Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 13.07.2023, Az.: 2 ORbs 108/23

Ratsherr; Ratsfrau; Verschwiegenheit; Ratssitzung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
13.07.2023
Aktenzeichen
2 ORbs 108/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 26492
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Bad Iburg - 02.02.2023

Amtlicher Leitsatz

Keine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch eine Ratsfrau oder einen Ratsherrn bei einer Äußerung in einer öffentlichen Ratssitzung - hier: Namentliche Nennung eines Grundstückserwerbers im Rahmen einer Debatte über die Ausübung des Vorkaufsrechtes durch die Gemeinde

In der Bußgeldsache
gegen
AA,
geboren am TT.MM.JJJJ,
wohnhaft (...),
Staatsangehörigkeit: (...),
Verteidiger:
(...)
hat das Oberlandesgericht Oldenburg (Oldenburg) durch die unterzeichnenden Richter am 13.07.2023 beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Iburg vom 2.2.2023 wird vom rechtsunterzeichnenden Einzelrichter zur Fortbildung des Rechts zugelassen.

Die Sache wird vom rechtsunterzeichnenden Einzelrichter auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Bad Iburg vom 2.2.2023 aufgehoben. Der Betroffene wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat, freigesprochen.

Gründe

I.

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 40 NKomVG zu einer Geldbuße von 200 € verurteilt.

§ 40 Abs. 1 Satz 1 NKomVG lautet:

Ehrenamtlich Tätige haben über Angelegenheiten, deren Geheimhaltung durch Gesetz oder dienstliche Anordnung vorgeschrieben oder der Natur der Sache nach erforderlich ist, Verschwiegenheit zu wahren; dies gilt auch nach Beendigung ihrer Tätigkeit.

Abs. 2 des § 40 NKomVG lautet: Wer die Pflicht nach Abs. 1 vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt, handelt ordnungswidrig, wenn die Tat nicht nach § 203 Abs. 2 oder nach § 353 b des Strafgesetzbuches (StGB) bestraft werden kann; § 39 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 gilt entsprechend.

§ 39 Absatz 2 Satz 2 NKomVG lautet: Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße geahndet werden.

§ 40 ist über § 54 NKomVG auch auf Abgeordnete anwendbar. Abgeordnete tragen in den Gemeinden die Bezeichnung Ratsfrau oder Ratsherr (§ 45 Absatz 1 Satz 3 NKomVG).

Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Der Betroffene war im Jahr 2021 seit längerer Zeit Mitglied des Rates der Stadt Ort1. In dieser Funktion wurde ihm im Rahmen einer nicht-öffentlichen Information der Verwaltung an Mitglieder des Rates bekannt, dass die bisherige private Eigentümerin der Immobilie "Straße1" Ort1 diese an einen privaten Investor veräußern wollte. Die Verwaltung strebte an, auf Grundlage eines durch eine eigens erlassene Satzung geschaffenen Vorkaufsrechts in den Kaufvertrag einzutreten und die Immobilie selbst zu erwerben. Im Rahmen dieser Information wurde auch der Name des Investors genannt. Es handelte sich dabei um einen bekannten lokalen Geschäftsmann.

Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt vor oder nach dieser Information durch die Verwaltung nahm der Betroffene an einer Parteiversammlung der Partei BB teil, der er angehört. In dieser war auch die damalige, verkaufswillige Eigentümerin der Immobilie "Straße1" anwesend. Diese teilte dort ebenfalls den Namen des privaten Investors mit, der die Immobilie erwerben wollte.

Am TT.MM.2021 wurde in der öffentlichen Sitzung des Rates der Stadt Ort1 die von der Verwaltung angestrebte Ausübung des Vorkaufsrechts für die Immobilie "Straße1" diskutiert. Dabei wurde mitgeteilt, dass die derzeitige Eigentümerin die Veräußerung an einen privaten Investor anstrebe und die Stadt in diesen Vertrag eintreten wolle. Der Ratsherr CC wies dazu darauf hin, dass ein Ort2 Geschäftsmann die Immobilie erwerben und in attraktive Gewerbeflächen umwandeln wolle. Der Name des Investors wurde zunächst nicht genannt. Dieser war zu dieser Zeit auch nicht allgemein bekannt.

Der Betroffene nahm an dieser Sitzung vom TT.MM.2021 als Mitglied des Rates teil. Er nannte im Rahmen der Debatte um das Vorkaufsrecht in öffentlicher Sitzung dann den Namen des privaten Investors, der die Immobilie erwerben wollte. Der Betroffene war vor Nennung des Namens durch die Bürgermeisterin DD darauf hingewiesen worden, dass es sich bei dem Namen des Investors um eine vertrauliche Information handele, die er nicht öffentlich machen dürfe. Der Betroffene selbst erklärte in der Sitzung, dies sei ihm bewusst, er sehe sich aber gehalten, den Namen öffentlich zu machen, um die aus seiner Sicht rechtswidrige Ausübung des Vorkaufsrechts zu verhindern.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, den er eingehend begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Der rechtsunterzeichnende Einzelrichter hat die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zugelassen, weil Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Verschwiegenheitspflicht kommunaler Abgeordneter zu klären sind und die Sache auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Die Feststellungen rechtfertigen die Verurteilung des Betroffenen nicht.

Die Geheimhaltung war zunächst nicht durch dienstliche Anordnung vorgeschrieben. Für Abgeordnete kommen solche dienstlichen Anordnungen nicht infrage, weil sie in keinem Dienstverhältnis zur Kommune stehen und nicht in den hierarchischen Verwaltungskörper eingegliedert sind (KVR-Nds/NKomVG, Miller, § 40 Rn. 17)

Da die Geheimhaltung auch nicht durch Gesetz vorgeschrieben war, kommt vorliegend nur das Tatbestandsmerkmal "der Natur der Sache nach erforderlich" in Betracht. Was hierunter zu verstehen ist ergibt sich aus der Vorschrift nicht, was im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot wegen der Bußgeldbewehrung eines Verstoßes zumindest bedenklich erscheint. Zurückzugreifen ist deshalb auf den Maßstab für die Nichtöffentlichkeit von Sitzungen der Vertretung (KVR a.a.O., § 40 Rn. 18). Gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 N KomVG sind die Sitzungen der Vertretung öffentlich, soweit nicht das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen einzelner den Ausschluss der Öffentlichkeit erfordern.

Hier hat das Amtsgericht eine Verletzung der berechtigten Interessen des Kaufinteressenten der Immobilie angenommen.

Die berechtigten Interessen Einzelner erfordern die Geheimhaltung, wenn es sich um persönliche und wirtschaftliche Angelegenheiten von Bürgern, einschließlich ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, handelt, die Offenbarung für die Bürger nachteilig sein könnte und kein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit an der Kenntnisnahme besteht (KVR a. a. O.).

Der Betroffene hat sich gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Gemeinde gewandt und die Begründung für die beabsichtigte Ausübung des Vorkaufsrechts -Erhaltung des Objektes als Einzelhandelsbetrieb- unter Hinweis auf die Person des Käufers als nicht stichhaltig angesehen. Insofern ist bereits zweifelhaft ob die Offenbarung des Namens des Erwerbers für diesen nachteilig gewesen sein könnte. Konkrete Nachteile zeigt auch das angefochtene Urteil nicht auf.

Darüber hinaus könnte sogar ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit an der Kenntnisnahme gegeben gewesen sein, da der finanzielle Aufwand, den die Gemeinde bei Ausübung des Vorkaufsrechts zu tragen gehabt hätte, erheblich gewesen wäre.

Der Tatbestand ist aber jedenfalls deshalb nicht erfüllt, weil die Angelegenheit in öffentlicher Sitzung behandelt worden ist. Soweit - anders als hier - ein Beschluss über die Nichtöffentlichkeit einer Sitzung gefasst worden ist, entfaltet dies Indizwirkung für die Geheimhaltung der in der Sitzung erörterten Angelegenheit (VGH München, NVwZ 1989,182; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24 April 2001, 15 A3 1021/97, juris; KVR a.a.O, Rn. 19).

Da ein Beschluss dahingehend, die Angelegenheit in nichtöffentlicher Sitzung zu behandeln, nicht gefasst worden ist, hat der Rat offenbar die berechtigten Interessen des Käufers nicht als Grund für den Ausschluss der Öffentlichkeit angesehen. Der Rat konnte auch nicht davon ausgehen, dass im Rahmen der Erörterung der offenbar hoch streitigen Angelegenheit der Name des Käufers nicht genannt werden würde.

Zwar konnte der Betroffene im Rahmen der Ratssitzung bei seiner Äußerung zu dem zu behandelnden Tagesordnungspunkt nicht sein Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Grundgesetz in Anspruch nehmen, sondern organschaftliche Befugnisse, die ihm als Teil eines Gemeindeorgans verliehen sind (BVerwG, NVwZ 1988, 837).

Das Recht des Ratsmitglieds zur freien Mandatsausübung (§ 54 NKomVG) enthält als wesentliches Element die Befugnis, zu jeder Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft öffentlich Überzeugungsbildung inner- und außerhalb der Gemeindevertretung betreiben zu können (vgl. VG Gießen, Urteil vom 7. Dezember 2020, 8 K2724/19.GI, juris). Die Wahrnehmung des Mandats ist auch darauf gerichtet, durch Beteiligung an der öffentlichen Debatte die Kontrolle der Kommunalpolitik durch den Wahlbürger überhaupt erst zu ermöglichen (VG Oldenburg, Urteil vom 29. September 2005, 2 A 68/03, juris). Das Rederecht ist dabei ein wesentliches Beteiligungsrecht an der Arbeit der Vertretung. Die Möglichkeit des öffentlichen Verhandelns von Argument und Gegenargument vor der Abstimmung ist ein wesentliches Element des demokratischen Prozesses. Durch Diskussionsbeiträge und Antragsbegründungen kann das Ratsmitglied andere Mitglieder überzeugen und für seine Sache gewinnen (KVR a.a.O, Wefelmeier, § 54 RN 12).

Ob eine Angelegenheit der Geheimhaltung unterliegt, wenn die Öffentlichkeit zu Unrecht ausgeschlossen worden ist, ist umstritten (vgl. KVR a.a.O., § 40 RN 20).

Bei einer Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips in einer Plenarsitzung durch unberechtigten Ausschluss der Öffentlichkeit, steht das Mitglied in einem Konflikt zwischen der Wahrung der Verschwiegenheit (nichtöffentliche Sitzung als Indiz für die Pflicht zur Verschwiegenheit, siehe oben) und dem Recht auf freie Mandatsausübung (vergleiche VG Oldenburg a. a. O.). Das bedeutet im Umkehrschluss allerdings, dass, wenn -wie hier- eine öffentliche Plenarsitzung stattfindet, dieser Konflikt nicht auftreten kann, weil das Ratsmitglied die Möglichkeit haben muss, im Rahmen seines Rederechts sämtliche Gesichtspunkte, die für die Behandlung des Tagesordnungspunktes relevant sind, darzulegen.

Unterliegt ein Aspekt der Geheimhaltung, wird die Äußerungsfreiheit zudem nicht so weit eingeschränkt, dass es dem Ratsmitglied generell untersagt wäre, sich zu dem entsprechenden Thema zu äußern. Die Diskussion im Gemeinderat steht ihm nämlich offen; lediglich in der Öffentlichkeit dürfen entsprechende Äußerungen nicht getätigt werden (vergleiche VGH München a. a. O.). Würde man dieses anders sehen, würde das Recht auf freie Mandatsausübung -hier das Recht im Rahmen einer öffentlichen Ratssitzung alle relevanten Punkte ansprechen zu dürfen- in unzulässiger Weise beeinträchtigt.

Sollte der Rat davon ausgegangen sein, dass die Voraussetzungen des Ausschlusses der Öffentlichkeit nicht vorgelegen hätten, durfte auch nicht über den "Umweg" eines Äußerungsverbotes ein faktischer (teilweiser) Ausschluss der Öffentlichkeit herbeigeführt werden. Dies widerspräche der großen Bedeutung, die dem Prinzip der Öffentlichkeit zuzumessen ist:

"Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzungen gehört zu den wesentlichen Verfahrensbestimmungen des Gemeinderechts. Er ist im demokratischen Rechtsstaat eines der wichtigsten Mittel, das Interesse der Bürgerschaft an der Selbstverwaltung zu wecken und zu erhalten. Er hat die Funktion, dem Gemeindebürger Einblick in die Tätigkeit der Vertretungskörperschaften und ihrer einzelnen Mitglieder zu ermöglichen und dadurch eine auf eigener Kenntnis und Beurteilung beruhende Grundlage für eine sachgerechte Kritik sowie die Willensbildung zu schaffen, den Gemeinderat der allgemeinen Kontrolle der Öffentlichkeit zu unterziehen und dazu beizutragen, der unzulässigen Einwirkung persönlicher Beziehungen, Einflüsse und Interessen auf die Beschlussfassung des Gemeinderats vorzubeugen; es soll so bereits der Anschein vermieden werden, dass "hinter verschlossenen Türen" unsachliche Motive für die Entscheidung maßgebend gewesen sein könnten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 25.2.2013 - 1 S 2155/12 - juris; Urt. v. 24.2.1992 - 1 S 2242/91 - juris; Urt. v. 9.11.1966 - I 5/65 - ESVGH 17,118 [VGH Baden-Württemberg 20.12.2016 - 12 S 1142/16]; BGH, Urt. v. 23.4.2015 -III ZR 195/14 - NVwZ-RR 2015, 630)."

(Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. September 2018 - 3 S 1465/18 -, Rn. 30, juris)

Darauf, ob der Name des Investors überhaupt noch geheimhaltungsbedürftig war - eine Geheimhaltungsbedürftigkeit unterstellt - nachdem er bereits in einer Parteiveranstaltung genannt worden war, kommt es nicht mehr an.

Da die Äußerung des Betroffenen somit keinen Verstoß gegen § 40 NKomVG darstellt, war er mit der Kostenfolge des § 465 StPO, in Verbindung mit § 46 OWiG, freizusprechen.