Schulauftrag auch ein eigenständiges Recht des Staates im Bereich der Bildung, welches im schulischen Bereich gleichgeordnet neben dem elterlichen Erziehungsrecht steht und dem Staat die Festlegung und Verfolgung eigener Erziehungsziele sowie die Ordnung, Organisation und inhaltliche Ausgestaltung von Unterricht und Schule gestattet (BVerfG FamRZ 1980, 29; FamRZ 1978, 177). Neben der bloßen Wissensvermittlung zählt insbesondere die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes, seine Heranbildung zu einem selbstverantwortlichen Mitglied der Gesellschaft sowie die Ermöglichung eines chancengleichen Zugangs zu Ausbildung, Studium und Beruf zu den Erziehungszielen des Staates (BVerfG FamRZ 2006, 1094; FamRZ 1978, 177). Dieser staatliche Schulauftrag wird durch die Regelung der Schulpflicht in Niedersachen in § 63 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) normiert. Mit dieser bestehenden Schulpflicht wird zugleich das sich aus Art. 2 Abs. 1 GG folgende Recht der Kinder und Jugendlichen auf schulische Bildung umgesetzt.
Art. 2 Abs. 1 GG enthält das Recht der Kinder und Jugendlichen auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist hierin das Recht gegenüber dem Staat enthalten, ihre Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit auch in der Gemeinschaft durch schulische Bildung gem. dem Bildungsauftrag nach Art. 7 Abs. 1 GG zu unterstützen und zu fördern (Recht auf schulische Bildung, BVerfG FamRZ 2022, 99ff, juris Rn. 47).
Aus diesen rechtlichen Grundlagen folgt, dass den Eltern grundsätzlich nicht die Entscheidung obliegt, ob sie ihre Kinder überhaupt zur Schule schicken oder ob sie diese nicht in ihrem häuslichen Umfeld belassen, um sich selbst zu finden bzw. zu verwirklichen. Nur in Ausnahmefällen, wie etwa bei der Schulbesuchsunfähigkeit aufgrund längerfristiger Erkrankung ist es den Eltern gestattet, der Schulbesuchspflicht ihrer Kinder nicht nachzukommen und diese zuhause zu unterrichten (Amend-Traut/Singer a.a.O.).
Den Eltern steht mithin auch kein Recht zu, die Bildung ihrer Kinder im Wege des Homeschoolings selbst zu übernehmen. Die allgemeine Schulpflicht stellt eine verhältnismäßige und deshalb rechtmäßige Beschränkung des elterlichen Bestimmungsrechts dar (BVerfG, FamRZ 2015, 27; FamRZ 2006, 1094; FamRZ 1986, 1079; EuGHMR, FamRZ 2019, 449).
In der hier zu entscheidenden Sachgestaltung führen die Kindeseltern ihre Kinder seit dem ersten Lockdown nicht mehr der Schule zu. Die Kinder besuchten früher die Waldorfschule. Bei Entfallen der schulischen Präsenzpflicht erfüllten die Kinder weder hinreichend ihre Aufgaben im Homeschooling noch wirkten sie hinreichend mit. So wurden Aufgaben nur vereinzelt bearbeitet und zurückgemailt. Bereits unter schulischer Anleitung ist es den Eltern mithin nicht gelungen, ihre Kinder im Homeschooling zu betreuen, zu unterrichten und diesen eigenständig Lerninhalte zu vermitteln. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Kindeseltern willens und in der Lage sind, den Kindern Lerninhalte zu vermitteln. Vielmehr folgt aus ihrem Vorbringen, dass die Eltern den Kindern Zeit gewähren, um sich selbst zu entdecken und zu ergründen, was in ihrer jeweiligen Lebensphase gerade richtig für sie sein könnte (s.o.).
Zur Vermeidung einer Gefährdung des Wohls der Kinder hat das Familiengericht den Eltern daher zu Recht die elterliche Sorge teilweise entzogen. Die beharrliche Weigerung der Eltern, ihre Kinder einer für den allgemeinen Schulbetrieb zugelassenen Schule zuzuführen stellt eine Kindeswohlgefährdung dar. Hieraus folgt vorliegend eine konkrete Gefährdung auch für die motivationale, emotionale und soziale Entwicklung der Kinder. So ist bereits nicht ersichtlich, dass den Kindern Lerninhalte vermittelt werden, die diesen die Erlangung eines Berufes ermöglichen. Auch ist nicht erkennbar, dass diese angemessenen Sozialkompetenzen in einem kulturell und sozial heterogenen Umfeld haben.
So konnten die Kinder AA und CC bereits erstinstanzlich nicht angehört werden, da sie weinend im Bett lagen (Bl. 21 d. A.). Hier wird deutlich, dass es den Eltern und den Kindern nicht gelingt, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, dessen Herausforderungen anzunehmen sowie diese zu bewältigen. Üblicherweise stellen Kindesanhörungen für Kinder zwar herausfordernde Situationen dar, die diese in der Regel aber sehr gut meistern können. Kinder erleben im Rahmen der Anhörung gerade, dass sie nicht nur Verfahrensobjekt sind, sondern in ihren Anliegen auch Gehör finden.
BB wurde erstinstanzlich angehört. Aus seiner Anhörung ergab sich nicht, dass diesem ein Recht auf Bildung eingeräumt wird. Dieser gab bei seiner Anhörung an, sich mit der Spieleentwicklung zu beschäftigen. Er führte aus, er wolle ein Spiel entwickeln, wenn das LAN wieder in Ordnung sei (Bl. 21 d. A.). Er habe sich die Programmierung in YouTube-Tutorials beigebracht. Er wolle sich einen Job suchen, habe bisher aber noch nicht die Ambitionen. Seine Mutter arbeite beim MM. Er wolle dort anfangen (Bl. 21 d. A.). Auch aus den Angaben von BB lässt sich nicht entnehmen, dass diesem sein Recht auf Bildung eingeräumt wird. Zwar gab dieser wiederholt an, nicht zur Schule zu wollen. Anlass hierfür waren zunächst die Corona-Maßnahmen, die für die Familie Anlass waren, sich gegen die Schulpflicht schließlich auch nach Beendigung der Pandemie auszusprechen. Welche Alternativen den Kindern zur Teilhabe an der Bildung zur Verfügung gestellt werden, ist nicht erkennbar. Vielmehr folgt aus den Ausführungen von BB, dass auch dieser kann einen Zugang zu einer beruflichen Ausbildung erlangen wird.
Die Maßnahmen sind auch verhältnismäßig. Die familiengerichtlichen Maßnahmen zur Durchsetzung der Schulpflicht in Form eines Gebotes an die Eltern, für die Einhaltung der Schulpflicht Sorge zu tragen (§ 1666 Abs. 4 Nr. 2 BGB), ist ohne Wirkung geblieben. Mit Beschluss vom 24.03.2022 hat das Familiengericht in dem beigezogenen Verfahren (Bl. 159ff der Beiakte 71 F 138/20 SO) den Kindeseltern aufgegeben, die Kinder an einer für den allgemeinen Schulbetrieb zugelassenen Schule anzumelden und Sorge dafür zu tragen, dass die Kinder verlässlich und regelmäßig am Schulbesuch und Unterricht teilnehmen. Die Kindeseltern sind dem nicht nachgekommen.
Es ist auch nicht zu erwarten, dass die Kinder in der Schule nur passiv anwesend wären und ohne jede Motivation zum Lernen oder zur sozialen Teilnahme wären. So ergibt sich aus dem Bericht des Verfahrensbeistandes aus dem Vorverfahren vom 13.01.2021 (Bl. 21ff der Beiakte 71 F 138/20 SO), dass AA vor dem Lockdown gern zur Schule gegangen ist. Diese hat sich lediglich dem Willen ihrer Geschwister, nicht mehr zur Schule gehen zu wollen, angepasst (Bl. 22 der Beiakte 71 F 138/20 SO). Auch CC war in der Schule erfolgreich. So interessierte dieser sich in der Schule besonders für das Schulfach Mathematik (Bl. 22 der Beiakte 71 F 138/20 SO). Auch BB hat nach eigenen Angaben in der Schule mitgewirkt. So war dieser nach eigener Einschätzung ein durchschnittlicher Schüler (Bl. 22 der Beiakte 71 F 138/20 SO).
Es ist daher nicht festzustellen, dass eine Aussetzung der Vollziehung erforderlich erscheint. Hinsichtlich des Vorbringens der Kindeseltern ist zudem fraglich, ob diese künftig gewillt sind, ihren Kindern eine Teilhabe an der Bildung einzuräumen. Die Kindeseltern haben auch nicht dargetan, welche alternative Teilhabe sie ihren Kindern einräumen wollen.
Der Pfleger hat die Kinder bereits in der Schule angemeldet. Es ist davon auszugehen, dass die Kinder künftig die Schule besuchen und diesen Teilhabe an der Bildung eingeräumt werden wird. Dies gilt unabhängig von der avisierten Anfechtung der Standesamtseintragung der Kinder. Auch für den Fall, dass hier keine standesamtliche Beurkundung vorläge, würde nichts anderes gelten.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.